Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Fünfzehntes Kapitel.

Auch Belisar sah's von seinem Lagerhügel aus.

»Fliege,« rief er Prokopius zu, »fliege zu Fara und den Herulern! Sie sollen links einschwenken und jenen roten Fetzen nehmen.« – »Und die Hunnen?« fragte leise Prokop. »Schau hin: sie reiten langsam vor: aber nicht gegen Westen, nicht gegen die Vandalen . . . –« – »Gehorche! – Erst muß diesem germanischen Taumeltanz um die rote Fahne ein blutig Ende gemacht sein. Sonst ergreift sie ihr teutonischer Kampfteufel und dann ist's aus. Die Hunnen schreckt – im Fall der Not! – mein Antlitz allein.« Prokopius stob von dannen – nach rechts.

Einstweilen hatte das Drachenbanner schon wieder den Träger gewechselt. Alle Wurflanzen und Pfeile zielten nach dem weithin sichtbaren, gefährlichen Zeichen: Gundobads Roß fiel; der Reiter stand nie mehr auf. Aber aus des Sterbenden Hand nahm der Bruder, nahm Gundomar die Fahne und stieß die Spitze ihres Speers dem Cyprianus in den Hals, dem zweiten Führer der Thraker, der Gundobad, wie dieser von dem toten Hengst aufspringen wollte, den Eberhelm und das Haupt gespalten hatte mit dem Streitbeil.

Hilde hatte für einen Augenblick das rote Banner verschwinden sehn: – angstvoll gab sie dem Rappen einen leichten Schlag mit der Hand: – vorwärts schoß das feurige Tier in schwindelnder Eile: erst am Bachesrand fand sie Besinnung, Zügel zu ziehn. Viel später gelangten ihre Begleiter an die neugewählte Stelle.

Jetzt hatte Althias den zweiten Gunding erreicht. Ungleich, ungünstig für jeden Bannerträger war der Kampf: die Linke, welche den Zügel führte und die schwere Fahne trug, konnte den Schild nicht verwerten: und diese Last erschwerte auch der Rechten sehr erheblich die Verteidigung: nach kurzem Gefecht sank der Edeling, vom Kurzspeer des Thrakers durchstoßen, vom Pferd. Aber schon war Gibamund zur Stelle und sobald Zazo, dicht hinter ihm jagend, das Banner in des Bruders Hand geborgen sah, rief er: »Auch Belisarius hat ja ein Panier!« Und rasch zur Linken abbiegend, sprengte er, nur durch des Rosses Gewalt, eine Reihe von Thrakern auseinander, erreichte den Leibwächter Belisars, der das goldstarrende Hauptbanner trug, und streckte ihn mit einem sehr starken Schwertstreich durch das vordere Helmdach in die Stirne nieder. Das Feldherrnbanner fiel, während Gibamund, umgeben und stark gedeckt durch seine Gefolgschaft, hoch die rote Drachenfahne schwang.

Deutlich sah es Hilde: sie folgte unwillkürlich dem Drang nach vorn, nach dem Sieg: der Rappe, jeder leisesten Bewegung nachgebend, trug sie durch den Bach, dessen Wasser kaum den Saum ihres langen, weißen Mantels netzte: sie war drüben! Sie folgte dem Sieg! Vor sich, etwas zur Linken hin, sah sie bereits Gelimer und dessen Scharen: das ganze Mitteltreffen der Vandalen war in vollem Vorrücken.

Es war der Gipfel, war der Wendepunkt der Schlacht.

Noch einmal versuchte Althias, durch die Gefolgschaft an Gibamund selbst zu dringen: er war auch bis vor ihn gelangt und sie hatten zwei sausende, funkensprühende Schwerthiebe getauscht: – da schlug von links an des Thrakers Ohr klagendes wütendes Geschrei der Byzantiner: er wandte sich – und sah seines Feldherrn Banner sinken.

Es war schon das zweite Mal: denn Zazo hatte auch den zweiten Mann erschlagen, der es trug: – schon streckte der Sieger die Hand aus nach dem Schaft des Banners, das kein dritter aufzuheben Lust zeigte. – Da schmetterten von rechts her, ganz nah, in Zazos Ohr germanische Hörner: die Heruler waren es, die auf schnaubenden Rossen den Vandalen in die Flanke jagten und, mehrere ihrer Reihen durchbrechend, geradeaus gegen Zazo einsprengten.

Ein Wurfspeer – gut gezielt: denn Fara hatte ihn geworfen! – schmetterte dem Helden den Büffelhelm vom Kopf: er konnte nicht mehr an Belisars Banner, an die eigene Rettung mußte er denken. Er wandte das mächtige Haupt nach rückwärts.

»Jetzt zu Hilfe,« rief er, »Bruder Gelimer!«

»Hier bin ich, Bruder Zazo,« scholl's zur Antwort. Denn schon war der König zur Stelle. Er hatte, langsam dem Vordringen der Brüder folgend, seine Vandalen und Mauren stets näher herangeführt, hatte nun den neuen Angriff der Feinde bemerkt und den Augenblick der Gefahr.

