Ernst Constantin
Das warme Polarland
Ernst Constantin

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXXIV. Kapitel.

Zwischen Leben und Tod.

Der Nebel hatte sich wieder geschlossen, so daß nichts weiter als Wasser und Nebel zu sehen war.

Der Kopf des Plesiosaurus lag mit starr geöffneten glasigen Augen auf dem Floß. Wonström hatte ihn untersucht und gefunden, daß der Säbel Eduard's genau zwischen zwei Halswirbel durchgefahren war, im anderen Falle wäre es ihm auch kaum gelungen, den Kopf mit einem Hiebe vom Rumpfe zu trennen.

Eduard lehnte trübselig am Maste und starrte in den Nebel hinaus, während ein leichter Nordwind das Floß wieder südwärts trieb. Er stand da wie gebrochen und wischte verstohlen eine dicke Thräne aus dem Auge.

Wonström sah den Schmerz seines Freundes und es krampfte ihm das Herz zusammen, Eduard so stumm leiden zu sehen. Er trat auf ihn zu und sagte:

»Einen Versuch wollen wir noch machen, nach Norden vorzudringen, aber wenn du einsiehst, daß es überhaupt unmöglich ist, den Nordpol zu erreichen, wirst du dich dann zufrieden geben?«

»Du guter Freund,« sagte Eduard, »du willst dein Leben mit auf's Spiel setzen, nur um eine Laune von mir zu befriedigen.«

»Nein, nein, nicht um eine Laune von dir zu befriedigen, sondern weil es dich so angreift, ohne einen weiteren Versuch gemacht zu haben, den Plan, den Nordpol zu erreichen, aufgeben zu müssen.«

Wonström hatte währenddessen das Segel gerefft, damit der Wind keine Wirkung auf das Floß mehr hatte.

Dann ergriff er ein Ruder, tauchte es in die Flut und hieß Eduard ein Gleiches zu thun. Er ermahnte ihn, das Ruder ja recht leise zu handhaben, damit nicht etwa wieder so ein Ungeheuer über sie herfiele.

Fast lautlos glitt das Fahrzeug wieder dem Norden zu. Nachdem sie eine lange Zeit gerudert hatten, trat ein Land aus dem Nebel heraus. Als sie näher kamen, bemerkten sie einen Fluß, der sich in's Meer ergoß, in dessen Mündung lenkten sie ein.

In die Flußmündung ragte eine schmale Landzunge hinein, diese beschlossen sie zu betreten. Als sie am Ufer anlegten, bemerkten sie den Kopf eines riesigen Krokodil's, doch da dieses Tier sich nicht rührte, so betraten sie das Land.

Es war die Zeit der Ebbe. Zur Zeit der Flut war die Halbinsel vom Wasser bedeckt.

Als sie ihren Fuß auf das Land setzten, knisterte es unter ihren Tritten und sie fanden, daß sie auf Schalen von Ammoniten, Belemniten, Seeigeln, Krebsen und Krabben, auf Knochenschildern von Schildkröten, Ganoiden und anderen Knorpelfischen und auf Knochen von Ichtyosauren, Plesiosauren, Teleosauren und anderen Wasserungeheuern herumtraten.

Da zerriß der Nebel plötzlich und sie konnten nach Norden zu ein weites, flaches Land sehen, das sparsam mit Jurapflanzen bedeckt war. Eduard benützte diesen Lichtblick. Er holte seine Instrumente und bestimmte, daß sie sich jetzt 89° 42' nördl. Breite befanden, also noch ungefähr 2½ deutsche Meilen bis zum Nordpol hatten.

Aber die Ruhe dieser Gegend sollte sich bald ändern. Das Krokodil, das sie vorhin bemerkt hatten, war an das Floß herangekrochen und probierte seine Zähne an den Stämmen.

Eduard hatte in diesem Reptil ein Teleosaurus erkannt und zwar an den sehr eng zusammenstehenden Augen und dem gepanzerten Bauch. (Unsere jetzigen Krokodile sind nur auf dem Rücken gepanzert.) Beim Beißen in das Floß sahen sie in einem zwei Meter langen Rachen, der leicht im Stande gewesen wäre einen Menschen ganz zu verschlucken.

Dieses Beißen an dem Balken war aber durchaus keine harmlose Arbeit; denn die Freunde bemerkten, daß sich der eine Stamm ablöste. Der Teleosaurus hatte den Strick durchbissen.

