Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Am dritten Tage hierauf, in früher Morgenstunde, saßen in einem der Frauengemächer des Palastes Hilde und Eugenia, ihre Schutzbefohlene, traulich beisammen in eifrigem Gespräch und in fleißiger Arbeit.

Die nicht breiten, aber hohen Bogenfenster gewährten den Blick in den großen viereckigen Hof des Palatiums, in welchem ein lebhaftes kriegerisches Treiben wogte. In einem Theil des weiten Raumes wurden neu in Karthago angelangte vandalische Heerbannleute in Zehnschaften und Hundertschaften gegliedert; in einem andern schossen und warfen sie mit Bogen und Speeren nach Scheiben von Brettern, denen man in Höhe, Breite und Anstrich ungefähre Ähnlichkeit mit byzantinischen Kriegern in vollen Schutzwaffen gegeben hatte; eine besondere längliche Umfriedung diente der Musterung von Pferden, auch von Kamelen, die maurische Verkäufer feil boten. Der König, Gibamund, die Gundinge hatten bald bei dieser, bald bei jener Gruppe zu schaffen.

Hilde saß auf Polstern, von welchen aus die Hochgewachsene, sah sie von der Arbeit auf, ohne Mühe den ganzen Hof zu überblicken vermochte. Und gar oft ließ sie die Nadel ruhen, mit welcher sie an einem mächtigen Stück scharlachroten Wolltuches arbeitete, das zwischen den beiden Frauen, beider Kniee bedeckend, ausgebreitet lag. Dann flog ein leuchtender Blick hinab auf die edle Gestalt des schlanken Gemahls: und erfaßte er diesen Blick – nur wenige ließ er sich entgehen – und winkte er herauf, dann schoß freudige Glut holder Scham, süßen Glückes in die Wangen des jungen Weibes. Hilde bemerkte, daß die Kleine wiederholt den zierlichen Hals gereckt hatte, auch einen Blick in den Hof zu werfen. Aber es war ihr nicht gelungen. Sie saß zu tief unter der Brüstung des Fensters: und jetzt, als sie sich, bei abermaligem Versuch, von Hildes Auge getroffen fand, errötete sie noch viel stärker vor Schreck und Scham als vorhin jene.

»Du bist nun fertig mit dem untern Saum,« sprach Hilde freundlich. »Schiebe dir doch das Kissen dort höher zurecht, auf den Schemel! Du mußt jetzt – der Arbeit wegen – höher sitzen.« Eifrig, eilfertig gehorchte die Griechin und rasch flog nun ihr Blick verstohlen in den Hof. Aber traurig senkten sich die langen Wimpern wieder und hastiger als zuvor zog sie die Nadel mit dem Goldfaden durch das rote Tuch. »Bald trifft nun,« sprach Hilde, »neue Hundertschaften die Reihe. Dann kommen wohl auch andre Führer in den Hof.« –

Eugenie schwieg: aber ihre Miene erheiterte sich.

»Du warst so emsig,« fuhr Hilde fort, »daß wir bald fertig sind. Die Abendsonne wird Geiserichs alte Heerfahne verjüngt vom Dache des Palastes flattern sehen. Der goldne Drache ist nun gleich wieder geflickt.« – »Nur der eine Flügel ist noch ausgefasert und die Krallen an den Pranken . . . –« »Sie waren ihm wohl stumpf geworden,« lächelte Hilde, »in den langen Friedensjahren, da das Banner müßig in der Rüstkammer lag.« – »Es gab doch häufig Kämpfe mit den Mauren.« – »Ja, aber wegen dieser kleinen Gefechte ward Geiserichs alte Siegesfahne nicht aufgerüttelt aus ihren stolzen Träumen. Nur kleine Reiterfähnlein führten unsre Scharen und das hehre Kriegszeichen ward nicht aufgesteckt auf dem Palast. Jedoch jetzt, da uns das Kaiserreich bedroht, befahl Gelimer, der alten Sitte folgend, die große Fahne aufzuziehen am Dach. Mein Gibamund brachte sie mir, die aufgegangene Stickerei mit neuem Gold zu ersetzen.« – »Wir wären schon fertig, hättest du nicht dem Saum entlang, halb versteckt, jene ganz kleinen seltsamen Zeichen . . . –« »Still,« flüsterte Hilde lächelnd, »daß Er nichts davon erfährt.« – »Wer?« – »Nun, der fromme König! Ach, wir werden uns nie verstehn und nie vertragen.« – »Weshalb soll er nicht davon wissen?« – »Siegrunen sind es, uralte, unseres Volks. Mein Ahnherr Hildebrand hat sie mich gelehrt. Und wer weiß, – ob sie nicht helfen?« Damit strich sie glättend, zärtlich liebkosend, über die Arbeit hin und summte leise:

