Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Zwölftes Kapitel.

In dem Lager der Vandalen, auf der linken Seite des Baches, flatterte von dem Königszelt herab, von dem Nachtwind manchmal leise gehoben, das große Banner Geiserichs: es flüsterte mit der lauen, dunkeln Luft. Neben dem königlichen saßen in einem etwas niedrigeren Zelt Gibamund und Hilde schweigend Hand in Hand auf dem Ruhebett; den Tisch vor ihnen bedeckten Gibamunds Waffen; die Ampel, die vom Zeltdach niederhing, warf ein mattes Licht darauf, das in dem blanken Erz sich spiegelte; neben diesen hellen Waffen lag ein dunkler Dolch, mit schönem Griff in schwarzer Lederscheide: gar kunstvolle Arbeit.

»Schwer ward es mir,« sprach, ungeduldig aufspringend, Gibamund, »des Königs Gebot mich zu fügen und den Befehl im Lager heute zu übernehmen bis zu seiner Wiederkehr. Die Spannung, die Erwartung ist gar groß.« – »Ja, wenn uns die Mauren versagen sollten! – Wie viele sagtest du?« – »Zwölftausend. Schon vorgestern hätten sie hier eintreffen müssen, wären sie, der Verabredung gemäß, hierher geeilt aus dem Lager von Bulla. Umsonst schickte der König Boten über Boten nach ihnen aus, sie zur Eile zu mahnen. Zuletzt, voller Ungeduld, ritt er selbst ihnen entgegen auf der numidischen Straße. Denn, fehlen uns morgen zwölftausend Mann Fußvolk – sie sollten unseren ganzen linken Flügel bilden! – ist unsere Stellung . . . – horch, das ist der Lagerwachen Hornruf! Der König muß zurückgekehrt sein. Laß mich fragen.«

Aber schon vernahm man Schritte, Waffenklirren in nächster Nähe: beide Gatten sprangen auf, eilten an den Ausgang des Zeltes. Die Vorhänge wurden von außen zurückgeschlagen und vor ihnen stand, den Helm auf dem ragenden Haupte, – Zazo. »Du, Bruder?« – »Du zurück, Zazo! O nun ist alles gut.« Ernster, gehaltener als sonst, aber mannhaft, ungebrochen stand der Starke zwischen beiden, die an seine Brust sich schmiegten, seine Rechte drückten. Es war eine Freude, ein Trost, den aufrechten, festen Mann anzuschauen.

»Nicht alles ist gut, holde Schwägerin,« erwiderte er ernst, entschlossen. »Ach Ammata –! Und der ganze Tag von Decimum! Ich versteh ihn nicht,« schloß er kopfschüttelnd. »Aber viel kann noch gut gemacht werden.« – »Wo kommst du so plötzlich her? Hast du Gelimer . . . –?« – »Er wird bald hier sein! Er versprach's! Er – betet noch in seinem Zelt – mit Verus.« – »Du kommst von –?« – »Sardinien, rechten Weges. Ein Brief des Königs, von Verus abgesandt, der mich zur eiligen Rückkehr mahnte und vor dem Hafen von Karthago warnte, gelangte nicht an mich. Wohl aber ein zweiter des Bruders selbst – mit der ganzen Unglücksbotschaft. Ich landete nun an der mir angegebenen Stelle und zog auf Bulla, dort die maurischen Söldner aufzubieten und hierher zu führen. Ich kam nach Bulla und fand . . .« – er stampfte mit dem Fuß. »Nun, was?« – »Das leere Lager.« – »Die Mauren waren schon aufgebrochen hierher?« – »Auseinandergelaufen sind sie! Alle zwölftausend, in die Wüste.« – »Um Gott!« – »Die Verräter.« – »Nicht Verräter. Sie haben dem König das Soldgeld zurückgesandt. Kabaon, ihr weissagend Oberhaupt, hat sie gewarnt, hat ihnen verboten, an diesem Kampfe teilzunehmen. Alle folgten seinem Rat. Nur ein paar hundert Leute von den Pappuabergen . . . –« – »Sie haben Gastfreundschaft mit Gelimer, mit dem ganzen Asdingengeschlecht!« – »Sind uns gefolgt, geführt von Sersaon, ihrem Häuptling,« – »Das wirft den ganzen Plan des Königs um für die morgige Schlacht.« »Nun,« sprach Zazo ruhig, »dafür hat er unverhofft meine Scharen erhalten: nicht ganz fünftausend, aber . . . –« »Aber dich an ihrer Spitze,« rief Gibamund.