»Vorwärts! Haut Zazo heraus,« rief er und sprengte, den Seinen voran, auf die Heruler ein; ein Mann sprang ihm entgegen, fiel mit der Linken dem Falben in die Zügel und zückte mit der Rechten den Wurfspeer: aber bevor der Speer flog, hatte Gelimers Schwert dem Heruler die Kehle durchstoßen.

Hilde sah's: denn immer näher und näher, wie von den Waffen zwingend angezogen, ritt sie in die Schlacht hinein.

In diesem Augenblick sah sie Verus im vollen Priesterornat, ohne Waffen, an ihr vorüber jagen gerad' auf den König zu. Nicht leicht war es, zu ihm zu dringen durch Mauren und Vandalen. Einen zweiten, einen dritten Speerkämpfer streckte Gelimer mit dem Schwert zu Boden. Schon war er Zazo ganz nahe. Der Ansturm seiner Vandalen traf nun voll die Heruler: diese wichen noch nicht, aber sie gewannen auch nicht mehr einen Schritt Boden, Wie zwei Ringer, die, Arme in Arme verschränkt, – keiner kann den andern von der Stelle drängen, – die gleiche Stärke messen, so wogten jetzt die Scharen gegeneinander: die Schlacht stand.

»Wo bleibt das Fußvolk?« fragte Belisar, besorgt nach den fernen Höhen blickend, wo die numidische Straße sich gen Karthago hinzog. »Drei Boten sandte ich danach aus,« erwiderte Prokopius. »Da! Die Thraker weichen! Die Armenier wanken zurück! Die Heruler sind nun von schwerer Übermacht bedrängt! – Auf, ihr Illyrier, jetzt rettet mir die Schlacht. Belisarius selber führt euch an.« –

Und mit hellem Trompetengeschmetter, an der Spitze seiner fünfhundert auserlesenen Reiter, sprengte der Feldherr den Hügel hinab, den Herulern zu Hilfe. Gelimer hörte den Schall, sah den Ansturm: er winkte eine frische Hundertschaft aus der Nachhut herbei. »Dorthin,« rief er ihnen zu, mit dem Schwerte deutend. »Und stimmt mir an den Schlachtgesang:

»Schon rüstet die Rache
Der Rächer des Rechts.«

Du, Verus, hier? Was bringst du? Dein Antlitz ist . . . –« »O König!« rief der Priester. »Welche Blutschuld!« – »Was ist geschehen?« – »Der Bote, den ich sandte – zu den Gefangenen – ein Freigelassener von mir – hat deine Worte mißverstanden: ›Beiseite schaffen,‹ ›wo sie keiner befreien kann‹ –« – »Nun?« – »Er hat – er meldete mir's soeben, – und entrann, als er meinen Zorn gewahrte.« – »Nun, was denn?« – »Er hat Hilderich und Euages – getötet.« »Allwissender!« rief der König erbleichend. »Das hab' ich nicht gewollt!« »Aber noch mehr!« fuhr Verus fort. »Zu Hilfe, Gelimer,« scholl da Zazos Stimme aus dem dichtesten Gedränge. Belisar und die Illyrier hatten ihn jetzt erreicht. Gibamund war an seiner Seite. Auch Gelimer spornte das Roß. Aber Verus griff ihm in den Zügel und rief in sein Ohr: »Der Brief! – Die Warnung an Hilderich! – Ich fand den Brief soeben, eingeklemmt zwischen zwei Fächern der Truhe. – Hier ist er! – Hilderich hatte nicht gelogen! Er wollte sich nur schützen gegen dich: – unschuldig ward er abgesetzt, gefangen und getötet.« Einen Augenblick starrte ihm Gelimer, sprachlos vor Entsetzen, in das steinerne Antlitz: er schien betäubt. Da scholl ihm in das Ohr der Schlachtgesang der Seinen:

»Schon rüstet die Rache
Hoch in den Himmeln
Der Rächer des Rechts!«

»Weh, wehe mir! Ein Verbrecher! Ein Mörder bin ich!« schrie der König nun laut auf. Das Schwert entfiel ihm. Er schlug beide Hände vor das Gesicht. Ein furchtbarer Krampf rüttelte ihn. Er schien aus dem Sattel zu sinken. Verus stützte ihn, riß des Königs Roß herum, daß es dem Feind den Rücken kehrte und gab ihm aus aller Kraft einen Schlag auf den Hinterbug. Rasend schoß es davon. Sersaon und Markomer, der Führer der Hausreiterei, hielten links und rechts den taumelnden Reiter aufrecht.

»Hilf! Hilf! Ich erliege, Bruder Gelimer!« So scholl nochmal – dringender, verzweiflungsvoll – die Stimme Zazos. Aber sie ward überdröhnt von dem wilden, wüsten Geschrei der Vandalen: »Flieht! Flieht! Der König selber ist entflohen! Flieht! Rettet die Weiber, die Kinder!« Und zu Hunderten rissen jetzt die Vandalen die Gäule herum und jagten davon, auf den Bach, auf das Lager zu.