»Altehrwürdige,
Ruhmreiche Runen,
Seligen Sieges
Zaubernde Zeichen, –
Wallet und wogt
Mit der flatternden Fahne
Hoch uns zu Häupten!
Rufet die raschen,
Die Holden herbei,
Die mutigen Maide,
Daß sie schweben wie Schwäne
Hoch uns zu Häupten,
Ja, Siegsendende,
Schimmernde Schwestern,
Fesseln fügt für die Feinde,
Hemmet ihr Heer,
Schwächt ihre Schwerter,
Ihre Speere zerspellt,
Ihre Schilde zerschellt,
Ihre Brünnen brecht,
Ihre Helme zerhackt! –
Aber den Unsern
Sendet den Sieg:
Frohes Verfolgen,
Jauchzendes Jagen
Auf raschen Rossen
Hinter den Haufen
Flüchtiger Feinde!«

»So! – Den Amalungen hat er oft geholfen, der alte Spruch: warum soll er den Asdingen versagen? – Eia, nun mag der Drache wieder fliegen! – Er hat gemausert,« lachte sie fröhlich – »nun wuchsen die Schwingen ihm neu.« Sie sprang auf, erhob den langen schweren, in eine scharfe Spitze auslaufenden Schaft, an den mit goldköpfigen Nägeln das viereckige scharlachrote Tuch geheftet war, und schwang mit beiden Händen das Banner freudig um ihr Haupt. Es war ein schöner Anblick: Gibamund und viele Krieger sahen von unten das fliegende Banner schwingen und den herrlichen Frauenkopf von goldhellem Haar umflutet: »Heil Hilde, Heil!« scholl es brausend empor. Ganz erschrocken kniete Hilde nieder, so rasch sie konnte, sich den Blicken zu entziehen. Aber sie hatte seine Stimme gut erkannt: drum lächelte sie, glücklich in ihrer Beschämung. Sie war sehr reizend in dieser Verwirrung.

Das mochte Eugenie fühlen: plötzlich glitt sie neben die Fürstin hin und bedeckte ihr die Hände und die schönen, weißen, vollen Arme mit heißen Küssen. »O Herrin, wie bist du herrlich! Oft schau' ich mit Scheu zu dir empor. Wann so gewaltig dein Auge blitzt, – wann du, Pallas Athene vergleichbar, von Schlacht und Heldentum begeistert redest, dann beschleicht mich Furcht oder doch Ehrfurcht und bannt mich dir fern. Aber dann wieder, wann ich, wie so oft in diesen Tagen, dein süß verschämtes Glück, deine Liebe sah und deine hingegebene Weichheit, und wie du, so ganz nur ein liebend, ach ein geliebtes! seliges Weib in deinem Gatten einzig – dienend – lebst, – dann, o dann – schilt nicht meine Überhebung! – dann fühl' ich mich dir nah, verwandt wie, wie . . .« – »Wie eine Schwester, meine Eugenia,« ergänzte Hilde und drückte die Anmutige zärtlich an den Busen. – »Glaube mir: es schließt sich nicht aus, tapfres todmutiges Heldentum und treueste, zarteste Weibesliebe zu dem Einen, dem Geliebten. Oft stritt ich darüber mit der Allerschönsten, welche die Erde trägt.« »Wer ist das wohl?« forschte die Kleine, nicht ohne Zweifel: denn wie sollte eine schöner sein als Hilde? »Das ist Mataswintha, des großen Theoderich Enkelin, drüben im lorbeerbuschigen Garten zu Ravenna. Sie wäre mir Freundin geworden: – aber sie wollte nur von Liebe hören, nichts von Heldenschaft und Pflicht gegen Volk und Reich. Sie kennt nur Ein Recht und Eine Pflicht: die Liebe. Das schied uns scharf und streng! – Aber wie rührend beides sich einen mag, – eine alte, gar schöne Sage weiß davon zu rühmen. Teja, mein edler Freund, sang dem Ahn und mir ein Lied davon zur Harfe in wunderbar traurigen und doch so stolzen Weisen: – ach, wie nur Teja singen kann! Ich werde dir's übertragen in deine Sprache. Komm, laß uns hier an der Ecke den goldnen Saum noch nachbessern: – dabei erzähl' ich dir.«

