Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünftes Kapitel.

Als Prokopius diese Zeilen schrieb, waren ihm die Gesuchten viel näher als er ahnte.

Die ersten Strahlen der Morgensonne schossen aus dem Meer empor, glitzerten auf den Wellen und leuchteten über den gelbbraunen Sand des Wüstensaumes hin, da jagte in das Lager des Königs, ein paar Stunden südwestlich von Decimum, hastig ein Dutzend vandalischer Reiter herein. Gibamund, der sie geführt, und Ammata, der junge, sprangen von den Rossen. »Was bringt ihr?« riefen sie die Lagerwachen an. »Sieg,« erwiderte Ammata. »Und einen Gefangenen,« fügte Gibamund bei.

Sie eilten, den König zu wecken. Aber dieser trat ihnen, vollgerüstet, aus seinem Zelt entgegen. »Ihr seid mit Blut besprengt – beide – auch du, Ammata! – Bist du verwundet?« Bange Sorge zitterte in seiner Stimme. »Nein!« lachte mit leuchtenden Augen der schöne Knabe. »Es ist Feindesblut!« »Das erste, das vergossen wird in diesem Krieg,« sprach der König tief ernst – »befleckt deine reine Hand! O hätt' ich nicht eingewilligt! –« »Das wäre sehr schade gewesen,« rief Gibamund dazwischen. »Unser Kind hat seine Sache gut gemacht! – Geh, Kleiner, hole Hilde herbei aus meinem Zelt, indes ich berichte. – Also! – Lange genug haben wir's mit knirschender Ungeduld ertragen, daß du uns gar so fern hieltest von den Feinden, nur in weitem Abstand, ungeahnt von ihren äußersten Posten, ihren Zug begleitend. Als du nun diese Nacht endlich verstattetest, ihnen näher als sonst in die Flanke zu reiten, um zu erforschen, ob sie wirklich heute, ungedeckt von der Flotte, auf Decimum marschieren und also nach Mittag durch die ›Enge Straße‹ ziehen werden. Du meintest, wenn wir ohne viel Lärm einen Gefangenen einbringen könnten, um ihn auszuforschen, so wäre das erwünscht. Wohlan, wir haben nicht nur einen Gefangenen, wir haben mehr: einen wichtigen Streifen Pergament haben wir bei ihm gefunden! – Und das ist gut: denn der Mann verweigert jede Auskunft. – Siehst du, da bringen sie ihn. Dort kommen Thrasarich und Eugenia! – Und da zieht schon Ammata an der Hand Hilde herbei!« »Willkommen,« rief die junge Frau dem Geliebten entgegen. Doch wehrte sie schämig seiner Umarmung. Denn bereits stand der Gefangene vor dem König: finstere Blicke schoß er, die Hände auf den Rücken gebunden, unter buschigen Brauen auf die Vandalen, – zumal aber auf Ammata: – von seiner linken Wange sickerte das Blut auf das weiße Schaffell, das seine Schultern bedeckte; auch sein Untergewand – es reichte nur bis an die Kniee – war von ungegerbtem Leder; seine Füße waren unbeschuht; der rechten Ferse war mit Riemen ein mächtiger Sporn angeschnallt; vier goldene Zierscheiben, wie sie, unseren Ordenszeichen vergleichbar, zur Ehrung tapferer Thaten, vom Kaiser und dessen Feldherrn verliehen wurden, waren auf dem aus sehr dickem Leder gefertigten Brustpanzer angeheftet.

»Wir ritten also, nur eine Zehnschaft Vandalen hinter uns und zwei Mauren, gegen Mitternacht aus dem Lager in der Richtung gegen die ferne Helle, welche die feindlichen Wachtfeuer verbreiteten, uns vorsichtig deckend hinter den langgestreckten Sandhügeln, die, halbe Stunden lang gedehnt, rasch häufend und bald wieder abwehend, der stets geschäftige Wind der Wüste auswirft, zumal an deren Saum. Unter dem Schutz dieser Deckung gelangten wir unvermerkt so weit gegen Osten, daß wir im Schein eines Wachtfeuers, das wohl zur Verscheuchung der wilden Tiere angezündet war, – auf Pfeilschußweite – vier Reiter gewahrten. Zwei hockten kauernd auf ihren kleinen Gäulen, die Bogen gespannt, scharf ausspähend nach Südwesten, woher wir gekommen waren; zwei andere waren abgestiegen: sie lehnten an dem Bug ihrer Pferde: die Spitzen ihrer Lanzen funkelten im flackernden Feuerschein.

