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XLIII

Lilith steht vor dem großen Ankleidespiegel und mustert sich noch einmal.

Ihre Toilette ist auf violette und grüne Farben gestellt. Der zarte smaragdne Grund von Crepe Georgette trägt schwere metallische, lilagestickte Blätter von phantastischen Formen. Die Schuhe und auch die Strümpfe schillern grau-grünlich. Der Rücken ist nackt bis zum Gürtel. Über den Schultern liegen Spangen von Topasen, ein drei Finger breites Halsband von Smaragden hält das Kleid über dem Busen durch zwei Ketten von Steinen, die von ihm ausgehen. Der linke Arm trägt bis zum Ellenbogen breite Brillantbänder, die ebenfalls mit Smaragden durchmustert sind. Von den Ohren lange, grüne Tropfen, zwei Riesensmaragde.

Milchweiß, schlank und fest leuchten die herrlichen Arme, der wundervolle Rücken, die prachtvollen Schultern warm und lebendig aus Stoffen und Steinen. Und über allem der herrliche Kopf mit der lohenden Feuergarbe des Haares und die glasgrünen faszinierenden Augen.

Wie eine fremde Beschauerin starrt sie das Bild an, das da schimmernd und juwelenübersät vor ihr steht – und für eine Sekunde sieht sie sich selbst, wie sie einst war: das armselige Tippmädel von Berlin, das schuften mußte. Sieht sie die armselige Gartenwohnung, die gedrückten Eltern, den lächerlichen Bräutigam – durchlebt – nein, durchrast – noch einmal die Augenblicke ihres Aufstieges und den Weg von Berlin bis Paris.

Dunkel fühlt sie, daß heute ein kritischer Tag sein könnte, wenn sie die Herrschaft über sich verlor, aber sie vertraut ihrer Klugheit, ihrer kalten Stärke und ihrem Stern, der sie bis heute geführt.

Sie wirft den violetten Samtmantel mit dem grünschillernden Futter und dem breiten Chinchillabesatz über die Schultern und steigt langsam die Treppe hinab ...

Leben – heißt wagen.

Das Diner bei Delmonier verläuft gepreßt. Beide sind so sehr geladen, so übervoll, daß sie fast die Worte scheuen.

Nur die Blicke wandern.

Und jeder Blick ist eine Liebkosung – ein brennendes Verlangen.

Ein Taumel sondergleichen glüht langsam empor.

Zwei Bestien im Lebensrausch und Liebesspiel, Blut und Wunden – Schrei und Seligkeit!

Langsam wird die Vernunft vom dunklen Blutstrom weggespült, der heißer und höher steigt und seine brandenden Wellen wirft.

Wie süß ist es, wenn Wissen und Wollen, Denken und Müssen wie blasse Schatten sich in einem roten Nebel lösen ...

Als sie in den großen Saal von ›El Garonne‹ eintraten, hatte der Trubel schon begonnen.

Welch ein fremdes, exotisches Bild! Das ist nicht Paris, das ist nicht London oder Newyork – das ist Südamerika: Brasilien und Argentinien.

Magisches, ständig wechselndes Licht liegt über dem Raum, das aus ungeheuren Kristallkugeln quillt, die sich beständig drehen und bald goldgelbe, bald violette, bald giftgrüne Lichtfluten ausstoßen.

Die Männer sind von tadelloser Eleganz – aber statt der schlichten Perlenknöpfe in der gestärkten Hemdbrust tragen sie Riesendiamanten. Die Haare sind pechschwarz – oder blendend weiß. Die Gesichter vom Havannabraun bis zum Zitronengelb abschattiert.

Die Damen sind mit Schmuck gepanzert, der mehr reichlich als schön ist, in Kleidern, die mehr kostbar und bunt als geschmackvoll sind.

Ein schwerer Dunst von Menschen und Parfüm liegt über dem Raum, ein süßlicher, widerlicher Dunst, wie ihn ein Urwald ausströmt, wo Verfaulen und Erblühen dicht nebeneinanderstehen.

Dunkel ist der Teint dieser Damen, dunkel der Scheitel, dunkel die Herkunft. Spanisch, portugiesisch und farbig gemischt.

Und alles das tanzt gierig, unermüdlich, mit einer wilden Grazie und einer Hingerissenheit und Hingegebenheit, daß aus dem Tanz ein Fetischistengottesdienst wird.

Die Musik spielt, spielt ausschließlich und unaufhörlich Tango Argentino. Ein weicher, süßer Tanz von unendlich sinnlichem Zauber mit zahllosen Figuren, die alle immer wieder heimliche erotische Bedeutung haben. Ein Tanz voll Inbrunst, Unzucht und Ekstase, der die Nerven aufpeitscht und den brennenden Durst der Begierde stachelt und steigert, hinhält, verzögert, ablenkt – und dann noch höher peitscht.

Auch in diesem Kreis von schönen Rassemenschen aus dem Gold- und Kaffeeland erregt Lilith noch ungeheueres Aufsehen. Nicht nur der märchenhafte Schmuck, den Männer und Frauen mit Kennerblicken taxieren, sondern fast noch mehr ihre aparte Schönheit, die einen ganz anderen Ton in das Bild bringt.