Wieder ließen sich beide am offenen Fenster nieder: – wieder flog Eugeniens Blick oft, aber ohne zu finden, über den Hof und während sie eifrig stickten, hob die Fürstin an: »Im Uralter war es: als Adler kreischten, heilige Wasser rannen von Himmelsbergen. Da ward ferne, fern von hier, in Thuleland auf Skadinaue, ein edler Held geboren aus Wölsungengeschlecht. Der hieß Helgi und hatte nicht seinesgleichen. Und da er nach großen Siegen über die Hundinge, seines Hauses alte Feinde, müde ruhte, im Föhrenwald, auf einem Stein: – da brach Lichtglanz am Himmel hervor und aus dem Glanze schossen Wetterstrahlen wie leuchtende Lanzen und aus den Wolken nieder ritten Walküren, das sind – nach unsrer Ahnen wunderschönem Glauben – Heldenjungfrauen, welche die Geschicke der Schlacht entscheiden und die Gefallenen emportragen in des Siegesgottes schildgetäfelte Himmelshalle. – In Helmen ritten sie und in Brünnen: und auf den Spitzen ihrer Speere loderten Flammen. Und eine von ihnen, Sigrun, kam zu dem Einsamen auf dem Steine, griff seine Hand, grüßte und küßte ihn unter dem Helme. Und sie liebten sich sehr.

Aber Sigrun war von ihrem Vater einem andern verlobt und Helgi mußte in schwerer Schlacht um die Geliebte kämpfen. Und erschlug wie ihren Verlobten so ihren Vater und all ihre Brüder bis auf einen. Und Sigrun selbst, in Wolken schwebend, hatte ihm den Sieg gegeben und ward sein Weib, obwohl er ihr Vater und Brüder erschlagen. Bald aber ward von dem einen Bruder, den er geschont hatte, Helgi, der teure Held, ermordet. Wohl bot der Bruder der Witwe Buße: sie aber fluchte ihm und sprach: »Nicht schreite das Schiff, das dich trägt, obwohl es im Fahrwinde zieht. Nicht renne das Roß, das dich trägt, wann du fliehst vor deinen Feinden! Nicht schneide das Schwert, das du schwingst, es sause denn dir selber ums Haupt. Friedlos sollst du leben wie im Walde der Wolf.« Und verschmähte allen Trost und raufte ihr Haar. Und sprach: »Wehe der Witwe, die Trost annimmt. Nicht wußte sie jemals von Liebe! Denn Liebe ist ewig. Wehe dem Weibe, das den Gatten verlor: ihr Herz ist verödet. Was soll sie noch leben?«

Da wiederholte Eugenia leise für sich die Worte: »Und raufte ihr Haar. Und sprach: Wehe der Witwe, die Trost annimmt. Nicht wußte sie jemals von Liebe! Denn Liebe ist ewig. Wehe dem Weibe, das den Gatten verlor: ihr Herz ist verödet. Was soll sie noch leben?«

