Felix Dahn
Gelimer
Felix Dahn

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Siebentes Kapitel.

Die fliehenden Vandalen hatten, Karthago weit zur Rechten liegen lassend, die bei Decimum von der Straße nach dieser Hauptstadt gen West-Nord-West abbiegende numidische eingeschlagen.

In dieser Richtung waren auch die zahlreichen Frauen und Kinder, die das unsichere Karthago schon vor vielen Tagen verlassen und das Heer begleitet hatten, aus dem Lager der letzten Nacht bereits am Morgen aufgebrochen und unter guter Bedeckung nach dem kleinen Ort: »castra vetera« gebracht worden, der einen halben Tagemarsch vom Schlachtfeld entfernt lag. Hier trafen die vorausgeschickten Frauen und ihre Bedeckung mit den Flüchtlingen von Decimum etwa zwei Stunden vor Mitternacht zusammen: die Verfolgung hatte schon mit Einbruch der vollen Dunkelheit aufgehört. Um den Flecken herum lagerte das Heer im Freien: in den nicht zahlreichen, von den Frauen aus dem früheren Lager mitgeführten Zelten und in den dürftigen Hütten des Ortes wurden die vielen Verwundeten und die Großen des Heeres untergebracht. In einem jener Zelte lag, auf Decken und Kissen ausgestreckt, Gibamund; neben ihm kniete Hilde, eifrig beschäftigt, den Verband des Fußes zu erneuen, sobald sie damit zu Ende, wandte sie sich Gundomar zu, der auf der andern Seite des schmalen Gelasses saß, das verbundene Haupt auf die Hand gestützt. Blut sickerte aus seinem gelben Haar: sorgfältig prüfte sie die Wunde: »Es ist nicht tödlich,« sprach sie. »Schmerzt es sehr?« forschte sie. »Nur wenig,« erwiderte der Gunding, die Zähne zusammenbeißend. »Wo ist der König?«

»In der kleinen Kapelle, mit Verus. Er betet.« Herb kamen die Worte von ihrer Lippe. »Und mein Bruder?« fragte Gundomar. »Was ist's mit seiner Schulter?« – »Ich schnitt die Pfeilspitze heraus. Er ist ganz frisch. – Er befehligt die Wachen. Übrigens: – auch der König ist verwundet.« »Wie?« fragten beide Männer erschrocken. »Er sagte nichts davon!« – »Er schämt sich – für sein Volk. Denn nicht ein Feind, – fliehende Vandalen, die er mit Gewalt fest hielt und wenden wollte, haben mit Dolchen nach seinem Arm gestochen!« »Die Hunde,« knirschte Gundomar. Aber Gibamund seufzte. »Gundobad, der es mit angesehn, hat mir's verraten: ich besah darauf den Arm: es ist ohne Gefahr.« »Und Eugenia?« fragte er nach einer Pause.

»Sie liegt wie betäubt in dem nächsten Hause. Als sie des Gatten Tod erfuhr, rief sie: ›Zu ihm! In sein Grab – Sigrun‹ – ich hatte ihr einst die Sage von Helgi erzählt – und wollte, besinnungslos, fortstürmen. Doch sank sie ohnmächtig in meinen Armen zusammen. Auch nachdem sie wieder zu sich gekommen, liegt sie, wie gebrochen, auf dem Ruhebett: ›Zu ihm! – Sigrun – In sein Grab! – Ich komme, Thrasarich!‹ ist alles, was sie antwortet auf meine Fragen. Sie wollte sich erheben, genaueren Bericht zu erkunden: sie konnte es nicht! Und ich verbot ihr streng, es nochmal zu versuchen. Ich werde ihr – schonend – sagen, was ihr zu wissen gut, nicht mehr. Nun aber sprich, Gundomar, falls du's vermagst: das andere weiß ich alles – nur nicht wie Ammata, wie Thrasarich . . . –«

»Gleich,« sprach der Gunding. »Noch einen Trunk Wasser. – Und deine Wunde, Gibamund?«

