Ernst Constantin
Das warme Polarland
Ernst Constantin

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X. Kapitel.

Im Krater des feuerspeienden Berges.

Beim Zelte angekommen, machte Eduard dem Freunde Mitteilung von seiner Entdeckung. Dieser klärte ihn sogleich auf und sagte: »Du bist ein wahres Entdeckungsgenie, und es wird dir sicher nicht fehlen, auch das warme Polarland zu finden. Durch die Schlucht bist du jedenfalls ins Innere von dem Krater eines feuerspeienden Berges gelangt, der, wie der Dampf oder Rauch zeigt, sich noch in Thätigkeit befindet, Ich werde mit dir, wenn es irgend möglich ist, in den Krater steigen, wo wir Vulkan in die Werkstatt sehen können. Doch jetzt erst den Hasen in einen Braten umgewandelt und ein paar Stunden ausgeruht, bevor wir wie – na wie heißt es denn gleich – in die Unterwelt fahren.«

»Orpheus«, ergänzte Eduard.

Die Kunde, den Krater eines feuerspeienden Berges gefunden zu haben, überraschte Eduard gerade nicht so sehr; denn es war eine leise Ahnung durch sein Geist gezogen, die ihm sagte: »Hier bist du dem flüssigen Erdinnern hahe gekommen.«

Alles, was Eduard von der Natur und deren Wunder kannte, war Büchergelehrsamkeit und oft stellt man sich die Wirklichkeit ganz anders vor, als sie in Wahrheit ist. So kam es auch, daß Eduard den Felsenkessel nicht gleich als Krater erkannte.

Nachdem sich beide durch Essen und Schlafen gestärkt hatten, nahmen sie ihre Flinten, ohne die sie überhaupt nie ausgingen, beluden sich mit zwei langen Strickleitern, zwei Stricken und zwei Brecheisen und kletterten den Berghang des feuerspeienden Berges hinan. Hans, der natürlich bei solchen Touren höchst überflüssig war, wurde an seine Kette gelegt, von wo aus er trübselig den beiden nachschaute.

Durch die Schlucht, die sich als eine Spalte des weiten Kraters ausgewiesen hatte, gelangten sie an die Krateröffnung. Sie befanden sich vielleicht vierzig Meter unter dem oberen Rand, von dem steil und abschüssig die Wände abfielen.

Wie schon Eduard berichtet hatte, stieg aus der Tiefe dichter weißer Qualm auf, der ungefähr die eine Hälfte des Schlundes ausfüllte.

Die Spalte, wo die beiden Freunde hinab schauten, befand sich an der dampffreien Seite, so daß der schädliche Einfluß dieser Dämpfe sie nicht erreichte. Schon als sie durch die Spalte gingen, hatte sich ein stechender Geruch von schwefliger Säure bemerkbar gemacht, ein Zeichen, daß hier große Vorsicht zu beobachten sei.

Es galt jetzt hinab zu steigen, um womöglich den Boden des Kraters zu erreichen. Zu diesem Zwecke wurde eine Strickleiter an einen Felsen befestigt und hinabgelassen; dann banden sich beide einen Strick um die Hüfte, der sie aneinander kettete. Die Länge des Strickes zwischen beiden betrug ungefähr zwanzig Meter, gewährte also Spielraum und Selbstständigkeit genug.

Wonström stieg voran, dann folgte Eduard. Die zweite Strickleiter hatte Wonström mitgenommen und Eduard einen langen Strick. Diese Strickleitern waren die längsten, die sie auf dem Schiffe vorgefunden hatten; jede war vierzig Meter lang.

Als Wonström an das Ende der Strickleiter kam, stieg er auf eine vorstehende Felsplatte und band die mitgenommene an die erste. Zu seinem Kummer bemerkte er, daß auch diese den Boden des Kraters noch nicht ganz erreichte, doch mutig stieg er weiter und Eduard ebenso tapfer hinterher.

Am Ende dieser zweiten Strickleiter angekommen, befand sich Wonström noch circa sechs Meter über dem Grunde des Kraters, doch war es nicht schwer, das kleine Stück vollends hinabzuklettern, da die Wand nach unten weniger steil geworden war.

Zu aller Vorsicht band Wonström den Strick, den Eduard mitgenommen hatte, an das untere Ende der zweiten Strickleiter und kam auf diese Weise auf den Grund; ebenso Eduard.

Je tiefer sie gestiegen waren, desto wärmer war es geworden und auf dem Grunde des Kraters mochte die Temperatur wohl 35 Grad R. betragen.