Da sah Hilde, jetzt nur mehr wenige Schritte fern von dem Gewühl, Zazos hochragende Gestalt verschwinden. Sein Roß, von einem Speer getroffen, stürzte; er blutete aus mehr als einer Wunde. Aber er sprang nochmal auf.

Fara der Heruler erreichte ihn von links und zerspaltete ihm mit der Streitaxt den Drachenschild. Zazo schlug die Trümmer des Schildes dem Heruler an den Helm, daß er, betäubt, im Sattel schwankte. Nun drang von rechts Barbatus, der Führer der Illyrier, auf Zazo ein, die lange Stoßlanze eingelegt. Mit sinkender, mit letzter Kraft schlug Zazo die Lanze nach rechts zur Seite, sprang an der rechten Seite des Rosses gegen den schildlosen Reiter empor und stieß ihm das Schwert zwischen Helm und Brünne in den Hals; der glitt langsam nach links aus dem Sattel. Aber Zazo war im Zurückspringen in das Knie gesunken. Und eh' er sich aufraffen konnte, hielten zwei Reiter gerade vor ihm mit gezückten Wurflanzen.

»Hilf, Gibamund!« rief der Knieende, den linken Arm statt des Schildes über den Kopf hebend. Er sah um sich: ringsum Feinde: kein Vandale! Ja doch, – Einer! Da flatterte noch die rote Fahne! – »Hilf, Gibamund!« rief er. Da stürzte der eine seiner beiden Angreifer vom Roß: Gibamund war an Zazos Seite. Er hatte mit der Speerspitze des Banners den Mann unter die Achselhöhle des hochgehobenen Armes getroffen. Doch nun griff Fara, der sich einstweilen erholt hatte, die Zügel fallen lassend, mit der Linken nach dem Schaft der roten Fahne. Gibamund erwehrte sich nur sehr schwer mit dem Schwerte der wuchtigen Schläge, welche des Herulers Rechte mit der Streitaxt nach ihm führte. Und schon bog der andere Reiter, der vor Zazo hielt, ein löwengewaltig Antlitz auf diesen nieder: »Ergieb dich, tapferer Mann! Ergieb dich mir: – ich bin Belisarius!«

Aber Zazo schüttelte das Haupt. Mit müder Kraft sprang er empor, das Schwert zum Streiche gezückt. Da stieß ihm Belisar die Spitze seines Speeres mit voller Kraft bis an den Schaft durch die Brünne in die Brust. Noch einen Blick warf der Sterbende nach links: er sah Gibamunds Weißroß, blutüberströmt, zusammenbrechen, er sah die rote Fahne fallen. »Weh dir, Vandalia!« rief er noch: dann brach sein Auge. –

»Das war ein Mann,« sagte Belisar, sich über ihn beugend. »Wo ist das Banner Geiserichs, Fara?« »Fort!« antwortete dieser zornig. »Fern! Siehst du? Dort verschwindet es schon – jenseit des Baches!« »Wer hat –?« – »Ein Weib! – Im Falkenhelm. Mit weißleuchtendem Schild. Ich glaube, eine Walküre,« sprach der Heide mit leisem Grauen. »Es ging so rasch: ich sah es kaum! Ich hatte soeben des jungen Bannerträgers Pferd niedergeschlagen. Da rannte ein Rappe – nie sah ich solch ein Tier! – mein eigen Roß über den Haufen, es sank auf den Hinterbug. Ich hörte einen Ruf: ›Hilde? Dank!‹ Und im selben Augenblick jagte schon der Rappe weit, weit von mir davon! Ich meine, er trug jetzt zwei Gestalten! – Ein lang nachflatternder, weißer Mantel – oder waren es Schwanenflügel? – und darüber flog die rote Fahne hin. – Da, nun verschwindet sie in den Staubwolken. Hilde!« schloß der Germane, leise mit sich selber raunend, – »Auch der Name paßt. Ja, die Walküre trug ihn fort.«

»Vorwärts!« rief Belisar. »Nach! Über den Bach! Es giebt kein Heer mehr der Vandalen. Die Mitte ist durchbrochen, ist erschlagen. Ihr linker Flügel – ei da, seht, unser rechter Flügel, die treuen Hunnen,« lachte er grimmig. »Jetzt sausen sie ihren Hügel herab und hauen ein auf die fliehenden Barbaren! Welche Heldenthat! Und wie sie alle nach dem Lager trachten, zu plündern! Da trifft – endlich! – unser Fußvolk ein auf unserer linken Flanke: – auch dort, ohne Kampf, fliehen die Vandalen. Auf! In das Lager! Laßt nicht den Hunnen allein die ganze Beute! Alles Gold und Silber für den Kaiser, Perlen und Edelsteine für die Kaiserin! Vorwärts!«

 


 


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