»Wie Edelesche über Distel und Dorn ragte Helgi über alle Helden. Für die Witwe taugt nur Ein Ort auf Erden: ihres Gatten Grab. Und Freude nicht findet Sigrun mehr auf Erden, es bräche denn ein Glanz aus der Pforte seines Hügelgrabes und ich könnte ihn wieder umfangen. Und so mächtig, so allbezwingend ist der echten Witwe Sehnen, – es bricht den Bann des Todes sogar. Am Abend kam eine Magd zu Sigrun gelaufen und sprach: »Eile hinaus, verlangt es dich den Gatten wieder zu haben. Siehe, – aufgethan hat sich der Hügel, ein Glanz brach daraus hervor: von des Siegesgottes Himmel hat dein Sehnen den Helden herabgezwungen: er sitzt in dem Hügel: er bittet dich, ihm die träufenden Wunden zu stillen.«

Und Eugenia wiederholte mit leiser, bebender Stimme: »Der echten Witwe Sehnen, – es bricht den Bann des Todes sogar.«

»Sigrun aber ging in den Totenhügel zu Helgi, küßte ihn, trocknete seine Wunden und sprach: »Dein Haar ist durchnäßt, mit Blut bist du bedeckt, deine Hände sind feuchtkalt – wie soll ich Abhilfe schaffen?« »Du allein bist schuld,« antwortete er. »Du weintest so viele Zähren: und jede fiel blutig auf Helgis Brust.« Da rief sie: »Ich will nicht mehr weinen, ich will dir am Herzen ruhen, wie ich es dir im Leben gethan.« Da jauchzte Helgi: »Nun weilst du im Hügel bei mir, den Entseelten im Arm und bist dennoch lebendig.«

»Nun weilst du im Hügel, den Entseelten im Arm, und bist dennoch lebendig,« wiederholte Eugenia.

»Aber die Sage singt, daß, als auch Sigrun gestorben, beide wiedergeboren wurden: er ein siegreicher Held, sie aber eine Walküre. Das ist das Lied, wie echte Weibesliebe, wie echter Witwenschmerz den Tod besiegt und in allmächtigem Sehnen bis ins Grab zu dem Geliebten dringt.«

