Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Vierzehntes Kapitel.

»Bah,« meinte Modigisels Nachbar, ein trotzig blickender, etwas älterer Edeling von stolzer, vornehmer Haltung. »Werden uns nicht fürchten, mein' ich! Wir Gundingen sind kaum minder alten Adels. Ich beuge mein Haupt vor den Asdingen nicht. Am wenigsten vor diesem Duckmäuser.« »Recht hast du, Gundomar!« stimmte ein jüngerer bei. »Laß uns ihm trotzen, dem Tyrannen.« Da wandte der Riese Thrasarich langsam das Haupt und sprach sehr langsam, aber sehr nachdrucksam: »Höret, Gundomar und Gundobad, ihr seid meine Gäste: – allein, redet ihr übel von Gelimer, – thu' ich euch wie den beiden Römern gethan ward. So viel Weines mir zu Kopfe stieg: – nichts gegen Gelimer! Das duld' ich nicht! Er – der gütevolle – ein Tyrann! Was heißt das?« – »Das heißt: ein Anmaßer!« – »Wie meinst du das? Er ist doch der älteste Asdinge.« »Nach König Hilderich! Und ob der mit Recht gefangen und abgesetzt ward?« – zweifelte Gundomar. »Ob das Ganze nicht ein ersonnen Stücklein war?« fiel Gundobad ein. »Doch nicht von Gelimer ersonnen, willst du sagen?« drohte Thrasarich. »Nein! Aber vielleicht von Verus!« – »Jawohl: man flüstert allerlei. Es soll eine briefliche Warnung . . . –« – »Gleichviel! Erfährt dein gütevoller Betbruder von diesem Fest . . . –« – »Dann wehe uns! Dann geht er mit dir um wie . . . –« »Damals, da du dein Bräutchen ohne Priester heiraten wolltest,« lachte Modigisel. »Daß er mich damals niederschlug, das dank' ich ihm seither alle Tage! Die ›Eugenien‹ raubt man nicht: – man bittet schön um sie.« – Und er nickte der Kleinen zu, begrub ihr ganzes Köpfchen samt dem Schleier in seiner gewaltigen Rechten und drückte sie zärtlich an die mächtige Brust: ein glückstrahlender Blick der großen, dunklen Antilopenaugen dankte ihm.

Aber auch Modigisel hatte den Reiz entdeckt, den solche Beseelung, solcher Ausdruck dem kindlich unschuldigen Antlitz verlieh: bewundernd ruhte sein Auge auf Eugenie. Diese erhob sich und flüsterte dem Geliebten ins Ohr. »Gern, mein Veilchen, mein Vögelchen,« erwiderte dieser. »Wenn du's gelobt hast, mußt du's halten! Geleite sie zum Ausgang, Bruder. Wort halten ist notwendiger als Atemholen.« Die Braut ward von einer Schar von Freundinnen unter Führung Thrasabads durch einen der zahlreichen Quergänge aus dem Cirkus geleitet. »Wohin geht sie?« fragte Modigisel, ihr mit heißen Blicken folgend. »In die katholische Kapelle – dicht nebenan, die sie in dem kleinen Vesta-Tempel eingerichtet haben. Sie hat ihrem Vater gelobt, vor Mitternacht darin zu beten: mußte sie doch auf den Segen ihrer Kirche verzichten bei der Ehe mit dem Ketzer.« Gerade verschwand nun die anmutvolle Gestalt der Braut unter dem Bogenthor.