Wie ein sengender Feuerbrand wehen diese rotgoldenen Locken durch den blauen Dunst des Saales und überstrahlen die tiefdunklen Scheitel wie eine losbrechende Morgensonne die schwarzen Wolken der Nacht. Wie Märchen- und Nixenzauber schillern die hellen, grüngoldenen Augen, wie lebendig gewordene Smaragde.

Wenn Lilith und Tarnowski tanzen, stockt der Tanz der übrigen. Ein Kreis bildet sich, und man starrt sie an wie ein fremdes, unheimlich schönes Tier – oder eine Göttin. So mögen die Indianer einstmals den weißen Gott begrüßt haben, der gekommen war, sie auszuplündern und auszurotten.

Der Taumel des Abends und seine Leidenschaft hat auch Lilith und ihren Tänzer ergriffen. Sie hängen im Tanz aneinander wie zusammengeschmiedet, blind für ihre Umwelt, gleichgültig gegen alles schweben sie dahin, getragen vom Rhythmus der Musik und dem ihres kochenden Blutes.

»Genug«, sagt Lilith. »Genug! Nach Hause! Endlich nach Hause!«

Sie fahren in verschiedenen Autos – sie kommen getrennt nach Hause. Lilith früher – Tarnowski eine Viertelstunde später.

Lilith hat im Badezimmer ihre Nachttoilette kaum begonnen, da fühlt sie sich umschlungen und in das Schlafzimmer getragen.

Sie will aufschreien – sie kann nicht.

Das Übermaß der Empfindung lähmt ihr die Zunge und jede Kraft. Das Bewußtsein schwindet ihr für Sekunden.

Dann kam der Rausch über sie – der ganz große Rausch, und in einem wilden seligen Brausen versinkt ihr die Welt.

Ja ... das ... war ... Liebe ...

Nicht von der Oberfläche kam es. Nein – aus ihrem tiefsten Innern brach es heraus, alle Dämme niederreißend mit der elementaren Kraft der Urgewalten.

Nehmen und Geben – war eins.

Der grau dämmernde Morgen riß sie auseinander.

»Nachmittag bin ich bei dir und bleibe, solange es nur geht.«

Ungesehen stahl sich Tarnowski in sein Zimmer hinüber.

Ein Tag und eine Nacht gehörten noch ihm – dann kam Lobositz zurück.

Und dann sollte wirklich alles vorüber sein – wie nie gewesen?

Der Gedanke hatte etwas Unfaßbares für ihn. War das möglich? Eine unendliche Gedankenmarter setzte ein, und Entschlüsse wurden gefaßt und verworfen. Gewalt? Klugheit? Was war anzuwenden? Wo war ein Weg ins Freie? An Schlaf war nicht zu denken.

Er ließ sich ein heißes Bad richten, um sich aufzufrischen – und dann eine kalte Dusche.

Und immer wieder die Folter der Gedanken.

›Freiheit von Berthe! Der falsche Wechsel – die Gefahr? Und woher Geld? Lilith hat Schmuck – wird sie teilen mit mir oder sich angeekelt abwenden? Über mein Geständnis oben im Park Buttes-Chaumont ist sie so merkwürdig hinweggeglitten. Sie hat es nicht ernst genommen, nicht verstanden offenbar. Die Wahrheit nur als Selbstquälerei genommen – und nicht als Wahrheit in ihrer ganzen traurigen Erbärmlichkeit. Aber sie will vielleicht gar nicht mehr als diese paar flüchtigen Stunden, und ich mache mich lächerlich, wenn ich die Sache ernst nehme. Ich – der ich ...‹ er wich feige aus, sich selbst beim richtigen Namen zu nennen.

Und hätte sie nicht recht, wenn sie so dachte? Wie konnte er es wagen, eine Frau an sich zu ketten – er, der von den Frauen lebte und auf der Jagd war nach der einen, die ihn nicht klar genug erkannte, die auf ihn hereinfiel und ihn behalten oder mit schwerem Geld abfertigen mußte, um ihn loszuwerden und ihren Irrtum gutzumachen.

»Kommst du von Berthe oder von der anderen«, begrüßte ihn Wodak erregt und mit aufgeregt lauernden Mienen.

»Von der anderen«, gab Tarnowski zögernd und widerwillig zu.

Ein kurzer Aufschrei Wodaks, der etwas Tierisches hatte; dann riß er Tarnowski an sich und wollte mit ihm herumtanzen.

Aber Tarnowski stieß ihn rauh zurück.

»Laß doch diese Kindereien!«

»Wann wirfst du sie hinaus? Wann erfährt es dieser, dieser ... Lobositz, daß du seine Frau gehabt hast?«

In seiner Stimme war Lechzen und Gier.

»Ich verbiete dir, dich in diese Angelegenheit hineinzumischen und überhaupt in diesem Ton von diesen Dingen zu reden. Das sind meine Sachen, verstehst du? Und wenn du mir vielleicht Geschichten machen willst ...«

Er hatte die Faust drohend erhoben.

Wodak wich scheu und mit einem feindseligen Blicke voll Angst und heimlicher Tücke zurück.

»Ich habe ja nichts gesagt.«

»Na, dann ist es gut. Jetzt will ich schlafen. Gegen Mittag wecke mich. Nachmittag kommt die Gräfin her. Ich werde ihr natürlich selbst öffnen, damit sie deine Ähnlichkeit mit ihrem Mann nicht erschreckt. Du bleibst in deiner Kammer und kommst nur, wenn du gerufen wirst.«


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