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XII

Lilith erwartet ihn bereits in der Halle.

Sie ist zum Ausgehen angezogen. Ganz in Rostrot – etwas lichter als ihre eigenen Haare.

Ihr strahlender Anblick läßt ihn rasch den trüben Eindruck der letzten Viertelstunde überwinden.

Er will von jetzt ab Wien nicht als Einheimischer, er will es als Fremder sehen – ohne Herz, nur mit Neugier, nicht allzu deutlich, und unbelastet von allen Beschwerden des Daseins. Was kümmern ihn die Stadt und das Land, wie sie wirklich sind; ihn interessiert nur, was sie ihm bieten können.

Ich will mein Leben und mein Glück hier leben, unbehelligt von der Umgebung und den Verhältnissen. Ich will die Dinge gar nicht so deutlich sehen und lasse sie mir nicht zu nahe kommen – sonst verlieren sie den Reiz und werden schmerzlich.

Und er schüttelt alles Schwere mit einem Ruck von sich ab ...

Das Wetter ist schön geworden. Die Baumalleen der Ringstraße glänzen feucht. Der Himmel blaut, und die Leute sitzen schon wieder vor den Kaffeehäusern auf der Straße ...

»Lilith, fahren wir aus – durch die Stadt irgendwo hinaus, den Tee nehmen?«

Lobositz wendet sich an den Portier:

»Wohin kann man zum Tee fahren?«

»Vielleicht Schloß Kobenzl.«

»Also gut, Schloß Kobenzl.«

Sie rollen über den Ring, vorbei an der steinernen Musterkarte sämtlicher Stile.

»Ist heute ein Sonntag – weil alles so leer und so still ist?«

Lobositz lächelt.

»Mehr darfst du von Wien nicht erwarten. Eine große Stadt – aber keine Großstadt. Mit Berlin darfst du das freilich nicht vergleichen, mit diesem Sausen und Brausen des Lebens im größten Stil. Ich weiß nicht – einmal ist mir Wien groß vorgekommen ... Vielleicht weil ich jung war und noch nichts von der Welt gesehen hatte. Heute allerdings kommt mir hier alles so klein und lächerlich vor, so puppenhaft. Ich weiß nicht ob zurückgeblieben, oder – zurückgegangen.«

Sie gleiten durch armselige Vorstadtstraßen, die hinter dem Ring anfangen, an Gärten und Villen vorüber, winden sich über Serpentinen einer Miniaturbergstraße empor und landen auf einer wunderschönen Terrasse, vor sich grüne Hügel, mit Wiesen und Wald, hinter sich das Schloß.

»Das ist reizend«, jubelt Lilith. »Das gibt's in Berlin nicht, daß man in zwanzig Minuten gleich ins Gebirge kommt.«

»Gebirge?« meint Lobositz, »Gebirge ist es gerade nicht – aber hübsch ist es. Übrigens werde ich dir den Semmering zeigen.«

»Was ist das, Semmering?«, fragt Lilith.

»Der Anfang von einem richtigen Gebirge mit Hotels und Promenaden und Sportplätzen.«

Eng aneinandergeschmiegt kehren sie in die Stadt zurück ...

Ein banges Schweigen liegt über beiden.

Lobositz hat Champagner einkühlen lassen und Konfekt eingekauft.

Um halb neun Uhr ist das Diner abserviert.

Lilith hat das Stubenmädchen entlassen.

Allein und mit bebenden Händen macht sie Nachttoilette.

Mit geschlossenen Augen erwartet sie ihn ...

So sehr sie den Moment herbeigesehnt hat – ja herbeigerissen beinahe, und die erste günstige Chance skrupellos ausgenützt – jetzt wo er da ist, bangt ihr doch ... und sie zittert ...

Nicht allein vor der Hingabe, sondern auch vor dem Triumph des Augenblickes, daß sie diesen Mann so weit gebracht: Von heute ab wird er ihr hörig sein.

Leise knackt die Türe.

Lobositz ist eingetreten und beugt sich über sie.

»Lilith ... meine Süße ... Süße ... Ersehnte ...«

Ein Traum ist brennendes Fleisch und siedendes Blut geworden. Ein Seufzer der Sehnsucht zum Seufzer der Erfüllung ...

Ein halberstickter Schrei zittert durch den Raum ...


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