Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Dreizehntes Kapitel.

Einstweilen hatten die Schiffe das Ufer erreicht: in breiter Auffahrt nebeneinander landeten sie, mit rauschender Musik von Pfeifen und Pauken von dem Balkon herab begrüßt. Alsbald warfen die Kähne von ihren Schnäbeln herab zierliche Falltrepplein, deren Holzwerk reich mit Teppichen bedeckt war. Sklaven streuten Blumen auf die Stufen: über diese hin stiegen das Brautpaar und die Gäste an das Land, während gleichzeitig, auf ähnlichen Treppen, von den Schaugerüsten herab die Geladenen herniederschritten: die beiden Gruppen reiheten sich nun am Ufer zu festlichem Aufzug. Ein schöner, nur etwas weibisch aussehender junger Vandale, einen geflügelten Hut auf den blonden Locken und Flügelschuhe an den Füßen, eilte rastlos hin und her, den von goldenen Schlangen umwundenen Elfenbeinstab schwingend: er schien der Ordner des Festes.

»Wer ist das?« fragte Victor. »Wohl der Herr der schönen Aphrodite? Er nickt! Und sie lächelt ihm zu.« »Jawohl! Das ist Thrasabad,« zürnte Laurus, die Faust ballend, aber gar ängstlich. »Sankt Cyprian schicke ihm Skorpionen in das Bett! Ein vandalischer Dichter! Der mir das Handwerk verdirbt. Mir, dem Schüler des großen Luxorius.« – »Schüler? Ich denke, du warst . . . –« – »Sein Sklave, dann Freigelassener. Ganze Eselshäute lang hab' ich ihm seine Verse abgeschrieben.« – »Aber doch nicht als Schüler . . .–« – »Das verstehst du nicht. Die ganze Dichterei besteht aus einem Dutzend kleiner Kniffe: die lernt man beim Abschreiben am besten, weil sie immer wiederkehren. Und dieser Barbar dichtet gratis! Natürlich: muß froh sein, hört ihm jemand zu.«

»Er führt den Zug – als Merkur.« – »O, er taugt dazu! Aufs Stehlen versteht er sich! Nur schlagen sie dabei den Eigentümer tot. ›Fehde‹ nennen sie das, diese edeln Germanen!« – »Sieh – er gab das Zeichen: sie ziehen in den Cirkus! – Auf! Laß uns folgen!« Merkur streckte Aphroditen weit die Hand entgegen, ihr an das Land zu helfen. »Hab' ich dich wieder?« flüsterte er ihr zärtlich zu. »Zwei Stunden hab' ich dich entbehrt, du Vielschöne. Ich habe dich wirklich lieb, Schätzchen.« Sie lächelte anmutvoll – dankbar, selbst liebevoll schlug sie das schöne Auge zu ihm auf. – »Das ist der einzige Grund, daß ich noch lebe,« flüsterte sie: gleich senkten sich wieder traurig die langen Wimpern. »Aber so ganz eingewickelt – meine Aphrodite?« – »Ich bin nicht deine Aphrodite! Ich bin deine Glauke!« Hand in Hand mit ihr eröffnete nun Thrasabad den Zug, der sich, nicht ohne Stockungen, durch die gaffende Menge drängte.