Da begann Modigisel aufs neue zu Thrasarich: »Laß mir die Kleine da und nimm meine Große –: du gewinnst fast hundert Pfund bei dem Handel. Es ist wahr, in diesem Himmelsstrich soll man sich ein magres Schätzlein wählen. – Freie Römerin? – Nun ich will sie auch heiraten, – es soll mir nicht darauf ankommen.« – »Behalte dein strotzend Glück und gönne mir mein schmächtiges. Für diesen Tausch habe ich doch noch lange nicht genug aus dem Ocean getrunken.« Da sprach plötzlich mit lauter Stimme Astarte – beide Männer erschraken: ob sie das leise Geflüster verstanden hatte? Schon, daß sie ihr all' diese Zeit gewahrtes Schweigen brach, wirkte seltsam. – »Ist doch nichts an ihr als Haut und Knochen!« Und wieder zeigten die üppigen Lippen, leise gehoben, die spitzen Schneidezähne. »Und Augen! Diese Augen!« sprach Modigisel. »Ja, größer als das ganze Gesicht! Wie ein gerade ausgekrochenes Huhn!« höhnte Astarte. »Was hat sie denn so Besonderes?« Und die runden Augen funkelten unheimlich. »Eine Seele, Karthagerin,« erwiderte der Bräutigam. »Weiber haben keine Seele,« sagte Astarte, ihn ruhig und groß anblickend. »So lehrte ein Kirchenvater. Oder ein Philosoph. Die einen haben statt der Seele Wasser – so jene Pygmäe. Andere: Feuer«; sie stockte und atmete schwer. Sie war jetzt sehr schön, dämonisch, bezaubernd schön: Gluten schossen in die prachtvoll modellierten sphinxgleichen starren Wangen. »Feuer« – sagte Thrasarich, von den versengenden Augen den Blick wendend, »Feuer ist auch die Hölle.« – Astarte schwieg. »Sie ist so schön, weil sie so keusch und rein ist,« sagte seufzend Aphrodite, die einen Teil des Gespräches gehört hatte. Schmerzlich blickte sie der Braut nach und senkte die Wimpern. »Kein Wunder, daß du so fest hältst an ihr,« höhnte nun Modigisel laut. »Hast du doch, nachdem der Raub mißglückt war, gar ehrbar wie ein römischer Walker oder Bäcker um seines Nachbarn, des Schusters, Kind bei dem alten Getreidewucherer um das Püppchen geworben.« »Jawohl,« fiel Gundomar ein, »aber die Hochzeit hat er ausgerichtet mit einer Pracht, als führe er des Imperators Tochter heim.« »Die Pracht der Hochzeit ist ihm lieber als die Braut,« lachte Gundobad. »Das gewiß nicht!« sprach Thrasarich langsam. »Aber eins ist wahr: – seit ich weiß, daß sie mein ist – mein wird – seitdem ist die rasende Wut nach ihr – doch nein! – So ist es auch nicht! Hab' ich sie doch so lieb! – Es ist wohl der Wein! Die Hitze. Und der viele Wein!« »Gegen Wein hilft nur Wein,« lachte Modigisel. »He, Sklaven, bringt Bakchos einen zweiten Okeanos.« Alsbald that Thrasarich einen tiefen Zug.

»Nun?« flüsterte Modigisel. »Ich gebe dir als Zuwage zu Astarte meinen ganzen Fischteich voll Muränen neben der Königsvilla bei Grasse für –« »Bin kein Fresser,« erwiderte Thrasarich unwillig. »Ich lege dazu meine Säulenvilla in Decimum: ich habe sie zwar Astarte vermacht: – aber die willigt ein. Nicht?« – Astarte nickte schweigend. Ihre Nüstern flogen.

Thrasarich schüttelte das zottige Haupt. »Ich habe mehr Villen als ich je bewohnen kann. – Horch, ein Tubaruf! Sollte das Wettrennen beginnen? He, Brüderlein! Er ist nicht da. Pferde – Wein – und Würfel – das sind die drei höchsten Güter. Ich gäbe meiner Seelen Seligkeit für das beste Pferd der Welt. Aber« – und er trank wieder gewaltig – »das beste Pferd! Es ist mir entgangen. Durch meine Thorheit. Zehn Eugenien gäb' ich drum.«

Da legte Astarte einen eiskalten Finger leise auf Modigisels nackten Arm: er sah auf: sie hauchte ein Wort und erfreut, überrascht nickte ihr Modigisel zu. »Das beste Pferd? Wie heißt es? Und wie ist dir's entgangen?«

