Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Zwölftes Kapitel.

An dem Südufer dieses dicht umbuschten Gewässers, gegenüber dem zierlich mit Marmorplatten ausgelegten Hafen, in welchen es am Nordende auslief, waren hohe Brettergerüste, verhangen mit kostbaren, bunten Decken, errichtet, für besonders geladene Gäste, die doch nach Hunderten zählten; für die Vornehmsten war gewahrt ein weit in den See vorspringender, mit Purpurseide ausgelegter Balkon.

Jetzt ward plötzlich das Halbdunkel des sanften Mondlichts, das über der spiegelglatten Flut des Sees lagerte, in taghelles, grellrotes Licht verwandelt, das minutenlang anhielt. Als es erlosch, flammte blaues, dann grünes Licht empor, das, wie die Gruppen der Zuschauer an den Ufern und die weißen Marmorgebäude in der Ferne und die Statuen in den Gebüschen, so vor allem die Fläche des Sees selbst strahlend beleuchtete und das reiche, überraschende Schauspiel, das sich hier darwies.

Aus dem Hafen, hinter dessen hohen Mauern sie bis dahin verborgen gelegen, glitt, unter Flötenklang und Cymbelschall, hervor eine ganze Flottille von Nachen, Kähnen, Gondeln jeder Art: zehn, zwanzig – schon waren es vierzig Schiffe, phantastisch gestaltet, bald als Delphin, als Hai, als riesige Wasservögel, häufig als Drachen, das »Fahnen-Tier« der Vandalen. Maste, Rahen, Segel, der spitzauslaufende hohe Schiffsschnabel wie das breit ausgeschweifte Steuer, ja sogar die oberen Teile der Ruderstangen waren, fast bis zu völliger Verhüllung, umflochten, umkränzt, umschlungen von Blumengewinden, von bunten breiten Bändern, auch von goldenen und silbernen Fransen; prachtvolle Teppiche, das ganze durch kostbares Holzgetäfel wagerecht geebnete Deck überziehend, senkten sich am Steuer in das Wasser und fluteten hier dem Schiffe, weit, weit nachschwimmend, nach. – –

Auf dem Deck jedes Fahrzeugs ruhten malerisch hingestreckt, unter dem Mast oder an dem Steuer, auf mehreren Stufen, von einer beherrschenden Gruppe überhöht, vandalische Männer und Jünglinge in abenteuerlichen, manchmal auch bestimmten Nationen nachgebildeten Trachten, an der Seite von jungen Mädchen, auch wohl von schönen Knaben. Das blonde oder rote Gelock der Vandalen floß nieder auf manchen tief braunfarbenen Mädchennacken, mischte sich mit gar manchem schwarzen Haar. Musik erscholl von jedem Schiff; geschäftige Sklaven oder Sklavinnen, – Weiße, gelbe Mauren, Neger – schenkten ungemischten Wein aus schöngehenkelten Krügen, die sie auch bei heftigem Schwanken der Nachen, ohne zu verschütten und ohne den Schein angestrengter Mühung, auf dem Kopfe trugen, nur mit einer Hand manchmal hinzugreifend. So glitten die bunten Gondeln über den rotbeleuchteten See dahin. Plötzlich aber öffnete sich ihre Mitte und daraus hervor schoß, wie es schien, ohne Ruder fortbewegt – die Rudersklaven waren unter Deck verborgen – das große, alle andern Fahrzeuge an phantastischer, verschwenderischer Pracht überstrahlende Hochzeitschiff. Gezogen ward es – scheinbar – nur von acht mächtigen Schwänen, die paarweise mit goldenen Kettchen an dem Ansatz ihres Halsbuges quer miteinander und, durch die gewölbten Schwingen hindurch, mit dem nächstfolgenden Paare verknüpft waren. Die prachtvollen, sorgfältig hierzu abgerichteten Tiere zogen, ohne auf den Lärm und das Licht um sie her zu achten, in majestätischer Ruhe pfeilgerade auf die Balustrade am Südende zu. Aus dem fußhoch mit roten Rosen bestreuten Deck war um den Mastbaum herum eine offene Laube von natürlichen Reben geschmiegt. In derselben lag, das dickzottige leuchtende Rothaar von Weinlaub und – sehr geschmacklos! – von roten Rosen bekränzt und ein Pantherfell um den Oberleib geworfen, eine Purpurschürze um die Lenden gebunden, einen Thyrsosstab in der mächtigen, aber schlaff herabhängenden Rechten, der riesenhafte, fast sieben Fuß große Bräutigam und, an seine breite, gewaltige Brust geschmiegt, eine überaus feine, schmächtige, fast noch kindliche Mädchengestalt von zierlichstem, fast allzu zierlichem Gliederbau. Das Antlitz konnte man nicht sehen: sie hatten der verlassenen Ariadne – höchst stilwidrig! – den römischen Brautschleier auf dem Haar befestigt; auch schien das Kind verschreckt durch all' den Lärm: verschüchtert versteckte es, sich immer wieder anduckend, das Köpflein unter dem Pantherfell und an der Brust des Riesen; manchmal freilich suchte die Kleine scheu sein Auge, verstohlen, rasch zu ihm aufblickend; aber er sah es nicht.