Ich winkte nun den beiden Mauren, die ich mitgenommen hatte für diesen lustigen Streich. Geräuschlos glitten sie von ihren Rossen, legten sich platt auf den Bauch und krochen so, im Finstern auch in großer Nähe von dem Sandboden sich nicht abhebend, auf allen Vieren in weitem Bogen, der eine nach links, der andere nach rechts ausbiegend, um das Feuer und die Wachen herum, bis sie diesen im Nordwesten und im Nordosten standen. Aus unsern Augen waren sie sehr bald verschwunden, denn sie huschen so rasch wie die Eidechsen.

Alsbald hörten wir jenseits im Norden des Wachtfeuers den heisern, drohenden Schrei der beutewitternden Leopardin, die mit ihren Jungen auf nächtliche Raubfahrt auszieht. – Sofort antwortete der Alten der bittende, heischende Ruf des Jungen: – die vier Pferde der Wachen scheuten empor, sträubten die Mähnen: – näher drang der Schrei der Leopardin: da wandten sich die Fremden alle vier: – sie hatten solch Geschrei wohl nie gehört! – nach der Richtung des Schalles. Hoch bäumte sich des einen Gaul: – der Reiter wankte, hielt sich an der Mähne – der zweite wollte ihm helfen, griff jenem in den Zügel, da entfiel ihm der Bogen: – diesen Augenblick der Verwirrung benützend jagten wir – in tiefster Stille – hinter dem Sandhügel hervor. Wir hatten die Hufe der Pferde mit Tüchern umwickelt: – fast unbemerkt erreichten wir sie –: erst dicht am Feuer gewahrte uns einer der Berittenen: »Feinde!« schrie er und sprengte davon. Der andre Berittene folgte ihm. Der dritte gelangte nicht mehr aufs Pferd: ich erstach ihn, als er aufspringen wollte. Aber der vierte – dieser hier, der Führer! – war im Nu auf dem Rücken seines Tieres, rannte die beiden Mauren, die ihm den Weg verlegen wollten, über den Haufen und wäre entkommen. Aber Ammata hier, unser Kind –«

Er wies auf den Knaben: da fletschte der Gefangene grimmig die Zähne.

»Schoß ihm nach wie ein Pfeil auf seinem weißen Rößlein . . . –«

»Dem Pegasus!« rief Ammata dazwischen. »Weißt du, Bruder, aus dem letzten Maurenkrieg hast du ihn mir mitgebracht. Er saust wirklich wie auf Schwingen dahin!« »Erreichte ihn, überholte ihn und, bevor einer von uns dabei helfen konnte, hatte er mit raschem Doppelhieb . . . –« – »Du, Gelimer, hast ihn mich gelehrt!« jubelte – er konnte nicht mehr an sich halten – Ammata mit blitzenden Augen. »Des Kurzschwerts dem Feind den langen Speer zur Seite geschlagen und sofort einen sausenden Hieb über die Wange gestrichen. Der tapfere Mann aber verbiß den heißen Schmerz, ließ den Speer fallen und fuhr mit der Hand an die Streitaxt in seinem Gürtel. – Da warf ihm unser Kind die Schlinge um den Hals . . . –« »Du weißt: – den Antilopenwurf!« rief Ammata Gelimer zu. »Und riß ihn mit einem Ruck vom Gaul herab.«

Gibamund hatte dies in vandalischer Sprache erzählt. Aber der Gefangene hatte an den begleitenden Bewegungen alles verstanden: er schrie jetzt – im Latein des Lagers: – »In einen Hund soll die Seele meines Vaters fahren, wird das nicht gerächt! Mich – Attilas Urenkelkind! – Mich! Ein Knabe vom Rosse zerren! Mit einer Schlinge! Bestien fängt man so, nicht Krieger!« – »Ruhig, Freundchen,« antwortete, vor ihn hin tretend, Thrasarich. »Es geht ein gut alt Wort durch alle Gotenvölker: ›schone lieber den Wolf als den Hunnen.‹ Übrigens fängt man so auch den königlichen Vogel Strauß, wenn man ihn nämlich einholt. So ist auch dir's keine Schande.« Und lachend schob er sich den schweren Helm mit dem Bärenhaupt zurecht.