»Es heißt – sein maurischer Name ist nicht auszusprechen; er besteht aus lauter ch! – Wir haben es genannt: Styx. Und es ist ein dreijähriger Rapphengst spanischen Bluts, mit maurischer Mischung, in Kyrene gezogen. Kürzlich, da der wackere König so eifrig die Rüstungen begann, ward den Mauren verkündet, wir Edelinge brauchten treffliche Pferde. Da kam unter vielen andern auch des greisen Häuptlings Kabaon Enkel, Sersaon, nach Karthago: der zog von je von den besten Rossen die allerbesten.« »Man kennt sie! Jawohl!« bestätigten die Vandalen. »Von den allerbesten aber war die Perle Styx, der Rapphengst! Ich mag ihn nicht schildern, sonst wein' ich vor Zorn, daß er mir entging. Der Maure, der ihn ritt, fast ein Knabe noch, sagte, er sei gar nicht feil. Da ich ihn gierig drängte, forderte er – hohngrinsend – einen unmöglichen Preis, den niemand – bei gesunden Sinnen – zahlt: unvernünftig viele Pfund Gold: ich hab's vergessen, wie viele! Ich lachte ihm ins Gesicht. Dann sah ich nochmal auf das herrliche Tier und – befahl dem Sklaven, das Gold zu holen. Alsbald gab ich den Lederbeutel dem Mauren in die Hand: es war im offenen Hofe meines Hauses an dem Forum des Constantin: viele andre Rosse standen daneben: einige unsrer Lanzenreiter saßen im Sattel und sahen der Musterung der vorgeführten Rosse zu. Da, nachdem ich den Handel abgeschlossen, sagte ich mit einem Seufzer zu meinem Bruder: ›Höre, es ist doch Schade um das Gold! Das Tier ist's doch kaum wert.‹

›'s ist mehr wert! Das sollst du sehen!‹ schrie der freche Maure, sprang auf den Rappen und jagte zum Hofthor hinaus: – den Beutel aber behielt er in der Faust.«

»Das ist stark,« meinte Modigisel. – »Diese Keckheit empörte uns alle. Sofort setzten wir ihm nach – alle – wir waren wohl zwanzig – unsere besten Rosse und Reiter, – auch auf den eben gekauften trefflichen maurischen Gäulen. An der Straßenecke war er noch so nah, daß Thrasabad ihm den Wurfspeer nachwarf: aber vergebens! Obwohl auf unser Geschrei aus allen Quergassen die Leute herbeiströmten, ihn in der Hauptstraße zu hemmen: – da war kein Halten! Die Wache am Südthor ward merksam: sie sprangen ins Thor – sie wollten die Flügel zuwerfen, – warfen sie auch zu – aber schon war das herrliche Tier wie ein Pfeil hindurchgefahren. Wir verfolgten noch eine halbe Stunde: – da hatte es solchen Vorsprung, daß wir es kaum mehr in der Ferne sahen wie einen im Wüstensande verschwindenden Strauß. – Zornig, laut scheltend über den treulosen Mauren, ritten wir langsam heim auf unsern bis zum Umfallen erschöpften Rossen. – Als wir nach Hause kamen, – stand der Maure in meinem Hof, auf den Rappen gelehnt – er war zum Westthor wieder hereingeritten – warf mir das Gold vor die Füße und sprach: ›Kennst du nun des edlen Tieres Wert? Behalte dein Gold! Es ist mir nicht mehr feil!‹ – Und ritt stolz und langsam davon. So verlor ich Styx, das beste Roß der Erde! – Ha, ist das ein Blendwerk? Oder ist's der schwere Wein? – Da unten – – in der Arena – neben den andern Rennpferden . . . –?«

»Steht Styx,« sagte Astarte ruhig. »Wem gehört das Kleinod?« schrie Thrasarich außer sich. »Mir,« erwiderte Modigisel. »Du hast ihn gekauft?« – »Nein. Bei dem letzten Streifzug ward das Tier mit Kamelen und mit andern Rossen erbeutet.« »Aber doch nicht von dir?« brüllte Thrasarich. »Du bliebst ja, wie gewöhnlich, in Astartes breitem Schatten zu Hause.« – »Aber ich stellte dreißig Söldner als Ersatz: die fingen das angebundene Tier in dem Lager der Mauren, und was der Söldner fängt . . . –«. »Ist seines Soldherrn,« bestätigte Thrasabad, der wieder in die Loge getreten war. »Also – dir – dir – gehört – dies Wunder?« rief Thrasarich, in höchstem Neid. »Ja und – dir – sobald du willst.« Thrasarich stürzte einen tiefen Becher hinab. »Nein! Nein!« sagte er, »wenigstens nicht so, – nicht mit meinem Willen! Ist sie doch frei, keine Sklavin, die ich verschenken könnte: – selbst wenn ich jemals wollte.« – »Gieb nur dein Recht auf sie auf. Leicht findet sich – für Geld – ein Nichtigkeitsgrund der Ehe.« »Sie ist katholisch, er Arianer,« flüsterte Astarte. »Jawohl! Das genügt schon! Und dann laß mich nur gewähren –: nicht immer kann Gelimer ihren Entführer niederschlagen.« – »Nein! – Schweige! Nicht so! – Aber – würfeln könnte man! – Dann hätten es die Würfel gethan, der Zufall – nicht ich! Ah, ich kann, ich kann – nicht mehr denken! Werfe ich mehr, behält jeder was er hat, – werfe ich weniger, – so will ich – Nein! Nein! Ich will nicht! – Laßt mich doch schlafen!« Und weinmüde senkte er, trotz des Lärms um ihn her, das mächtige rosenbekränzte Haupt auf beide Arme nieder, die er auf der Marmorbrüstung übereinanderlegte.