Sowie man in dem Cirkus angelangt war, wiesen zahlreiche Sklaven den Gästen, je nach ihrem Stand oder ihrer Wertschätzung durch den Festgeber, ihre Plätze an. Die ehrenvollsten waren die vorderen, ursprünglich für die Senatoren, die Kurialen von Karthago bestimmten, jetzt leer stehenden Sitzreihen; leer blieb der Ausbau auf der südlichen Langseite, das Pulvinar, die kaiserliche Loge, die gar mancher Vorgänger Gelimers besucht hatte. Auf der nördlichen Langseite, aber nicht dem Pulvinar gegenüber, sondern dem Ostende, der »porta pompae«, viel näher waren in ähnlichem Ausbau angebracht die Logen für den Bräutigam und seine nächsten Freunde, die geehrtesten Gäste. – Durch dies Thor, in der Mitte der Ställe und Remisen für die Rosse und die Wagen, – dem »oppidum« und den »carceres« – bewegte sich vor dem Beginn des Rennens der »circensische Aufzug«: von dieser porta aus lief die Bahn länglich gezogen nach Westen, wo sie in einem Halbkreis abschloß; hier zogen die Sieger durch die »porta triumphalis« ab. Der Länge nach, von Ost nach West ziehend, schied eine niedrige Mauer, die »spina«, reich mit kleinen Säulen, mit Obelisken aus dunkelgrünem Marmor, mit zahlreichen Statuetten von Siegern in früheren Wettfahrten geschmückt, die Bahn in zwei wie durch eine Schranke getrennte Teile. – Am Ost- und am Westende war ein Mal, ein Ziel, »meta«, errichtet, jenes die »meta prima«, dieses die »meta secunda«. Die Wagen fuhren in die Arena durch zwei Thore im Osten am Süd- und am Nordende der Ställe. Endlich war auf der Südseite, zwischen den Ställen und der Kaiserloge, die traurige Pforte, die »porta Libitinensis« halbverdeckt angebracht, durch welche die getöteten und verwundeten Wagenlenker hinweggetragen wurden. Die Länge der Bahn betrug etwa hundertneunzig, die Breite etwa hundertvierzig Schritt.

Nachdem sich die Bewegung gelegt, die Gäste sich sämtlich auf ihren Sitzen niedergelassen hatten, erschien in der Hauptloge, in welcher neben noch etwa zwölf Männern und Frauen auch Modigisel und seine schöne Freundin Platz genommen, Merkurius, neigte sich zierlich vor dem Brautpaar und hob an: »Verstatte, göttlicher Bruder, Sohn Semelens . . . –«

»Höre, Kleiner,« unterbrach ihn der Bräutigam, ›Merkur‹ maß ein paar Zoll weniger als Bakchos, aber noch sehr viel über sechs Schuh – »ich meine, du hast von dem vielen Adrumetiner und zumal von dem Grassiker, dem schwarzroten, den ich aus dem »Ocean« gesogen, – kurz du hast meinen Rausch bekommen. Unser wackrer Vater hieß doch Thrasamer, – nicht Semele.« Überlegen lächelnd und mit Aphrodite, welche ebenfalls in der Hauptloge Platz genommen, Blicke tauschend, fuhr der dichterische Vandale fort: »Erlaube, daß ich vor dem Beginn der Spiele mein Hochzeitsgedicht vorlese . . . –« »Nein, nein, Brüderlein!« fiel der Riese rasch ein. »Lieber, schon viel lieber! – nicht! Die Verse sind . . . –« – »Etwa nicht glatt genug? Was verstehst du von Hiatus und . . . –« – »Gar nichts! Aber der Sinn – soweit ich ihn begriffen! – Du warst schon so gütig, mir es dreimal vorzulesen . . . –« »Mir fünfmal!« sagte die Aphrodite leise, mit einem Lächeln, das ihr lieblich stand. »Ich beschwor ihn, sie zu verbrennen. Sie sind weder schön noch gut. Wozu sind sie also?« »Der Inhalt ist,« fuhr Thrasarich fort, »so aus der Maßen – nun: sagen wir ›schamlos‹ . . . –« »Nach den besten römischen Mustern,« grollte der Poet. – »Mag wohl sein! – Vielleicht gerade deshalb. – Ich schämte mich, da ich's allein hörte: ich möchte nicht vor diesen Frauen . . . –« Da drang ein gelles Lachen an sein Ohr: »Du lachst, Astarte?« – »Ja, schöner Thrasarich, ich lache! Ihr Germanen bleibt doch unverbesserlich: verschämte Knaben mit Riesengliedern.« Die Braut schlug einen flehenden Blick zu ihm auf. Er sah es nicht: »Verschämt? Ich komme mir schon lange sehr schamlos vor. Mir ist meine Rolle als halbnackter Gott sehr zuwider. Ich freue mich, Eugenia, wann erst all' der wüste Lärm vorüber ist.« Sie drückte ihm dankbar die Hand: »Und morgen, nicht wahr,« flüsterte sie, »gehst du mit mir zu Hilde? Sie hat es gewünscht, am ersten Tage mir Glück zu wünschen.« – »Gewiß! Und ihr Glückwunsch bringt dir Glück! Sie ist die herrlichste der Frauen. Sie – ihre Ehe mit Gibamund – hat mich zuerst wieder gelehrt, an Frauen, an Liebe und an Glück der Ehe zu glauben. Sie war es, die . . . – Was willst du denn, Kleiner? Ach, das Spiel! Die Gäste! Ich vergaß alles! – Also! – Vorwärts! Gieb das Zeichen! Sie sollen anfangen da unten.«

