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Viele der Gäste – so alle, die sich auf dem Podium befunden hatten – stiegen auf die Arena hinab, füllten sich selbst die Schalen, naschten von den Früchten und dem Gebäck. Anderen trugen buntgekleidete Sklaven die Erfrischungen nach ihren Sitzreihen zu.
Sobald nun die Schranken zwischen der Arena und den Zuschauern beseitigt waren, ergossen sich die Gäste in freiem Hin- und Herwogen bald hinunter, bald wieder auf ihre Plätze: ja sie mischten sich in die Tänze der Satyrn und der Bacchantinnen: gar manche der letzteren ward mitten im Tanz umfaßt von dem Arm eines Vandalen, der sich nun selbst in dem tollen Reigen mit drehte.
Immer chaotischer ward das Gewoge – immer glühender brannten die Wangen – immer wilder flatterten blonde und schwarze Haare durcheinander im Tanz – immer rascher mußten die Musiker das Tempo steigern, sollten sie der wachsenden Leidenschaft der Tänzer folgen.
Am stärksten sprach jetzt Thrasabad dem Weine zu. Er war teils erschöpft von dem vielen Hin- und Hereilen, teils in seiner Eitelkeit hocherregt durch den Beifall, den seine Veranstaltungen fanden. Einen Becher nach dem andern stürzte er, an eine Säule gelehnt, auf weichem Pardelfell vor einem niedrigen Trinktisch gelagert, hinunter: mit bangen Blicken sah Glauke, die er im Arme hielt, zu ihm auf: sie wagte keine Warnung. – Thrasarich bemerkte ihren Blick. »Höre, Kleiner,« mahnte er, »nimm dich in acht. Der Festordner ist der einzige, der nüchtern bleiben muß. Und der Grassiker ist schwer. Und du, armes Brüderlein, du weißt es: – du kannst nicht viel vertragen, weil du zu viel beim Trinken redest.« »Hat – keine – keine – Gefahr!« erwiderte dieser, bereits mit Mühe die Worte suchend. »Herbei nun, Iris und ihr Liebesgötter!« Er schwenkte den Stab: er entfiel ihm, Glauke hob ihn auf und legte ihn an seine Seite.
Plötzlich öffnete sich die Wölbung des weiten seidenen Zeltes, welches über die Arena gespannt war: ein Regen von Blumen – meist Rosen und Lilien – schüttete sich über den Altar, über die gedeckten Tische, über die Tänzer aus: von unsichtbaren Röhren ward feuchter, wohlriechender Duft, kaum als leichter Nebel wahrnehmbar, über die Arena, ja auch über die Zuschauerreihen gesprengt. Auf einmal trat aus dem Hintergrund der Arena, hoch oben, aus grauem Gewölk hervorbrechend, eine Sonnenscheibe mit mildem, goldgelbem Licht hervor.
»Helios lächelt in Regenschauer!« rief Thrasabad. »Da ist Iris wohl nicht weit.«
Bei diesen Worten spannte sich der siebenstreifige Bogen – in hellen Farben prachtvoll erglühend – über den ganzen Raum der Arena und, getragen von goldenen Wolken, flog ein junges Mädchen, einen siebenfarbigen Schleier anmutvoll über dem Haupte ausgespannt haltend, hoch von rechts nach links über die Bühne hin. Sowie sie verschwunden war – auch der Regenbogen und die Sonne erloschen nun wieder – und während noch die Rufe des Erstaunens andauerten, schwebte von oben nach unten aus den Zeltöffnungen eine Schar von reizenden Amoretten, Kinder von vier bis neun Jahren, Knaben und Mädchen, an Rosenketten hernieder auf die Stufen des Altars. Von den Sklaven in Empfang genommen, aus den Blumengewinden gelöst, stiegen sie aus und reihten sich auf den Stufen um die noch immer verhüllte Gestalt, auf die nun alle Blicke neugierig sich richteten.
Da sprang Thrasabad vom Trinktisch hinweg auf den Altar – Glauke im Arm haltend: eben hatte ihm diese leise den neugefüllten Becher aus der Hand gelöst. Der brausende Beifall, der ertönte, riß jetzt vollends den eiteln Jüngling dahin; er wankte sichtlich, als er nun auf der obersten Stufe stand, die widerstrebende Glauke mit sich ziehend: »Schau her, Bruder,« rief er mit unsicherer Sprache, »dies ist mein Geschenk zu deiner Hochzeit. – In der Villa des Senators bei Cirta – wie heißt er doch? Er ward verbrannt, weil er hartnäckig katholisch blieb? – Gleichviel! – Ich kaufte vom Fiskus die eingezogene Villa – sie steht auf den Grundlagen einer sehr alten, von kaiserlicher Pracht: herrliche Mosaiken –: Jagdbilder, mit Hirschen, Hunden, edeln Rennern, mit schönen Frauen unter Palmen! – Da ward bei dem Umbau des Kellers, unter zertrümmerten Säulen hervorgegraben diese Statue: – mehr als ein halb Jahrtausend soll sie alt sein: – ein Kleinod soll es sein aus bester Griechenzeit – so sagt mein Freigelassener, der versteht's: – eine Aphrodite. – Zeige dich, Königin von Paphos! – Dir, Bruder, schenke ich sie.« Er faßte ein breites Messer, das auf dem Fußgestelle lag, zerschnitt eine Schnur und ließ das Messer wieder fallen – die Hülle sank: eine wunderschöne, edelgebildete Aphrodite aus weißem Marmor ward sichtbar.
