Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Zweiundzwanzigstes Kapitel.

Am Tage nach der Ergebung Gelimers ward das Lager Faras abgebrochen und der Zug der Sieger und der Gefangenen setzte sich in Bewegung nach Karthago; eilende Boten an Belisar flogen voraus.

An der Spitze ritten Fara, Prokop und die anderen Führer auf Rossen und Kamelen, in der Mitte wurden die gefangenen Vandalen geführt, der Vorsicht wegen an Händen und Füßen gefesselt mit Ketten, die das Gehen oder selbst das Reiten, aber nicht das Laufen verstatteten; sie waren von Fußvolk umgeben; den Schluß bildeten die hunnischen Reiter. So zog man langsam, nachts unter Zelten rastend, in vierzehn Tagen den Weg zurück, den man in rastloser Verfolgung in acht Tagen durchmessen hatte.

Verus ritt meist allein: er mied die Vandalen, und die Byzantiner – mieden ihn.

Am zweiten Tage nach dem Aufbruch von Berg Pappua – Fara und Prokop waren weit voran – in einer Krümmung des Weges hielt der Priester das Roß an und wartete: die Gefangenen kamen heran. Manche gefesselte Faust hob sich gegen ihn empor, mancher Fluch ward wider ihn ausgestoßen; er sah es nicht, er hörte es nicht. Endlich kam, einen Stab, der in ein Kreuz auslief, in der gefesselten Rechten, Gelimer zu Fuß herangewankt. Verus drängte sein Pferd durch die Reihe der Wächter, er ritt nun dicht neben ihm; der Gefangene sah auf: »Du, Verus!« Er erschauerte. – »Ja, ich: Verus. Ich erwartete dich hier: – dich und diese Stunde! Diese Stunde, die nun endlich, zögernd, kam, diese Stunde habe ich herbeigesehnt, herbeigewünscht, herbeigeführt durch Gebet, durch Rat und That: für diese Stunde allein habe ich gelebt, gelitten, gerungen jahre-, jahrzehntelang.« – »Und warum, o Verus, warum? Was hab' ich dir gethan?« Da lachte Verus grell auf und riß sein Roß am Zügel, plötzlich anhaltend. Gelimer erschrak: – er hatte diesen Mann selten lächeln sehen, niemals laut lachen gehört. »Warum? ha, ha! Du kannst noch fragen? Warum? – Weil . . . –! Doch um diese Frage zu beantworten, müßte ich die ganze Geschichte unserer – der Römer, der Katholiken – Leiden hersagen vom ersten Schritt an, den Geiserich auf dieser Erde gethan! Warum? Weil ich der Rächer, der Vergelter bin des hundertjährigen Verbrechens, das da genannt wird: das Vandalenreich in Afrika. Hört es, ihr Heiligen im Himmel! Dieser Mann: – er stand dabei, als alle die Meinigen scheußlich hingewürgt wurden, und er frägt: warum ich sein Volk und ihn gehaßt und nach Kräften vernichtet habe?« – »Ich weiß . . . –«

»Nichts weißt du! Denn du kannst mich fragen: warum? Du weißt, willst du sagen, von meiner verröchelnden Mutter Fluch? Aber das weißt du nicht – denn betäubt warst du umgefallen – daß ich, als sie den Fluch auf dich schleuderte, mich losriß aus meinen Stricken, von meinem Marterpfahl, daß ich da auf meine Mutter sprang, in die Flammen hinein, daß ich sie umschlang und mit ihr sterben wollte. – Sie aber stieß mich zurück aus der Lohe und rief: ›Lebe! Lebe und räche mich – und all die Deinen – und vollführe den Fluch an diesem da und an all den Seinen.‹ Und nochmal drang ich vor und schlug ein in die Hand der Sterbenden und schwor ihr's zu mit letztem Handschlag. Und deine Krieger rissen mich weg von ihr: und ich sah sie versinken in den Flammen und mir vergingen die Sinne.