Der Merkur trat vor an die weiße Marmorbrüstung der Loge und schwang seinen Schlangenstab zweimal in der Luft: die beiden Pforten zur Rechten und zur Linken der Ställe sprangen auf: in die Arena traten aus der Rechten ein ganz in Blau, aus der Linken ein ganz in Grün gekleideter Tubabläser und zwei schmetternde Rufe verkündeten weithin den Anfang des circensischen Aufzugs. In der kleinen Pause, die nun vor der Auffahrt der Wagen entstand, zupfte Modigisel den Bräutigam leicht an seinem Pantherfell. »Höre,« flüsterte er, »meine Astarte da verschlingt dich ja förmlich mit den Augen! Ich glaube, du gefällst ihr schon lange viel besser als ich. Nun sollte ich sie wohl totschlagen – vor Eifersucht. – Aber – Uff! – es ist mir zu heiß: zu beiden, zur Eifersucht und zum Schlagen.« »Ich denke,« erwiderte Thrasarich, »sie ist nicht mehr deine Sklavin.« – »Ich habe sie freigelassen, aber die Gehorsamspflicht, das Obsequium, mir vorbehalten. – Bah, deshalb würd' ich sie doch totschlagen, wäre es nicht so heiß. – Aber – wie wäre es, wenn wir – ich bin ihrer überdrüssig! – Und deine Kleine da, diese schlanke Eugenia gefällt mir: – vielleicht des Gegensatzes wegen – wie wär' es, wenn wir – tauschten?« Thrasarich fand nicht mehr Zeit, ihm Antwort zu geben. Nochmal schmetterte die Tuba und die Rennwagen fuhren ein zu feierlichem Umzug. Fünf Wagen der »Blauen« rollten langsam aus dem rechten, fünf der »Grünen« aus dem linken Thor: lauchgrün und lichtblau waren die Wagen selbst, waren Zügel und Aufputz der Rosse, waren die Tuniken der Wagenlenker. Die drei ersten Wagen jeder Partei waren Viergespanne, die gewöhnliche Zahl der Pferde: als nun aber als vierter je ein mit fünf, und als letzter Wagen jeder Partei sogar je ein mit sieben Rossen bespannter erschien, erschollen auf den obersten Plätzen – es waren die schlechtesten und obwohl sehr viele bessere Sitzreihen leer standen, hatten die vandalischen Aufseher die römischen Kleinbürger doch da hinauf verwiesen – laute Rufe der Überraschung und des Beifalls. »Schau nur, Victor,« flüsterte Laurus seinem Nachbar zu. »Das sind ja die Farben der Parteien zu Byzanz.« – »Jawohl. Alles ahmen sie nach, die Barbaren.« – »Aber wie die Affen das Flötenspielen!« – »Nur in der Toga sollte man doch den Cirkus besuchen.« – »Wie wir,« sagte Victor wohlgefällig. »Aber die –! Ein paar im Panzer – die Menge in spinnwebdünnen Gewändern!« – »Natürlich! Südländer werden sie doch nie! Nur verdorbene Nordbarbaren.« – »Doch sieh nur: die Pracht, die Verschwendung! Die Räder, ja die Radfelgen selbst sind versilbert und dann blau oder grün gebändert.« – »Und die Wagenkörbe! Sie gleißen dort von Saphiren, hier von Smaragden.« – »Woher hat Thrasarich all' diese Schätze!« – »Gestohlen, Freundchen, alles uns gestohlen! Ich sagt' es ja schon! Aber nicht er selbst – sogar zum Stehlen und Rauben ist dies Geschlecht fast zu faul geworden! – doch sein Vater Thrasamer und zumal sein Großvater, Thrasafrid! Der war Geiserichs rechte Hand! Und was das sagen will – beim Plündern wie beim Schlagen! – das ist gar nicht auszudenken!« – »Prachtvolle Pferde, die bei dem Fünfgespann, die Rotbraunen! Das sind nicht afrikanische.« – »Doch! Aber aus spanischem Schlag, in Kyrene gezüchtet. Das sind die besten.«

