Ernst Constantin
Das warme Polarland
Ernst Constantin

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XXIX. Kapitel.

Kampf mit dem Dinotherium oder Schreckenstier.

Als sie eine gute Stunde westlich gewandert waren, erhob sich das Land, und See und Sumpf hatten ein Ende.

Jetzt ging's wieder nach Norden, rechts den See mit den Ausläufern des Sumpfes liegen lassend. Als sie so dahin schritten, mitunter aufgehalten von umgefallenen Bäumen, zuweilen auch noch Sumpflachen durchwatend, hörten sie plötzlich ein lautes Schnaufen und Brechen. Sie blieben erwartungsvoll stehen und blickten mit der geladenen Flinte in der Hand in die Richtung, von der das Geräusch kam, das nur von einem Tiere abstammen konnte.

Da kam im kurzen Trabe ein elephantenartiges Tier mit abwärts gebogenen Stoßzähnen durch den Wald, welches offenbar das Ufer des See's zu erreichen suchte.

Krachend brachen die dürren Äste unter seinen schweren Tritten und der Schlamm spritzte weit umher.

Atemlos standen sie da, in Angst vor diesem Riesentier, das trotz seiner Größe und scheinbaren Plumpheit so flüchtig dahin trabte.

»Ein Dinotherium!« flüsterte Eduard.

Das Riesentier lief vorüber, es hatte die beiden nicht gesehen. Da konnte sich Eduard nicht halten, ehe Wonström es verhindern konnte, hatte er sein Gewehr erhoben und ein Schuß donnerte hinterher.

Auf den Schuß drehte sich der Koloß um und zog krampfhaft das eine Hinterbein in die Höhe; es war offenbar getroffen. Da bemerkte es die beiden Übelthäter und schnell wie ein Gedanke stürzte es auf sie los.

Jetzt war Holland in Not. Eins, zwei drei, hatten die beiden Freunde ihre Reisesäcke abgeworfen und sprangen, von Todesangst getrieben, durch den lichten Wald.

Das Dinotherium war in einem Nu bei den gefüllten Säcken. Es ergriff den einen, trat wütend darauf herum und bohrte wiederholt seine Stoßzähne hinein. Dies ging so schnell, daß die beiden Flüchtlinge keinen so bedeutenden Vorsprung gewinnen konnten.

Schon kam mit Donner und Wutgeheul das schreckliche Tier hinter ihnen her.

»Auf den Baum, auf den Baum!« schrie Wonström und wie zwei Luftgymnastiker voltigierten sie ein Ahorn hinauf.

Wutschnaubend stand ihr wütender Feind am Fuße des Baumes und stieß einen trompetenartigen, weit dahinschallenden Ton aus, als er bemerkte, daß seine Feinde momentan in Sicherheit waren. Mit einer ungeheueren Geschäftigkeit begann es nun die Wurzeln bloß zu wühlen, unbekümmert um die Schüsse, die vom Baume herunter fielen.

Wonström und Eduard eröffneten ein wahres Schnellfeuer, doch der Erfolg schien äußerst gering zu sein.

Mit schrecklicher Wut unterwühlte das Dinotherium oder Schreckenstier den Ahorn! Es riß die Wurzeln mit fürchterlicher Gewalt aus der Erde, indem es seine Hauer wie Hebel gebrauchte. Jetzt schien das Tier genug vorgearbeitet zu haben, es lehnte sich an den Stamm und drückte mit voller Kraft den Baum auf die Seite.

Das waren Schreckensminuten.

Der Baum schwankte heftig hin und her und bei jeder Schwankung nach außen hörte man das Reißen der Wurzelfasern aus dem Boden.

Wonström und Eduard hatten sich in ihr Schicksal schon ergeben. Mit Aufbietung aller Kräfte hielten sie sich an den hin- und hergeschleuderten Ästen an, bis bei einer letzten mächtigen Schwankung ihr Sitzpunkt nicht wieder zurückschnellte, sondern sich weiter und weiter neigte und zuletzt mit fürchterlichem Geprassel und Brechen der Äste umstürzte.

