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XXVII

Lilith hatte Kopfschmerzen vorgeschützt und sich ganz früh in ihr Schlafzimmer zurückgezogen.

Die Türe war fest verschlossen.

Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ins Leere. Gedanken und Gefühle wogten hemmungslos.

Sie hatte jede Macht über sich selbst und jede Klarheit verloren.

Was wollte sie – und was wollte sie nicht. Wo war der Weg, den sie gehen konnte?

Es war eine Gewalt über sie gekommen, gegen die sie wehrlos war.

Ein Sturm schüttelte sie.

Eine Sehnsucht war in ihr erwacht, die sie nie gekannt hatte.

Sie streckte die Arme aus, um ihn heranzuziehen, und wäre doch gerne gleichzeitig an seinen Füßen niedergesunken und hätte gebettelt: tritt mich und reiß mich zu dir empor! Ich will deine Gewalt fühlen und verlöschen in dir. Mache mich zu deiner Geliebten!

Sie fühlte ganz genau: wenn er wiederkommt, bin ich verloren – und gehe mit ihm, wohin er will.

Wie ein drohender Schatten stand Lobositz da: ich kann ihn nicht mehr sehen! – mir graut ... er ist alt und widerlich. Jeder Kuß, den er mir gibt, brennt auf der Haut, wie ein Geschwür! Ich muß fort! Nicht einen Tag länger darf ich bei ihm bleiben ... gleich in der Frühe ... Aber der andere? Wird er mich wollen, wie ich bin? Ich hab' doch nichts! Ich kann doch nicht mit dem Schmuck und mit den Kleidern kommen, die mir Lobositz geschenkt hat – wie einer Dirne ... Ohne Liebe habe ich mich verkauft – für ein feines Leben ... Wird er mir verzeihen können? Ich will demütig sein – ich will ihm nichts verschweigen – er soll alles von mir wissen! Ich will mich nicht besser machen, als ich bin ... Und wenn er mich dann doch nimmt – in meiner ganzen niedrigen Verkommenheit und Armseligkeit – dann will ich ihm Hände und Füße küssen, wie eine Magd ...

Mein Gott, mein Heiland ... mein Erlöser – wie liebe ich dich!

Und schluchzend vergrub sie sich in den Polstern.

Es dämmerte bereits, als sie völlig erschöpft einschlief – ohne zu einem Entschluß gekommen zu sein, ohne zu wissen, ob sie Lobositz alles gestehen und davonfahren – oder ob sie die Rückkunft Tarnowskis abwarten sollte – um die Entscheidung über Tod und Leben in seine Hand zu legen.

Spät am Vormittag erwacht Lilith.

Ihre Augen liegen tief in den Höhlen; sie ist matt zum Umfallen. Die frische Farbe ihres Gesichtes ist fahl geworden.

Aber der große Sturm, der in der Nacht in ihr gewütet hatte, hat sich gelegt.

Sie hat die Haltung wiedergewonnen. Sie kann wieder denken und ist nicht mehr der Spielball ihrer aufgepeitschten Gefühle.

Sie ist unter allen Umständen entschlossen, an Lobositz festzuhalten und sich nicht in das Abenteuer Tarnowskis zu stürzen.

Sie muß dieser Leidenschaft Herr werden. Nicht umsonst ist sie ein starkes, kluges Mädchen!

Was weiß sie eigentlich von diesem Tarnowski!? Ein reiferer Mann war unter allen Umständen vertrauenerweckender. Lobositz hatte bewiesen, was er bereit war, für sie zu tun – und würde bestimmt noch mehr tun. Es wäre der helle Wahnsinn, ihn vor den Kopf zu stoßen. Mehr als eine Frau hat einen Mann geheiratet, der doppelt so alt war wie sie.

Und Lobositz wird sie heiraten!

Sie fühlt sich stark genug, dieses Ziel zu erreichen!

Aber dieses ungestüme Herz mußte zum Schweigen gebracht werden! Die Situation ist nicht so trostlos, wie sie in der Nacht – wo alle Hemmungen der Vernunft gefallen waren – gedacht hat.

Was war eigentlich geschehen?

Nichts war geschehen!

Sie war im Begriffe gewesen, sich einem Mann an den Hals zu werfen – der es vielleicht nicht einmal verlangte – in dem die Vernunft so siegreich war wie bei ihr.

Er hat doch ihr gegenüber geschwiegen und sich beherrscht – nur zu dieser Anka hat er sich geäußert.

Warum eigentlich zu dieser Anka.

Mißtrauen und Zweifel wurden in ihr lebendig.

Warum spricht er nicht selbst, wenn er sprechen will? Warum diese Mittelsperson? Und was hat er Anka gegenüber gesprochen? Das, was Anka ihr erzählt hat? Vielleicht – vielleicht auch nicht.

Anka ist ihr in der letzten Zeit verdächtig geworden.

Es ist wahr; man kann viel von ihr lernen an Eleganz und Schliff und Weltklugheit – aber sie kommt ihr verdächtig vor.

Warum hat sie den Tarnowski so gepriesen? Warum setzt sie Lobositz bei jeder Gelegenheit herab und sucht ihn in ihren Augen lächerlich zu machen?

So jung Lilith ist – sie glaubt an keine Freundschaft und an keine Ehrlichkeit zwischen Frauen.

Was will Anka von ihr? Sie in ein Abenteuer mit Tarnowski hineinhetzen? Warum?

Da plötzlich schießt es ihr klar auf: um Lobositz frei zu bekommen für sich. Um die Trösterin spielen zu können, die so lange Trösterin bleibt – bis sie Frau wird.

O nein, liebe Anka! So haben wir nicht gewettet! Der Platz ist besetzt und wird besetzt bleiben. Ich gebe diese Position nicht so ohne weiteres auf – für eine dumme Leidenschaft. Ich werde mich zu besiegen wissen! Und Lobositz wird mich heiraten – und nicht dich!

Im Geiste genießt sie bereits den Triumph über die Enttäuschung Ankas.

Aus der Rivalität für Anka erwächst ein neues Glück für Lobositz.

Lilith ist entschlossen, alles aufzubieten, um die Liebe ihres Freundes zu steigern und sich ihm unentbehrlich zu machen.

Das Herz liegt gebändigt in Ketten und hat zu schweigen. Die Vernunft und das spekulierende Interesse beherrschen die Situation.

Sie legt ganz zart rot auf, sie überpudert die dunklen Schatten der Nacht und verwischt die Spuren des seelischen Kampfes. Kein Mensch soll etwas merken – weder Anka noch Lobositz.

Kommt Tarnowski wirklich einmal zurück, wird sie ihm kühl und gewappnet gegenüberstehen –; kommt er nicht zurück – um so besser. Dann ist alles noch viel leichter.

Von einer ganz zarten Schönheit umkleidet, der ihrer herben Frische von sonst eine neue hinreißende Nuance des Leidens verleiht – erscheint sie gegen Mittag bei Lobositz und Anka ... lächelnd und überlegen. Sie hat den Sieg über sich davongetragen – sie wird auch die anderen besiegen, was noch viel leichter ist.

»Du solltest öfter Migräne haben«, meinte Lobositz liebenswürdig spottend. »Du bist nie so schön, so vergeistigt, als wenn du Migräne hast.«

»Wenn mein hoher Gebieter befiehlt, bin ich bereit«, antwortet Lilith weich und auf den Ton der leichten Neckerei eingehend.

»Es wird ein bißchen schwül hier. Die frische Luft im Gebirge wird dir wohltun. Und außerdem, so jung du bist, ein bißchen weniger Gesellschaftstrubel kann dir nichts schaden.«


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