»Wir waren nun zur Stelle,« schloß Gibamund, »banden den Mann, der sich wehrte wie ein Eber, und rissen ihm diesen Pergamentstreif, den er verschlucken wollte, aus den Zähnen.« Der Gefangene stöhnte. »Wie heißt du?« fragte der König, das Pergament durchfliegend. »Bleda.« – »Wie stark ist euer Heer an Reitern?« – »Geh hin und zähle sie.« – »Freund Heune,« drohte Thrasarich, »ein König spricht zu dir. Sei artig, Wölflein. Sag hübsch, um was man dich befragt! Oder . . . –« Trotzig trat der Gefangene vor Gelimer und sprach: »diese Goldscheibe hat mir der große Feldherr dargereicht mit eigner Hand nach unserm dritten Sieg über die Perser. Glaubst du, ich werde Belisar verraten?« – »Führt ihn ab!« winkte Gelimer. »Verbindet seine Wunde! Pflegt ihn gut!« Einen Blick voll tödlichen Hasses warf der Hunne noch auf Ammata, dann folgte er seinen Wächtern.

Gelimer blickte nochmal auf das Pergament: »Mein Knabe,« sagte er dann, »ich danke dir! Du hast uns fürwahr nichts Geringes eingebracht: die Zugordnung der Feinde für heute. Folgt mir, meine Feldherren in mein Zelt: dort sollt ihr meinen Angriffsplan vernehmen. Wir brauchen das Eintreffen der Mauren nicht abzuwarten. Ich meine, wenn uns der Herr nicht zürnt – aber keine sündhafte Überhebung! – O Ammata, wie froh bin ich, dich lebend wieder zu haben. Ich hatte, nachdem du fortgeritten, einen blutigen Traum von dir. Einmal hat dich Gott mir zurückgegeben: – nicht versuche ich ihn ein zweites Mal.« – Er trat rasch dicht an Ammata heran und sprach, ihm die Hand auf die Schulter legend, mit strengstem Ton: »Höre, ich verbiete dir, heute mitzukämpfen.« – »Was?« schrie Ammata, auffahrend. Er ward sehr bleich. »Das ist nicht möglich! Gelimer, – ich flehe –« »Still,« gebot dieser, die Stirne furchend, »gehorche!« »Ei,« meinte Gibamund, »ich dachte, du kannst ihn gewähren lassen. Er hat gezeigt . . . –« »O Bruder, Bruder,« rief Ammata – und Thränen stürzten ihm aus den Augen. – »Womit hab' ich die Strafe verdient?« »Ist das sein Dank für die That dieser Nacht?« mahnte Thrasarich. »Schweigt alle,« gebot Gelimer streng. »Es bleibt dabei. Er kämpft nicht mit. Ist er doch noch ein Knabe . . . –« Ammata stampfte zornig mit dem Fuß. »Und, o mein Liebling,« fügte Gelimer hinzu, den heftig Widerstrebenden in die Arme schließend – »laß mich's nur gestehen: – so zärtlich lieb' ich dich, so allzu zärtlich, daß mich die Sorge um dich mitten im Kampfe nicht einen Augenblick verlassen würde. Und ich brauche all' meine Gedanken für den Feind . . . –« »So laß mich an deiner Seite kämpfen, schütze du selbst mich!« – »Ich darf nicht! Ich darf nicht an dich, an Belisar muß ich denken.« – »Wahrlich,« sprach Hilde, leidenschaftlich bewegt, »er dauert mich in tiefster Seele. Ich bin ein Weib – und mir wird's schwer genug, euch nicht zu folgen. Und nun ein fünfzehnjähriger Knabe!« Da zog Eugenia sie ängstlich am Gewand zurück, streichelte leise und küßte ihre Hand. Allein Hilde fuhr fort, den Knaben an sich ziehend und über sein goldlockig Haar streichend: »Es ist aber Pflicht! 's ist Heldenpflicht, daß jeder Mann, der es kann – und nun zumal ein Sohn des Königshauses – kämpfe für sein Volk. Dieser kann's: er hat's gezeigt. So weigre ihn nicht seinem Volke. Mein Ahnherr lehrte mich: »Nur wer fallen soll, – der fällt!« »Sündhaftes Heidentum!« zürnte der König. – »Wohlan, so laß mich christlich zu dir reden. Ist das dein Gottvertrauen, Gelimer? Wer ist in beiden Heeren so schuldlos wie dies Kind? O König, ich bin nicht so fromm wie du: aber so viel Vertrauen setz' ich in den Himmelsgott, daß er in unsrer gerechten Sache diesen Knaben schützen wird. Ja, fiele dieser reinste, holdeste Sprößling des Asdingenhauses: – es wäre wie ein Urteil Gottes, daß wir wirklich verworfen sind vor seinem Angesicht!« »Halt ein,« schrie der König schmerzlich. »Wühle nicht in den tiefsten Wunden meiner Brust. Wenn er nun doch fällt? Wenn wirklich ein Urteil Gottes, wie du es nanntest, so grausig gegen uns ergeht? Wohl ist er schuldlos, soweit es Menschen sein mögen. Aber hast du vergessen das fürchterliche Drohwort – von der Väter Missethat? Erlebte ich das: – ich sähe darin den Rachefluch erfüllt und ich glaube, ich verzweifelte.« Hastig ging er auf und nieder. Da flüsterte Gibamund seiner Gattin zu, welche schweigend, aber zornig das stolze Haupt schüttelte: »Laß ihn! Solche Sorge in des Oberfeldherrn Haupt schadet mehr, als zwanzig Knabenspeere nützen.«