»Und in allmächtigem Sehnen bis ins Grab zu dem Geliebten dringt.«

Hilde sah plötzlich auf. »Kind, was ist dir?« In solche Begeisterung hatte sie sich gesprochen, daß sie zuletzt der Hörerin nicht mehr geachtet. Jetzt aber hörte sie leises Schluchzen und bestürzt sah sie die Griechin am Boden knieend, vornübergebeugt, auf dem Schemel das holde Haupt in beiden Händen bergend: durch die schmalen Finger drangen Thränen. »Eugenia!« – »O Hilde, es ist so schön. Es muß so selig sein, geliebt zu sein! Und selig auch ist es, lieben bis in den Tod! O selige Hilde Gibamunds! O selige Sigrun Helgis! O wie weh und wohl zugleich thut dieses Lied dem Herzen! Wie schön – und ach wie wahr! – ist's, daß es die Liebende zwingend, allüberwindend zu dem Geliebten zieht in seinen Hügel, an des Toten Brust. Vereint im Tod, wenn nicht im Leben mehr, das ist ein Zwang, der stärker zieht als Zauber und Magnet!« – »O Schwester! So mächtig, so heiß, so – wirklich – liebt dies zarte Herz? Sprich endlich! Nicht ein Wort in diesen Tagen hast du . . . –« »Ich konnte nicht! Ich schämte mich so sehr, für mich – und ach! für ihn! Und ich darf ja nicht von meiner Liebe reden! Es ist ja Schmach und Schande. Denn er, mein Bräutigam, nein – mein Gatte! – er liebt mich ja nicht!« – »Gewiß liebt er dich! Weshalb sonst hätte der Unbändige gar demütig um dich geworben?« – »Ach, ich weiß es nicht! Hundertmal in diesen Tagen hab' ich mich selber das gefragt. Ich weiß es nicht! Freilich wähnte ich bis . . . vorgestern: – aus Liebe. – Und manchmal glaubt das noch dies thörichte Herz. Aber – nein! Liebe war es nicht! Laune! Langweile! Vielleicht« – und sie zitterte nun zornig – »eine Wette. Ein Spiel, das er gewinnen wollte und das ihn nicht mehr reizte, nachdem's gewonnen war.« – »Nein, mein Täubelein! Des ist Thrasarich nicht fähig.« »O ja, o ja!« schluchzte sie verzweifelt. »Er ist dessen fähig.« »Ich glaub' es nicht,« sagte die Fürstin, und sich zu ihr niedersetzend, hob sie die kleine Verlassene wie ein krankes Kind leicht auf ihren Schos und trocknete ihr mit dem Zipfel ihres eigenen weißen Mantels die feuchten Wangen, strich ihr mit beiden Händen über die heißen Augenlider und glättete das wirre Haar und drückte das kleine Köpflein tröstend an den wogenden Busen und wiegte sie leicht hin und her und sprach in beschwichtendem Tone: »Sieh, Kleine, es wird gewiß alles noch gut! Bald wieder gut! Denn er liebt dich! – Sicher!« Ein verhaltenes Schluchzen und ein ganz leises Schütteln des Köpfchens sagte: »Nein.« – »Sicher! Ich weiß nicht, – und ich will es nicht wissen! – was dir jene – jenes Weib ins Ohr gezischt. – Aber ich sah, wie es dich traf: wie ein vergifteter Pfeil. Was es auch sei . . . –« »Ich werd' es nie, nie, niemals sagen!« schrie die Kleine auf. – »Ich will's nicht wissen, sagt' ich dir. – Was auch seine Schuld sein mag, die Christen haben ein schönes Wort: »Die Liebe duldet alles, – die Liebe entschuldigt alles . . .« »Die Liebe verzeiht alles!« hauchte Eugenia. »Aber freilich: nur die Liebe. Sage, Schwesterlein, liebst du ihn denn wirklich?« Da riß sich die Weinende los, sprang auf, breitete die Arme weit aus und leise rufend »Ach! Unsagbar!« warf sie sich wieder an der Freundin Brust. Nun strahlten, leuchtend durch die Thränen, die großen, sanften Augen. »Sieh,« fuhr sie leise flüsternd fort, als ob Fremde, als ob Männer sie vernehmen könnten in dem einsamen Gemach. »Sieh, das ist ja mein süßes Geheimnis: – das Geheimnis meiner Schmach,« lächelte sie selig. »Längst liebt' ich ihn! Ich glaube, schon als Kind, wann er zum Vater kam und das Getreide seiner Villen ihm verkaufte und mich wie eine Feder auf seine Arme hob und auf seine Hände stellte, bis ich mir's – allmählich – verbat. Und je älter ich ward, desto heißer liebt' ich – und desto scheuer mied ich ihn. Ach, – schweige davon, solange du lebst! – als er mich ergriff, auf offener Straße raubte, – so wild mein Zorn, meine Ehre sich empörten, so schmerzlich Mitleid mit dem Vater mich zerriß – doch – doch – doch! – Während ich mich verzweifelnd wand in seinen ehernen Armen, um Hilfe schrie – doch! Mitten durch all den Todesschreck und Zorn loderte mir, hier, im Herzen, ganz heimlich, ein selig, ein heißes, ein wonniges Gefühl: ›er liebt mich, aus Liebe quält er mich.‹ – Und glücklich, ja stolz, war ich mitten in dem wilden Weh, daß er so kühnen Frevel wagte aus Liebe zu mir! – Kannst du das verstehen, verzeihen?«

