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XLII

Lobositz ist nach London abgeflogen – Lilith ist allein geblieben. Zum erstenmal, seit sie Lobositz kennt.

Sie bleibt länger im Bett liegen als gewöhnlich. Sie räkelt sich.

Heute abend also!

Vielleicht aber auch nicht. Ganz sicher ist sie nicht, ob sie nicht im letzten Moment doch noch ausreißt.

Oh, wie das lockt und zieht und in Gedanken schon die süßesten Schauer über die Haut jagt und den jungen Körper bis zum Zerreißen streckt und dehnt.

Aber der Verstand erhebt sein warnendes Veto: werde ich noch zurück können, wenn ich den Weg einmal beschritten habe, das Unerlebte und Ersehnte plötzlich Wirklichkeit geworden? Wird es nicht stärker sein als alle meine Klugheit, die mich zu einem Leben voll Sorglosigkeit und Reichtum emporgeführt hat, das mir alles gewährt – nur eben das eine nicht: das schrankenlose Ausleben meiner heimlichsten, gebändigtsten und verdrängten Instinkte ... meiner innersten und echtesten Weibnatur.

Darf ich es wagen, einmal – nur einmal – meiner Natur nachzugeben, ohne ihr für immer zu verfallen?

Und dann: die Gefahren von außen. Wird er schweigen? Wird er es niemand entdecken?

Allerdings, anfangs der nächsten Woche segelt der Amsterdam-Boulogne-Amerika-Dampfer, der sie mitnimmt. Dann liegt Paris weit hinter ihnen und das Abenteuer einer Nacht ist verschollen und vergessen ...

Sie will mit Tarnowski nach ›El Garonne‹ hinausfahren – das ist jenes Lokal der Südamerikaner, wo es so herrlich und wüst zugehen soll. Lobositz hat sich immer geweigert, es mit ihr zu besuchen. Warum eigentlich? Fürchtete er Bekannte von drüben zu treffen oder war es die überhitzte Atmosphäre des Lokals, die er scheute? Den sinnlichen Taumel vielleicht, der von dort ausging und der die Nerven aufpeitscht? Bangte er vor dem Fieber für sie oder für sich?

Überhaupt, er haßte den Shimmy, den Jazz, den Tango – alle diese modernen Tänze mit ihrem musikalischen Negereinschlag – wie er es nannte. Er nannte sie tierisch.

Aber ist nicht tierisch sein so viel wie jung sein, sich bändigen so viel wie alt? Fragt die Jugend nach Vornehmheit?

Oh, sie begreift seinen Haß – es ist der Haß des alternden Mannes gegen das Neuaufsteigende, dem er sich nicht mehr gewachsen fühlt.

Sie soll die Stimmung nicht kennen, weil er sich auf der Höhe der Stimmung nicht mehr halten kann!

Aber heute nacht wird sie trotz alledem in ›El Garonne‹ tanzen – mit Tarnowski ...

Schön wird sie sich machen wie noch niemals ... Und dann ... dann – plötzlich schießt es ihr durch den Kopf: – sie kann doch unmöglich in der großen Balltoilette bei Tarnowski den Rest der Nacht verbringen – und dann am lichten Tag ins Ritz nach Hause fahren ...

Einfach ausgeschlossen.

Soll sie versuchen, Tarnowski ins Ritz einzuschwindeln – oder vielmehr es ihm nahelegen? Er hat Wege gefunden, ihr die Briefe zukommen zu lassen ... es wird ihm auch das gelingen.

Aber er muß es wissen, damit er seine Vorbereitungen trifft.

Sie klingelt ihm vom Bett aus an.

»Hier Lilith.«

Ein Jubelruf durchs Telephon.

»Es geht nicht alles, wie ich es mir gedacht habe.«

Ein Wehruf klingt durchs Telephon.

»Ich kann doch unmöglich in grande Toilette – in der Früh nach Hause kommen.«

»Allerdings ... aber was machen wir da ...«

»Ich muß Ihnen das sagen? Ich fahre nach Hause so um zwei oder drei – und wenn dann zufällig ein gewisser Herr, der ebenfalls im Ritz wohnt, sich irrt und statt in sein Zimmer, in meines kommt, – dann wird es bestimmt keinen Skandal geben ...«

»O Sie ... Sie ... Du ... Du ... das ist ja noch tausendmal schöner ...«

»Also sei klug und mache alles, damit es so geht, wie es gehen soll ...«

Noch ehe Lilith aufgestanden ist, hat Tarnowski ein Notquartier im überfüllten Hotel Ritz gefunden. Man kann ihn vorläufig nur zwei Nächte beherbergen – später wird man ja sehen – ob man ihm etwas Besseres geben kann.

Tarnowski lächelt zufrieden.

Er hat natürlich einen falschen Namen angegeben, aber da er nicht länger als vierzehn Tage in Paris bleiben will, wie er sagt, fragt kein Mensch nach seinen Ausweispapieren.

Langsam vergeht der Tag für Tarnowski.

Gewohnheitsmäßig treibt er sich in Bars und sonstigen Treffpunkten der Lebewelt herum. Gegen fünf geht er noch zu Berthe hinauf, um sich zu vergewissern, daß von dort keine Gefahr droht, und sie auf alle Fälle in Sicherheit zu wiegen.

Einer allzu großen Zärtlichkeit weicht er geschickt aus. Jeden Tag, wenn es sein muß – nur heute nicht.

»Kommst du abends noch herauf?«

»Das hängt davon ab, mit wem ich zusammenkomme. Allein zu kommen hätte ja keinen Zweck.«

»Bist du morgen nachmittag zu Hause? Ich war so lange nicht bei dir.«

Blitzschnell überlegt Tarnowski.

»Natürlich bin ich zu Hause – aber du weißt doch, ich stehe nicht gern vor fünf oder sechs auf. Überhaupt diese Barometerstürze machen mich krank. Einen Tag ist es kalt, den anderen warm. Ich komme aus den elenden Kopfschmerzen nicht heraus ... Aber wenn du kommen willst – ich meine nur, du wirst wenig Freude mit mir haben ... Ich fühle mich nicht besonders. Die Geschäfte gehen auch nicht, was natürlich drückend wirkt – aber das soll keine Anspielung sein ...«

Er markiert schlechte Laune und Niedergeschlagenheit.

Berthe setzt sich ihm auf den Schoß, um ihn zu trösten, und küßt ihn wie ein verhätscheltes Kind.

»Du weißt, wenn's gar nicht mehr geht, hast du bei mir immer eine Stütze. Außerdem: Arpell ist alt und krank – wie lange kann er es noch machen ... Dann bin ich frei. Das Haus gehört mir, wenn er stirbt – und dann sollst du mein süßes, kleines Männchen werden – und brauchst gar nichts mehr zu arbeiten. Dann sind wir nur mehr füreinander auf der Welt.«

Endlich kommt Tarnowski von Berthe los.

Es ist höchste Zeit, Toilette zu machen; um acht Uhr soll er Lilith bei Delmonier erwarten.


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