»Es ist ja keine,« sprach dieser bitter. »Ich bin ja gar nicht an den Feind gekommen. Immer, immer wieder schickte ich Boten aus nach Thrasarich, da dessen verabredete Meldung, daß er aus Decimum vorbreche, ausblieb. Kein Bote kam zurück, – sie fielen alle in des Feindes Hand! – Keine Meldung von Thrasarich kam. Die Zeit des Angriffs, die der König mir bestimmt, war voll gekommen: getreu dem Befehle griff ich an, obwohl ich die Übermacht des Feindes klar erkannte und obwohl der Hauptangriff, obwohl Thrasarich ausblieb. Als wir auf Pfeilschuß heran waren, prallten die Reiter, die Hunnen, links und rechts auseinander und wir sahen vor uns das thrakische Fußvolk, sieben Glieder tief, das uns mit einem schwirrenden Pfeilhagel empfing. Sie zielten auf die Pferde: meines, das vorderste, und alle der ersten Reihe stürzten sofort; dein tapferer Bruder, in der zweiten Reihe, selbst vom Pfeil getroffen, hob mich mit Mühe auf sein eigen Roß – ich konnte nicht stehen – und rettete mich. Denn von beiden Flanken brachen jetzt die Hunnenreiter auf uns ein, von der Stirnseite drangen die Thraker mit gefällten Speeren vor – nicht hundert von meinen zweitausend leben noch.« – Er stöhnte. – »Aber sage, wie kam Ammata – gegen den Befehl, trotz Thrasarichs Obhut . . .?« – forschte Hilde.

»Das war so,« sprach der Gunding, die Hand an die schmerzende Kopfwunde drückend. »Wir hatten den Knaben, ohne Waffen, in der kleinen katholischen Basilika zu Decimum untergebracht, wie die Geiseln aus Karthago, darunter auch den jungen Publius Pudentius.« – »Auch Hilderich und Euages?« – »Nein. Die hat Verus in das zweite Lager nach Bulla bringen lassen. – Bleda, der gefangene Hunne, war mit einem Strick draußen an dem Erzringe der Kirchenthüre angebunden: er lag auf der obersten Stufe. Auf dem Platze vor der kleinen Kirche hielten etwa zwanzig unserer Reiter. Manche waren auf Thrasarichs Befehl – er ritt wiederholt über den Platz, wachsam nach allen Seiten blickend – abgestiegen; sie hatten die Speere neben die Gäule in den Sand gestoßen und spähten von den flachen Dächern der umstehenden Häuser, sich auf denselben niederstreckend, nach Südwesten aus, gegen den heranrückenden Feind. Ich hielt zu Pferde an dem offenen Fensterbogen der Basilika: – denn von ihrer Ecke sah man geradeaus bis an den Eingang der Hauptstraße von Decimum, wo Astartens, ehemals Modigisels, Villa liegt. So hört' ich – noch war kein Byzantiner sichtbar – jedes Wort, das in der Basilika gesprochen ward. Heftig stritten zwei Knabenstimmen.

›Wie?‹ rief der eine. ›Ist das die Heldenschaft, die so lautgepriesene, der Vandalen? Hier, in der Kirche, steckst du, Ammata, im Asyl der Kirche, der vielgequälten Katholiken? Hier suchst du Zuflucht?‹ ›Gebot des Königs,‹ erwiderte Ammata, – seine Stimme war von Wut erstickt. ›Ah,‹ höhnte der andere – Pudentius war es – ich erkannte nun die Stimme. ›Das ließ ich mir von König und von Kaiser nicht befehlen! Ich bin gefesselt an Händen und Füßen: sonst wär' ich längst da draußen und kämpfte an der Römer Seite.‹ – ›Gebot des Königs, sag' ich dir.‹ – ›Gebot der Feigheit! Hei, wär' ich ein Sproß des Königshauses, um dessen Krone hier gefochten wird, mich hielte nichts in einer Kirche, während . . . – Horch, das ist die Tuba! Das ist der Römer siegverkündend . . . –‹

Nicht mehr vernahm ich: draußen vor Decimum schmetterten die römischen Drommeten.«

Da wurden die Falten des Zeltes leise von außen auseinander geschoben. Ein bleiches Antlitz, zwei große, dunkle Augen spähten herein: – niemand bemerkte es.

