Ernst Constantin
Das warme Polarland
Ernst Constantin

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II. Kapitel.

Eingefroren.

Am 17. September sank das Thermometer plötzlich bis auf -14° R. Der Wind hatte sich vollständig gelegt, und der Isbjörn kam nur sehr langsam südwärts.

Es bildete sich Jungeis und der Kapitän wurde sehr besorgt.

Die Nacht vom 17. zum 18. September war bitterkalt und am anderen Morgen sahen sie eine große Eisfläche rings herum. Das Treibeis hatte sich durch die Kälte verbunden und der Isbjörn war eingefroren.

»Verwünschtes Mißgeschick,« brummte der Kapitän. »Dem Anschein nach kommen wir in diesem Jahre nimmer heim und müssen Thran fressen.«

Jetzt wurde Eduard anderer Ansicht; seine Meinung daß es ganz gemütlich hier im Norden sei, hatte sich sehr geändert. Er fror trotz der warmen Winterkleider; die Taue, welche hart und steif gefroren waren, ließen sich nur schwer regieren und die Segel glichen mehr Bretter als Leinewand.

Der Isbjörn war mit Proviant für den Winter nicht versehen und daraus erklärten sich die Worte des Kapitäns, wir müssen Thran fressen; er meinte damit den Thran und Speck des erlegten Walfisches und der Walrosse.

Da die Kälte anhielt, so hatte das Eis bald eine ansehnliche Stärke erreicht und weil das Schiff durch den Druck des Eises in Gefahr kommen konnte, zerdrückt zu werden, so ließ der Kapitän ca. 100 Schritte vom Isbjörn ein Haus aus quadratisch geschnittenden Eisstücken erbauen für den Fall, daß das Schiff dem gewaltigen Druck nicht wiederstehen könnte. Dieses Eishaus wurde mit Wasser übergossen, das sogleich fror und dieses bildete einen sehr festen Kitt.

In das Eishaus wurden vom Schiff gebracht Speck und Proviant, Flinten und Munition, Decken und Kleider, Möbeln u. s. w.; von allem die Hälfte und die Mannschaft selbst siedelte in das Eishaus über, in welchem sie wärmer wohnten als im Schiffe. Auf dem Isbjörn wurde stets eine Wache von zwei Mann gelassen, die wechselweise vom Mastkorb, Krähennest genannt, das Eis und seine Veränderungen beobachten mußten.

Es war am 21. Oktober, die lange Winternacht hatte ihren Anfang genommen, als der Steuermann Wonström und Eduard die Wache auf dem Isbjörn hatten. Eduard saß im Krähenneste und es deuchte ihn, als wenn die große Oberfläche des Eises schwankte. Er teilte dies Wonström mit, der es auch schon bemerkt hatte und einen Schneesturm voraussagte.

Eduard mußte nun nach dem Eishause gehen und dem Kapitän die Bemerkung mitteilen. Dieser befahl ihm, wieder nach dem Schiffe zurückzugehen und mit Wonström so lange dort zu bleiben, bis der Schneesturm losbräche. Dieser ließ auch nicht lange auf sich warten; er kam mit einer solchen Schnelligkeit und Wut, daß es Wonström und Eduard unmöglich wurde, zum Eishause zurück zu gelangen.

Von Zeit zu Zeit hörte man ein Krachen und Prasseln, als ob das Eis zerspränge.

»Was tun?« frug Eduard.

»Abwarten,« erwiderte Wonström. »Der Kapitän mit seinem vernagelten Eigensinn! Es ist nicht unmöglich, daß das Eis zwischen dem Schiffe und dem Eishause gesprungen ist und wir auseinander treiben und dann gute Nacht Welt. Hier in der Nähe ist die Strömung nach dem Norden zu, die seiner Zeit schon den Tegethoff, der gerade wie wir eingefroren war, mitgenommen hat und bis Franz Josephsland zutrieb.