»Auf der numidischen Straße traf er zuerst meine vorausgesandten Boten, dann mich und mein kleines Heer. Welch traurig Wiedersehen! Wie hatte ich mich meines Sieges gefreut! Aber jetzt! Reich flossen Gelimers Thränen, wie er an meiner Brust lag. Und ich selbst . . . – o Ammata! Aber nein! Jetzt gilt es, fest und ruhig und mannhaft bleiben. Ja, hart: denn allzuweich ist dieser König.«

»Doch hat er sich,« fiel Gibamund ein, »wieder aufgerichtet von dem Schlag zu Decimum. Er war damals ganz zerschmettert.« »Ja,« grollte Hilde, »mehr als einem Mann erlaubt ist.« »Ich habe Ammata kaum weniger geliebt als er,« sprach Zazo und seine Lippe zuckte. »Aber – den sichern Sieg aus der Hand lassen, nur um den Knaben zu beklagen, zu bestatten . . . –«

»Das hättest du nicht gethan, mein Zazo,« sprach eine sanfte Stimme. Gelimer war eingetreten: er sagte die Worte ganz ruhig; die anderen wandten sich erschrocken. »Euer Tadel ist begründet,« fuhr er fort. »Aber ich sah in dieser Fügung – er war der erste Vandale, der in diesem Kriege fiel – ein Urteil Gottes. Wenn der Schuldloseste von uns fallen muß, – es ruht die Strafe Gottes für der Väter Missethat auf uns allen.«

Unwillig schüttelte Zazo das Haupt und setzte den Büffelhelm auf den Tisch, daß er klirrte: »Bruder, Bruder! Dieser finstere, grüblerische Wahn kann dich und all dein Volk verderben. Ich bin nicht gelehrt genug, mit dir zu streiten. Aber ein Christ, ein frommer, bin auch ich – kein Heide, wie schön Hilde da – und ich sage dir . . . – Nein, laß mich vollenden! Wie jenes fürchterliche Wort von Gottes Rache zu deuten sei, – ich weiß es nicht. Es kümmert mich auch wenig. Das aber weiß ich: geht unser Reich zu Grunde, so geht es zu Grunde nicht wegen der Sünden unserer Ahnen, sondern wegen unserer eigenen Fehler. Der Väter Sünden: freilich, sie rächen sich auch. Es vererben sich ja auch Laster und Krankheit. Selbst verweichlicht, haben sie ein schlaff Geschlecht erzeugt! ihre Genußsucht haben sie vererbt und sie gepflegt in ihren Kindern. Und auch sonst rächen sich die Sünden unserer Väter an uns: – aber ohne Mirakel der Heiligen. Daß die Katholiken, jahrzehntelang gequält, sich dem Kaiser zuwandten gegen uns, daß die Ostgoten, statt uns, unseren Feinden helfen, – das sind freilich lauter Strafen der Sünden unserer Väter. Aber Gott braucht dazu kein Wunder zu thun: ei, er müßte Wunder thun, es zu verhindern! Und Ammata – ist er schuldlos? Gegen deinen Befehl rast er tolldreist in den Kampf. Und der Edeling? Statt, der Feldherrnpflicht gemäß, den Ungehorsamen seinem Los zu überlassen und nicht anzugreifen bis Gibamund zur Stelle, folgt er nur dem heißen Wunsch des Herzens, deinen Liebling zu retten. Und . . .« – er stockte. »Und der König?« fuhr Gelimer fort. »Statt seine Pflicht zu thun, zerschmilzt er bei dem Anblick des Toten. Aber das ist eben der Fluch, die Rache des Herrn.« »Durchaus nicht,« erwiderte Zazo. »Auch das ist kein Mirakel! Das ist die Folge davon, daß auch du kein echter Vandale mehr bist, o Bruder, – schon einmal sagt' ich's! – versunken, nicht, wie das Volk, in Lüste, aber in Grübelei. Und freilich auch wieder eine Folge der Missethat der Väter: hättest du nicht als Knabe jenen Anblick grauenvoller Folterung gehabt . . . –! Aber es hilft nichts, zu fragen, wie das Vergangene an dem Gegenwärtigen schuld trägt: – es gilt heute, morgen, alle Tage seine Pflicht thun, fest und treu und ohne Grübeln. Dann siegen wir: – und das ist gut – oder wir fallen als Männer: und das ist auch nicht übel. Mehr können wir nicht thun als unsere Schuldigkeit. Und der liebe Himmelsherr wird mit unserer Seele verfahren nach seiner Gnade. Mir ist nicht bang um die meinige, bin ich im Kampfe für mein Volk gefallen.« »O,« rief Hilde freudig. »Das hat wohlgethan! Das war wie frischer Nordwind, der schwüles Dunstgewölk zerstreut.« Schmerzlich, doch ohne Vorwurf, erwiderte Gelimer: »Ja, der Gesunde begreift es gar nicht, daß der Kranke nicht singt und springt. – Ich kann nicht anders: – ich muß ›grübeln‹, wie ihr's scheltet. Doch,« lächelte er wehmütig, »manchmal grüble ich mich durch! Manchmal durchbreche auch ich – auf meine Weise – das Dunstgewölk. So hab' ich nun in brünstigem Gebet mich wieder durchgerungen zu dem alten starken Trost: – nur Verus, mein Beichtiger, weiß um diese Kämpfe und um den Grund meines Obsiegens: – ›das Recht ist auf meiner Seite.‹ Ich bin nicht ein Anmaßer, wie der Kaiser mich schmäht! Der mörderische Hilderich ist mit Recht entsetzt. Keine Schuld haftet an mir: kein Unrecht hab' ich an Hilderich gethan, kein Unrecht hat der Kaiser an mir zu rächen. Das ist mein Halt, meine Stütze und mein Stab. – Siehe, da, Verus, man hört dich nie eintreten.«

Mit feindlichen Blicken maß ihn Zazo.

