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XXIII

Das Wetter war dem großen Tag des Narzissenfestes günstig: ein strahlend blauer Himmel.

Für Sonntag, den 7. Juni, nachmittags um zwei Uhr, war der Beginn des Festes angesetzt.

Alle Hotels hatten die Lunchstunde auf zwölf Uhr mittags verlegt, damit ihre Gäste rechtzeitig zu den Tribünen und den Ausgangsplätzen des Korsos kommen konnten.

Zahlreiche fliegende Händler und Stände verkauften die Narzissen in Büscheln und Körben.

Man hatte sich von Paris aus der Ausstellung das englische Jagdfanfarenoktett kommen lassen. Vor der Konfiserie auf der Terrasse gegenüber dem Palacehotel war die Truppe placiert worden. Es waren ausgesucht prachtvolle Burschen mit roten Fräcken, schwarzen Samtkappen, engen weißen Lederhosen und Lackröhrenstiefeln.

Wie pures Gold funkelten die gewundenen Jagdhörner in der strahlenden Sonne. Gleichmütig, das Anstarren gewohnt, sahen die Burschen über die flutende Menge weg.

Punkt zwei Uhr verkündet ihr wundervoller Hörnerruf mit einer englischen Fanfare aus dem sechzehnten Jahrhundert Eröffnung des Festes.

Wenige Minuten später galoppierte das Komitee, an der Spitze Graf Tarnowski, die Grande Rue hinunter, um den Korso zu inspizieren.

Es wurde alles in Ordnung gefunden.

Weitere zehn Minuten später abermaliger Fanfarenruf – und jetzt beginnt der Korso.

Das Komitee hatte sich in der Nähe des Marktplatzes aufgestellt, umringt von einer Anzahl junger Schweizer Offiziere und bevorzugter Gäste der diplomatischen und aristokratischen Welt – ein dichtgedrängter Schwarm eleganter und hübscher und repräsentabler Menschen.

In kurzen Zwischenräumen rollen Autos und Wagen die Grande Rue herab.

Von den Tribünen zu den Wagen und von den Wagen zu den Tribünen hinüber fliegen die Wurfgeschosse der Blumen.

Alles ist licht gekleidet – weiß herrscht bei Herren und Damen vor.

Die Wagen verschwinden fast unter der Fülle der Blumen. Ein ungeheurer Hahn, aus roten Rosen und Narzissen aufgebaut und den Fond überragend, erregt Sensation. Über einem Auto wölbt sich eine Riesentulpe, ein drittes Auto trägt einen Baldachin, der außen Narzissen und innen weiße Rosen zeigt.

Langsam rollt der kleine zweisitzige Wagen heran, in dem Lilith und Lobositz sitzen.

Lilith lenkt. Zwei milchweiße Lippizaner, wie man hier noch keine sah, mit langen, buschigen Schwänzen, gehen in stolzester Gangart, heben die Beine hoch bei jedem Schritt und nicken schäumend ins Silbergebiß mit den prachtvollen, langmähnigen Köpfen.

Der Wagen scheint wie eine einzige Blütenmuschel; nur das weiß-silberne Kleid, der Silberhut und darunter die brandroten Locken des schönen Mädchens leuchten heraus. Lobositz sitzt tiefer als sie und verschwindet fast neben ihr.

Ein Brausen des Entzückens geht durch die Menge, so sinnverwirrend ist der Anblick.

Alles springt von den Tribünen auf.

Die Blumen fliegen wie ein weißer Blütenregen über Lilith hin. Wie eine Königin durch die Reihen ihrer Untertanen, mit lächelnden Grüßen rechts und links, fährt Lilith hin.

Sie ist Mittelpunkt und Höhepunkt des Festes.

Um ihren Wagen galoppiert das Komitee im kurzen Trab – Tarnowski hält sich eng an ihrer Seite.

Auch ihn hat der Rausch gepackt: Lilith ist die Königin des Narzissenfestes. Ihr und ihrem Wagen gebührt der erste Preis.

Noch einmal geht es den Korso zurück – diesmal schon mit der Nummer der Prämiierung.

Tarnowski hat Nummer eins eigenhändig auf Liliths Wagen befestigt und sich bei dieser Gelegenheit vorgestellt. Alles ist in tadelloser Form abgelaufen. Niemand konnte an Absicht und System glauben.

Der erste Schritt ist getan!


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