Kaum sahen sie das, als sie auch auf das Floß sprangen und mit ihren Säbeln auf die Nase des Zerstörers einhieben. Das Krokodil ließ nun zwar ab von seinem Beginnen, machte aber einen solchen Höllenlärm, indem es mit seinem Schwanze das Wasser peitschte, daß die Wellen über das ganze Floß schlugen und es zu zertrümmern drohten.

Auf diesen Lärm hin tauchten plötzlich wie auf Zauberschlag überall Köpfe solcher Riesenkrokodile auf, auch einzelne Ichtyosauren schossen durch das Wasser und das Floß begann auf der bewegten Flut heftig zu schwanken.

Wonström ließ schnell das Segel herunter und der Wind, der glücklicher Weise nach Süden blies, blähte es auf und langsam setzte sich das Fahrzeug in Bewegung.

Die Menge der greulichen Reptilien vermehrte sich aber von Minute zu Minute und das ganze Wasser war, soweit der Blick reichte, schließlich mit Köpfen von Krokodilen und Ichtyosauren bedeckt, aus welchen hie und da die Schwanenhälse von Plesiosauren ragten.

Todesschrecken ergriff die beiden Abenteurer und mit den Rudern suchten sie die Fahrt des Flosses zu beschleunigen, doch nicht lange hatten sie gearbeitet, als auch schon die Ruder von den Zähnen der Amphibien zertrümmert waren. Nur schlimmer hatten sie es dadurch gemacht; denn jetzt wurde die schaurige Gesellschaft auf sie aufmerksam. Von allen Seiten tauchten die schrecklichen Köpfe aus dem Wasser über dem Rand des Flosses auf und nagten an den Stämmen herum oder schnappten nach ihren Beinen. Beide Freunde suchten mit den Säbeln in der Faust ihr Leben so teuer als möglich zu verkaufen und hieben auf die warzigen Schnauzen der Saurier ein. Doch war dies ein gefährliches Geschäft; denn auf dem nassen, schlüpfrigen Boden rutschten sie öfters aus und es war in einem solchen Falle leicht möglich, daß sie von einem schnappenden Rachen ergriffen werden konnten.

Da sahen sie, wie ein mächtiger Ichthyosaurus auf sie zuschwamm. Im nu hatte er das Floß mit seinen fingerlangen Zähnen erfaßt und drei bis vier Stämme losgerissen. Das Floß wurde dabei fast umgestülpt, und nur mit Mühe konnten sich die Abenteurer vor dem Sturz ins Wasser bewahren, indem sie sich an den Mastbaum anklammerten.

Doch jetzt rettete sie die Kampfeslust und Wut der schrecklichen Feinde.

Zwischen der Gattung Ichthyosaurus und Teleosaurus mochte ein alter angeborener Haß bestehen, ähnlich wie zwischen Hund und Katze.

Der Ichthyosaurus war noch damit beschäftigt, das Floß auseinander zu reißen, als er plötzlich von den Riesenkrokodilen angefallen wurde, sodaß er seine Aufmerksamkeit diesen neuen Feinden zuwenden mußte.

Der Ichthyosaurus verteidigte sich tapfer und mancher Teleosaurus wurde von seinen gewaltigen Zähnen zermalmt; doch viele Hunde sind des Hasen Tod. Die Riesenkrokodile griffen trotz ihrer Toten immer wieder an und rissen dem Ichthyosaurus ganze Stücke Fleisch aus dem Leibe.

Doch vereinigte sich der Kampf nicht allein auf die Stelle, wo der Ichthyosaurus das Floß angegriffen hatte, sonder überall waren unter den Krokodilen Ichtyosauren und Plesiosauren aufgetaucht und der Kampf wütete an allen Orten.

So gräßlich auch dieses Schauspiel war, zumal wenn man sich mitten unter den Bestien befindet, so zeigte es den beiden Abenteurern doch ein getreues Bild von den sich oft wiederholenden Massenkämpfen der vorsintflutlichen Ungeheuer, deren Existenz in nichts weiter gipfelte als in gegenseitiger Vernichtung.

Das Schlachtfeld nahm immer größere Dimensionen an und ein Glück war es für die beiden Freunde, daß sich die Amphibien nicht mehr um das Floß und dessen Leiter kümmerten. Dieses, von einem günstigen Winde nach Süden getrieben, segelte mitten unter die Panzertiere, bis es endlich wieder im freien Meere, fern von jeder augenblicklichen Gefahr war.


 << zurück weiter >>