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XXXIV

Mitte September in Paris.

Noch sind alle Bäume grün, und der Herbst ist milde mit müden Reizen der Vergänglichkeit geschmückt.

Frühmorgens liegen die feuchten Nebel lange über der Stadt, ehe die Sonne sie niederringt, die jetzt nur noch wenige Stunden die Kraft aufbringt, diesen künstlichen Zauber des welkenden Lebens aufrecht zu erhalten.

Sorgfältig sammeln die Gärtner das welke Laub, damit es das Bild nicht stört.

Die Herbstsaison beginnt.

Langsam füllt sich Paris – auch mit Parisern.

Vorerst sind es zwar noch die Fremden. Die Hotels sind übervoll, aber die Palais jenseits der Seine, in der hochmodernen Rue Raspail und um den Quai d'Orsay herum, haben die Fensterladen noch fest geschlossen.

Hie und da sieht man die Dienerschaft mit dem Groß-Reinemachen beschäftigt.

Place Vendome – Hotel Ritz.

Ein Hispano oder Rolls-Royce nach dem andern fährt in den Halbkreis des Hoteleinganges ein.

Die Teestunde sammelt alles, was vornehm ist oder scheinen will.

Die hohen Flügeltüren der Glasgalerie stehen nach dem Garten zu weit offen. Dieser, wie auch die Galerie sind überfüllt. Ein winziges Tischchen neben dem andern.

Die englischen und amerikanischen Damen haben schon zum Fünf-Uhr-Tee wuchtige Perlenketten, handgroße Halsgeschmeide und nußgroße Boutons umgehängt und tragen das Neueste an sich, was die angrenzende Rue de la Paix in ihren elegantesten Ateliers bei Worth, Pirquet und Poiret bieten kann.

Alles sitzt mit Hüten, so daß wenigstens jetzt das ewige, kokette Aufarbeiten des unvermeidlichen Bubikopfes unterbleiben muß.

Bebrillte rosenrote Amerikanerköpfe, olivbraune hyperelegante Herren exotischen Ursprungs stechen aus dem schnatternden Weibergewirr vereinzelt hervor.

Langsam schlendert Tarnowski, ein kleines schwarzes Hündchen unter dem Arm, zwischen den Tischen hindurch bis ans Ende der Galerie, wo die Garderobe zwischen zwei Säulen, unmittelbar vor dem Speisesalon, untergebracht ist.

Er erregt das gewünschte Aufsehen. Teils seiner Schönheit wegen, teils wegen dem Hündchen.

Aufsehen – gehört zum Geschäft.

Schon will ihm Ollivier, der vielgewandte Herr der dienenden Geister, einen Platz anweisen, da hört er plötzlich einen halbleisen erschreckten Ruf einer weiblichen Stimme:

»Tarnowski!«

Eine Dame hat den Arm eines Herrn wie hilfesuchend umklammert.

Er klemmt das Monokel ein und erkennt Lobositz und Lilith.

Mit Nachlässigkeit und selbstverständlicher Sicherheit begrüßt er sie und bittet, an ihrem Tisch Platz nehmen zu dürfen.

Es gibt keinen Grund »Nein« zu sagen, ohne unhöflich zu werden.

»Darf ich Sie der Gräfin Lobositz vorstellen«, sagt Lobositz kurz entschlossen, um die Situation von vornherein klarzumachen und gleichzeitig Tarnowski diskret anzudeuten, wie er sich unter allen Umständen zu verhalten habe.

Tarnowski versteht natürlich sofort, wünscht dem jungen Paar Glück und erkundigt sich, wo man dauernd Aufenthalt zu nehmen gedenkt, in Europa oder drüben. Stellt sich in liebenswürdigster und harmlosester Form als Führer durch die mondänen Lokale zur Verfügung. »El Garonne, Florida, Perroquet, Jockey, Boeuf sur le Toit, Abbaye Thélème müssen Sie unbedingt besuchen.

›Jockey‹ ist das Lokal der aufstrebenden Jugend, die sich harmlos amüsieren will. In ›Boeuf sur le Toit‹ sind die Neuangekommenen zu sehen.

Tanz und Temperament und exotisches Leben mit Pariser Parfüm werden Sie in ›El Garonne‹ und ›Florida‹ finden.«

Tarnowski ist so sehr Herr der Situation und entfaltet sein ausgesprochenes Talent, vornehm zu wirken, daß sich sogar Lobositz eines gewissen Eindruckes nicht erwehren kann und sich eingestehen muß: ein eleganter Bursche mit guten Manieren und sogar nicht ohne Geist.

