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Siebenundzwanzigstes Kapitel

Peter Blodgetts Überzeugung, der Fuchs sei ihm in die Falle gegangen, war leicht begreiflich. Nur die Sorge, der Meisterdieb könne ihn noch in letzter Minute überlisten, dämpfte seinen Triumph. Das sollte der beste Fang seines Lebens werden!

Den Revolver in der Hand, bog der Detektiv mit Oliver Harrington in den Ostflügel ein. An der Tür der Wäschekammer blieben die Männer einen Augenblick stehen.

»Auf dem Posten, Al?« fragte Blodgett leise.

Durch einen Türspalt zeigte Al Simons sein schmales Habichtsgesicht.

»Was ist mit Sanderson los? Warum haben Sie nicht gemeldet, daß er sein Zimmer verließ?«

»Gar nichts los, Chef.« Al Simons widersprach heftig im Flüsterton. »Er kam ein paar Minuten nach zwölf herauf, ging ins Zimmer, und da ist er noch. Es ist alles in Ordnung.«

Peter Blodgett unterdrückte einen Fluch und packte mit solcher Heftigkeit die Schulter des andern, daß dieser sich vor Schmerzen wand.

»Alles in Ordnung! Jawohl – Sie haben geschlafen auf Ihrem Posten. Der Vogel ist Ihnen ausgewischt. Er hat den Schmuck gestohlen – und Sie wollen mir weismachen, daß er sein Zimmer nicht verlassen hat.«

»Aber ich schwöre Ihnen – es ist nicht wahr. Ich habe ihn beobachtet, wie er heraufkam, und ich hab' danach dauernd aufgepaßt und die Augen auch nicht eine einzige Sekunde geschlossen.«

»Sie haben geschlafen oder Sie sind bestochen – aber lügen tun Sie sicher«, zischte Blodgett. »Also?«

»Aber ich schwöre Ihnen –« in der Erregung wurde er lauter.

»Pst –« warnte sein Chef. »Nicht so laut, Dummkopf. Wir reden später miteinander.« Er wandte sich Harrington zu. »Sanderson hatte von seinem Zimmer keinen anderen Ausgang?«

»Nur durchs Fenster – das geht auf den Garten. Aber wie wäre er dann wieder heraufgekommen?«

»Ausgeschlossen – da wär' er gesehen worden. Nein, hier ist er vorbeigeschlüpft.«

»Sie glauben doch nicht«, flüsterte Harrington, »daß Ihr eigener Angestellter Sie betrügt?«

Blodgett gab keine Antwort. Al Simons würde er sich noch vornehmen. Jetzt zu Sandersons Zimmer.

Sanderson erwartete seelenruhig, wie sich die Dinge entwickeln würden. In seinem eleganten Pyjama lag er halbsitzend im Bett, zwei Kissen behaglich im Rücken, scheinbar mit größter Aufmerksamkeit in ein Buch vertieft. Er unterbrach die Lektüre auch nicht, als er hastige, aber gedämpfte Schritte im Flur hörte.

Also da sind sie, sagte er sich lächelnd im stillen.

Die Zimmertür, die unverschlossen geblieben war, wurde mit großem Krach aufgerissen. Peter Blodgett, den Revolver in der Hand, stürzte in den Raum, Harrington dicht hinter ihm.

»Meine Herren!« In Sandersons Stimme lag ein Ausdruck höflicher Zurückweisung – keine Panik, kein Erschrecken, wie es Harrington erwartet hatte. »Ah, Sie sind's, Harrington – ich hab' Sie nicht gleich erkannt. Darf ich fragen, was dieser dramatische Auftritt bedeuten soll?«

Der untere Bettrand hatte ihm Blodgetts Waffe verborgen. Jetzt ging der Detektiv mit dem Revolver auf ihn zu.

»Wir haben Sie, Sanderson. Geben Sie die Verstellung auf. Sie wissen ganz genau Bescheid. Keine Mätzchen! Untersuchen Sie ihn auf Waffen, Harrington.«

Sanderson klappte in aller Ruhe sein Buch zu und behielt es in der Hand. Sein Ausdruck zeigte die gerechte Empörung eines Unschuldigen, der eine völlig unerwartete Prozedur über sich ergehen lassen muß.

