Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Achtzehntes Kapitel.

Jetzt trafen die Brüder des Königs an der Spitze ihrer Reiter auf dem Platz ein: sie hatten von ihren Rossen aus, über die Menge hinweg, den grausen Vorgang mitangesehen. Sie sprangen ab und drückten Gelimer stürmisch die Hände. »Was ist dir, Bruder?« fragte Gibamund. »Das ist nicht der Blick des Erretters!« »O mein Bruder,« seufzte Gelimer. »Beklage mich! Mich ekelt meines Volkes! – Und das ist hart.« »Ja, denn es ist doch das Beste, was wir haben,« sprach Zazo ernst. »Auf Erden,« erwiderte grübelnd der König. »Aber ist es nicht Sünde, auch dieses Irdische so heiß zu lieben? Alles Irdische ist eitel! Ist's nicht auch Volk und Vaterland?« – Und er versank in brütend Sinnen.

»König Gelimer, wach auf!« rief ihm, wohlmeinend mahnend, eine Stimme aus der Menge zu.

Es war Thrasarich. Er staunte über diese plötzliche Wandlung: auch er hatte sich gegen den Tiger gewandt: aber der König, der vor allen den dräuenden Ansatz des Tigers bemerkt hatte, war, vom Pferde springend, ihm zuvorgekommen. Ihm – und noch einem andern.

Der ältere der beiden Fremdlinge hatte ruhig standgehalten, den Speer zum Wurfe gezückt. »Das war ein guter Stoß, Theudigisel,« flüsterte er nun. »Aber laß sehen, wie das endet. Dieser König versäumt den besten Augenblick.« Und so schien es.

Denn inzwischen hatten die Edelinge von ihrer Beschämung sich ein wenig erholt: nicht mehr ganz so keck zwar wie vorher, aber immer noch trotzig genug trat Gundomar vor und sprach: »Du bist ein Held, König. Es war undankbar, daran zu zweifeln: aber du bist nicht eben leicht zu fassen. – Allein auch einem Helden wollen und können wir nicht mehr dienen und gehorchen wie unsere Ahnen, die Bären Geiserichs, diesem dienten.«

»Es ist nicht nötig und nicht möglich mehr,« fuhr Modigisel fort. Er wollte wieder nach feiner römischer Mode lispeln und leise näseln, vergaß aber bald die Künstlichkeit, fortgerissen von wirklicher Erregung. »Wir sind nicht mehr Barbaren, wie des blutigen Meerkönigs Segelbrüder waren. Wir haben gelernt von den Römern: – leben und genießen. Verschone uns mit den schweren Waffen! Unser ist – unangefochten, unentreißbar unser – dies herrliche Land, in dem man nur schwelgen kann, nicht sich mühen. Genuß, Genuß und wieder Genuß ist allein des Atmens wert. Mit dem Tode ist ja doch alles aus. Darum, solang ich noch lebe, – küssen will ich und trinken und nicht fechten und will . . .«

»Ein Sklave werden Justinians,« brach der König zornig los.

»Bah, diese Griechlein! Sie wagen gar nicht, uns anzugreifen.« – »Laß sie kommen! Wir rennen sie in Einem Sauseritt ins Meer!« – »Ja, wäre das Reich in Gefahr, – die Gundinge wissen, daß die Ehre sie ruft an die Spitze des Keils in jeder Vandalenschlacht.« – »Aber es droht nirgends Krieg.« – »Niemand unterfängt sich, mit uns anzubinden.« – »Den Asdingen behagt es nur, unter solchem Vorwand die Edelsten der Vandalen hin- und herzubefehligen wie maurische Söldner oder dienstpflichtige Sklaven.« – »Wir wollen aber nicht mehr – wir . . . –«

Modigisel konnte nicht vollenden: lauter Hornruf und der Lärm ansprengender Rosse übertönte seine Stimme: an der Spitze mehrerer Reiter jagte heran auf dunklem Roß eine weiße Gestalt. Zwei Fackelträger sprengten rechts und links neben ihr, vermochten aber kaum Schritt zu halten: – frei im Winde flatterte nach das lange, ganz hellgoldige Gelock, ein weitfaltiger weißer Mantel flutete um Reiterin und Roß. »Das ist Hilde,« rief Gibamund. »Ja, Hilde und der Krieg!« erwiderte diese jauchzend, das schnaubende Tier sofort zum Stehen bringend. Ihre Augen blitzten; in der Rechten schwenkte sie ein Pergament. »Krieg – König der Vandalen! Und ich – ich durft' es dir zuerst verkünden, das schicksalreiche Wort, das dich, das euch Asdingen alle wie des Heerhorns eherne Stimme fortruft zu Sieg und Ehre.« »Sie ist herrlich!« sprach Thrasarich zu Eugenia. Diese nickte. »Einen Mantel!« – fuhr er fort. »Sie – Hilde! – soll mich nicht in diesem dummen schmachvollen Aufputz sehen. Leih mir deinen Mantel, Freund Markomer.« Und er ließ sich, das Pantherfell abstreifend und den Thyrsos von sich werfend, von dem Führer der Reiter dessen braunen Mantel um die nackten Schultern schlagen.

