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VI

Über den Kurfürstendamm, an der Gedächtniskirche vorbei, mitten durch das heiße, strömende, wirbelnde Abendleben der Tauentzienstraße wollte Lobositz mißmutig in sein Hotel zurückkehren.

Seine Gefühlswelt ist zerspalten und zerrissen. Ein schmerzhaftes und doch so süßes Bild seiner Vergangenheit ist zerstört.

Ein tiefes Weh hat sich in eine Lächerlichkeit verwandelt.

Das also war die Frau, der zuliebe er aus den Geleisen der Tradition sprang – Europa verließ ... Ein grausamer Engel entpuppte sich als armselige Gans!

Und doch wäre er nicht das geworden, was er ist, wenn sie nicht gewesen wäre. Aber er hat sich losgekauft.

›Billig losgekauft‹, denkt er jetzt nüchtern und geschäftsmäßig. ›Ihre Tochter ist versorgt und soll glücklich werden – meinetwegen ...‹

Aber da fällt ihm nachträglich das ganze sonderbare Verhalten des jungen Mädchens ein.

Eine Last legt sich auf seine Seele.

Er hat jemanden glücklich gemacht – und weiß eigentlich nicht, ob sie es ist. Hat er sie gefragt, ob dieses bürgerliche Glück, dieses Mutterideal, auch das ihre ist? Weil sie äußerlich das vollkommene Ebenbild der Mutter ist, muß sie es auch ihrem Wesen nach sein? Er hat sie vielleicht mit seiner unerbetenen Wohltat in eine Situation hineingetrieben, aus der sie heraus wollte und nicht heraus konnte. Vielleicht hat er sich als ihr Feind und nicht ihr Freund erwiesen mit seinem aufgedrängten Geld. Vielleicht hat er in dem Mädchen alles zerstört – und in sich auch ... aus gekränkter Eitelkeit, aus einem Gefühl uneingestandener, kindischer Eifersucht – aus einer Enttäuschung heraus.

Er wird härter, unerbittlicher gegen sich: Edelmut war es nicht, aus dem heraus er gehandelt ... Pflichtgefühl auch nicht ... Er hat ein bitteres Gefühl gehabt: Haß und Trotz ...

Warum eigentlich?

Warum sollte das junge Mädchen nicht ihre Wahl getroffen haben. Und was geht es ihn an, wen sie wählt?! Also, warum eigentlich seine Verstimmung?

Hat es nicht die Mutter auch getan? Bei der Mutter hatte er ein gewisses Recht auf Empörung – aber bei der Tochter ...?

Doch das Gefühl, das er empfunden hatte, ist nicht abzuleugnen. Und es war ein bitteres Gefühl gewesen, in jenem kritischen Augenblick, als er die Verlobung der Tochter erfuhr ... er kommt immer wieder darauf zurück – und bohrt weiter in seinem Herzen, auf der Jagd nach Unbewußtem, nach dem wahren Vorgang, der sich in ihm abgespielt und sein Handeln im Affekt veranlaßt hat, der Edelmut und Gleichgültigkeit vortäuschte, um einen plötzlich aufschießenden, rasenden Schmerz zu verdecken – den Schmerz um das Mädchen bei dem Gedanken, daß dieser widerliche Mensch sie streicheln, küssen – sie besitzen werde ... also Eifersucht!?

Aber wo Eifersucht – ja – muß da nicht auch Liebe sein ...?

Also, hat er dieses junge Mädchen, das er – er rechnete genau – vor vier Stunden kennenlernte – geliebt? Schon?

Aber das ist doch nicht möglich! Das ist doch Unsinn!

Begehrt hat er sie! Geliebt – hat er die Mutter.

Dieses junge Mädchen, das ihm so verblüffend in der Form die Mutter vorgetäuscht hat, hat er begehrt. Ein sinnliches Gefühl, das längst zur Ruhe gekommen war, ist beim Anblick der Tochter mit unverminderter Heftigkeit erwacht und verlangt seine restlose Befriedigung.

Und wieder war sein Gefühl um diese Erfüllung betrogen worden ... Damit war er an der Wurzel seiner heftigen Unlustempfindung im Augenblick der Mitteilung von der Verlobung Liliths angelangt.


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