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Sechstes Kapitel

Im Sechzigkilometertempo brummte der Roadster über die asphaltierte Straße durch das nächtliche Dunkel, trotzdem kein Anlaß zur Eile vorlag. Clark war eine gute Stunde früher, als Sanderson es programmäßig für ihr nächtliches Abenteuer vorgesehen hatte. Nichts war in dem genau und sorgfältig ausgearbeiteten Plan außer acht gelassen.

»Ein genialer Verbrecher!« Clark rief es laut in die Nacht und verringerte vor einer Kurve die Geschwindigkeit des Wagens, der im Licht der Scheinwerfer das graue Band der Straße aufrollte. »Er denkt an alles und übersieht nichts.«

Wenn Enoch Hutton, der altmodische Provinzbankier und Kirchenvorstand, wüßte, daß sein eleganter Vetter in New York nicht der respektable Geschäftsmann war, für den er ihn hielt, sondern durch Verbrechen seinen kostspieligen Aufwand bestritt!

»Ich bin einmal gespannt, wie lang Sanderson dies Leben noch führen wird, ohne erwischt zu werden«, murmelte Clark. »Glück im Spiel, hat er gesagt, aber in jedem Spiel dreht sich einmal das Glück. Vielleicht spielt uns das Schicksal heute nacht schlechte Karten in die Hand.«

Aber solche Gedanken hatten keinen Sinn. Das machte nur nervös. Es war besser, Sanderson zuzutrauen, daß seine Schlauheit und kluge Überlegenheit Mißerfolg ausschlössen. Sicherlich hatte er alles genau vorbedacht. Sogar das Nummernschild des Wagens war für alle Fälle auf einen fingierten Namen eingetragen.

Es war halb eins in der Nacht, als Clark an der ihm genau bezeichneten Straßenkreuzung hielt. Ein Irrtum war ausgeschlossen. Er bog links ab, verließ die Asphaltstraße und nahm die Richtung nach dem Sund.

So unauffällig war der Weg, der sich schmal durch die Bäume wand, daß er ihn ohne das flatternde weiße Taschentuch am Straßenrand verfehlt hätte. Sanderson hatte an alles gedacht.

Der ausgefahrene Weg führte an der Rückseite des Rittenhouse-Landsitzes entlang. Clark blendete beim Einbiegen ab, holperte ein paar Meter weiter und stoppte. Bevor er den Motor abstellte und die Lichter ganz löschte, schaute er auf die Uhr. Zwanzig vor eins. Genau eine Stunde und zwanzig Minuten zu früh. Das konnte nichts schaden. Clark zündete sich eine Zigarette an, lehnte sich in den Ledersitz zurück und rauchte hastig und nervös. Er faßte seine Nervosität nicht als Angst auf, sondern nur als Folge der Untätigkeit, zu der er verdammt war. Er brannte darauf, bei dem nächtlichen Abenteuer dabei zu sein und es glücklich zu Ende zu führen.

Das Haus selbst konnte er durch das Dickicht der Bäume nicht erkennen, aber der Lichtschein drang durch das Blattwerk, und er hörte die Klänge einer wilden, barbarischen Musik.

»Bei Rittenhouse ist Jazzbetrieb – und ich möchte wetten, Sanderson ist der Mittelpunkt. Der ist kaltblütig, der steht fest. Und drum hat er immer wieder gewonnenes Spiel.«

Seine Zigarette war zu Ende; als er sich eine neue anzündete, fuhr er plötzlich zusammen: seine Augen versuchten, das Dunkel zu durchdringen – es war ihm, als hätte er rechts im Laub das Rascheln von Schritten gehört. Oder bildete er sich's nur ein? Vielleicht hatte ein Wächter von der Rittenhouseschen Besitzung ihn gehört, als er in den Weg einbog. Was dann? Diese Möglichkeit hatte er nicht vorgesehen. Mit einem raschen Griff faßte er nach der Pistole in seiner Tasche. Es war nicht mehr das billige Ding mit dem verrosteten Nickelgriff von neulich, aus der Schublade bei Cudworth & Co., sondern ein stahlblauer Selbstlader, mit dem Sanderson ihn ausgerüstet hatte.

In dem Waldstück war es pechschwarz; man konnte kaum die allernächsten Baumstämme unterscheiden. Wieder das Rascheln, und dann tauchte ein heller Fleck aus dem Dunkel.

»Wer da?« Die Worte entschlüpften ihm unwillkürlich, und er zog den Selbstlader aus der Tasche.

»Schon gut, Clark«, lautete die gedämpfte Antwort. Einen Augenblick später stand Sanderson am Wagen, im Frack, aber ohne Hut. Clarks erster Gedanke war, daß etwas schief gegangen sei. Sicher kam Sanderson zu ihm, um zu melden, daß der Plan mit den Perlen aufgegeben werden müsse. Als aber Sanderson mit ruhigem Lächeln seinem goldenen Etui eine Zigarette entnahm und sie gemütlich anzündete, sagte er sich, daß sein Freund nicht nach schlechten Nachrichten aussah.

