Ernst Constantin
Das warme Polarland
Ernst Constantin

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XIX. Kapitel.

Ein Jagdausflug.

Jetzt, am Anfang November, machte der Winter sich sehr stark bemerkbar. Das Laub fiel von den Bäumen oder wurde gelb; es war eine ziemliche Dämmerung eingetreten und die Luft wurde rauh und kalt, obgleich noch kein Schnee gefallen war. Das Klima war überhaupt wie das der gemäßigten Zone.

Nun galt es, sich für den Winter einzurichten. Zuerst wurden die fünf leeren Boote in der Waldbucht gut verwahrt; dann ließ man Seewasser in großen Kesseln abdampfen, um das rückständige Salz zum Einpökeln der Wintervorräte zu verwenden.

Der Mangel an Salz, der über kurz oder lang eintreten würde, hatte die beiden Robinsone schon öfters erschreckt; denn ohne Salz würde Krankheit nicht ausbleiben. Ein mäßiger Ersatz war das Seesalz, das aber viele Nebenbestandteile enthielt und daher schlecht schmeckte.

Eines schönen Tages rüsteten sie sich zur Jagd, um sich für den Winter mit Vorräten zu versehen.

Wonström nahm einen Kompaß mit, um einer etwaigen Verirrung vorzubeugen. Es wurde beschlossen, immer nach Westen am Saume des Waldes zu marschieren, dann war der Ansiedelungsplatz sicher leicht wieder zu finden.

Als sie einige Stunden gewandert waren, und nur kleinere Tiere angetroffen hatten, wie Hasen und krähenartige Vögel, die sie unbehelligt ließen, weil sie ihr Pulver und Blei sparen und nur größere wertvollere Tiere erlegen wollten, sahen sie in der Ferne eine Herde riesiger, straußartiger Vögel am Waldrande herumsteigen.

Das war Wild, wie sie es wünschten und vorsichtig schlichen sie bis auf Schußnähe heran. Als sie sich dem nächsten Riesenvogel bis auf 80 Meter genähert hatten, beschlossen sie beide zu gleicher Zeit ihe Kugeln auf ihn abzuschießen, damit, wenn je ein Schuß fehlginge, doch der andere träfe.

Wonström kommandierte. – Eins, zwei, drei – da krachten die Schüsse, und der Strauß sprang hoch auf und schlug mit seinen kurzen Flügeln, während seine Kameraden nur verwundert um sich schauten, aber nicht fortliefen.

»Der ist getroffen,« sagte Eduard, und sprang auf, aber Wonström drückte ihn wieder in das hohe Gras und raunte ihm zu: »Schnell wieder laden, vielleicht können wir noch einen erlegen.«

Doch zu spät. Die Strauße hatten Eduard's vorzeitiges Aufstehen bemerkt und liefen mit Windeseile davon.

Der Geschossene versuchte den anderen ebenfalls zu folgen, doch stürzte er von Zeit zu Zeit zusammen, und als er merkte, daß er allein zurück blieb, verschwand er rechts im Walde.

»Schnell nach,« schrie Eduard, »sonst entkommt er uns,« und damit wollte er mit der Flinte in der Hand dem kranken Strauße nachlaufen; doch Wonström hielt ihn und sagte: »Eile mit Weile. Dein unüberlegtes Gebahren hat uns schon öfters Ungelegenheiten gebracht, wenn du dich jetzt nicht ruhig verhältst, entgeht uns der Strauß und wie haben das Nachsehen.«

Eduard konnte nicht begreifen, daß Wonström ihn noch jetzt von der Verfolgung abhielt, und aufgeregt sprach er: »Je länger wir zögern, desto weiter läuft doch der angeschossene Vogel, diesmal kann ich wirklich nicht begreifen, daß du eine schnelle Verfolgung unüberlegt nennst.«

»Lieber Freund! Du wirst noch manches nicht begreifen, was ich thue; aber verlasse dich darauf, mir liegt ebensoviel daran, den Strauß zu bekommen, als dir; doch wenn wir jetzt gleich nachgingen, wäre ich sicher, daß wir ihn nicht bekämen. Setze dich nur ruhig mit hierher, ich will dir gleich erklären, warum, und es mag für dich in Zukunft von Nutzen sein, wenn du wieder, vielleicht allein, in ähnliche Lage kämst. Übrigens, die Wanderung hat mich hungrig gemacht, und dich jedenfalls auch; wir haben ganz schön Zeit, jetzt zu frühstücken, während ich dir meine Handlungsweise erkläre.«

Eduard folgte seinem Freunde kopfschüttelnd, doch mußte er unwillkürlich, wie sonst, auch diesmal Wonström's Überlegenheit und Verstand anerkennen. Als sie ihren Eselsbraten kauten, fing Wonström an:

»Was ich dir jetzt erklären will, weiß eigentlich jeder Jäger und auch dir wird die Richtigkeit meines Verfahrens sofort einleuchten.

Jedes größere Geschöpf, das nicht gerade mit der Kugel in den Kopf, die Wirbelsäule oder die große Lungenschlagader geschossen wird, lebt noch eine zeitlang und ist fähig, seine Glieder nach Verhältnis zu gebrauchen. Wenn das geschossene Tier den Schmerz fühlt und den Feind sieht, so ist es doch stets darauf bedacht, sich der Gefahr durch die Flucht zu entziehen. Verfolgst du ein krank geschossenes Tier sofort, so strengt es alle Kraft an, sich der Verfolgung zu entziehen, verfolgst du es aber nicht, sondern lässet es unbehellig laufen, so flieht es nur so lange, bis es glaubt, einen sicheren Ort gefunden zu haben, wo es sich dann niederlegt, weil die Verwundung doch stets mehr oder weniger schmerzhaft ist. Hat es nun eine zeitlang ruhig gelegen, so fängt die Wunde an zu schmerzen; namentlich bei jeder Bewegung. Die angegriffenen Sehnen und Flechsen werden steif, unter Umständen tritt innere Verblutung ein und wohl gar der Brand, letzteres namentlich bei Weidwundschüssen, (Schüsse in den Magen und die Gedärme) und meistens findet man das Wild, wenn man es eine Weile liegen gelassen hat, in der Jägersprache: krank hat werden lassen, tot oder unfähig, noch mit Erfolg zu fliehen.

Gehst du dem kranken Stück aber gleich nach, so flieht es so lang und so schnell es seine Beine tragen und nur dann wirst du es bekommen, wenn es einen absolut tödlichen, rasch wirkenden Schuß hat wie z. B. Lungen-, Leber- und Herzschuß. Auch der Herzschuß tödet die großen Tiere nicht sofort.

Wenn wir nach drei bis vier Stunden unseren Strauß suchen, so finden wir ihn sicher verendet im Gebüsch oder so krank, daß er uns nicht mehr entfliehen kann.«

Wonström's ruhige, überzeugende Worte machten auf Eduard auch den gewünschten Eindruck. Er gab ihm die Hand und sagte: »Du bist doch in jeder Beziehung mein Herr und Meister und es ist fast unmöglich, dir zu widersprechen. Aber sage mal, wo hast du dir als Seemann solche Kenntnisse erwerben können?«

»Als ob man so einseitig sein müsse. Ha, ha, ha, du glaubst wohl ich sei eine Wasserratte, die sich nicht getraue, an's Land zu gehen? In Deutschland habe ich manchen Hirsch geschossen, am La Plata manches Wasserschwein und in Natal Gazellen und Gnu's. Ich habe genug Praxis gehabt, um mich zum weidgerechten Jäger auszubilden.«


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