»Ich denke, Mr. Harrington, Sie werden mir Erklärung für diesen seltsamen Auftritt geben. Wenn das vielleicht ein Scherz sein soll, so finde ich ihn jedenfalls ungewöhnlich albern und geschmacklos. Was will Ihr Diener mit dem Revolver? Ich erwarte Ihre Aufklärung!«

Fast wäre Harrington für einen Augenblick wieder unsicher geworden. Aber es gab ja keine andere Möglichkeit, es mußte Sanderson gewesen sein.

»Es bedarf keiner Erklärung, Sanderson. Ihnen geschieht nach Verdienst. Wenn meine Frau noch lebt – Ihnen ist's nicht zu verdanken. Das Chloroform hätte sie töten können.«

Peter Blodgett fiel ihm ins Wort. »So was spielt noch den Unschuldigen! Sie sind ein ausgepichter Kerl, Sanderson, und ein guter Schauspieler. Aber die Komödie ist aus. Vorwärts. Spucken Sie den Brillanten wieder aus, und zwar plötzlich – wir verlassen das Zimmer nicht ohne den Bulburry.«

Es war unmöglich, den Ausdruck der Überraschung in Sandersons Gesicht nicht für echt zu halten. »Herr des Himmels! Mrs. Harrington betäubt? Der Bulburry gestohlen? Aber wann? Wie?«

Peter Blodgett lachte höhnisch auf.

»Das wissen Sie besser wie wir. Lassen Sie den Quatsch. Haben Sie das Bett durchsucht, Harrington?«

Harrington trat vom Bett zurück. »Keine Waffen. Verfluchte Frechheit – er blufft nur, aber er schießt nicht.«

Sanderson war aufgestanden, als Harrington das Bett nach Waffen durchsuchte. Blodgett beobachtete ihn mißtrauisch, während Sanderson empört seinen Gastgeber mit herausfordernden Blicken maß.

»Wenn ich recht verstehe«, sagte er mit erregter Stimme, »wollen Sie behaupten, daß ich den Brillantanhänger, den Bulburry, gestohlen und Ihre Frau bei dieser Gelegenheit fast umgebracht habe?«

Ton und Haltung Sandersons ließen den Hausherrn zurückfahren. Wieder fühlte er sich in seinem Glauben an die Schuld des anderen erschüttert.

»Antworten Sie gefälligst«, verlangte Sanderson mit erhobener Stimme. Der gänzlich verdatterte Harrington stammelte etwas, das wie eine Entschuldigung klang.

»Lassen Sie sich doch nicht von ihm dumm machen«, sagte der Detektiv. »Der Kerl legt den Teufel selbst herein – aber mich nicht. Für das Kaliber bin ich zu hart gesotten.«

»Und was geht Sie das alles an?« Sanderson wandte sich Blodgett zu. »Sie vergessen Ihre Stellung! Benehmen Sie sich einem Herrn gegenüber gefälligst, wie sich's für einen Diener gehört.«

Blodgett kochte vor Wut.

»Schöner Herr das! Ein Verbrecher sind Sie. Und was meine Stellung angeht – seit drei Monaten bin ich hinter Ihnen her und warte darauf, Sie zu schnappen. Aber heut hab' ich Sie!«

»Ah – ich verstehe, Herr Detektiv«, gab Sanderson mit ironischem Lächeln zurück. »Also nicht einmal ein anständiger Diener – ein Spitzel, von einem Adam Decker gemietet und bezahlt, um diese verrückte Idee zu beweisen, daß ich der sogenannte ›Geldschrankspezialist‹ bin. Jetzt wird die Sache klar. Da auf natürlichem Weg nichts zu beweisen ist, muß etwas arrangiert werden. Kann mir denken, daß Mr. Adam Decker keine Skrupel kennt. Jetzt wird man hier das Zimmer durchsuchen, ein bißchen Komödie spielen und dann den Bulburry aus einer Ecke holen, in die man ihn selbst versteckt hat. Hübsch erdacht, Herr Detektiv. Das nennt man abgekartetes Spiel. Dem Decker trau' ich gern alles zu, aber daß ein Gentleman wie Mr. Harrington sich zu solch trauriger Komödie hergibt –«

Blodgett sah Harrington an und begriff, daß dieser schon halb überzeugt war, es sei wirklich ein abgekartetes Spiel.