»Ich bin unprogrammäßig früh.«

»Damit habe ich gerechnet«, antwortete lachend Sanderson. »Sie sind jung und also ungeduldig. Und es ist Ihr erstes Unternehmen. Ich konnte mich grade leicht einen Augenblick entfernen; und weil ich mir dachte, Sie wären nervös, wollte ich Sie ein bißchen beruhigen.«

»Danke. Ein bißchen nervös bin ich schon, aber nicht ängstlich. Nur die Warterei ist ekelhaft. Und die Perlen? Wo Sie vermutet haben?«

»Gewiß – im Safe in der Bibliothek. Ich konnte es in aller Ruhe feststellen. Die Sache wird nicht allzu schwierig sein, denke ich. Rittenhouse hat die Perlen feierlichst seiner eitlen fetten Frau überreicht. Ah – sind die schön. Man kann sie wirklich nur vollkommen nennen. Es ist eine Schande, solche Perlen um – diesen Hals zu hängen! Nach Tisch nahm der vorsichtige Hausherr ihr die Perlen wieder ab und schloß sie in den Safe. Das Geschrei, das der Mann in ein paar Stunden erhebt, wird man weit hören können. – Aber sagen Sie mal, Clark, wie ging's im Geschäft?«

»Alles ging glatt. Bisher gab's keine Kassenkontrolle, aber ich rechne mit Montag.«

»Nicht mehr sehr wichtig für uns. Natürlich kriegen wir nicht den vollen Wert für die Perlen, wenn wir sie eilig losschlagen wollen. Die Hehler sind immer Schweine. Aber vierzigtausend werden wir wohl miteinander teilen können. Wir haben die Kette so gut wie sicher. Kein schlechtes Geschäft für eine einzige Nacht, was?«

Sandersons Optimismus wirkte ansteckend. Clark fühlte sich, als wenn er die zwanzigtausend Dollar schon in der Tasche hätte.

»Im Programm hat sich nichts geändert?«

»Nein, höchstens daß es eine Stunde später werden kann, als ich ursprünglich meinte. Darum kam ich her. Ich dachte, Sie würden unruhig werden, wenn mein Signal nicht pünktlich käme. Rittenhouse hat für diese Weekend-Tanzerei einen ganzen Haufen von Tanznarren eingeladen. Ich dachte, die Leute würden um diese Zeit längst zu Bett sein.«

»Und wie ist das mit den Alarmvorrichtungen?«

»Keine Sorge. Wenn Sie mein Signal sehen, kommen Sie über den Rasen an den Seiteneingang, und ich lasse Sie ein. Wir bringen an der Tür Spuren an, als ob's ein Einbruch von außen wäre. Haben Sie das Werkzeug mitgebracht?«

»Keine Angst, daß ich das vergessen hätte. Es ist hier unter dem Sitz.«

»Schön. Alles klar. Aber ich gehe jetzt besser zurück, bevor man mich vermißt. Sie sind hier völlig sicher. Bleiben Sie ruhig hier, bis etwa drei Uhr. Vom Springbrunnen aus können Sie mein Fenster und das Lichtsignal beobachten.«

Er faßte freundschaftlich und ermunternd Clark beim Arm. »Noch eins: drehen Sie den Wagen, dann ist er fahrbereit, wenn man sich rasch aus dem Staub machen muß.«

Mit diesen Worten ließ er Clark allein zurück. Wie sich die Zeit hinzog! Er hatte kehrtgemacht, und nun konnte er hier noch zwei lange Stunden sitzen und warten, doppelt so lang, als er gerechnet hatte. Er stieg aus dem Wagen und ging auf und ab, um seine Nerven zu beruhigen. Immer wieder zündete er Streichhölzer an, um auf die Uhr zu sehen.

»Dies verfluchte Warten macht einen noch ganz verrückt.«

Aber es blieb ihm nichts anderes übrig. Bis nach ein Uhr drang der Lärm der Jazzmusik aus dem unsichtbaren Haus zu ihm. Genau ein Uhr fünfzehn wurde es still. Anscheinend blieben nicht alle Gäste über Nacht – oder die Musiker machten sich auf den Heimweg. Clark hörte das Anspringen von Autos und das schwächer werdende Geräusch der abfahrenden Wagen. Eine halbe Stunde später verlöschten nach und nach die Lichter im Haus bis auf einige wenige. Es war noch nicht ganz zwei Uhr, als Clark wahrnehmen konnte, wie alles im Haus schlafen ging.

Noch eine Stunde – im ganzen Leben war ihm nie eine Stunde so lang geworden. Endlich, um Viertel vor drei, konnte er's nicht länger aushalten. Er zündete noch eine Zigarette an und bemerkte dabei, wie seine Hände zitterten.