»Ich kam, dich abzuholen, o König. – Es sind noch schriftliche Befehle auszufertigen. – Auch sollt' ich dich erinnern an die Gefangenen . . . –« »Jawohl! – Höre, Zazo, erteile endlich die langerbetene Zustimmung. Laß mich Hilderich und Euages freigeben.« – »Mitnichten,« rief Zazo, in starken Schritten das enge Zelt durchmessend. »Mitnichten! Am wenigsten am Vorabend der Entscheidung. Soll Belisar ihn, nachdem wir gefallen, in Karthago wieder auf den Thron setzen? Oder soll er, nachdem wir gesiegt, in Byzanz am Hofe ständig als ein lebendiger Vorwand gepflegt werden, uns nochmal anzugreifen? Die Köpfe herunter den Mördern! Wo sind sie?« – »Hier im Lager, in guter Hut.« – »Und die Geiseln?« – »Sie waren – so auch des Pudentius Sohn – in Decimum geborgen,« antwortete Verus. »Nach verlorener Schlacht wurden sie von den Siegern befreit.« »Das könnte sich morgen wiederholen,« brauste Zazo auf. – »Leicht kann im Gewoge der Schlacht – vorübergehend – der Feind in dieses offene Lager dringen. Ich verlange, König . . . –« »Es sei,« unterbrach dieser, und zu Verus gewendet gebot er: »Laß Hilderich und Euages beiseite schaffen.« – »Wohin?« – »An einen sicheren Ort, wo sie gewiß kein Byzantiner befreien kann.« Verus verneigte sich und ging eilig. »Ich folge,« rief ihm der König nach. – »Seid nicht zu streng gegen mich in euren Herzen,« sprach er nun zu den Dreien gewendet mit sanfter Stimme, »ihr Kerngesunden: ich bin ein blitzgestreifter Stamm! – Doch morgen,« sprach er, sich hoch aufrichtend, »morgen hoff' ich, sollt ihr mit mir zufrieden sein. Auch du, herbe Hilde! Leihe mir deine kleine Harfe: – es wird dich, mein' ich, nicht gereuen.« Hilde holte sie aus einer Ecke des Zeltes. »Hier! Aber du weißt,« sprach sie lächelnd, »ihre Saiten reißen, will man sie spielen zu lateinischen Versen, zu – Bußgesängen.« »Sie werden nicht reißen. Schlaft wohl.« Und der König schritt aus dem Zelt. »Diese Harfe von ganz dunklem schwarzem Holz –?« fragte Zazo. »Ich meine, ich sah sie früher in anderer Hand. – Wo doch? In Ravenna, nicht?« – Hilde nickte: »Mein Freund Teja, mein Harfen- und Waffenlehrer, schenkte sie mir als Hochzeitsgabe. – Und er hat mein nicht vergessen, der Vieledle, Vielgetreue. – In meinem Glück hat er sich nie gemeldet. – Aber jetzt . . . –« »Nun?« fragte Zazo. »Sobald die erste Nachricht von unserem Unheil bei Decimum nach Ravenna gelangte,« erklärte Gibamund, »es hieß dabei, ich – wohl verwechselt mit Ammata – sei gefallen, da wollten wackere Männer der Ostgoten – der alte Waffenmeister, Teja und noch ein paar andere mit einer freiwilligen Schar uns zu Hilfe kommen. Die Regentin hat es streng verboten. Da sandte Teja meiner Witwe, wie er glaubte, diesen herrlichen Dolch von dunklem Erz.«

»Das ist köstliche Arbeit,« sprach Zazo, die Klinge ziehend und prüfend. »Welch edle Waffe!« »Und er hat sie selbst geschmiedet,« rief Hilde eifrig. »Siehe, hier: seine Hausmarke an dem Griff.« »Und auf der Klinge – ein Spruch – eingeritzt in Runen« – forschte Zazo, unter den Schein der Ampel tretend: »›Die Toten sind frei.‹ – Hm, ein ernster Trost. Doch nicht zu ernst für Hilde. Verwahre dies gut!« »Ja,« sprach Hilde ruhig. »Den Dolch im Gürtel: und den Trost in den Gedanken.« »Doch, Hilde, nicht zu früh!« warnte Zazo scheidend. »Sorge nicht,« antwortete sie, den Gemahl mit beiden Armen umschlingend – »es ist der Witwe Trost und Waffe.«

 


 


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