»Aber Harrington, fallen Sie doch auf den Bluff nicht herein! Sie werden doch nicht glauben, daß ich mich zu so was hergeben könnte!«

Der Hausherr war völlig konsterniert. »Ich – ich weiß überhaupt nichts mehr. Ich – ich finde es immerhin höchst seltsam, daß Ihr Mann draußen in der Wäschekammer nichts bemerkt hat, und ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Schuldiger –«

»So hat er's ja zum Meisterdieb gebracht – der wickelt Sie ja um den Finger – lassen Sie mich hier die Sache allein besorgen. Der legt Sie ja mit seiner Unschuldsmiene glatt herein. Natürlich will er nicht, daß wir das Zimmer durchsuchen – wenn wir aber den Schmuck gefunden haben, dann war's abgekartet!«

Nervös schaute Harrington auf den beschuldigten Gast.

»Sanderson – können Sie mir Ihr Wort als Ehrenmann geben, daß Sie mit der Sache nichts zu tun haben?«

»Ich gebe Ihnen mein Wort als Ehrenmann, daß ich den Bulburry nicht gestohlen habe.« Er hatte zu seiner eigenen Genugtuung die Worte so geschickt gewählt, daß es keine Lüge war.

Blodgett lachte höhnisch.

»Das Ehrenwort eines Verbrechers – hat ja einen schönen Wert! Dachten Sie vielleicht, er würde gestehen? Aber jetzt soll mich niemand mehr hindern, mit der Durchsuchung zu beginnen.«

»Wenn ich das geringste Vertrauen haben könnte, daß die Durchsuchung mit rechten Dingen vor sich geht, wär's mir nur recht.«

»Ich gebe Ihnen mein Wort als Ehrenmann«, höhnte der Detektiv, »daß es kein abgekartetes Spiel ist. Mir streuen Sie keinen Sand in die Augen. Sie mögen den Brillanten noch so gut versteckt haben – und wenn ich das ganze Haus auf den Kopf stellen muß, ich werde ihn finden.«

Oliver Harrington wußte nicht mehr, was er denken sollte. Die fabelhafte Sicherheit seines Gastes ließ es unvorstellbar erscheinen, daß er der Schuldige war. Während Sanderson in resignierter Haltung auf dem Bettrand Platz genommen, stand der Hausherr unentschlossen im Zimmer.

»Ich kann Sie an Ihrem Vorhaben nicht hindern«, sagte Sanderson. »Aber machen Sie wenigstens rasch.«

Trotzdem Al Simons sich im Recht fühlte, kam er wie ein verprügelter Hund heran, in Erwartung eines Wutausbruchs seines Chefs.

»Sie haben da eine schöne Schweinerei angerichtet, Al«, schimpfte Blodgett. »Aber reden wir jetzt nicht davon. Sanderson muß an Ihrer Kammer vorbeigegangen sein – es gab gar keine andere Möglichkeit. Und der Brillant ist entweder hier im Zimmer oder irgendwo zwischen diesem Raum und Mrs. Harringtons Schlafzimmer. Da aber Sanderson nicht auf eine Falle vorbereitet war, wird er wohl hier sein. Und nun los.«

Mit systematischer Gründlichkeit wurde die Durchsuchung vorgenommen. Auf so was verstand sich Peter Blodgett. Alles wurde genau abgesucht: die Matratze, jeder einzelne Teil des Betts, die Ritzen im Parkettboden, der Raum hinter den Schubladen der Kommode und des Toilettentisches. Es wurde wirklich jeder kleinste Winkel bis ins letzte durchforscht. Sanderson, der noch vor einer halben Stunde den Brillant in Händen gehalten und inzwischen den Fuß nicht vor die Tür gesetzt, blieb unglaublicherweise völlig gleichgültig.