Sofort nach dem Umfallen des Ahorns stürzte sich das wütende Tier in das Astgewirr, um seine Rache zu kühlen.

Doch wenn die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten.

Das Dinotherium klemmte sich in seiner blinden Wut zwischen zwei starke Äste fest und konnte bei aller Anstrengung nicht wieder loskommen. Jedenfalls wirkten jetzt auch die Flintenkugeln, von denen es ein großes Quantum im Leibe haben mochte.

Wonström, dem der Sturz nichts geschadet hatte, war sofort wieder auf den Beinen. Er dachte schnell an sein Abenteuer mit dem Riesenfaultier. Die ohnmächtige Lage des Schreckenstieres benutzend, schob er rasch eine Scrot-Patrone in den Lauf und schoß aus nächster Nähe dem Dinotherium den vollen Schuß ins rechte Auge.

Nach dem Schuß machte es ungeheure Anstrengungen, aus den Gabelästen heraus zu kommen und stieß dabei ein entsetzliches Schmerzgeheul aus.

Fast schien es, als sollten seine Anstrengungen belohnt werden; denn dort, wo die Äste zusammenliefen, spaltete sich das Holz.

Da krachte der zweite Schrotschuß, und dem Riesentier waren beide Augen zerstört.

Mittlerweile hatte sich auch Eduard aus den Ästen herausgearbeitet, aber wie schon öfter bei gefährlichen Jagdabenteuern, war er auch diesmal nicht ohne Verletzung davongekommen. Ein Astsplitter hatte sich in seine linke Schulter gebohrt und verursachte ihm große Schmerzen.

Wonström sparte einstweilen seine Moralpredigt und half dem armen Lazarus, der sich diese bittere Suppe abermals selbst eingebrockt hatte, den Splitter aus dem Fleische ziehen und die Wunde verbinden.

»Verzeihe mir, Wonström, meine abermalige Unbesonnenheit. Du hast sehr recht, mich auszuzanken, hätte uns dieser vermaledeite Schuß doch bald das Leben gekostet.«

»Ich werde diesmal nicht zanken,« erwiderte Wonström, »sondern nur den Kopf schütteln; was würde es nützen, da dir, wie es scheint, der Verstand fehlt, es zu begreifen. Das beste wird sein, ich behandle dich wie ein kleines Kind, dem man solche gefährliche Werkzeuge wie Flinten nicht in die Hand geben darf. Du wirst dein Gewehr von nun an ungeladen bei dir führen.«

»Du bist hart, Wonström, sehr hart, aber ich verdiene es nicht anders. Ich bin wirklich ein Kind, dem man die Flinte wegnehmen muß, da ich nur Unglück damit anrichte. Ich passe nicht zum Entdeckungsreisenden, sonder nur zu einem Lastträger.«

Wonström sagte nichts darauf, sondern ging zu den Reisesäcken, von denen der eine von dem wütenden Dinotherium zerstampft und zerstoßen war.

Glücklicherweise war dies Wonström's Sack, in welchem nur Proviant und einige Werkzeuge und der Segeltuchballen steckten.

Eduard's Sack, in welchem sich die Instrumente befanden, war verschont geblieben.

Das gesalzene und getrocknete Fleisch in Wonström's Sack war nicht mehr zu gebrauchen, da es vollständig mit Schmutz und Sand besudelt war.

Die Werkzeuge, Axt, Säge, Nägel etc. waren unbeschädigt, der Leinwandballen dagegen mehrfach durchlöchert.

Eduard's Wunde schmerzte sehr, sodaß es ihm nicht möglich war, seinen Sack weiter zu tragen. Deshalb nahm Wonström diesen auf den Rücken, und Eduard nahm den, welchen Wonström früher getragen hatte, der mit seinen jetzigen, geringen Inhalt kaum noch 15 Kilo schwer war.


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