Aber als ich erwachte, da war ich kein Knabe mehr: – ich war der Rächer! Und ich sah und hörte nichts und fühlte nichts als jenen letzten Händedruck der Mutter, ihren Blick und meinen Schwur. Und ich schwor meinen Glauben ab – zum Schein! Und ihr, elende, vor Hochmut dumme Barbaren, ihr glaubtet, aus Feigheit, aus Furcht vor Folter und Flammen, hätte ich das gethan! O wie oft habe ich eure, hab' ich in früheren Jahren auch deine – du blöder Thor! – Verachtung, stumme, kaum verhehlte Geringschätzung gefühlt und ertragen mit tödlichem Haß, mit einer Wut, die mir das Herz, die Eingeweide brannte. Hochfahrende Brut von eiteln Thoren! Feigheit, Furcht, euch das Schimpflichste des Schimpfes, – mir schobt ihr sie ohne weiteres unter! Blinde Narren! Als ob ich nicht mehr gelitten, zehnmal mehr als den Feuertod, all diese Jahre mich selbst bezwingend, der Karthager, der Katholiken Verabscheuung meiner Abtrünnigkeit ohne ein Wort der Aufklärung erduldend, mich selbst in Zucht haltend, jede Regung meines Herzens in Haß und Zorn und Hoffnung im Keim erstickend, damit ihr nichts davon gewahrtet, mich selbst künstlich versteinend, indes mein ganzes Wesen sich in Glut verzehrte! Euch dienen, euren gotteslästerlichen Gottesdienst als euer Priester mitfeiernd, eure unerträgliche Prahlerei ertragend! Denn ihr Germanen seid, ohne laut zu prahlen, – diese eure lauten Prahler erträgt man leicht: man verachtet sie – aber ihr seid stille Prahler. Ihr schreitet über die Erde hin, als müßtet ihr stets etwas zertreten, ihr werft das Haupt in den Nacken, als grüßtet ihr im Himmel eure Ahnen und nicktet ihnen zu: ja, ja, uns gehört die Erde! Und daß ihr es gar nicht mehr wißt und fühlt, wenn ihr uns auf das tödlichste beleidigt durch solch Gebahren, weil sich's von selbst verstehe – das ist das Unerträglichste von allem. O wie ich euch hasse« – und er schlug mit der Gerte nach dem neben seinem Rosse Schreitenden, der den Streich empfing, aber nicht zu fühlen schien. »Ihr Barbaren, vor wenigen Menschenaltern noch Kuhdiebe an den Grenzen unseres Reiches, zu Hunderttausenden von uns geschlachtet, verknechtet, den Bestien vorgeworfen, – nackte, hungernde Bettler, die dankbar die Brosamen aufleckten, die römische Großmut euch zuwarf! – Hin müßt ihr werden, alle, alle, ihr Stiere, ihr Wölfe, ihr Bären, welche die tierische Kraft allein und Gottes Zulassung, – zur Strafe unserer Sünden – in das Römerreich hat brechen lassen.

Hin müßt ihr werden!« – Und er hob wieder die Gerte zum Schlag: da sah er eines herkulischen Wächters Auge drohend auf sich gerichtet: – verlegen senkte er den Arm.

Gelimer schwieg immer; nur manchmal seufzte er. »Und dein Gewissen?« sagte er jetzt, ganz sanft. »Hat es dich nie gestraft? Ich – seit jener Löwengefahr – ich traute dir ja ganz, ich gab dir mein Herz in die Hand, du warst mein Beichtiger: schämtest du dich denn nicht?«

