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Vierzehntes Kapitel

Zwei Stunden vor der Ausfahrt meldete sich Clark bei Kapitän Fisher, einem hageren Fünfziger mit umständlichem Gehabe. Er wurde in Uniform gesteckt. Alles war an Bord, und die Jacht stand schon unter Dampf. Gegen elf Uhr waren fast alle Gäste erschienen, auch Ruth Vale, die sich behaglich in einem Liegestuhl auf Deck aufgebaut hatte. Adam Decker, die Mütze verwegen auf dem munteren Schweinskopf, war eifrig um sie bemüht. Er hatte zuversichtlich damit renommiert, daß Ruth Vale als Mrs. Adam Decker nach New York zurückkehren werde.

Clark, der noch keinen Dienst in seiner Funkstation hatte, lehnte an der Reling und spähte nach dem Pier. Bei jedem Wagen, der heranholperte, erwartete er schon Jerry Townsend herausstürzen und alles verderben zu sehen. In gewissem Sinn wäre es ihm sogar recht gewesen, das heißt wenn Townsend vor Maxwell Sanderson, alias Mr. Prather, auf der Bildfläche erschiene. Dafür stand er auf der Lauer. Er wollte Sanderson, falls wirklich Townsend aus seinem Keller entwichen war, warnen können.

Trotz allem guten Willen konnte Clark sein unbehagliches Gefühl über Sandersons allzu phantastischen Plan nicht loswerden. Er hätte es als Erleichterung empfunden, wenn Jerry Townsends Erscheinen dem ganzen Spuk ein Ende gemacht. Immer, wenn er sich fast von diesen Vorstellungen befreit, tauchte vor ihm Adam Deckers schlaues und böses Gesicht auf. Wahrhaftig, dieser Decker war ihm ein rotes Tuch.

Um dreiviertel zwölf wartete man noch auf einen letzten Gast.

Man hörte Ruth Vales wenig schöne Stimme ungeduldig und scharf; Gott sei Dank spielte sie nur für den stummen Film – im Tonfilm oder auf der Bühne wäre sie unmöglich gewesen.

»Wo bleibt Jerry«, fragte sie Decker – »hat ihn niemand gesehen?«

»Aber Jerry ist doch immer unpünktlich«, lachte Mrs. Tomkinson; sie war siebenunddreißig und machte verzweifelte Anstrengungen, wie fünfundzwanzig zu wirken. »So ist der Junge nun mal. Keine Sorge, liebe Ruth, diese Fahrt wird er nicht versäumen.«

Ruth Vale machte sich durchaus keine Sorge, aber fand es wenig geschmackvoll von Townsend, sich nicht pünktlicher bei ihr einzufinden. Daß er etwa ganz ausbleiben könne, kam ihr nicht entfernt in den Sinn.

»Townsend ist überhaupt noch ein grüner Junge«, grunzte Adam Decker. »Ohne jedes Verantwortungsgefühl. Wenn der seinen Weg allein machen müßte, das würde ein schönes Schlamassel geben.«

»Anders als Sie«, lachte Mrs. Tomkinson – sie lachte immer, auch wenn's nicht das geringste zu lachen gab.

Es wurde zwölf, und die Dampfsirene von »Glückliche Tage« gab das Abfahrtssignal. Adam Decker sah nach der Uhr. Er verbarg nur mühsam ein befriedigtes Schmunzeln.

»Ich warte noch fünf Minuten. Wenn Townsend dann nicht an Bord ist, fahren wir ohne ihn ab. Er weiß genau, daß wir Punkt zwölf Uhr die Anker lichten.«

Ruth Vales Ärger war unverkennbar. Es verletzte ihre Eitelkeit, daß einer ihrer Verehrer sie auf so blamable Weise im Stich lassen könne, zumal einer, der auf ihre Veranlassung eingeladen worden war. Es bedurfte ihrer ganzen Energie, sich zu beherrschen.

»Ohne ihn fahren – ohne Jerry?« rief Mrs. Tomkinson. »Aber das ist doch ganz unmöglich, Mr. Decker. Wollen Sie Miss Vale die Fahrt verderben?« Das ging ein bißchen weit. Ruth Vale fühlte sich getroffen.

»Es ist mir vollkommen gleich, ob er mitkommt oder nicht«, sagte sie heftig. »Ich würde darauf bestehen, ohne ihn zu fahren – aber – wir sind vierzehn, und ohne ihn –«

»Nur dreizehn«, ergänzte Mrs. Tomkinson kopfschüttelnd. »Ernsthaft, Miss Vale, glauben Sie an solchen Unfug?«

»Ja, das tu' ich. Jedenfalls mach' ich nicht mit, wenn wir dreizehn sind. Darauf können Sie sich verlassen!«

Adam Decker nahm verständnisvoll lachend ihre Hand. »Ich bin der Gastgeber und zähle nicht mit. Wenn also Townsend ausbleibt, sind es nur zwölf Gäste – und so ist alles in Ordnung.«

Die Diva hörte gar nicht hin.

»Warum rufen Sie nicht bei ihm an? Vielleicht ist er –«

»Besoffen vermutlich. Ich höre, er hat gestern abend ein kleines Fest in seiner Wohnung gegeben. – Aber schön, ich will gern telephonieren.«

Barton Clark hatte von seinem Platz an der Reling aus nicht jedes Wort hören können, aber doch erfaßt, daß die Rede von Jerry Townsend und von seinem Ausbleiben war. Jetzt sah er eine Taxi zum Pier einbiegen und haltmachen. Sanderson, jetzt Mr. Prather, stieg aus, gefolgt von einem Chauffeur, der die Koffer trug.