»Wenn das eine abgekartete Sache ist«, bemerkte er, »so markieren Sie wenigstens glänzend das Gegenteil. Ich fange an zu glauben, daß Sie's ernst meinen. Unter der Voraussetzung bin ich mit Ihren Bemühungen nur herzlich einverstanden.«

»O ja – seien Sie nur einverstanden«, gab Blodgett sarkastisch zurück. »Abwarten! Wir sind noch nicht miteinander fertig – noch lange nicht.« Er wandte sich zu Al Simons. »Jetzt wollen wir ans Gepäck heran. Ich hab's bis zuletzt gelassen, weil ich ihn nicht für so dumm halte. Aber man kann nie wissen. Manchmal machen die schlausten Füchse die größten Dummheiten. Und er fühlte sich natürlich absolut sicher.«

Sanderson lachte.

»Sie sind entwaffnend blöd, Blodgett. Hier, nehmen Sie wenigstens die Schlüssel und machen Sie das Schloß nicht kaputt.«

»Sie haben abgeschlossen? Das ist verdächtig.«

»Ganz und gar nicht; denn heut nachmittag schon hat jemand in meinen Sachen herumgewühlt. Vermutlich Sie?«

»Stimmt.« Der Detektiv entleerte den Koffer völlig und durchsuchte alles vergeblich.

»Hat vielleicht einen doppelten Boden«, flüsterte Simons seinem Chef zu. Blodgett grunzte nur und war schon dabei, mit der scharfen Schneide seines Taschenmessers den Boden aufzuschlitzen. Sanderson protestierte so lebhaft, daß der Detektiv das schon für einen Schuldbeweis hielt, um so mehr, als er ein sorgfältig verstecktes Geheimfach entdeckte.

»Aha – da haben wir Sie, Sanderson.«

Sanderson lachte nur verächtlich.

»Idiot – warum ruinieren Sie mir völlig zwecklos meinen besten Handkoffer? Hat mich hundertfünfzig in London gekostet. Dafür mach' ich Sie persönlich haftbar.«

Blodgetts plumpe Hand tastete den doppelten Boden ab – fluchend stellte er fest, daß nichts zu finden war. Er versuchte seinen Ärger hinter wildem Schimpfen zu verstecken.

»Warum haben Sie denn ein Geheimfach in Ihrem Koffer, wenn Sie ein Ehrenmann sind?«

»Reden Sie keinen Unsinn. Das war damals das neueste Modell, als ich den Koffer kaufte. Und wenn ich im Geheimfach gestohlene Sachen verstecken wollte, hätt' ich's ja heute tun können, nicht wahr? Sie reden ja gegen Ihre eigene Theorie, Blodgett. Wenn Sie mir nur einen Augenblick Zeit gelassen, hätt' ich Ihnen gern das Geheimfach selbst gezeigt, ehe Sie es mit dem Messer beschädigen mußten.«

Der Detektiv schob den Koffer fluchend zur Seite und trat nachdenklich ans Fenster.

»Das wär' noch eine Möglichkeit – auch schon dagewesen.« Er öffnete das Fenster und untersuchte die Fensterbank, um festzustellen, ob der Brillant vielleicht mit Kaugummi dort befestigt worden sei. Er lehnte sich weit heraus. Plötzlich horchte er auf. Er konnte in der Dunkelheit nicht bis auf den Boden sehen, aber er hörte etwas, das ihm deutlich wie Stöhnen vorkam.

»Hallo – wer ist da unten?« rief er. Keine Antwort. Nur wieder das Stöhnen.

»Was gibt's?« Simons drängte sich ans Fenster.

»Taschenlampe her, Simons.«

Der Detektiv leuchtete nach unten. Der Lichtkegel der Lampe fiel auf den Körper eines Mannes, der im Rasen lag.


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