Unten angekommen, schauten beide die steilen Kraterwände hinauf und staunten über die furchtbare Höhe derselben. Nach ihrer Schätzung war der Krater 130 Meter tief und etwa 300 Meter weit.

Auf dem Boden lagen bunt durcheinander schwarze Schlacken, Basalt- und Lava-Stücke, und Asche, Bimstein und vulkanisches Glas füllten die Zwischenräume aus.

Jetzt galt es zu untersuchen, wo der Dampf herauskam und vorsichtig stiegen sie über die vulkanischen Erzeugnisse direkt darauf zu.

Unterwegs hatten sie mehrere kleine Spalten zu überschreiten, aus denen von Zeit zu Zeit kleine Wölkchen weißen Dampfes herausdrangen; übrigens wurden die Dampfwolken stoßweise herausgetrieben mit größeren oder kleineren Pausen.

Als sie näher kamen, bemerkten sie einen kleinen, kegelförmigen Berg, aus dessen Spitze der dicke Dampf herausquoll.

»Das ist der Eruptionskegel,« sagte Eduard, dem seine Wissenschaft jetzt wieder einfiel, »genau so wie uns das Innere der feuerspeiende Berge auf dem Gymnasium beschrieben wurde; auch haben schon manche Naturforscher in solche natürliche Schornsteine hineingeguckt, aber es ist ein gefährliches Ding, weil man bei einem solchen Versuch durch die ausströmenden Gase leicht ersticken kann, wie es z. B. Plinius dem Älteren – ein großer Gelehrter in Rom; gest. i. J. 79 nach Christ – erging, als er in den Krater des Vesuvs schauen wollte.«

»Na – versucht muß es werden, übrigens sind wie ja zu zwei, so daß einer den andern helfen kann,« antwortete Wonström; »du bleibst hier und ich klettere da hinauf und will versuchen, in den Portionskegel oder wie du ihn nennst, hinein zu gucken, sollte ich etwa den Gestank aus der Teufelsküche nicht vertragen können und zu schnappen anfangen wie der Fisch auf dem Trockenen, so ziehst du mich an dem Strick wieder herunter.«

»Nein, ich will hinaufklettern, ich muß selbst sehen, was da drinnen vorgeht; meine Sehnsucht ist ungeheuer, diese gewaltigen Elemente in ihrer Großartigkeit zu sehen.« Dabei fing Eduard an hinauf zu klettern und Wonström, als guter Kamerad, fügte sich auch seinem Wunsche.

Der Eruptionskegel war ungefähr 12 Meter hoch und der Durchmesser der Krateröffnung darin mochte vielleicht 10 Meter betragen.

Es dauerte nicht lange, so war Eduard oben. Nachdem eine weiße Dampfwolke in die Höhe gestoßen war, schaute er in die Öffnung, aus der eine immense Glut strömte und ihn beim Hineinsehen fast verbrannte, doch standhaft blickte er hinein und sah eine hellrote glühende flüssige Masse, die Lava darin wallen.

Sie stieg langsam in die Höhe, als aus der Mitte der Lava der weiße Qualm mit einem Ruck herausdrang und dadurch die Lava wieder auf ihr altes, tiefes Niveau zurücksank, jedes Dampfausstoßen führte eine Menge erstickender Gase mit sich, weshalb Eduard nur mit der größten Selbstbeherrschung seinen Standpunkt behaupten konnte.

Das Auf- und Niedersteigen der weißglühenden, flüssigen Lava mußte ungeheuer interessant sein; denn Eduard, obgleich seine Lage durchaus nicht angenehm war, konnte sich von dem Anblick nicht trennen. Da bemerkte er, wie die Lava ungewöhnlich hoch stieg; deutlich konnte er das Wallen sehen, als plötzlich aus der Mitte eine ungeheure Dampfwolke ausgestoßen wurde. Sie schlug Eduard ins Gesicht und ohnmächtig sank er hinten über.

Schnell zog ihn Wonström an dem Strick, der sie beide aneinander band, herab zu sich, nahm ihn auf die Arme und lief so schnell als möglich mit seiner Last dem dampffreien Raum zu, denn auch ihm hatten die Gase, die um ihn herum aus den verschiedenen Erdspalten drangen, große Beschwerden gemacht und einige Male mußte er Schwindelanfälle mit ganzer Kraft bekämpfen.

Wenn er nicht die Stärke gehabt hätte, in die mehr gasfreie Seite des Kraters zu kommen, so wäre es um beide Freunde geschehen gewesen, und sie wären in einem unbekannten Lande ein Opfer der Wissenschaft geworden.


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