»Ja, wenn noch maurisches Blut dazu kommt. Weißt du, wie der berühmte Hengst des Maurenhäuptlings Kabaon? Den soll jetzt ein Vandale erworben haben.« – »Unmöglich! Ein solches Roß verkauft kein Maure.«

»Der Umzug ist zu Ende: sie fahren nebeneinander auf: vor der weißen Schnur. Jetzt! –« – »Nein! Noch nicht! Sieh: je ein Grüner und ein Blauer tritt an die Hermulae, links und rechts, an welchen die gespannte Schnur befestigt ist. Horch! Was ruft Merkur?« – »Die Preise für die Sieger. Höre nur: 15 000 Sesterzen zweiter Preis des Viergespanns, 25 000 erster des Viergespanns, 40 000 für das siegende Fünfgespann – und 60 000 – es ist unerhört! – für das Siebengespann.« – »Schau, wie die Grünen, das Siebengespann, den Sand stampfen! Das ist Herkules, der Wagenlenker! Der hat schon fünf Auszeichnungen!«

»Aber sieh! Sein Widerpart ist der Maure Chalches: – der trägt sieben Siegeszeichen! Sieh, er legt die Peitsche ab – er fordert Herkules auf, auch ohne Peitsche zu fahren. Der aber wagt es nicht.«

»Doch! Sieh, da wirft er die Peitsche in den Sand. – Ich wette auf Herkules! Ich halte die Grünen!« schrie Victor hitzig. »Und ich die Blauen! Es soll gelten – doch halt! Wir, römische Bürger, – wetten um Spiele unsrer Tyrannen?« – »Ah was! Du hast keinen Mut! – Oder kein Geld!« – »Mehr als du – von beiden! Wieviel? Zehn Sesterzen?« – »Zwölf!« – »Meinetwegen. Es gilt!« – »Sieh, die Schnur fiel!« – »Jetzt sausen sie los!« – »Brav, Grüner, schon an der ersten Meta – als nächster – vorbei!

»Halte dich, Chalches! So, Blauer! Vorwärts. – Hei, an der zweiten Meta war Chalches der nächste.« – »Rascher! Herkules! Rascher, du faule Schnecke! Halte dich mehr rechts – Rechts! Sonst – o weh!«

»Ha, heil'ger Cyprian! Triumph! Da liegt der stolze Grüne! Auf dem Bauch liegt er! Wie ein zertretener Frosch! Triumph! Der Blaue steht am Ziel. – Zahle, Freundchen! Wo ist mein Geld?«

»Das gilt nicht. Ich zahle nicht. Der Blaue hat ihm mit Fleiß die Deichsel in den Gaul am linken Flügel gestoßen. Das ist Betrug!« – »Wie? Du beschimpfst meine Farbe! Und zahlen auch nicht?« – »Keinen Stein!« – »So? Nun, du Elender, so zahl' ich dir!« Und patschend fiel ein Schlag: es klang wie flache Hand auf feister Wange. »Ruhe da oben, in den Wolkensitzen,« rief Merkur. »Es ist nichts, holde Braut: nur zwei römische Bürger, die sich ohrfeigen. Freund Mandalar da oben – geh – wirf sie hinaus. Beide! – So! Nun weiter im Spiel. Schafft den Grünen zur Libitinensis hinaus. Ist er tot? – Ja? – Weiter! – Die Preise werden am Schluß verteilt. Wir haben Eile. Käme der König vor der Zeit aus Hippo zurück: – weh uns!«

 


 


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