Da schoß einen Augenblick helle Röte über des Priesters bleiches Antlitz: aber nur wie ein Wetterleuchten. Gleich darauf erwiderte er: »Ja! So thöricht war mein Herz – manchmal: zumeist im Anfang. Aber,« fuhr er grimmig fort, »immer überwand ich diese Anwandlung von Schwäche, wenn ich mir sagte, wenn ich es fühlte, – und euer beleidigender Hochmut sorgte dafür, daß ich es alle Tage fühlte: ah, jener Zazo! am meisten hab ich den gehaßt: – sie halten dich für so niederträchtig, daß du aus Feigheit vor all der Deinen Leichen deinen Glauben abschworst! Sie wähnen, diese frechen, diese maßlos dummen Barbaren – aber es ist noch mehr Hochmut als Dummheit! – dudu, dieser Eltern Sohn, könnest ihnen wirklich ergeben sein, könnest der Deinen Martern vergessen, – um ihnen zu dienen, und ihrer brutalen, gewaltthätigen Herrlichkeit. So denken sie von dir, so unabsehbar niedrig! Räche dich, strafe sie für diese unertragbare Überhebung! – O auch der Haß ist eine Wollust: der Haß von Volk zu Volk! Und gehaßt sollt ihr werden, ihr Germanen, solange noch ein Tropfen Blutes rinnt in andern Völkern: – bis in den Tod, bis ihr zertreten seid!« – Und er schlug mit der Faust hart auf das bloße Haupt des neben ihm wankenden Königs. Gelimer sah nicht auf: er zuckte nicht. »Was drohest du da leise in den Bart?« forschte jener sich herunter neigend. »Ich betete nur – ›wie auch wir vergeben unsern Schuldigern!‹ Aber – das ist auch vielleicht noch Überhebung, Sünde –! Du bist – vielleicht! – gar nicht mein Schuldiger. Du bist vielleicht wirklich –« er erschauerte abermals – »mein Engel, den Gott mir gesendet, nur nicht zum Schutze, wie ich in Eitelkeit wähnte, sondern zur Strafe. –« »Dein guter Engel war ich nicht,« lachte der andere. – »Aber – wenn es vergönnt ist, zu fragen –?« »Frage nur! Ich will sie auskosten, diese Stunde!«

»Wenn du mich so hassest, – die Mutter rächen wolltest an mir, – warum dieses lange, jahrelange Spiel? Oft und oft – schon als ich bei dem Löwen lag – hättest du mich töten können: warum also?« – »Dumm gefragt! Hast's noch nicht – noch immer nicht! – begriffen? Du Thor? Wohl haßte ich dich: aber doch noch mehr – dein Volk! Dich umbringen – o es reizte wohl! Und hart und schwer habe ich damals mit meinem Haß gerungen, ob ich den Tod nicht dir geben solle statt dem Löwen. Ich zauderte . . .–« – »Ich sah das.« – »Aber ich erkannte: hier, in diesem Manne, lebt die Seele des Vandalenvolks. Ihn auf den Thron heben und dann ihn beherrschen, das heißt sein Volk beherrschen. Töt' ich ihn jetzt, treib' ich Hilderich zum geheimen Abschluß mit Byzanz: – Zazo, Gibamund, andere werden tapfer, werden lange widerstehen. Aber wird dieser, der vor allen sein Volk retten könnte, König und steht er dann als König unter meiner Gewalt, so ist sein Volk am sichersten verloren. Ihn töten, wird's nötig, dazu findet sich wohl immer noch Gelegenheit. Besser als ihn töten, durch ihn das Vandalenvolk beherrschen und – verderben!«