So geht's nicht. Sanderson würde eine hübsche Vorstellung von meinen Nerven kriegen, wenn er mich jetzt sähe. Reiß dich zusammen, blöder Kerl. Er schob den Wagensitz beiseite und zog einen ledernen Sack heraus. Der Sack war schwer, aber man hörte kein Klappern beim Aufheben. Er hätte gern gewußt, was für Werkzeug drin war, aber er hatte ihn noch nicht geöffnet.

Der Sack hing ihm schwer am Arm, als er das Waldstück in der Richtung auf die Rasenfläche durchquerte, die den großen Landsitz umgab. Jetzt, wo die Bäume den Sternenhimmel nicht länger verdeckten, wurde es heller. Clark hielt sich im Schatten und sprang vorsichtig von einem Gebüsch zum anderen. Der Springbrunnen, den eine tanzende Marmornymphe schmückte, leuchtete hell durch das Dunkel. In der nächtlichen Beleuchtung schien die Figur sich wie ein heiteres Gespenst im Tanz zu bewegen. Der Springbrunnen warf einen weiten Schatten, in dessen Dunkel Clark auf das verabredete Zeichen wartete.

Selbst nach dem abgeänderten Programm war Sanderson verspätet. Es war schon eine ganze Weile über drei Uhr, als von einem Fenster im zweiten Stock das viermalige Lichtsignal gegeben wurde. Das hieß: Herankommen! Ein Seufzer der Erleichterung, und Clarks Nerven spannten sich. Endlich!

Er nahm eilig den Sack, erreichte lautlos den überdachten Eingang und schlüpfte über die Fliesen. Ein atemloser Augenblick der Spannung – die Tür öffnete sich. Wortlos ließ Sanderson ihn ins Haus und nahm ihm den Ledersack ab.

»Sie haben vergessen, Ihre Handschuhe anzuziehen! Ein Fingerabdruck ist verflucht gefährlich. Ziehen Sie auch die Maske an.« Er gab Clark eine schwarzseidene Maske.

Clark gehorchte schweigend. Er hatte Angst, nicht leise genug flüstern zu können.

Sanderson brauchte für seine Arbeit kein Licht. Schon schienen seine Finger den Sack zu öffnen. Jeder Gegenstand war sorgfältig verpackt. Mit sicherem Griff zog er einen Meißel heraus, mit dem er das Holz der Eingangstüre beschädigte.

In der Dunkelheit konnte Clark die Wirkung nicht erkennen, aber er war sicher, daß Sanderson reichlich Spuren angebracht hatte, um auch dem gerissensten Detektiv Einbruch von außen vorzutäuschen. Sanderson wußte Bescheid.

»Los«, befahl er. Sanderson hatte den Sack wieder in der Hand und ging auf die Bibliothek zu.

Es war ein großer, hoher, dunkler Raum, den kein Lichtstrahl erhellte. Sanderson hantierte mit dem Inhalt des schwarzen Sacks, und es gab ein leises Klirren. Clark blieb dicht neben ihm.

»Sie arbeiten mit Sauerstoffgebläse?« flüsterte er.

»Ich denke nicht daran.« Sanderson schlich lautlos über den schweren Bodenbelag der Ostwand des Raumes zu. Er ließ seine elektrische Taschenlampe vorsichtig aufblinken und beleuchtete für einen Augenblick die einförmige Reihe der Bücherschränke. Clark sah, daß auch er eine Maske trug.

Sanderson tat einen Griff, es klirrte leise, und ein Bücherschrankfach glitt auf. Der Lichtschein spielte auf der Tür eines Safes und ließ eine Menge vernickelter Klinken, Knöpfe, Drehscheiben auf grauem Untergrund aufleuchten.

»Zwanzigtausend Dollar, wenn nicht mehr, für jeden von uns, sind hinter dieser Tür. Die Perlenkette wird nicht das einzige sein. – Halten Sie's Licht.«

Clark nahm die Taschenlampe, neugierig, mit welchem Zaubergriff Sanderson den Safe zu öffnen dachte. Er sah uneinnehmbar wie ein Bankgewölbe aus, und doch wußte er, daß Sanderson Einlaß finden werde. Dieser hielt einen unförmigen Gegenstand in der Hand. Am einen Ende befand sich ein Draht, den er im Dunkeln mit einem elektrischen Kontakt in Verbindung brachte. Clark trat neugierig noch näher und ließ das Licht der Taschenlampe darauf fallen.

»Ein elektrischer Bohrer«, erklärte Sanderson kurz. »Der Motor wird durch Lichtstrom betrieben. Keine fünf Minuten, und ich habe den Verschluß durchbohrt. Danke, ich brauche kein Licht. Darin hab' ich Übung.«


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