Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Sechstes Kapitel.

Er war etliche Jahre älter als Gelimer, der hochragende, hagre Priester, welcher nun langsamen Schrittes in die Halle trat. Das dunkelbraune, faltige, mantelgleiche Obergewand floß von breiten Schultern: die Gestalt und noch mehr der sehr auffallende Kopf machten den Eindruck zähester Kraft; allzuscharf zwar geschnitten waren diese Züge, um schön zu sein: aber wer sie geschaut, vergaß sie nicht wieder. Streng gezogene, volle schwarze Brauen beschatteten durchdringende schwarze Augen, die immerdar – mit unverkennbarer Absicht – niedergeschlagen waren; die Adlernase, die festgeschlossenen schmalen Lippen, die tief eingefallenen Wangen, die fahle, wie lichtgelber Marmor mattglänzende Hautfarbe verliehen, zusammenwirkend, diesem Antlitz einen sehr ausgeprägten Charakter. Ganz glatt geschoren waren Mund, Wangen und Kinn und auch das schwarze Haupthaar, das schon mehr mit Grau gesprenkelt war als dem etwa Vierzigjährigen entsprach. Jede seiner – seltenen – Bewegungen wurde so leise, so streng bemessen, daß sie die seit Jahrzehnten unablässig geübte Selbstzügelung verriet, mit welcher dieser Undurchdringliche sich beherrschte – und andere. Seine Stimme klang tonlos, wie tieftraurig oder sehr müde: aber man spürte, daß sie zurückgehalten ward; selten gelang es, den Blick dieser Augen zu erhaschen: aber manchmal blitzten sie überraschend, aufleuchtend empor und dann sprühte aus ihnen abgrundtiefe Leidenschaft; nichts, was in der Seele dieses Mannes vorging, war erkennbar an seinem äußern Wesen; nur der scharfgeschnittene Mund, so fest er die Lippen zusammenzog, verriet manchmal durch leises unwillkürliches Zucken, daß dieses starre leichenfahle Antlitz nicht eine Totenmaske war. –

Gelimer war aufgesprungen, sowie er des Priesters ansichtig geworden: er eilte ihm nun entgegen, und drückte ihn, der regungslos, mit schlaff herabhängenden Armen, stehen blieb, feurig an die Brust, »Verus, mein Verus!« rief er, »du mein Schutzengel! Und dich! – dich! wollen sie mir verdächtigen! Wahrlich, Bruder, eher fallen die Sterne aus Gottes ewigen Ordnungen am Himmel, als daß dieser Mann mir von seiner Treue läßt.« Und er küßte ihn auf die Wange. Unbewegt ließ der es geschehn. Grollend betrachtete Zazo das Paar.

»Mehr Liebe, mehr Wärme,« so brummte er, sich den starken Kinnbart streichend, »hat er für diesen Römer, den Fremdling, als für –! – Sprich, Priester, kannst du's leugnen, daß du letzten Sonntag – nach Mitternacht – Pudentius – sieh, da zuckt doch deine Lippe! – Pudentius von Tripolis heimlich zu dem Turmpförtlein des Ostthors hereingelassen und ihn in dein Haus, neben deiner Basilika, geführt hast? Sprich! –«

Gelimer war nun zur Seite getreten: er ließ liebevoll das Auge auf dem Freunde ruhen und schüttelte, leise lächelnd, das Haupt. Verus schwieg. »Sprich,« wiederholte Zazo. »Leugne doch, wenn du es wagst. – Du ahntest nicht, daß ich da oben im Turm lauerte, nachdem ich die Nachtwache abgelöst. Schon lang mißtraute ich dem Thorwart, er war einst Sklave des Pudentius, dir verkauft und von dir freigelassen. Siehst du, Bruder? Er schweigt! Ich verhafte ihn sofort. Durchsuchen wir nach geheimen Briefen sein Haus, seine geheimsten Schreine, die Altäre, die Sarkophage seiner Kirche, ja seine Kleider.« Da blitzten die schwarzen Augen plötzlich gegen ihn: dann ein rasch streifender Blick auf Gelimer und sie senkten sich wieder ruhig zu Boden. »Oder leugnest du?« »Nein,« kam es jetzt, kaum hörbar, über die unmerklich geöffneten Lippen. »Hörst du das, Bruder?« Gelimer trat rasch einen Schritt näher zu Verus. »Ich bat deshalb,« sprach dieser sehr ruhig, Zazo den Rücken kehrend, »um eine sofortige Unterredung, um dir das mitzuteilen.« »Das nenn' ich Geistesgegenwart!« lachte Zazo laut. »Aber wie willst du das beweisen?« »Ich habe,« fuhr Verus, zu Gelimer gewendet, fort, ohne des Anklägers irgend zu achten, »den Beweis mitgebracht, daß Pudentius ein Verräter. Hier ist er, dieser Beweis.« Er schlug langsam den Mantel zurück, griff durch die Falten des Untergewandes an seine Brust und holte – nach einigem Suchen – einen ganz klein zusammengeknitterten Streifen Papyrus hervor. Er reichte ihn Gelimer, der ihn hastig auseinanderfaltete und las: »Trotz deiner Warnung: es bleibt dabei. Belisar ist vielleicht schon unterwegs. Gieb dies dem König.«

Beide Vandalen fuhren, heftig erschrocken, auf.