Da stöhnte Gelimer; er wankte; er griff unwillkürlich nach des Pferdes Hals, sich zu halten. Verus stieß seine Hand hinweg: er strauchelte und fiel in den Sand; gleich stand er wieder auf und ging weiter. »Hat dich der Pfaff geschlagen, König?« rief der Heruler drohend. »Nein, mein Freund.« Aber Verus fuhr fort: »Hilderich mußte den Thron räumen. Denn gar nicht unbedingt war er mir zu Willen: er verlangte allerlei Schonung für die Vandalen: und Justinianus wollte sie gewähren. Ich aber wollte Gelimer und die Vandalen nicht bloß zu Unterthanen des Kaisers machen, – vernichten wollt' ich sie. Dein plumper Bruder entdeckte meinen Verkehr mit Pudentius: – ward ich damals durchsucht, fand man des Pudentius Brief, war alles verloren. Statt dessen gab ich ihn: ich verriet des Tripolitaners Aufenthalt: ich wußte, er war schon, auf meinem besten Renner, aus den Thoren. Der König und du – ihr gingt in die Falle meiner Warnungen, beide. Ich freute mich, wie rasch du doch bereit warst, an Hilderichs Schuld zu glauben, weil du sie – wünschtest! Weil du vor stiller, ob auch verhaltener Gier nach der Krone branntest! Zeigte man dir die Gefahr, sie einzubüßen, sprangst du in jedes dir gestellte Netz. Deine Gier nach der Krone, – das ist deine wahre Schuld und Sünde. Hast du auch Hilderich in gutem Glauben entthront, – wie flink warst du, wie hitzig, dir die Krone zu sichern! Ich stand dabei, ich sah's mit an, wie du den armen Hoamer niederschlugst: der doch in vollem Rechte war, da er den Mordplan Hilderichs leugnete. Ein Gottesurteil nanntest du den Zweikampf, Gottes Gerechtigkeit wähntest du darin zu dienen: – und nur der eignen Herrschsucht dientest du und, durch sie, – mir! Deine Leidenschaft – der Satan, nicht Gott! – gab dir die Begeisterung, die rasche Kraft des Armes, der Hoamer sofort erlag: ein Teufelsurteil, ein Sieg der Hölle, nicht ein Gottesurteil war's. Nun ward ich dein Kanzler: das heißt dein Verderber. Ich brach offen mit dem Kaiser: ich verhandelte im geheimen weiter mit der Kaiserin. Ich entfernte eure Flotte nach Sardinien, nachdem ich, Tage zuvor, die Einschiffung Belisars erfahren. Nach dem Schlage von Decimum riet ich, dich und das Heer in Karthago einzuschließen. Ein halb Jahr früher wäre das Spiel zu Ende gewesen: dies einzige mißlang: du folgtest mir nicht. Verhüten mußt' ich Hilderichs Rechtfertigung vor dir: – ich nahm den Brief, den Warnungsbrief, den ich diktiert hatte, aus der Truhe, bevor ich sie Hilderich durchsuchen ließ. Leben bleiben sollte aber kein Sproß von Geiserichs Geschlecht: – Justinian hätte deine beiden Gefangenen nach Belisars Sieg ehrenvoll empfangen! – Ich ließ sie töten durch meinen Freigelassenen und sicherte dessen Flucht. Dich aber – das hatt' ich mir längst aufgespart für die Stunde deiner kräftigsten Erhebung, für den Fall der äußersten Gefährdung unserer Pläne – dich zerschmetterte ich im rechten Augenblick durch die Enthüllung, daß du Hilderich ohne Grund damals entthront und jetzt gemordet. Jedoch nicht eher war der Mutter Fluch und mein Eid erfüllt, bis du in Ketten gingst, als Justinians Gefangener. So teilte ich, um sicher dein Entkommen zu verhindern, alle Not, alles Elend dieser drei Monate mit dir. Briefe des Königs Theudis hatten schon nach dem Gefecht von Decimum deine Rettung durch die Küstenstämme und durch westgotische Schiffe angeboten: – du sahst jene Briefe nie: ich unterdrückte sie. Erst als die Rettung wirklich winkte, als du die Hand schon danach ausgestreckt, – erst da warf ich, dich vollends zu zermürben, den Trug, die Hüllen, ab. Jetzt werd' ich dich noch Justinians Füße küssen sehen im Hippodrome zu Byzanz: – das ist das letzte von der Mutter Fluch, von meinem Eidschwur und von meines Volkes Rächung.«

Er schwieg; sein Antlitz glühte, sein Auge schoß Blitze auf den Gefangenen nieder.

Dieser beugte sich und küßte ihm den Schuh im Steigbügel. »Ich danke dir! Du also bist die Rute Gottes, die mich schlug und schlägt. Ich danke für jeden Streich Gott und dir, wie ich Gott und dir dankte, als ich dich meinen Schutzengel wähnte. Und hast du dich dabei etwa gegen mich, gegen mein Volk versündigt, – ich weiß es nicht zu sagen! – so verzeihe dir Gott, wie ich dir voll verzeihe.«

 


 


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