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XVI

Auf der wohlgepflegten Terrasse des Palacehotels sitzen Lobositz und Madame Stoyanovic beim Frühstück. Sie erwarten Lilith, die noch beim Friseur ist.

»Macht Sie unsere Lilith manchmal nicht doch ein bißchen nervös und müd?« begann Madame Stoyanovic vorsichtig sondierend, jeden Moment zum Rückzug bereit.

»Wieso, liebe Baronin – ich verstehe Sie nicht ... Was ist Ihnen bei Lilith nicht recht?«

»Nun, ich meine – es ist doch etwas so Ruheloses in ihr. Etwas Gejagtes, das die anderen mitjagt ...«

»Ja, dieser herrliche Lebenshunger, der nicht zu sättigen ist und immer nach neuer Nahrung und neuem Nervenfutter verlangt. Oh, ich liebe das so sehr an ihr. Man wird jung mit ihr und ihrer Leidenschaft, die sich auf alles Neue stürzt und den Dingen auf den Grund kommen will. Ich bin förmlich aufgelebt an ihrer Seite. Die Welt wurde wieder neu und interessant durch sie.«

›So geht das nicht‹, denkt Baronin Stoyanovic, – ›eine Lobeshymne auf Lilith wollte ich nicht provozieren. Ich muß das anders anpacken.‹

»Gewiß ist das herrlich bei Lilith. Aber finden Sie nicht, daß es ein bißchen rücksichtlos gegen Sie ist? Heute nacht zum Beispiel: bis ein Uhr früh im Kasino, dann die Überfahrt, ein paar armselige Stunden Schlaf – und jetzt soll schon wieder etwas losgehen, ich weiß nicht was. So jung und so widerstandsfähig und diesen irrsinnigen Strapazen gewachsen, kann man in unserem Alter doch eigentlich nicht mehr recht sein.«

»Ich fühle mich diesen irrsinnigen Strapazen – wie Sie unser Vergnügen zu nennen belieben – durchaus gewachsen. Wenn Sie es nicht sind, können Sie sich ein bißchen Schonung auferlegen und das eine oder andere Mal zu Hause bleiben. Gleich jetzt, zum Beispiel. Wir haben nämlich vor, den günstigen Wind auszunützen und eine Segelpartie nach Gingolph hinüber zu machen. Aber wie gesagt, Sie müssen nicht, wenn Sie von gestern noch müde sind. Ich bin es nicht!«

Und er sprang mit einem Ruck auf, der den scharfen Augen Baronin Ankas etwas forciert und unnatürlich erschien.

Ich habe ja doch recht, triumphierte sie heimlich. Er will es nur nicht eingestehen. Oh, der Pfeil sitzt und wird langsam seine Wirkung tun.

Lobositz war Lilith entgegengeeilt, die jetzt in einem weiß-wollenen Segeldreß erschien und so frisch und strahlend aussah, als hätte sie die ganze Nacht in süßestem Schlummer verbracht und nicht im Kasino von Evians.

»Baronin Anka ist von gestern erschöpft«, begann Lobositz ostentativ, um sich ins Licht zu setzen, »und wird bei unserer Segelpartie nicht mithalten.«

»O wie schade«, meint Lilith höflich und denkt; ›desto leichter wird das Boot fliegen.‹

»Bitte warten Sie nicht mit dem Lunch – wir wissen nicht, wann wir zurückkommen.«

Und in fliegender Hast nahm Lilith das Frühstück, brennend vor Ehrgeiz, ihre Segelkunst auszubilden und mit scharfem Speed und tiefgebeugtem Segel, wie es elegant ist, vor dem Winde daherzusausen.

Madame Anka aber streckte sich bequem und tief in den Korbsessel und holte das Zigarettenetui hervor.

Sie war zufrieden.

Sie hatte Lobositz unsicher und nervös gemacht – und das war immerhin ein guter, vielversprechender Anfang.

Man mußte bei nächster Gelegenheit von Lilith erreichen, daß sie sich Lobositz gegenüber mit mehr Schonung benimmt. Das würde ihn ärgern und Liliths Empfindung für Lobositz herabdrücken und ihr ein leises Gefühl von Scham, Lächerlichkeit und Unnatur der Situation einflößen. Vielleicht wäre das noch heute abend möglich, wenn man Dinertoilette machte. Das war immer die beste Stunde für Vertraulichkeiten. Schade, daß nicht irgendein junger Mann in der Nähe war, den man als Vergleich gegen Lobositz ausspielen konnte. Aber vorläufig war die Genfer Riviera nur von solidem Familienpublikum und keiner Lebewelt bevölkert. Die Tanzenden und Flirtenden waren – Eintänzer ausgenommen – meist ältere Jahrgänge, von denen sich Lobositz leider tatsächlich geradezu glänzend abhob – ob mit echter oder gespielter Elastizität, blieb dahingestellt!

Für Anfang Juni war das Narzissenfest in Aussicht genommen. Da war ein neuer Zustrom internationaler Fremder zu erwarten. Alles, was von der Riviera und von Italien kam, um Zwischenstation zu machen, ehe man nach Paris zu den Rennen von Longchamp und Auteuil oder ans Meer oder ins Hochgebirge von Zermatt und Chamonix ging ... Irgendein Mann wird schon darunter sein, auf den man Lilith wird hetzen können, um sie ein wenig von Lobositz abzulenken, der sie noch immer anscheinend vollkommen ausfüllt und sie sogar glücklich zu machen scheint – merkwürdigerweise.

Aber so viel ungetrübtes Glück vertrug Frau Anka nicht bei anderen. Das machte sie krank und bösartig und schädigte überdies ihre eigenen Interessen. Sie war doch nicht mitgegangen, um ewig Gesellschafterin der Geliebten dieses brasilianischen Nabobs und ehemaligen österreichischen Grandseigneurs zu bleiben – oder gar Zeuge zu werden, daß er sie am Ende heiratet. Und das schien ihr bei der Lage der Dinge gar nicht ausgeschlossen. Aber dazu durfte es nicht kommen ...


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