»Im selben Augenblick sprang aus dem sehr hohen Fenster der Basilika – ich begreife noch nicht, wie der Knabe hinauf kam – eine Gestalt, lief an mir vorbei, schwang sich auf das ledige Roß eines unserer Reiter, riß den daran lehnenden Speer aus dem Boden und mit dem jauchzenden Ruf: ›Vandalen! Vandalen!‹ stob er die Straße hinab, den Byzantinern entgegen. ›Ammata! Ammata! Halt!‹ rief ihm Thrasarich nach. Aber der war schon weit. ›Nach! Gundomar! Nach! Rette den Knaben,‹ schrie Thrasarich und schoß an mir vorbei. Ich folgte, unsere Reiter – ein dünnes Häuflein! – desgleichen. ›Zu früh! Viel zu früh!‹ rief ich, da ich Thrasarich einholte. – ›Der König befahl, den Knaben zu schützen!‹ – Es war unmöglich, ihn zu halten. Ich folgte. Schon hielten wir an dem engen Süd-Eingange von Decimum: rechts die Villa der Astarte, links die hohe Steinmauer eines Getreidespeichers. Ammata, ohne Helm, Brünne und Schild, nur den Speer in der Hand, hielt gegenüber einer ganzen Schar berittener Lanzenträger, die erstaunt den tolldreisten Knaben anstarrten.

›Zurück, Ammata! Flieh, ich decke hier den Eingang,‹ rief Thrasarich. ›Ich fliehe nicht! Ich bin ein Enkel Geiserichs,‹ war die Antwort des Knaben. ›So sterben wir hier zusammen! Hier meinen Schild.‹ Es war die höchste Zeit. Denn schon flogen die Wurflanzen der Byzantiner dicht auf uns. Unsere drei Pferde stürzten. Unversehrt sprangen wir alle drei auf. Ein Wurfspeer stak in dem Schild, den Thrasarich dem Knaben aufgedrängt, das Hammerzeichen darin durchbohrend. Ein Dutzend unserer Reiter war nun hinter uns angelangt. Sechs sprangen ab, die Lanzen vorstreckend. Wir sperrten zur Genüge den engen Eingang. Die Byzantiner sprengten auf uns ein: nur drei Gäule hatten nebeneinander Raum. Wir drei erstachen zwei Reiter und ein Roß. Die Feinde mußten erst die Toten, auch unsere drei Pferde und das vierte wegziehen, sich Raum zu schaffen. Dabei sprang Ammata vor und erstach noch einen der Byzantiner. Als er zurücksprang, streifte ein Pfeil seinen Hals: hoch auf spritzte das Blut: der Knabe lachte. Wieder sprengten die Feinde an. Wieder fielen zwei von ihnen. Aber Ammata mußte den Hammerschild fahren lassen, so viele Speere staken nun darin, und Thrasarich empfing einen Lanzenstoß in den linken, den schildlosen Arm. Jetzt hörten wir hinter den Byzantinern germanische Hörner: es klang ähnlich wie unser vandalisches Reiterhorn. ›Gibamund! Oder der König!‹ riefen unsere Leute. ›Wir sind gerettet.‹

Aber wir waren verloren: Heruler waren es, in des Kaisers Sold. Ihr Führer, eine hohe Gestalt, Adlerflügel auf dem Helm, übernahm sofort den Befehl über alle Feinde uns gegenüber. Er ließ mehrere Reiter absitzen und die Mauer des Speichers zu seiner Rechten erklettern, andere trabten nach links ab, die Villa zu umreiten: zugleich überschütteten sie uns mit einem Hagel von Speeren. Mir flog der Eberhelm vom Kopf, zwei Lanzen zugleich hatten ihn getroffen, eine dritte traf nun mein Haupt und streckte mich zu Boden. In diesem Augenblick, da wir alle lediglich nach vorn, gegen die Feinde, unsere Blicke richteten, drängte sich von rückwärts, von der Basilika her, ein Mann zu Fuß durch unsere Reiter: – ich hörte einen heisern Schrei: ›Warte, Knabe!‹ und sah eine Klinge blitzen. Ammata fiel nach vorn aufs Knie.