Denn ein nackter Knabe von etwa zwölf Jahren, goldene Flügel an den Schultern, Bogen und Köcher an goldenem Band auf den Rücken geschnürt, schenkte unermüdlich dem Bräutigam eine ganz unglaublich große Trinkschale voll: der schien sich durch sein Kostüm für verpflichtet zu halten, stets gleich wieder auszutrinken: das zog ihn nun mehr als löblich von seiner Braut ab. Auf einem Pfühl, etwas oberhalb des Brautpaares, lag, das edle Haupt und das einfach in einen griechischen Knoten geschlungene goldbraune Haar auf die offene linke Hand gelehnt, malerisch hingegossen, ein sehr schönes Mädchen von etwa achtzehn Jahren: unvergleichlich vornehmer, edler als jene karthagische Astarte war sie durch hellenische Formen, durch hellenisch-plastische Ruhe geadelt; zwei zahme weiße Tauben saßen auf ihrer rechten Schulter; sie trug ein weißes koisches Gewand, das bis unter die Kniee reichte, aber mehr Schmuck als Verhüllung zu bezwecken schien; doch ward das dünne Seidengespinst über den Hüften zusammengehalten durch einen schön gearbeiteten, halbschuhbreiten Goldgürtel, von dem eine phönikische Purpurschürze, mit reichen Goldquasten beschwert, herabhing; an den goldenen Sandalen waren von weißer und grauer steifer Seide »Meereswellen« angebracht, welche der »Schaumgebornen« bis an die feinen Knöchel reichten und an jedem derselben links und rechts zwei große weiße Perlen weithin sichtbar glänzen ließen.

Als das von Schwänen gezogene Schiff nun all' den vielen Tausenden von Zuschauern in volle Sicht kam, begrüßte das blendende Schaustück betäubender Zuruf. Sobald das Fahrzeug aus dem Halbdunkel in die blendende Helle glitt, suchte die Aphrodite hastig, rastlos, wie in Verzweiflung, sich zu verhüllen: – sie fand und erfaßte ein größeres grobes Segeltuch, das neben ihr lag und wickelte sich völlig darein.

»Wie barbarisch der ganze Aufzug!« flüsterte – aber sehr vorsichtig! – unter dem Gerüst, dem Hafen gegenüber, ein Römer dem andern in das Ohr in den rauhen Gurgeltönen des afrikanischen Vulgärlatein. »Das soll wohl Bakchos vorstellen, Nachbar Laurus?« – »Und Ariadne!« – »Die Aphrodite laß ich mir noch gefallen.« – »Ja, das glaub' ich, Freund Victor. Es ist die schöne Glauke, die Ionierin! Erst kürzlich von Seeräubern aus Milet entführt – guter Leute Kind soll sie sein – auf dem Hafenforum verkauft an Thrasabad, den Bruder des Bräutigams. Soviel wie zwei Landgüter soll sie gekostet haben!« – »Gar traurig schaut sie, unter gesenkten Wimpern, abwärts in den See.« – »Und doch soll ihr Käufer und Herr sie auf den Händen tragen und ganz vernarrt in sie sein.« – »Glaub's gern! Sie ist wunderschön – feierlich schön, möcht' ich sagen.« – »Aber dieser Bär aus Thule, dieser Büffelstier aus Skythenland ein Dionysos!« – »Mit diesen Elefantenknochen!« – »Mit diesem brandroten, zwei Spannen breiten Bart!« – »Den ließ er sich wohl nicht scheren und das zottige Vließ des Schädels, dürft' er dafür im Ernst der Gott werden.« – »Ja, ein vandalischer Edeling! Das dünkt sich höher als Götter und Heilige!« – »Und waren und sind doch nur Kuhdiebe und Land- und Seeräuber.« – »Sieh nur, da hat er über das Rebengeflecht um die Lenden – seinen breiten germanischen Schwertgurt geschnallt!« »Vielleicht gar aus Ehrbarkeit,« lachte der andere. »Und wirklich: da trägt Dionysos ein vandalisches Kurzschwert im Wehrgehäng.« – »Mir scheint, er schämt sich, der Barbar, ein nackter Gott zu sein!« »So hat er doch noch nicht alle Scham verloren!« rief, unwillig weiterschreitend, ein Mann, der das furchtsame Geflüster gleichwohl verstanden hatte. »Komm, Theudigisel!«