»Dieser Brief?« fragte Gelimer. – »Ist von Pudentius geschrieben.« – »An wen?« – »An mich.« »Hörst du's, Bruder?« rief Zazo. »Er verrät –« »Die Verräter,« schloß Verus. »Ja, Gelimer: ich habe gehandelt, als du noch zweifeltest, grübeltest, und als dieser tapfere Thor schlief oder – polterte. Du erinnerst dich: längst hatte ich gewarnt, der König und seine Neffen verhandeln mit Byzanz.« »Hat er das gethan – wirklich – Bruder?« fragte Zazo lebhaft. »Schon lang. Und wiederholt.«

Zazo schüttelte, unwillig staunend, widerstrebend, das braune Gelock. Dann sprach er entschlossen: »So verzeihe mir, Priester, – wenn ich dir – wirklich! – Unrecht that.« »Pudentius,« fuhr dieser, ohne Erwiderung, fort, »war – so ahnte ich – der Zwischenträger. Ich gewann sein Vertrauen.« »Das heißt: du täuschtest ihn – wie vielleicht jetzt uns!« zweifelte Zazo. »Schweig, Bruder,« herrschte ihn Gelimer an.

»Es war nicht schwer, ihn zu überzeugen. Ist doch meine Familie – wie die seine – von euren Königen« – er brach den Satz ab. »Ich klagte meinen Schmerz – ich schalt auf eure Grausamkeit.«

»Mit Recht! Weh uns, mit Recht!« klagte Gelimer und drückte die geballte Faust vor die Stirn.

»Ich sagte, meine Freundschaft für dich sei doch nicht so stark wie mein Groll um – – – um alle die Meinen. Er weihte mich ein. Ich erschrak. Denn wahrlich: wenn nicht Gott das Wunder that, ihn zu verblenden, war das Vandalenreich rettungslos verloren. – Ich warnte ihn nun, – um Zeit zu gewinnen bis du zurückgekehrt: ich warnte vor der grausamen Rache, die ihr nehmen würdet an allen Römern, wenn der Aufstand unterdrückt würde. – Er schwankte: er versprach, alles nochmal zu erwägen, mit dem König nochmal zu verhandeln. – Da – dieser Zettel – heute mir zugestellt, von einem Unbekannten, in der Basilika, enthält die Entscheidung. Handle rasch! Sonst könnte es zu spät sein.«

Sprachlos sah Gelimer vor sich hin. Zazo aber fuhr ans Schwert. Er wollte hinausstürmen. »Wohin?« sprach ganz leise der Priester und faßte ihn am Arm: – so fest, so stark war dieser Griff, daß der Vandale ihn nicht abschütteln konnte.

»Wohin? Zum König! Niederhauen den Verräter und seine Gehilfen! Dann das Heer zusammenrufen und – Heil König Gelimer!«

»Still, Unsinniger!« rief dieser erschrocken, wie ertappt auf eignen geheimsten Wünschen, »du bleibst! Willst du zu allen Sünden, die schon turmhoch der Vandalen Volk – zumal unser Geschlecht! – belasten, noch die Frevel der Entthronung, des Königsmordes, des Verwandtenmordes häufen? Wo ist der Beweis von Hilderichs Schuld? War mein langgehegter Argwohn nicht nur die Frucht – oder der Vorwand – meines eignen ungeduldigen Verlangens nach der Krone? Pudentius kann lügen – übertreiben. – Wo ist der Beweis, daß Verrat geplant ist?« »Willst du warten, bis er gelungen?« trotzte Zazo. – »Nein! aber ihn nicht strafen, bis er bewiesen.«

»So spricht ein Christ,« sprach lobend der Priester. »Aber rasch muß der Beweis erbracht sein. Heute noch. Höre. Ich habe Grund zu glauben, daß Pudentius heute wieder heimlich in der Stadt weilt.« »Ihn müssen wir haben!« rief Zazo. »Wo ist er? Beim König?«

»So offen treiben sie's nicht. Nur nachts schleicht er in das Palatium. Ich kenne aber seinen Versteck. Im Hain der heiligen Jungfrau – in den warmen Bädern.« – »Schicke mich, Bruder! – Mich! – Ich fliege!« »So geh,« winkte Gelimer. »Aber töte ihn nicht,« rief der Priester dem Enteilenden nach. »Nein! Bei meinem Schwert: lebend müssen wir ihn haben!« Schon war der Rasche verschwunden in dem Säulengang.