Die Amoretten knieten nun zu Füßen der Göttin und umflochten ihre Knie mit Blumengewinden. Und gleichzeitig fiel von oben her auf den Altar und auf die Göttin glänzend weißes Licht, die Arena, die gewöhnlich nur von Ampeln, nicht allzuhell, erleuchtet war, mit blendenden Strahlen überglänzend.
Lauter als zuvor erscholl der Jubel der Tausende, – immer wilder, immer rascher wirbelte der Reigen der Tänzer, immer lauter schmetterten Pauken und Cymbeln: – aber dieser plötzlich gesteigerte Lärm und das grelle blendende Licht trafen auch das offene Gitter des Tigers: furchtbar brüllte er auf: ein gewaltiger Satz gegen das Gitter – eine Stange desselben fiel geräuschlos nach außen auf den weichen Sand. Niemand achtete darauf. Denn um die Göttin, hoch auf dem Altare, spielte sich schon wieder eine neue Scene ab.
»Danke dir, Bruder,« rief Thrasarich. »Wahrlich, das ist wohl das schönste Weib, das man sich denken mag.« »Ja,« stimmte Modigisel bei. »Was meinst du, Astarte? Du spottest? Was hast du daran auszusetzen?« »Das ist ja kein Weib,« sagte die Karthagerin, eisig, kaum die Lippen öffnend. »Das ist ja ein Stein. Gehet hin! Küßt sie, wenn sie euch schöner scheint als . . . –«
»Recht hat Astarte,« schrie Thrasabad außer sich. »Recht hat sie! Was nützt uns eine Aphrodite von Stein? Eine tote, marmorkalte Liebesgöttin! Sie faltet die Arme ewig über dem Busen: – sie kann sie niemals öffnen zu seligem Umfangen. Und wie blickt sie so hoheitsstreng, als ob die Liebe wunder welch todesernste hohe heil'ge Sache sei. – Nein, Marmorbild, du bist nicht das schönste Weib! Das schönste Weib – viel schöner als du – ist meine Aphrodite hier. Mein ist das schönste Weib der Erde. Ihr sollt's mit Neid bekennen! Ich will's! – Ich will um sie beneidet sein. – Ihr alle sollt's gestehn!«
Und mit überraschender Kraft riß er die Griechin, die sich aus allen Kräften sträubte, zu sich empor, schwang sie auf das breite Fußgestell der Statue und zerrte wild an dem weißen Tuche, das Glauke schon auf dem Schiff über die nackten Schultern und das durchsichtige koische Gewand geworfen hatte.
»Laß ab! Laß, Geliebter! Beschimpfe mich nicht vor aller Augen!« flehte das Mädchen, in Verzweiflung sich windend. »Laß – oder beim höchsten Gott . . . –« Aber der Vandale, seiner nicht mehr mächtig, lachte laut: »Hinweg die neidischen Hüllen!« Noch einmal zerrte er an dem Tuch und an dem Gewande darunter: – da blitzte ein Stahl durch die Luft: – die Griechin hatte das breite Messer vom Fußgestell aufgerafft: – ein roter, heißer Strom spritzte ihm in das Antlitz: blutüberströmt sank die feine Gestalt zu den Füßen der Marmorstatue nieder.
»Glauke!« schrie Thrasabad, vom Schrecken urplötzlich ernüchtert.
Aber im selben Augenblick schmetterte draußen vor dem Amphitheater drohend ein eherner, ein kriegerischer Klang, den wildesten Lärm der Musik – denn unablässig wirbelte noch der Tanz der Satyrn und Bacchantinnen – übertönend: das waren die vandalischen Hörner! Und von den Eingangsthüren her, sowie von den höchsten Sitzreihen, die den Ausblick in den Hain gewährten, scholl tausendstimmig durch den weiten Raum der Ruf des Schreckens: »Der König! Der König Gelimer!«
Mit Entsetzen strömten die Tausende zu allen Eingängen hinaus. –
Thrasarich richtete sich hoch auf, hob die zitternde Eugenie auf seinen starken Arm und bahnte sich mächtig den Weg durch das Gedränge. – Des Festordners Ruf ward nicht mehr vernommen: – zu den Füßen der schweigenden Marmorgöttin hingestreckt lag Thrasabad, mit beiden Armen die schöne Glauke umschlossen haltend; sie war tot. –
Bald war er allein mit ihr in dem ungeheuern, verödeten Gebäude.
Draußen – fern – scholl nun Lärm von streitenden Stimmen. In dem Amphitheater aber herrschte Totenstille: – auch der Tiger schwieg, wie erstaunt über die plötzlich eingetretene Ruhe und Leere.
Mitternacht war vorüber.
Leise erhob sich der Wind und spielte mit dem Seidendach des Zeltes: – er fegte die vielen Rosen zusammen, die auf der Arena zerstreut lagen.