»Aber,« rief Ammata trotzig, »Pfeile fliegen weit! Wenn ich, wie ein elender Feigling, hinter euren Reihen halte, – auch hier im Lager, wenn die Feinde siegen, kann ich fallen: in Gefangenschaft würd' ich freilich nicht geraten!« schloß er grimmig, an den Dolch greifend und das Haupt in den Nacken werfend, daß die hellen Locken über die lichtblaue Schulterbrünne rieselten. »Steck mich doch lieber gleich in eine Kirche, – aber in eine katholische! – frommer König, da wäre vollends Asyl.«

»Ja, einsperren werd' ich dich,« sprach Gelimer jetzt scharf, »du ungebärdiger Bube. Für diese kecke Hohnrede giebst du sofort die Waffen ab. – Sofort! Nimm sie ihm, Thrasarich! – Du, Thrasarich, wirst von vorn, von Decimum her, die Feinde angreifen. In Decimum steht eine katholische Kirche: sie ist den Byzantinern unverletzlich: dort hältst du während des Gefechts eingesperrt den Knaben, der ein Krieger sein will und seinem König zu gehorchen noch nicht gelernt hat. Im Fall des Rückzugs nimmst du ihn mit dir. Und höre, Thrasarich, du hast in jener Nacht – im Hain – gelobt, Vergangenes gut zu machen . . . –« »Ich meine, er hat's gethan,« rief unwillig Hilde. »Wessen Scharen,« fügte Gibamund bei, sind die best geübten? Wer hat Gold, Waffen, Rosse gespendet wie er?« »Mein König,« sprach Thrasarich, »nichts hab' ich bisher gethan. Gieb mir heute Gelegenheit . . . –« »Du sollst sie finden! Auf dich verlaß ich mich! – Zumal, daß du nicht durch Ungestüm, durch allzufrühen Angriff mir den ganzen Plan verdirbst. – Und diesen bösen Buben,« sprach er zärtlich, »bind' ich dir auf die Seele! – Du hältst ihn fern vom Kampf: – du bringst ihn mir heil und unversehrt nach dem Sieg, auf den ich sicher zähle. Dir überweis ich auch alle Gefangenen, darunter die Geiseln aus Karthago; denn im Falle des Rückzuges bist du dem Ziel desselben – ihr erfahrt es gleich – am nächsten: die Gefangenen sind daher bei dir am sichersten verwahrt. Ich vertraue dir Ammata, meinen Augapfel, weil – nun weil du – mein tapferer, treuer Thrasarich bist.« Und er legte ihm beide Hände auf die breiten Schultern. »König,« sprach der Riese und sah ihm fest in die Augen, »du siehst ihn wieder, lebend und unversehrt, oder du siehst auch Thrasarich nicht mehr!«

Eugenie fuhr zusammen.

»Ich danke dir! Jetzt kommt, ihr Männer, in das Zelt, um den Schlachtplan zu vernehmen.«

 


 


 << zurück weiter >>