»Verstandest du das? Der da, der mit dem Speere, war's. Das klang nicht vandalisch!« – »Aber ganz ähnlich. Drüben, in Hispanien, reden sie so! Ich hörte es zu Hispalis.« – »Horch, welch Gebrüll auf den Schiffen!« – »Das soll nun ein Hymenaios sein, Victor! Des Bräutigams Bruder hat ihn gedichtet. Denn jetzt machen die barbarischen Edelinge lateinische und griechische Verse. Aber sie sind danach!« »Ja höre, Laurus,« lachte der andere, »du bist parteiisch: als Wettbewerber! Hast du doch seither, seit dein Ledergeschäft umschlug, vom Dichten gelebt, o Laure! Hochzeiten – Taufen – Leichen, dir war's gleich. Auch Vandalensiege über die Mauren hast du schon besungen und – daß Gott erbarm! – ›das tapfre Schwert König Hilderichs‹. Ja, für die Barbaren dichtest du sogar lieber, häufiger als für uns Römer.«

»Natürlich! Die Barbaren verstehen weniger, verlangen weniger und zahlen mehr! Aus dem gleichen Grunde, Freund Victor, mußt auch du in deinem Weinschank wünschen, daß die Vandalen Herrscher bleiben in Karthago.« – »Wieso? Du könntest es richtig getroffen haben!« – »Ei nun, die Barbaren verstehen von richtigem Wein so wenig wie von richtigen Versen.« – »Nur halb getroffen! Sie verstehen es wohl so ziemlich. Aber sie haben immer solchen Durst, daß sie auch den saueren Wein genießen und bezahlen – wie deine saueren Verse. Wehe uns, wenn wir keine dummen Barbaren mehr zu Abnehmern hätten! Wir müßten auf unsere alten Tage bessern Wein und bessere Verse liefern.«

»Bald sind die Schiffe da! Jetzt sieht man alles deutlich! Schau, die unermeßliche Trinkschale des Bräutigams, – kaum kann sie der kleine Amor tragen – sie kommt mir bekannt vor!«

»Ei freilich! Das ist ja der eherne Oceanus – die Riesenschale von dem Neptunus-Brunnen auf dem Forum: – größer als ein Kindskopf!« – »Richtig! Seit ein paar Tagen fehlte die Schale. Ja, die Germanen söffen den Ocean aus, wär' er voll Weines.« – »Und schau nur, – diese Centnergewichte von Gold, mit denen sie die arme Aphrodite behängt haben!« – »Lauter zusammengestohlenes, geplündertes, geraubtes Römergut. Sie kann sich kaum rühren unter ihrem Geschmeide!« – »Schamhaftigkeit, Victor, Schamgefühl! Außer Schmuck hat sie ja nicht viel am Leibe.« – »Nicht des armen Mädchens Schuld, so scheint es! Der Amor, der freche Bengel, hat ihr soeben das Segeltuch abgerissen und in den See geworfen. Sieh, ihre Qual! Schau, wie schämig sie sich zu bergen, zu decken sucht. Sie bittet die Braut: – sie weist auf das weiße große Seidentuch zu ihren Füßen.« – »Die kleine Ariadne nickt, sie hebt das Tuch auf – sie wirft es um die Schultern Aphroditens –. Wie dankt ihr deren Blick!« – »Gleich landen sie nun: – Mich dauert die arme Braut. Schmach und Schande! Sie ist eines freigebornen römischen Bürgers Kind, obzwar griechischen Ursprungs. Und der Vater« – »Wo steckt Eugenes? Ich seh ihn nicht auf dem Hochzeitsschiff.« – »Er hat sich doch wohl geschämt, sich bei der Opferung seines Kindes zu zeigen. Er ist lange vor der Hochzeit mit seinem sicilischen Gastfreund in Getreidegeschäften nach Utika gereist und gleich nach der Heimkehr geht er mit dem Syrakusaner nach Sicilien. – Es ist wirklich wie das alte Mädchenopfer, das die Athener dem Stier, dem Minotauros darbringen mußten. Er giebt Eugenia, Karthagos anmutvollstes, zierlichstes Kleinod, hin!« – »Man sagt aber: – sie wollte ihn! Sie liebte den roten Riesen. Und er ist nicht häßlich – er ist sogar schön.« – »Ein Barbar ist er. Fluch den Bar– . . . o Verzeihung, mein gnädigster Herr! Möge Sankt Cyprian dir langes Leben gewähren.« Hastig hatte er sich auf die Kniee geworfen vor einem halbtrunkenen Vandalen, der ihn schier über den Haufen gerannt und, ohne des Römers Existenz irgend zu beachten, sich schon weit nach vorn gedrängt hatte. »Aber, Laure! Der Barbar hatte ja dich getreten, nicht du ihn?« meinte Victor, dem Landsmann wieder auf die Beine helfend. – »Gleichviel! Sie sind gar flugs bei der Hand mit dem Kurzschwert, unsere Gebieter! O verschlänge sie alle der Orcus!«

 


 


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