Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Dreizehntes Kapitel.

Am andern Morgen weckten bei Sonnenaufgang langgezogene Hornrufe das schlafende Lager der Vandalen.

Vor den Augen der Römer verdeckt durch die vordersten Reihen der Zelte, ward das Heer der Barbaren geordnet innerhalb des eigenen Lagers. Schon am Abend vorher waren den einzelnen Führern schriftlich die Befehle für ihre Aufstellung zugegangen: so ward sie nun ohne Schwierigkeit vollzogen; die Leute wurden angewiesen, wo sie standen oder lagen das Frühmahl von Brot und Wein einzunehmen. Das Lager war groß: wenig tief, aber sehr lang, dem Lauf des kleinen Flüßleins folgend, auseinandergezogen. Außer den Kriegern hatte es viele Tausende von Weibern, Kindern und Greisen aufnehmen müssen, die aus Karthago und aus andern von den Feinden besetzten oder bedrohten Gebieten geflüchtet waren.

Nun rief Drommetenklang die Unterfeldherrn und die Führer der Tausendschaften in die Mitte des Lagers, wo auf einem großen, freien Platz der König und seine beiden Brüder zu Pferde hielten. Bei ihnen, an ihres edeln Rappen Bug gelehnt, stand Hilde, eine verhüllte Speerstange in der Hand; neben ihr hielt, im vollen Priesterschmuck, zu Pferd, Verus. Außer den Führern drängte sich hier die Mannschaft zusammen, mit welcher Zazo Sardinien wiedergewonnen hatte.

Noch einmal scholl der Ruf der Heerdrommeten durch die Zeltgassen, dann ritt Zazo einige Schritte vor. Brausender Zuruf begrüßte ihn. Er sprach mit lauter fester Stimme: »Höre mich, du Volksheer der Vandalen. Wir kämpfen heute nicht nur um den Sieg, – wir kämpfen für alles, was wir sind und haben: das Reich Geiserichs und seinen Ruhm, für die Weiber und Kinder in jenen Zelten dort, die Sklaven sind, wenn wir erliegen. Heute gilt's, dem Feinde und dem Tod nah in das Auge sehen. Der König hat befohlen: diese Schlacht wird von den Vandalen mit dem Schwert allein geschlagen: – nicht mit Bogen und Pfeil, nicht mit Wurflanze und Speer. – Seht, hier werf' ich meinen Speer von mir: ihr thut desgleichen: mit dem Schwert in der Faust dem Feind dicht an den Leib!« Er ließ die Lanze sinken: alle Krieger folgten seinem Beispiel: »Nur Ein Speer,« fuhr er fort, »wird heute ragen in der Vandalen Heer: – dieser Speerschaft.« Hilde trat vor: er nahm ihr den Schaft aus der Hand, riß die Hülle herab und schwang hoch durch die Luft eine gewaltig wallende, blutrote Fahne.

»Geiserichs Banner! Geiserichs sieghafter Drache!« riefen tausend Stimmen.

»Folgt dieser Fahne, wohin auch sie euch ruft. Laßt sie nicht in Feindes Hand geraten! Schwört, ihr zu folgen bis in den Tod.« – »Bis in den Tod!« scholl es feierlich zurück. »Es ist gut. Ich glaube euch, Vandalen. – Nun hört noch euren König. Ihr wißt: ihm ist des Liedes Gabe eigen und des Harfenschlags. – Er hat – weise, meisterhaft – die Schlachtreihe geordnet: – er hat auch den Schlachtgesang gedichtet, der euch fortreißen soll in den Kampf.« Und Gelimer schlug den langen Purpurmantel zurück, erhob Hildes – Tejas – dunkelgewölbte, dreieckige Harfe und sang zum Schall ihrer helltönigen Saiten:

»Wohlauf nun, Vandalen,
Vorwärts, zur Feldschlacht!
Folget der Fahne,
Der Ruhm-umrauschten
Gesellin des Sieges.

Fahrt in die Feinde!
Ringet und reißt sie,
Brust an Brünne,
Nieder im Nahkampf!

Wahret, Vandalen,
Das Edelerbe
Untadliger Ahnen:
Das Reich und den Ruhm!