»Wie kommst du – das Weib – zu solcher Botschaft?« fragte Gelimer, das Pergament aus ihrer Hand nehmend. Sie sprang nun ab, in ihres Gatten offene Arme. »Verus sendet mich. Eilschiffe, die er erwartete, liefen in den Hafen. Er wollte dir dies Schreiben – es war das erste, das er erhielt – selbst bringen. Aber gleich darauf wurden ihm mehrere andere Briefe vorgelegt: – wichtige, umfangreiche: auch vom Westgotenkönig – er mußte sie zum Teil erst aus Geheimschrift übertragen. – Da befahl er, mich zu wecken. ›Hilde wecken – heißt den Kampf erwecken‹, so lehrte mich mein Ahnherr Hildebrand,« schloß sie lachend, mit leuchtenden Augen.

»Und wirklich, wie der Walküren Führerin kam sie unter uns gefahren,« sprach Thrasarich mehr zu sich selbst als zu Eugenia.

»Davon freilich weiß nun Verus nichts,« fuhr Hilde fort. »Aber er lächelte gar eigen als er sprach: ›du bist die rechte Botin dieser Botschaft und meines Auftrags an Gelimer!‹ Ich zögerte nicht! Ich bringe dir den Kampf und – ich fühl's, o König der Vandalen – den sichern Sieg. Lies!« Gelimer entrollte das bereits entsiegelte Pergament und las, einen Fackelträger heranwinkend, mit lauter Stimme: »An Gelimer, der sich den König der Vandalen nennt . . .« »Wer ist der Freche?« unterbrach Zazo. – »Goda, einst Statthalter, nun König auf Sardinien.« »Goda? Der Elende! Nie hab' ich ihm getraut!« rief Zazo. – »Nachdem du König Hilderich mit falscher Anklage entthront und eingekerkert hast, versage ich dir, Anmaßer, den Gehorsam. Ihr leichtgläubigen Thoren habt vergessen, daß ich Ostgote bin: ich aber vergaß es nie. Der Einzige fast, der bei der Niedermetzlung meiner Volksgenossen übrig blieb, sann ich seither auf Rache, – unablässig. – In blindem Vertrauen habt ihr mir diese Statthalterschaft übertragen: ich aber habe die Garden für mich gewonnen und werde fortan selbst, mit königlichen Rechten, dies Eiland beherrschen. Wagst du es, mich anzugreifen, so wisse, daß ich des großen Kaisers Justinian Schutz angerufen und zugesagt erhalten habe: lieber dien' ich einem mächtigen Kaiser als einem vandalischen Tyrannen. Goda, König von Sardinien.«

»Ja, das ist der Krieg!« sprach Gelimer, ernsten Tones. »Gewiß mit Sardinien. Vielleicht auch mit Byzanz: obwohl die letzten Briefe von dort nur Frieden atmeten. Habt ihr's vernommen?« – so wandte er sich nun mit königlicher Hoheit gegen die Edelinge: – »Habt ihr's gehört, ihr Edeln und du, Volk der Vandalen? Soll ich dem Empörer, soll ich dem Kaiser schreiben: Nehmt und behaltet, was ihr wollt! Die Enkel Geiserichs scheuen die Schwere der Waffen. Wollt ihr nun weiter Cirkusfeste feiern oder wollt ihr . . . –«

»Krieg wollen wir! Den Kampf!« rief da mit lauter Stimme, rasch den Kreis der Edelinge durchbrechend, Thrasarich der Riese. – »O König Gelimer, deine That, dein Wort und dieser herrlichen Frau Anblick und jenes frechen Verräters frecher Brief – sie haben wieder wachgerufen in mir – gewiß in uns allen – was ach! zu lang, zu lang eingeschläfert war. Und wie dieser Rosen weibischen Schmuck« – er riß den Kranz vom Haupt und schleuderte ihn zur Erde – »so schleudr' ich von mir all' die weiche, faule, faulende Lust und Üppigkeit! Verzeihe mir, mein König, du großer Held. Ich will's gut machen! Glaube mir, – was ich verschuldet habe: ich sühn' es in der Schlacht.«