Lieblich lächelte Hilde: »Verzeihen? Nein! Denn ich bin ganz erstaunt vor lauter Freude! – Verzeih du mir, Kleine. Ich hatte dir nicht so viel zugetraut – von echter, heißer Weibesliebe. Aber du eigensinniger, kleiner Trotzkopf, du heuchlerischer –: warum hast du denn hinterher dein Gefühl ihm und deinem Vater und deiner Freundin so lange, so hartnäckig verheimlicht, abgeleugnet?« – »Warum? Nun das ist doch klar,« rief die Kleine ganz unwillig. »Vor lauter Scham- und Schmachgefühl! Es ist ja doch fürchterlich, – es ist ja eine schreckliche Schande, wenn ein junges Mädchen den Mann, der sie auf offnem Markt gestohlen – und dabei sogar geküßt hat! – anstatt ihn deshalb für ewig zu hassen statt dessen nun erst recht lieb hat. Es ist ja ganz abscheulich!« Und sie barg halb weinend, halb lächelnd das verschämte Haupt an der Freundin Brust. Und zärtlich küßte sie ein kleines goldnes Kreuz, das sie an silbernem Kettlein um den Hals trug, und zärtlich drückte sie an den Busen einen Halbring von Bronze, mit Runen geritzt, den sie am Arme trug. »Sein Verlobungs- und ach! sein Hochzeitsgeschenk,« seufzte sie.

»Ja, du liebst ihn,« lächelte Hilde, »sehr! Und er? Er war dankbar wie ein Blinder, den man sehend macht, als ich ihm den sehr einfachen Rat gab, – er hatte meinen Gibamund zu mir geschickt mit häufiger Botschaft seiner Schmerzen! – als ich ihm sagen ließ: er sei zwar dein sehr unwert, aber wenn er dich haben wolle, solle er dich eben fragen, ob du ihn haben wollest? Und dann bei deinem Vater recht schön um dich bitten. Über diese – naheliegende! – Weisheit war er selig wie ein Kind. Und that danach. – Und nun . . . –« »Und nun?« unterbrach Eugenia in fast drolligem Zorn. »Nun hat er sich bald drei Tage lang gar nicht sehen lassen. Wer weiß, wie weit er ist.« »Nicht sehr weit,« lachte Hilde: »da unten tritt er eben in den Hof.« Pfeilschnell war Eugeniens Köpflein an der Fensterbrüstung. Ein halb erstickter Ton des Jubels brach aus ihrer Brust: – sofort duckte sie sich nieder. »Ei, ei, wie prachtvoll sieht er aus!« rief Hilde mit freudigster Überraschung die Hände zusammenschlagend. »In vollem, schwerem Waffenschmuck! Ein gewaltiges Bärenhaupt mit gähnendem Rachen über der Sturmhaube . . . –«

»So? Ja! Er hat ihn selbst erlegt am Aurasberg,« flüsterte die Kleine. – »Und wie wallt ihm das Fell um die mächtigen Schultern! Und einen Speer trägt er, dick wie ein junger Baum. Und auf dem Schild – welch' Zeichen? Ein Hammer ist's von Stein.« »Ja, ja,« fiel die Kleine eifrig ein, sacht emporrückend bis an die Fensterbrüstung, »das ist seine Hausmarke. Seine Sippe stammt, nach altem Glauben, von einem rotbärtigen Hammerdämon: – den Namen weiß ich nicht mehr . . . –« »Was Dämon!« rief Hilde. »Gott Donar ist sein Ahn und der Enkel macht ihm heute Ehre.«

»Er spricht mit Gibamund,« meldete die Freundin weiter. »Sie schauen hierher: – er grüßt mich! Oh guter Gott, aber wie bleich, wie sterbenstraurig sieht der arme Riese aus.« – »Ist's wahr?« und das braune Köpfchen schnellte in die Höhe. »Ducke dich, Kleine! Er soll's doch nicht merken, daß wir's vor Sehnsucht noch viel weniger aushalten können als er. Mein Gatte winkt mir: – er kommt herauf: – Thrasarich scheint ihm zu folgen.«

Da war Eugenia schon in dem Seitengemach verschwunden.

 


 


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