Lilith hat ihre sonstige Sicherheit und sprudelnde Laune verloren und ist schweigsam geworden und lauscht wie ein hypnotisiertes Kaninchen dem blendenden Geplauder des polnischen Franzosen mit der weichen Schönheit des Frauenlieblings.

Mit wohl bewußtem Raffinement wendet er sich jetzt nur an Lobositz – beachtet Lilith kaum und reizt ihr Selbstgefühl und ihre Eitelkeit aufs empfindlichste.

›Er scheint ja sein Gefühl für mich ganz überwunden zu haben, er sieht mich ja gar nicht. Ist ihm scheinbar leicht gefallen!

Oh, er soll es mir bereuen, daß er mich damals so leicht aufgegeben hat! Und ich war doch zu allem bereit ... Aber er war zu feig! Und das soll er mir büßen! Er muß sich wieder in mich verlieben.

Und dann ... dann, wenn es so weit ist, wenn er mir zu Füßen liegt ... dann stoße ich ihn zurück und sage ihm: jetzt ist's zu spät! Damals habe ich Sie geliebt ... damals war ich zu allem bereit ...‹

Die Gedanken und Gefühle jagen in wildem Rasen in ihr dahin, wie die entfesselten Ströme im Frühlingsföhn, der die Eisdecke zum Schmelzen bringt und die Lawinen donnernd zu Tal sendet.

Und immer tiefer verstrickt sie sich in den Wirbel, den seine bloße Nähe in ihr kreisen läßt.

Langsam beginnt sie Vergleiche zwischen Tarnowski und dem Gatten anzustellen. Hier blühende Jugend – dort aufgepulverte Greisenhaftigkeit.

Sie hat neulich bei ihm einen ganzen Kasten mit allerhand Schachteln und Mixturen gefunden. Er ist auch entschieden viel älter, als er sie glauben machen will – viel verbrauchter, als es den Schein hat. Sie hat sich davon überzeugt.

Wie lange wird dieses künstliche Kraftmeiertum noch anhalten? Plötzlich wird er zusammenknicken, und dann wird sie an ein Wrack gekettet sein – nicht mehr los können.

Und er nimmt sie mit hinüber. Vielleicht für immer. Drüben ist er ein großer Herr. Hier kann sie sich retten – aber drüben? Da ist alle Gewalt bei ihm.

Er wird sie mißbrauchen. Er wird sie festhalten – selbst wenn sie eines Tages fort will.

Es steigt in ihr siedend auf. Todesangst vor drüben – vor der weißen Sklaverei. Brasilien wird zum goldenen Käfig ...

Rettung!

Wie eine Ertrinkende kommt sie sich vor. Ihre Farbe wechselt. Sie wird rot und blaß und wieder rot.

»Fehlt dir etwas, mein Kind?« fragt Lobositz besorgt.

»Es ist so schwül hier ... und die vielen Menschen ... der Trubel ... das Geschrei ...«

»Vielleicht fahren wir noch eine Viertelstunde die Champs Elysées hinunter, ehe du für den Abend Toilette machst.«

»Ich möchte mich lieber einen Moment oben niederlegen ...«

»Wie du willst, mein Kind! Soll ich dich begleiten?«

»Nein. Ich gehe schon allein ...«

»Die Herrschaften haben sehr recht getan, im Ritz abzusteigen. Es ist doch das reizendste Haus in Paris«, stellt Tarnowski fest.

Jetzt weiß er, wo Lilith wohnt, ohne gefragt zu haben.

Er hat ihren Schmuck gesehen und – einen Plan gefaßt.

Wenn die Kleine noch auf ihn fliegt – jetzt ist sie verheiratet, jetzt muß sie vorsichtig sein ... Vielleicht kann man ein Abenteuer erleben und – ein Geschäft machen. Mein Gott, bei so vielen Armbändern und Perlenschnüren merkt man kaum, wenn das eine oder andere Stück verlorengeht.

Man kann ja auch zum Schein und zur Ausrede einen kleinen Hoteldiebstahl arrangieren. Arpell macht auch dunkle Geschäfte, wenn er ganz sicher geht, und keine Gefahr dabei ist, erwischt zu werden. So ein Amerikaner nimmt die Sachen einfach mit hinüber und die Polizei hat das Nachsehen.

Aber vorsichtig muß man sein – des Gatten und der Madame Berthe wegen. Es ist überflüssig, sie zu reizen.

Lilith ist verschwunden.

Lobositz und Tarnowski bleiben aus Höflichkeit noch sitzen.

Tarnowski wiederholt seinen Antrag, den lieben Freunden in Paris den Cicerone zu machen.