Und er wollte, beide Hände ausstreckend, auf das Knie sinken. Aber der König fing ihn auf und zog ihn an die Brust: »Dank dir, mein Thrasarich! Des freut sich dein Ahn, Held Thrasafrid, der jetzt vom Himmel auf dich niederschaut.« Aber Thrasarich riß sich los und zu den Edelingen gewendet rief er: »Nicht nur mich, – diese alle, alle um dich her muß ich der Pflicht, dem Heldentum zurückgewinnen! O wäre doch mein Kleiner hier! Genossen, Vettern: hört mich an! Wollt ihr gleich mir dem wackern König beistehn? Wollt ihr ihm gehorchen? Ihm folgen in den Kampf treu bis zum Tod?« »Wir wollen's! Wir wollen's! In Kampf und Tod,« riefen die Edelinge, alle, ohne Ausnahme. Modigisel schrie jetzt lauter als die andern. Nur Gundomar zauderte noch einen Augenblick: dann trat er, hoch aufgerichtet, vor und sprach: »Ich habe nicht an Krieg geglaubt. Ich hielt es wirklich nur für des allzustrengen Königs Vorgeben, um uns von unserm frohen Leben hinweg zu den Waffen zu zwingen. – Aber dieses Goda Frechheit und des falschen Kaisers ihm zugesagte Hilfe: – das ist nicht zu ertragen! – Nun gilt es wirklich Kampf für unser Reich. Da stehn die Gundinge an der Asdingen Schildseite: – jetzt wie ehedem und immerdar! König Gelimer – du bist im Recht – ich war ein Thor. – Verzeihe mir!« »Verzeih uns allen,« riefen die Edeln, in stürmischer Bewegung gegen den König wogend. Dieser streckte ihnen gerührt beide Hände entgegen, die sie eifrig faßten und schüttelten.

»O Hilde,« sprach Thrasarich, »zu rechter Zeit wardst du geweckt: das ist – zum guten Teil – dein Werk.« Und bevor diese erwidern konnte, zog er die scheue Eugenia aus dem Myrtengebüsch, in welches sie zurückgetreten war, hervor. »Kennst du diese Kleine noch, mein König? Du nickst? Nun gut – ich habe sie zu meinem Eheweib gewonnen. – Nicht abgezwungen! Sie sagt es selbst: – sie ist mir gut. – Es ist schwer zu glauben – nicht wahr? Doch sie sagt es selbst! Der Priester hat unsern Bund gesegnet – nun gieb auch du uns zusammen, – vor allem Volk – nach deinem alten Königsrecht, uns zu vermählen.«

Der König lächelte der Braut zu: »Wohlan! Ein Sinnbild sei dieser Ehebund der Versöhnung, der Verschmelzung beider Volker. – Ich will . . . –«

Aber schon vorher hatte sich an Eugeniens Seite ein stolzes, drohendes Frauenbild gedrängt: ein Purpurmantel gleißte in dem roten Schein der Fackeln: das Weib neigte sich herab zu der zarten, rührenden Gestalt und raunte ihr ins Ohr. Eugenia erbleichte. Da schloß die Flüsternde die leise zischende Rede und wies mit ausgestrecktem Arm nach der numidischen Straße, auf welcher der Rappe verschwunden war. »Ah, also doch!« stöhnte die Braut, des Königs Rede unterbrechend: sie wollte hastig von Thrasarich hinwegtreten, aber die Füße versagten ihr: – sie sank ohnmächtig zusammen. Weiche Arme fingen sie auf. Hilde, die eben noch so kampffreudige, die Walküre, war es. Mit der Linken barg sie nun die zarte Gestalt an der Brust, die rechte streckte sie, wie in schützender Abwehr aus gegen Thrasarich, der bestürzt die kleine Hand ergreifen wollte.

»Zurück!« sprach Hilde streng. »Zurück von ihr! Was es auch sei, das dieser Lilie Kelch gebeugt hat, – erst soll sie sich wieder heben an meiner Brust unter meinem Schutz. Ein Unrecht war es schon – ein schwer verzeihliches! – die Hochzeit mit einer Eugenia hier« – ein vernichtender Blick streifte, ohne an ihr zu haften, Astarte – »im Venushain zu feiern. Thrasarich, entscheide selbst – bist du es wert, – jetzt, von hier aus, – diese Braut mit dir zu führen in dein Haus?«

Da zitterte des Riesen gewaltige Gestalt: seine breite Brust hob sich: er rang nach Atem, – dann seufzte er tief, schüttelte das Haupt und verhüllte es tief in den Mantel. »Eugenie bleibt bei mir,« sprach Hilde ernst und drückte einen Kuß auf die bleiche Stirn der Wiedererwachenden. Thrasarich warf noch einen Blick auf sie: dann verschwand er in der Menge.