Schon rüstet die Rache
Hoch in den Himmeln
Der Rächer des Rechts:
Gott giebt der gerechten
Sache den Sieg.«

»Gott giebt der gerechten Sache den Sieg!« wiederholten brausend die Krieger und verteilten sich, auseinanderströmend, in die Gassen des Lagers. –

Der König und seine Brüder stiegen nun von den Rossen, nochmals kurzen Rats zu pflegen und einen Trunk Weines zu nehmen, den Hilde selbst ihnen darbot. Da, während Gelimer Hilde die Harfe reichte, drängte sich durch die auseinanderwogenden Reihen eine seltsame Gestalt. Der König und seine Brüder staunten sie an: ein hochgewachsener Mann, vom Scheitel bis zu den Knöcheln in einer Kutte von Kamelhaar steckend, die, statt von einem Strick, von einem Gürtel aus wunderschönen goldbraunen starken Strähnen zusammengeflochtenen Frauenhaars, um die Lenden zusammengehalten wurde; keine Sandalen schützten die nackten Füße, keine Kopfbedeckung das kurzgeschorene Haupt: eingefallen waren die Wangen, aus tiefen Höhlen funkelten heiße Augen: er warf sich vor dem König nieder und hob flehend beide Hände empor.

»Bei Gott! – Ich kenne dich, Mann,« sprach dieser. »Ja, das ist . . .« – fiel Gibamund ein, »Thrasabad, Thrasarichs Bruder,« schloß Zazo. »Der Verschollene, längst Totgeglaubte?« fragte Hilde, scheuen Blickes naher tretend. »Ja, Thrasabad«, erwiderte eine klanglose Stimme, »der Unselige. Ich bin ein Mörder, – ihr Mörder: – König, richte mich.« Gelimer neigte sich, faßte ihn an der Rechten und hob ihn auf. »Nicht der Griechin Mörder! – Ich hörte alles von deinem Bruder.« –

»Gleichviel! Ihr Blut liegt auf meiner Seele. Das empfand ich, sowie ich es strömen sah. Ich lud die schöne Last auf ein Roß – in jener Nacht – und sprengte fort mit ihr – aus den Augen der Menschen! – Fort – immer fort in die Wüste – bis das Roß niedersank: – und mit diesen Händen – nicht weit von hier – habe ich sie bestattet in einer Sandschlucht. Ihr wunderschönes Haar schnitt ich ihr ab: – wie oft hab' ich's gestreichelt und gekost! Und unablässig hab' ich gebetet und gebüßt an ihrem Grabe. Fromme Wüstenmönche fanden mich dort wachend, fastend, dem Tode nah. Und ich beichtete ihnen meine schwere Schuld. Und sie versprachen mir Gottes Vergebung, wenn ich als einer der Ihrigen an jenem Grabe büßen wolle für und für. Ich gelobte es. Sie gaben mir ihre Gewandung – ich schlang Glaukes Haar darum, mich stets der Schuld zu mahnen; – sie brachten mir Nahrung in die einsame Schlucht. Aber als ich nun den Tag von Decimum und meines Bruders Tod erfuhr, als die Entscheidung näher und näher hierher zog, als ihr und die Feinde dicht neben meinem Verstecke Lager schlugt, seit ich – zwei Tage schon! – die Kriegshörner meines Volkes höre, – seitdem habe ich keine Ruhe mehr in meinem müßigen Gebet! Ich habe einst das Schwert nicht schlecht geführt. Mein ganzes Herz verlangte danach, dem Ruf des Heerhorns einmal noch – zum letztenmal! – zu folgen. Ach, ich wagte es nicht: ich weiß, ich bin's nicht wert! – Aber diese Nacht ist mir im Traume sie erschienen: – ihre Menschenschönheit ganz in Engelsglanz verklärt, nichts Irdisches mehr an ihr! Und sie sprach: ›Geh hin zu deinen Waffenbrüdern und erbitte dir ein Schwert und kämpfe und falle für dein Volk: – das ist die beste Sühne.‹ O glaub's mir, mein König! Ich lüge nicht, den Namen dieser Heiligen im Munde. Und kannst du mir verzeihn, um ihrerwillen – o laß mich . . . –«

Da trat Zazo vor, zog einem der Seinigen das Schwert aus der Scheide und reichte es dem Mönche: »Hier, Thrasabad, Thrasamers Sohn! – Ich nehm's auf mich beim König. – Siehst du? Schon nickt auch er dir zu. Nimm dieses Schwert und folge meiner Schar. Du brauchst wohl keine Scheide mehr. – Jetzt, König Gelimer, laß die Hörner schmettern und vorwärts: auf den Feind!«

 


 


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