Toll – dachte Clark bei sich – toll und verrückt. Ich bin neugierig! Er ging näher an die Laufbrücke heran, hütete sich aber wohl, seine Bekanntschaft mit dem Ankömmling zu verraten. Sanderson blieb einen Moment stehen, sah ihn ganz fremd an und flüsterte: »Ich wäre um ein Haar zu spät –« und dann laut, »bitte, wo ist Mr. Decker?«

Adam Decker war gerade in Hörweite, trat näher und schaute den Fremden fragend an.

»Was wünschen Sie, bitte? Ich bin sehr eilig, und wenn sich's nicht um etwas ganz Wichtiges handelt –«

»Mein Name ist Prather, Mr. Decker, und ich – es ist eine komische Situation – eine verzwickt komische Situation –«

Sanderson spielte glänzend den Verlegenen. »Ich wollte gar nicht kommen, aber Jerry bestand darauf – meinte, es wäre ohne ihn ein Herr zu wenig an Bord – was weiß ich alles – kurz, er redete mir ein, es wäre unbedingt nötig – also hier bin ich.«

Decker sah ihn verdutzt an.

»Ich verstehe nicht, Mr. – – Prather. Sie kommen von Jerry Townsend? Aber wo bleibt er denn selbst?«

»Er hat einen Unfall gehabt – konnte unmöglich kommen. Einfach physisch ausgeschlossen – aber es ist besser, Sie lesen diesen Brief, den er mir für Sie mitgab.« Sanderson, alias Prather, zog einen Brief aus der Tasche und gab ihn Decker. Dieser las den Brief, dessen Schriftzüge schief und krumm über das Blatt torkelten.

 

Lieber Decker,

Fühle mich hundsmiserabel nach gestern abend. Kann unmöglich mitkommen. Ich weiß, wie Miss Vale sich wegen der dreizehn usw. anstellt. Schicke Ihnen Phil Prather als Ersatzmann, fideler Bursche. Wollte durchaus nicht mitmachen – konnte Sie aber telephonisch nicht erreichen.

Jerry.

 

Entweder war Adam Decker wirklich nicht gekränkt, daß ihm ein ganz fremder Gast aufgedrängt wurde, oder er ließ es aus Höflichkeit nicht merken. Er steckte den Brief zerstreut in die Tasche und schaute sich Prather an, der ihm anscheinend als Ersatzgast ganz gut gefiel.

»Es sieht verflucht frech aus, Mr. Decker, hier einfach zu erscheinen – aber ich wurde so bearbeitet –«

»Macht gar nichts, Mr. Prather. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen. Nett, daß Sie gekommen sind. Sehr einverstanden. Ihr Gepäck? Der Steward wird Ihnen Ihre Kabine zeigen. Besser, ich führe Sie selbst. Will gerade nur Kapitän Fisher sagen, daß wir sofort abfahren können. Bitte, hier, Mr. – ah – Prather, so war doch der Name?«

An die Reling gelehnt, sah Barton Clark Decker und den falschen Mr. Prather vorübergehen.

»Er hat's wahrhaftig geschafft. Ich hätt's nicht für möglich gehalten. Ich fange an zu glauben, der Mann schafft's immer. Er ist wirklich ein Genie.«

Ein lang anhaltendes Heulen der Sirene, die Laufbrücke wurde eingezogen, Taue gelöst, langsam stieß das Boot vom Pier ab und glitt anmutig stromwärts.

Adam Decker war wieder bei der Gruppe um Ruth Vale und Mrs. Tomkinson an Deck und erklärte nicht ohne Schadenfreude die Ursache von Jerry Townsends Ausbleiben. Die Diva war vor Ärger und Wut den Tränen nahe. Sie widersprach und beherrschte nur mühsam ihre Stimme. »Ich kann's einfach nicht glauben. Kein Gentleman würde so handeln. Er hätte mich doch wenigstens anrufen können.«

Mrs. Tomkinson meinte süßlich: »Er war aber doch so rücksichtsvoll, einen Freund zu schicken, damit wir nicht dreizehn blieben. Das war wirklich sehr nett von ihm.«

»Hat er ja auch geschrieben«, brummelte Decker. »Im übrigen sieht der Brief aus, als wäre er nicht mit der Hand, sondern mit der Pfote geschmiert – sehen Sie selbst.« Er suchte in der Tasche und schimpfte ärgerlich: »Wo ist denn der Brief hin – ich hab' ihn doch eben erst in die Tasche gesteckt.«

Für Decker blieb das Verschwinden des Briefes ein Rätsel. Aber Clark, der herumspioniert hatte, verzog sich mit einem verständnisinnigen Grinsen in seine Funkkabine. Er wußte Bescheid.

»Sanderson ist der Taschendieb gewesen. Er hatte Sorge, Ruth Vale könne der Handschrift mißtrauen. Die wird zuviel Briefe von Jerry Townsend gesehen haben. Ich hab' mal wieder unrecht gehabt. Sanderson ist einem Adam Decker doch glatt gewachsen.«

Zum erstenmal war sein Vertrauen zu Maxwell Sandersons Geschicklichkeit so unbedingt, daß er überzeugt war, die Sache würde gelingen.


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