Modigisel trat heftig auf Astarte zu: »Schlange,« rief er – ohne jedes Gelispel! – »Dämon! Was hast du der Armen ins Ohr gezischt?« – »Die Wahrheit.« – »Nein! Er hat's nie wirklich – nie im Ernst – gemeint. Und – der Rappe ist zum Teufel! – mein Spiel ist aus.« – »Das meine nicht.« – »Du sollst aber nicht! Ich schäme mich des übeln Streichs.« – »Ich nicht,« lachte sie kurz und sah Thrasarich nach. »Gehorche, Sklavin oder –«

Er hob den Arm zum Schlag. Wieder warf sie den schönen Kopf zurück, aber jetzt so heftig, daß das prachtvolle schwarze Haar sich plötzlich aus seinem goldnen Zwang löste und wild über den blendenden vollen Nacken flutete, sie drückte die Augen zusammen und merklich diesmal fletschte sie ein wenig die weißen, schönen, kleinen Zähne. Er wagte nicht, dies leise drohende Geschöpf zu schlagen. »Warte nur. Zu Hause! Da –« »Da versöhnen wir uns,« lächelte sie von der Seite ihn anblitzend mit den schwarzen Augen. – Es war offener Hohn. Aber ihm graute. Er zuckte, – wie in Furcht.

»Mir aber, mein Bruder und mein König,« rief jetzt Zazo, unfähig, sich länger zurückzuhalten, schon lange kämpfte er mit seiner Ungeduld – »mir vergönne die Lust, diesen Goda zu bestrafen. Die Flotte liegt segelbereit: – laß mich ziehn! Gieb mir nur fünftausend Mann, die ich mir küren darf . . . –« »Wir Gundinge ziehn mit,« rief Gundomar. »Und ich gelobe dir: in Einer Schlacht zwing' ich Sardinien zum Gehorsam zurück und bringe dir das Haupt des Verräters.«

Gelimer überlegte. »Jetzt – die ganze Flotte verschicken und die Blüte des Fußvolks? Jetzt? – Da jeden Augenblick der Kaiser uns hier im Hauptlande bedrohen kann? – Das will erwogen sein! – Ich muß mit Verus . . . –« »Verus?« rief Hilde eifrig. »Ich vergaß, es zu sagen! Verus trug mir auf: er rate, ohne Verzug diesen ersten Funken auszutreten. ›Dich sende ich, Hilde,‹ sprach er mit seltsamem Lächeln, ›denn ich weiß: du treibst und schürst zu rascher Kriegsfahrt.‹ Du, König, sollst sofort, noch ehe du aufs Kapitol zurückkehrst, die Flotte im Hafen zur Abfahrt rüsten und sie mit Zazo nach Sardinien schicken.« – »Sie ist gerüstet,« jubelte dieser. »Seit drei Tagen schon liegt sie bereit, den Byzantinern entgegenzufahren. Aber der nächste Feind – der beste! O gieb Befehl, mein König.« »Verus rät es?« sprach dieser ernst. »Dann ist es wohlgeraten, ist mein Heil. Wohl, Zazo, dein Wille soll geschehen!« »Auf! an Bord! In die See! In den Kampf!« jubelte dieser. »Auf, folgt mir, ihr Vandalen! Besteigt die ruhmgekrönten Schiffe wieder! Die See, das Meer war immer eurer schönsten Kämpfe blau wogend Schlachtgefild! Spürt ihr den Hauch des Morgenwindes, den mächtigen Süd-Süd-Ost? Es ist der rechte Fahrwind nach Sardinien.« »Der Wunschgott selbst,« rief Hilde, »der da im Winde weht und waltet: – Er schickt ihn euch, ihr Enkel Geiserichs! Folgt seinem Hauch! Es ist der Hauch des Sieges, der eure Segel schwellt! Zum Kampf!« »Zum Kampf! Auf See! Auf See! Auf, nach Sardinien!« scholl es brausend aus tausend Kehlen: in stürmischer Bewegung, kriegerisch begeistert, strömten die Vandalen aus dem Hain der Venus nach Karthago und in den Hafen. –

Staunend schauten ihnen die Römer nach; die ganze lebende Generation hatte das noch nicht gesehen an ihren verweichlichten Zwingherrn. Auch die beiden Fremden traten aus dem dichten Lorbeergebüsch hervor, von welchem aus sie die letzten Vorgänge unbemerkt, aufmerksam, mit angesehen.

»Was sagst du nun, Herr?« fragte der jüngere. »Bist du jetzt nicht andern Sinns geworden?« – »Nein!« – »Wie? Und du sahst doch« – er wies auf den toten Tiger. – »Ich sah's! Ich hörte auch diesen Kriegsruf der Menge! – Schade um den wackern König und sein Haus! – Laß uns zu Schiff! – Sie sind doch allesamt verloren!«

 


 


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