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I

Die dunkelfarbige Dienerschar des Hauses war bei der Nachricht des Kammerdieners in beispiellose Aufregung geraten und schoß, geheimnisvoll flüsternd und gestikulierend, über Treppen und Korridore wie eine geschäftig rieselnde Flut, die alles überschwemmt.

Es war einfach nicht zu glauben: der Herr hatte Auftrag gegeben, seine großen Koffer zu packen, alles für eine lange Reise vorzubereiten und bei der Agentur der Hamburg-Südamerika-Linie ein Billett für den nächstfälligen Dampfer zu lösen, der auf dem Wege von Buenos Aires nach Europa den Hafen von Santos berührte.

Kein Diener des Hauses konnte sich erinnern, daß der Herr Sao Paolo jemals auf längere Zeit verlassen, oder gar nach Europa gereist wäre. Und heute auf einmal – und so plötzlich? Entschluß, Befehl und Durchführung, alles im Verlaufe einer einzigen Stunde!

Was hatte das zu bedeuten? Was hatte sich ereignet?

Was war mit dem Herrn vorgegangen, daß eine solche Wandlung seiner Lebensgewohnheiten eintreten konnte?

Indessen wanderte der Herr des Hauses in ruheloser Erregung vom Schreibtisch zu den großen Flügeltüren, die sich von seinem Arbeitszimmer auf die Terrasse öffneten, starrte mechanisch durch die Glasscheiben auf das fettige Laubwerk des Tropenparkes, auf die weißen stolzierenden Pfauen – wanderte wieder zurück zu seinem Schreibtisch, warf sich grübelnd in den Klubsessel und zerbiß nervös seine grüne Zigarre.

Er war ein vornehm aussehender Mann, schon gegen das Ende der Vierzig, mit leicht ergrautem Schläfenhaar. Helle Augen lagen tief in einem braungedörrten Gesicht, aus dem eine kühne, aber gut geformte Nase mit scharfem Haken und leicht beweglichen Flügeln energisch vorsprang.

Seine Figur war schlank, und allem Anschein nach hatten körperliche Übungen sie geschmeidig erhalten.

Auf dem Schreibtisch lag ein Geschäftsbrief in großem Format mit zahlreichen Beilagen, den er immer wieder aufnahm und von neuem las – um plötzlich aufzuspringen und seine ruhelose Wanderung abermals zu beginnen.

In der Tiefe des Zimmers, und aus ihr ins Licht schauend, stand die junge, schlanke Azulena, eine indianische Mestize – Dienerin, Geliebte und zärtlich besorgte Freundin ihres Herrn – und folgte seiner ruhelosen Wanderung mit Blicken zärtlicher Angst.

»Was fehlt dem Herrn? Warum ist er so erregt?«

»Das verstehst du nicht.«

»Ich habe bisher alles verstanden.«

»Es handelt sich um Familiensachen.«

»Ich dachte, du hättest keine Familie, Herr.«

»Ich habe es auch geglaubt – bis heute.«

»Und heute hast du Familie? Weib und Kind vielleicht?«

Azulena wurde blaß trotz ihrer dunklen Hautfarbe.

»Ich habe kein Weib und keine Kinder.«

»Und du wirst lange ausbleiben, Herr?«

»Ich weiß es nicht.«

»Kannst du mich nicht mit hinüber nehmen?«

»Nein, Azulena, das ist keine Welt für dich!«

»Und wann wirst du wiederkommen?«

»Ich weiß es nicht.«

»Aber du weißt, daß Azulena stirbt, wenn ihr Herr nicht wiederkommt.«

Graf Alfred Lobositz, oder vielmehr jetzt Fürst Lobositz, Kaffeekönig von Sao Paolo, Herr ungezählter Millionen, blieb einen Augenblick vor Azulena stehen. Ein Lächeln der Güte huschte über seine verhärteten Züge, ein milder Glanz kam in die stahlgrauen, scharfen Augen, und ganz leise streichelte er ihr straffes, dunkles Haar.

»Kleine Azulena, du mußt gescheit sein, ruhig warten und mich nicht quälen. Ich werde schon wiederkommen.« Dann fügte er zögernd hinzu: »Oder vielleicht kannst du doch zu mir hinüberkommen, wenn ich hier alles verkaufen sollte.«

»Du willst uns alle verlassen?«

»Ja, vielleicht! ... Aber dich ... nein, dich bestimmt nicht, Azulena ...«

»Und drüben willst du leben, wo sie dir so viel angetan haben, wie du mir gesagt hast?«

»Sie rufen mich von drüben«, sagte Lobositz ausweichend.

»Und du kommst gleich, wenn sie rufen, und bist nicht stolz und verachtest sie?«

Lobositz stutzte einen Augenblick.

»Sie sind jetzt alle tot, die mich gemartert und aus der Heimat verjagt haben ... und eigentlich ist es ja doch die Heimat, die mich ruft, die Scholle, auf der ich geboren und aufgewachsen bin. Ich muß hinüber! Ich kann nicht anders! Ich habe geglaubt, alles Gefühl für die Heimat sei in diesen zwanzig Jahren, die ich hier lebe, gestorben. Ich habe mich aber selbst belogen. Es ist nicht wahr! Ich muß fort! Es reißt und treibt mich mit einem Male. In mir ist etwas erwacht, was ich selbst nicht verstehe. Wie ein Fieber hat es mich gepackt. Aber dich werde ich nicht vergessen, kleine Azulena ... dich ganz bestimmt nicht! Was drüben auch immer geschehen mag ...«

Und noch einmal küßte er sie auf das schwere, schwarze Haar mit den spiegelnden Scheiteln.

Dann meldete der Kammerdiener, daß alles bereit sei zur Abreise.


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