Bleda war's, der gefangene Hunne. Er schleifte noch den abgerissenen Strick am Fuße nach. Er hatte sich losgerissen, eine Waffe aufgerafft: bevor er das Schwert aus des Knaben Rücken ziehen konnte, hatte ihn Thrasarich durchspeert. Aber der Angreifer vorn hatte der Edeling darüber ganz vergessen: er schlug nicht wie bisher, die heranfliegenden Wurflanzen zur Seite. Zwei Speere auf einmal trafen ihn: er erhielt eine tiefe Wunde in den Schenkel, er taumelte gegen die Mauer der Villa. Da öffnete sich eine schmale Pforte derselben und auf der Schwelle stand Astarte. ›Komm,‹ sagte sie, ›Geliebter! ich rette dich,‹ sie griff nach seinem Arm. ›Ein geheimer Gang aus meinem Keller . . . –‹ Aber schweigend riß Thrasarich sich los und warf sich vor den knieenden Knaben. Denn jetzt drangen Heruler und Byzantiner, zu Roß und zu Fuß, in dichten Haufen, heran. Die Pforte flog zu.

Ich wollte mich aufrichten, – ich konnte nicht. So sah ich, ohne helfen zu können, selbst hilflos, doch gedeckt durch ein totes Pferd, hinter dem ich zusammengesunken war, das Ende. – Ich mach' es kurz. So lang er einen Arm rühren konnte, deckte der treue Riese den Knaben mit Schwert und Speer: zuletzt noch, als ihm der Speer abgehauen, das Schwert zerbrochen war, mit dem eignen Leib. Ich sah, wie er, das gewaltige Bärenfell wie einen Schild über ihn breitend, beide Arme um die Brust des Kindes schlang.

›Ergieb dich, tapfrer Mann,‹ rief ihm der Führer der Heruler zu. Aber Thrasarich . . . – horch, was war das?«

»Ein Ächzen? Dorther! Schmerzt der Fuß, mein Gibamund?« – »Ich schwieg. Es war wohl ein Nachtvogel – draußen – vor dem Zelt.« – »Aber Thrasarich schüttelte das mächtige Haupt und schleuderte den Schwertknauf dem nächsten Byzantiner ins Gesicht, daß der aufschreiend stürzte. Da flogen so viele Lanzen auf einmal, daß Ammata tot zur Erde sank. Aber Thrasarich fiel nicht. In halb gebückter Stellung, beide Arme vorn überhangend, blieb er stehen. Der Führer der Heruler trat dicht an ihn heran: ›Wahrhaftig,‹ sprach er, ›das hab' ich nie gesehen! Der Mann ist tot. Aber er kann nicht fallen: so viele Speere, auf dem Boden mit den Schaftenden anstehend, stecken in seiner Brust.‹ Mit sanften Händen zog er einige heraus: – nun glitt der Starke nieder neben Ammata. –

Unsere Reiter waren geflohen, sobald sie uns beide hatten fallen sehen. An mir vorbei – ich lag wie tot – jagte die Verfolgung. Erst nach langer Zeit, da alles um mich her still geworden, gelang es mir, mich etwas aufzurichten. So fand mich neben Ammata der König, dem ich der beiden Geschick erzählte. Das andere, – wie er den Augenblick des Sieges verlor, nein, den schon erfaßten Sieg weg von sich schleuderte, – das wißt ihr. –« »Wir wissen es!« sprach Hilde tonlos vor sich hin. »Und wo ist Ammata, – wo Thrasarich bestattet?« forschte Gibamund.

»Dicht neben Decimum. In zwei Hügeln. Einem Colonen gehört das Land. Nach der Sitte der Ahnen pflanzten die Unsern drei ragende Speere auf jeden der Hügel. Des Königs Reiter brachten mich dann zurück und hoben mich auf ein Pferd, das mich in dieser jammervollen Flucht getragen hat. Schmach über dies Vandalenvolk! Seine Fürsten und Edelinge läßt es kämpfen und bluten – allein! – Die Menge hat noch nichts als rasche Flucht geleistet.«

 


 


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