»O Verus,« rief jetzt Gelimer, leidenschaftlich, »du Vielgetreuer! Soll ich dir – wie meines armen Lebens Rettung vor dem fürchterlichsten Tode – so meines Volkes Rettung danken dürfen?« Und er griff nach seiner Hand. Der Priester entzog sie. »Gott hast du zu danken für dein – für deines Volkes Geschick: nicht mir. Ich bin nur ein willenloses Werkzeug seines Willens – seit ich dies Priesterkleid angethan. – Aber höre: nur dir darf ich das Äußerste vertrauen: – dieser Tollkopf würde in seinem blinden Ungestüm alles verderben – dein Leben ist bedroht! – Das schreckt den Helden nicht! Allein du mußt jetzt deinem Volk erhalten bleiben. Falle, muß es sein, im Vorkampf – unter Belisars Schwert,« da leuchteten Gelimers Augen und edle Wallung verklärte sein Antlitz, – »aber nicht durch Mord darfst du jetzt elend umkommen.«

»Mord! – Wer sollte das . . . –?« – »Der König. Nein! Zweifle nicht. Pudentius gestand mir's: die Neffen haben den Widerstrebenden dazu fortgerissen. Sie wissen: ihre Pläne scheitern, solang du atmest. Du sollst, du darfst nie König der Vandalen werden.« Hier flog verstohlen ein Blick aus den schwarzen Augen, die sich gleich wieder senkten, »Das wollen wir doch sehen!« rief Gelimer hitzig aus. »Ich will aber König werden und wehe . . . –« Hier brach er jählings ab. – – – Hastig ging sein Atem. – Nach einer Pause fragte er, mit gebrochener oder doch verhaltener Heftigkeit, ganz demütig: »Ist dieser Ehrgeiz Sünde, mein Bruder?« Ruhig antwortete dieser: »Du hast ein Recht auf die Krone. – Starbst du, dann folgt auf Hilderich, nach Geiserichs Erbfolgegesetz, Hoamer als der Älteste des Mannesstammes nach dir. So haben sie den König beredet, dich am Tage deiner Heimkehr zu geheimer Zwiesprach – dich ganz allein – in den Palast zu laden und dort zu ermorden.« – »Unmöglich, Freund. Ich war ja bereits beim König: er empfing mich sehr ungnädig, sehr undankbar: aber,« lächelte er: »du siehst: ich lebe noch.« – »Du warst beim König, umgeben von allen deinen Heerführern in ihren Waffen. Aber gieb acht, ob er dich nicht heute nochmal – allein – entbietet.« – »Das wäre sehr auffallend. Wir haben alles erledigt, was zu besprechen war.«

In diesem Augenblick vernahm man Schritte auf dem Gang. Ein Negersklave brachte Gelimer einen Brief. »Vom König,« sagte er und ging. Jener riß die Verschnürung des Wachstäfelchens hastig auf: er sah hinein und erbleichte. »Wahrhaftig! – »Komm heute um die zehnte Abendstunde in mein Schlafgemach, ohne Begleiter. Ich habe geheim mit dir zu reden. Hilderich«.« – »Du siehst –« – »Nein! Nein! Ich will's nicht glauben. Es kann Zufall sein. Hilderich ist schwach, er hasset mich: – aber er ist kein Mörder.« – »Desto besser, wenn Pudentius log. Aber des Freundes Pflicht ist, zu warnen. Geh' nicht hin!« – »Ich muß! Ich mich fürchten? So schlecht kennt mich mein Verus?« – »So gehe nicht allein. Nimm Zazo mit – oder Gibamund.« – »Unmöglich! – Gegen den Befehl des Königs! Und nur ungewaffnet darf man dem König in geheimer Zwiesprach nahen!« – »Wohlan: trage wenigstens – unter dem Gewand – die Brünne, die dich gegen den Dolchstoß schützt. Und das Kurzschwert – kannst du's nicht im Ärmel oder Gürtel bergen?« – »Allzubesorgter Freund!« lächelte Gelimer. »Doch will ich – dir zuliebe – die Brünne heimlich anlegen.« – »Das ist mir nicht genug! Jedoch – ich überlege – es wird ja ein Mittel geben, dir im Notfall Hilfe –. Ja: – so gehts.« – »Was willst du thun?« – »Still! – Beten will ich, daß meine Gedanken sich erfüllen. Auch du, mein Bruder, bete. Denn großen Gefahren gehst du, gehen wir alle entgegen – und nur Gott sieht das . . . – – –«

Da stockte er plötzlich, fuhr mit beiden Händen gegen das Haupt und brach mit heiserem Aufschrei zusammen auf das Ruhebett.

»Wehe, Verus!« rief Gelimer. – »Ohnmächtig?« Und er griff rasch in den Mischkrug voll Wassers und besprengte des Bewußtlosen Antlitz. Er rieb ihm die Hände: – da schlug der Priester die Augen wieder auf und richtete sich mit Anstrengung empor: »Laß nur! – Es ist vorüber! – Aber die Spannung dieser Stunde – war wohl – allzugroß. – Ich gehe: nein, ich bedarf der Stütze nicht – in die Basilika, zu beten. – Schicke mir dorthin Zazo, sobald er zurückkommt – noch ehe du zum König gehst, hörst du? – Gott, erhöre meinen heißen Wunsch!«

 


 


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