Modigisel und Astarte tauschten einverstandene Blicke. »Was hast du für Vorteil dabei?« fragte Modigisel. »Gegen dich tauscht er nicht: – nur etwa gegen das Roß.« – »Sie – das Nonnengesicht! – soll ihn aber nicht haben! Und meine Zeit kommt später.« – »Wenn ich dich frei gebe aus meinem Patronat.« – »Du wirst!« – »Weiß noch nicht!« – »O ja, du wirst!« schmeichelte sie. Aber sie bog dabei wieder den Kopf zurück und drückte die Augen zusammen.


Nach kurzem Schlaf ward der Bräutigam wach gerüttelt durch seinen Bruder. »Auf,« rief dieser, »Eugenia ist zurück. Laß sie auf ihren Platz, –« – »Eugenia! – Ich habe sie nicht verwürfelt! Ich will das Roß nicht! – Ich habe nichts versprochen . . . –«

Tief erschrocken fuhr er zusammen: denn Eugenia stand, neben der Ionerin, vor ihm: die großen, tief dunkelbraunen Augen, deren Weiß leicht blau angehaucht war, drangen forschend, ahnend, angstvoll tief in seine Seele. Aber sie schwieg: – nur noch bleicher ward sie als sie immer war. Wieviel hatte sie vernommen –, verstanden? fragte er sich.

Die Sklavin Thrasabads wich ihr – demütig – aus. »Ich danke dir, Aphrodite.« – »O nenne mich nicht mit diesem Namen des Spottes, der Schmach! – Nenne mich – wie die lieben Eltern daheim bevor ich geraubt – eine Beute, – eine Ware ward.« – »Ich danke dir, Glauke.« »Das Rennen kommt nicht zu stande,« klagte Thrasabad, dem ein Freigelassener soeben eine Meldung hinterbracht hatte. »Warum nicht?«

»Weil keiner gegen den Rappen wetten will, den Modigisel zuletzt noch angemeldet hat. Es ist der Styx, du kennst ihn!« »Ja, ich kenne ihn! – Ich habe nichts versprochen gehabt, nicht wahr, Modigisel?« fragte er hastig und leise. »Doch! Gewiß! Zu würfeln! Erinnre dich!« – »Unmöglich!« – »Du sagtest: Werfe ich mehr, behält jeder, was er hat, werfe ich weniger –« – »O Gott! Ja! – Es ist nichts, meine Kleine! Achte nicht auf mich.« Er wandte sich nun Modigisel zu: »Gieb mir mein Wort zurück!« flüsterte er. »Niemals.« »Du kannst es ja brechen!« höhnte Astarte. »Schlange!« rief er, und hob die Faust; aber er faßte sich, und nun wandte sich der gewaltige Riese, hilflos, wie ein ins Netz verstrickter Bär, flehend an Modigisel: »Erlaß mir's!«

Aber dieser schüttelte den Kopf. »Ich ziehe den Rappen zurück vom Wettlauf,« sprach er laut zu Thrasabad. »Mir genügt der Ruhm, daß keiner es mit ihm wagt.« – »So kann das Rennen stattfinden! Aber – am Schluß! Vorher zwei Überraschungen, die ich euch an anderem Ort vorbereitet habe. Komm, Glauke, – deine Hand! – Auf: erhebt euch! Folgt mir alle, ihr Gäste Thrasarichs, folgt mir –: in das Amphitheater.«

 


 


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