Ernst Constantin
Das warme Polarland
Ernst Constantin

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XXIV. Kapitel.

Ein nächtliches Abenteuer.

Jetzt war der Jagdzug eigentlich beendet, und Wonström hätte an das Heimgehen denken sollen, doch wir haben ganz vergessen, daß die um die Mittagzeit zwar noch bemerkbare Winterdämmerung jetzt schon ziemlich weit vorgeschritten war.

Der Weg, den Wonström zurückzulegen hatte, war erstens nicht ganz ungefährlich, zweitens hatte es seine Schwierigkeit, den richtigen Weg in der Dunkelheit zu finden. Aus diesen Gründen entschloß er sich, in der Schlucht zu übernachten.

Nicht weit von dem zerstückelten Kadaver des Esels stand eine starke Eiche, die ihre mächtigen Wurzeln in die Steinspalten und Fugen gezwängt hatte. Diese Eiche mit ihrem starken, vielfach gegabelten und gewundenen Ästen schien Wonström sehr passend als Nachtquartier zu sein.

Einen sicheren Ort mußte er sich wählen, denn er kannte die Gegend noch nicht, um ruhig sagen zu können: hier bist du sicher vor wilden Tieren.

Er kletterte die Eiche hinauf und zog seinen schweren Jagdsack an einem Stricke ebenfalls empor. Diesen band er an einen Ast, so daß er frei in der Luft hing. Nun suchte und fand er einen sehr passenden Ruhepunkt für sich.

Es waren drei starke Äste, die an einer Stelle ineinander gingen und an dem Vereinigungspunkte eine breite Fläche bildeten.

Dahinein setzte sich Wonström und band sich mit einem Stricke fest, damit er im Schlafe nicht etwa herunterfalle. Sein Gewehr hing er am Riemen im Bereiche seiner Hand auf.

Es wurde dunkler und Wonström versank bald in einen gesunden Schlaf.

Nachdem er einige Stunden geschlafen hatte, weckte ihn ein kratzendes, schnaufendes Geräusch.

Es war ziemlich kalt, obgleich es noch nicht fror, und der Frost schüttelte seine steif gewordenen Glieder; denn es ist bequemer gesagt, auf einem Baum zu übernachten, als gethan.

Über ihm war der klare Himmel mit den sehr hell funkelnden Sternen besäet, und der Polarstern glänzte fast gerade über ihm.

Der Mond hatte ebenfalls seine Wanderung angetreten und beleuchtete mit seinem Schimmer die mächtigen Felsen der Schlucht.

Da, wieder das Kratzen und Schnaufen, und zugleich fühlte Wonström ein Zittern der Eiche.

Er schaute hinab und gewahrte mit Schrecken ein kolossales Tier, welches sich am Stamm der Eiche aufgerichtet hatte. Es mochte wohl so groß sein als ein Elephant, doch war es keiner, denn es fehlte der Rüssel.

Wonström schaute mit gesträubtem Haar, wie dieses Ungetüm sich bemühte, seine Eiche zu erklettern. Mit seinen mächtigen Krallen die so groß wie Sicheln waren, hatte es einen der niederen Äste umklammert, an welchen es sich emporzuziehen suchte, während der starke Schwanz, kräftig auf den Boden gestützt, nachhalf.

Was jetzt thun?

Wonström nahm seine im Handbereich hängende Flinte und richtete die Mündung auf den Kopf des Ungeheuers. Der Schuß krachte – die Kugel traf mitten auf die Stirn, aber der dicke Schädel blieb ganz. Den Koloß rührte es kaum.

Da traf der zweite Schuß. Der grobe Schrot hatte ein Auge zerstört.

Von Schmerz überwältigt, kugelte das Ungetüm auf dem Boden herum, mit den langen Krallen das verwundete Auge zerkratzend, ohne einen Laut von sich zu geben.

Wonström hatte wieder geladen und weil er den guten Erfolg des Schrotschusses sah, wartete er eine günstige Stellung des Ungeheuers ab, um mit einem zweiten Schrotschuß auch das andere Auge zu zerstören.

Der Koloß war ruhiger geworden. Es war ein schrecklicher Anblick, als er dasaß, das herausgekratzte Auge aus der blutigen Höhle hängend, das gesunde starr auf den Schützen gerichtet.

Diesen Moment benutzte Wonström; ein zweiter Schrotschuß vernichtete auch das andere Auge. Wild mit den gewaltigen Krallen auch das zweite Auge zerreißend, bot dieses ohnmächtige, wenn auch lautlose Wüten ein schreckliches Bild.

Jetzt war jede Gefahr vorüber und Wonström kletterte vom Baume, nachdem er seinen gefüllten Jagdsack herabgelassen hatte,

Das Ungetüm war ruhig geworden. Mit Ergebung in sein Schicksal saß es da, hilfloser als der elendeste Wurm.

Dieses Bild des Mitleids rührte Wonström. Er hätte ungehindert von dannen gehen können, zumal es nötig war, Pulver und Blei zu schonen, aber sein gutes Herz ließ das nicht zu. Aus nächster Nähe feuerte er drei Kugeln auf den Koloß ab und zwar dorthin, wo er das Herz vermutete.

Jetzt begann ein schrecklicher Todeskampf, der einige Stunden dauerte. Nach und nach wurden die Bewegungen schwächer, noch ein Strecken der gewaltigen Glieder und der Koloß war verendet.


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