Lobositz nimmt dankend an, allerdings mit dem festen Entschluß, keinen Gebrauch davon zu machen.

Irgendein dunkler Widerstand – eine hellseherische Antipathie ist in ihm wach geworden. Er wittert einen Feind, gegen den man Vorsicht üben muß. Abgesehen davon, daß ihm die Geständnisse Liliths aus den Tagen des Narzissenfestes noch im Ohr nachklingen.

Freilich scheint Tarnowski den flüchtigen Rausch jener Tage gänzlich überwunden zu haben – aber wer weiß, ob er nicht wieder aufflammt. Vorsicht ist geboten. Überdies wird er trachten, den Aufenthalt in Paris möglichst abzukürzen, und den ersten Amerikadampfer benützen, der Boulogne anläuft.

Man verabschiedet sich aufs verbindlichste.

Lobositz bleibt allein. Er setzt sich noch für einen Moment in das resedagrüne Wartezimmer links vom Eingang, das immer so verlassen ist – er muß einen Moment allein sein.

Nachdenken – ausspannen – sammeln – klar werden – Dispositionen treffen. Er will nicht unvorbereitet zu Lilith hinauf. Er hat die Witterung einer bevorstehenden ...

Lilith war so eigentümlich, wie er sie nie gesehen. Unruhig und nervös – anders als damals in Montreux, wo Tarnowski auch in ihrer Nähe war. Was hat sich seit damals geändert? Und daß sie seine Frau geworden ist – scheint wenig oder viel – je nach dem Standpunkt, den man wählt.

Einen Moment lang wird ihm bange.

Eine Müdigkeit überwältigt ihn – aber er duldet sie nicht. Er rafft sich auf.

Jetzt darf er nicht einen Augenblick müde sein – jetzt ist keine Zeit dafür.

Er kennt solche momentane Schwächezustände aus den Tagen seiner wilden Kaffeespekulationen und Börsentransaktionen, wo ihm mitten im Sturm der Ereignisse die Kraft und die Klarheit zu verlassen drohten – aber sie hatten ihn nie verlassen. Die Drohung war niemals Wirklichkeit geworden. Er hat noch immer sich und das Schicksal gemeistert und ist ans Ziel gekommen, das er sich gesetzt.

Was ist überhaupt geschehen, das ihn so nervös macht? Nichts. Eine Begegnung, die vollkommen bedeutungslos war und bedeutungslos bleiben mußte. Das war sein unwiderruflicher Entschluß.

Lilith ist seine Frau – Lilith liebt ihn. Er wird sie und sich zu schützen wissen – von wo immer die Gefahr droht. Selbst gegen ihren Willen ...

Was sind das überhaupt für Phantastereien, denen er sich hingibt! Er ist ein starker Mann, ein reicher Mann. Er hat ein kleines Mädel geheiratet, das allerdings viel jünger ist als er. Er ist mit ihr glücklich geworden und sie mit ihm. Sie hat es ihm gesagt – mehr als einmal. Warum sollte es nicht wahr sein.

Gewiß, er ist der Jüngste nicht mehr – und der andere ist schöner ... ist jünger ... aber keine Qualität und weichlich ... ja, und was ist er ... wovon lebt er ...?

Auf diese Frage kommt er erst jetzt. Er muß ihr unauffällig nachgehen. Sie entwaffnet ihn plötzlich. Was für Geschäfte macht dieser Tarnowski? Kennt man ihn in der ersten Gesellschaft? Warum ist er ihm bei seinen Geschäftsverbindungen niemals begegnet?

Also doch nur ein Müßiggänger ... ein Schmarotzer vielleicht? Kein Mann der großzügigen Finanzoperationen, wie er. Ein Mitnehmer, ein Mitgenommener – aber kein Mitreißer – keine Führernatur!

Was kann er einer Frau bieten – keinesfalls mehr als er. Das ist immerhin etwas! Hat man nicht die Jugend mehr für sich und die Schönheit – so hat man wenigstens das Geld und die Macht ... und die Brutalität, seine Qualitäten unbedenklich in die Wagschale zu werfen.

›Pfui! Das ist abscheulich gedacht!‹ Es ekelt ihm selber vor dem Standpunkt, auf dem er plötzlich – er weiß selbst nicht wie – gelandet ist.

Er wird mißtrauisch. ›Ist das eine Alterserscheinung, daß ich so zu denken anfange? Ich war doch sonst nicht so ...‹

Er ist mit sich selbst höchst unzufrieden und nicht um einen Schatten klarer, nein, weit unsicherer als bisher steht er bald vor Lilith.


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