Franz Josephsland ist schauerlich, da ist Nowaja Semlja noch ein Paradies dagegen. Wenn wir dort nicht erfrieren, dann verhungern wir. Gott sei Dank, wir haben eine Menge Proviant und Walfischspeck auf dem Isbjörn, das würde uns schon eine Weile hinhalten, aber der Isbjörn selber kann jede Stunde wie eine Fischblase zusammengedrückt werden und dann ist's aus.

Aber wir wollen es nur erst abwarten, vielleicht ist das Eishaus gar nicht von uns getrennt und wir –« da, ein entsetzlicher Stoß, der das Schiff in allen seinen Fugen erschütterte. Jetzt ächzte und stöhnte der Isbjörn, und die Rippen bogen sich mit Knistern und Prasseln.

»Das sind die schrecklichen Eispressungen, ja ich merke es, wir treiben auf einer Scholle und andere rennen dagegen.« Da, wieder ein gräßlicher Stoß, ein fürchterliches Krachen und das Schiff war am Bug eingedrückt. Zugleich drang das Wasser zwischen den Wänden durch und der Vorderteil des Isbjörn sank.

»Heiliger Gott, wir sind verloren,« schrie Wonström, »das Schiff ist zerdrückt, bete Eduard, bete, daß du nicht in Sünden stirbst,« und mit diesen Worten warf er sich auf die Knie und fing zu beten an, was ihm gerade in den Sinn kam.

Eduard tat mechanich, was Wonström ihm zurief, er war vor Schreck seiner Sinne kaum mehr mächtig; er fiel auch auf die Knie und betete, aber was, das wußte er selbst nicht.

Doch wenn die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten. Plötzlich bekam das Schiff einen neuen fürchterlichen Stoß; es hob sich und legte sich gleich darauf auf die Seite. Eine mächtige Eisscholle hatte sich unter das Schiff geschoben und dieses emporgehoben, so daß es ganz außerhalb des Wassers sich befand und auf der Seite auf der Eisscholle lag.

Wonström und Eduard, die auf Deck knieend beteten, kugelten plötzlich auf dem Verdeck herum und hatten Mühe, sich anzuhalten, um nicht herunter gefegt zu werden.

Nachdem legte sich der Sturm, die Eisbewegung hörte auf und das Schiff erhielt keinen neuen Stoß mehr.

Wonström hatte die Lage schnell erfaßt; während Eduard glaubte, das letzte Stündlein habe geschlagen, rief Wonström »gerettet! Habe tausend Dank, lieber Gott, du wolltest uns jetzt noch nicht umkommen lassen.« Er sprang auf Eduard zu, so gut es auf dem schiefen Verdeck gehen wollte, schloß ihn in die Arme und rief: »Mein Junge, sei wieder lustig, noch brauchen wir kein Seewasser zu schlucken, die nächste Gefahr ist nun vorüber. Was siehst du mich so groß an? Hast du etwa den Verstand verloren?«

Eduard war wirklich sinnesabwesend, die Todesfurcht war noch nicht ganz von ihm gewichen, er strich sich die Haare aus dem Gesichte und schaute in Wonström's vergnügtes Gesicht.

»Soll ich dir etwa einen Kübel Salzwasser übergießen, damit du wieder aufwachst? Ich glaube gar der Kerl hat geschlafen während der Teufel sein Spiel trieb. Ha, wache auf, Junker Grünschnabel.«

Diese liebreichen Worte brachten denn unsern Eduard wieder zu sich. Er fragte, ob die Gefahr vorüber sei und wie alles so schnell gekommen, ihm sei ganz dunkel vor Augen geworden als das Wasser durch die zerbrochenen Planken drang.

»Ja, jetzt ist sie vorüber, so lange diese Scholle hält, worauf wir uns befinden, brauchen wir wenigstens nicht Seewasser zu schlucken. Eduard, ich sage dir, das schmeckt abscheulich.«


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