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Zwanzigstes Kapitel

Mr. Peter Blodgett war offensichtlich verärgert. »Bulldogge Blodgett bringt ihren Mann zur Strecke«, hieß es allgemein. Und das dicke Bulldoggengesicht mit dem vorgeschobenen Unterkiefer machte diesen Satz glaubhaft. Ja, er war verärgert und schaute recht verzweifelt drein, während seine Finger auf die Schreibtischplatte trommelten. Er wartete auf eine Eingebung, aber Eingebungen sind nicht immer zur Stelle, wenn man sie gerade braucht.

»Blodgetts Detektiv-Dienst« hieß die Firma, und sie arbeitete mit gutem Nutzen. Trotzdem war die Aussicht, einen Kunden zu verlieren, der tausend Dollar pro Monat brachte, Grund genug zur Besorgnis. Der Kunde war Adam Decker, der Millionen im Krieg verdient hatte. Die Aufgabe, die er Peter Blodgett gestellt, bestand darin, den anscheinend einwandfreien und gesellschaftlich angesehenen Mr. Maxwell Sanderson als Verbrecher zu entlarven und seine Identität mit dem geheimnisvollen sogenannten »Geldschrankspezialisten« nachzuweisen. Dreimonatige Beobachtung hatte zu nichts geführt – nur zur Blamage des Mr. Blodgett; Blamage insofern, als Sanderson die besten Leute der Agentur an der Nase herumgeführt hatte und einfach verschwunden war.

Aber gerade Sandersons Verschwinden hatte Peter Blodgett schließlich überzeugt, daß etwas an Deckers Verdacht dran sein mußte. Sanderson hatte einen Maskenball besucht und war auf irgendeine Weise, die der Detektiv nicht herausbringen konnte, sofort wieder spurlos verschwunden. Spätere Recherchen führten lediglich zu dem Ergebnis, daß Sanderson innerhalb einer Stunde in seine Wohnung zurückgekehrt war und diese mit einem Handkoffer wieder verlassen hatte. Seither fehlte jede Spur. Warum war Sanderson so bemüht, seinen Verfolgern zu entkommen? Peter Blodgett hatte sich darüber seine eigene Meinung gebildet.

Das Telephon klingelte.

»Mr. Decker wünscht Sie zu sprechen«, sagte das Telephonfräulein seines Büros. »Er wäre verabredet mit Ihnen.«

»Stimmt. Lassen Sie ihn eintreten.« Er wußte, daß mit Decker nicht zu spaßen war, und hatte auf einen Einfall gehofft, diesen zahlungskräftigen Kunden zu beruhigen. Aber seine sonst so fruchtbare Phantasie hatte versagt. Der Einfall blieb aus.

Decker stürmte nicht ins Zimmer, wie der andere erwartete. Aber das sarkastische Lächeln auf dem glatten, wohlgenährten Gesicht war fast schlimmer als ein Wutausbruch.

»Nun, Mr. Blodgett, haben Sie endlich einen Anhaltspunkt über das Verbleiben unseres schlauen Fuchses, oder wiederholen Sie mir das gleiche, was Sie mir seit vier Wochen erzählen – daß Sie täglich hoffen, Sandersons Spur wiederzufinden? Es ist ja immer dieselbe Geschichte – Sie finden sie nicht!«

Peter Blodgett fühlte sich unbehaglich und vermied die Antwort, die ihm auf der Zunge lag. Man muß recht diplomatisch sein mit Kunden, die monatlich tausend Dollar einbringen.

»Unsere letzte Information –« begann er. Aber Decker unterbrach ihn lachend.

»Auf den Leim geh' ich nicht mehr. Zuletzt war's ein Kabel, daß Sanderson in Paris gesichtet sei. Der war so wenig in Paris wie ich in diesem Augenblick. Er war bis Mittwoch abend in Florida und ist von dort mit der Bahn nach Haus zurückgekehrt.«

Den Detektiv packte die Angst, daß Decker die Dienste der Konkurrenz in Anspruch genommen hatte.

»Woher wissen Sie das?«

»Jemand, der Sanderson kennt, sah ihn gestern nachmittag in New York. Ich hörte im Klub davon reden. Sanderson ist seit fast vierundzwanzig Stunden in der Stadt, und Sie ahnen nichts davon. Gratuliere Ihnen zu Ihrem glänzenden Mitarbeiterstab! Was haben Sie denn überhaupt unternommen? Was leisten Sie für mein Geld?«

Peter Blodgett verteidigte sich lebhaft. »Ich kann Ihnen versichern, daß wir nicht untätig gewesen sind. Ich gebe zu, wir haben Pech gehabt, daß er uns entschlüpft ist, und –«

»Pech! Dummheit war's. Wenn ich ein Detektivbüro hätte und wäre beauftragt, einem so schlauen Fuchs wie Sanderson auf die Schliche zu kommen, dann hätt' ich ein halb Dutzend Leute in jener Ballnacht das Hotel bewachen lassen, nicht einen einzelnen.«

Blodgett begriff rasch, wo er einhaken konnte.

»Ich darf Sie daran erinnern«, antwortete er schlagfertig, »daß Sie die Höhe unserer Rechnung beanstandet haben; wie können Sie erwarten, daß wir da auch noch sechs Mann gleichzeitig in der Sache arbeiten lassen. Das ist mehr, als Sie verlangen können, Mr. Decker.«

Decker wurde rot vor Zorn und schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Sie wissen verflucht genau, daß ich nicht auf die Kosten sehe, wenn was dabei 'rauskommt. Schaffen Sie mir das Beweismaterial gegen Sanderson – dann soll mir's nicht aufs Geld ankommen.«

Blodgett atmete innerlich erleichtert auf, daß sich die Dinge so erfreulich entwickelten. »Das ändert die Sache natürlich von Grund aus.«

»Aber nun setzen Sie mir mal gefälligst auseinander, wie Sie die Geschichte anfassen wollen, wenn Sie mehr Leute zur Überwachung einsetzen. Sanderson ist kein Dummkopf. Ganz im Gegenteil – der gehört zu den Gerissensten seiner Branche. Wenn er beobachtet wird, unternimmt er natürlich nichts; und wenn er was unternehmen will, verschwindet er einfach. Nimmt irgendeine Maske an, wie damals, als er an Bord meiner Jacht erschien. Aber davon wollen wir jetzt nicht reden.«

Die Geschichte mit dem Raub der Juwelen von Ruth Vale und der Zusammenbruch seiner romantischen Hoffnungen auf die Filmdiva erfüllten Decker mit hartnäckigster Rachsucht.

»Mir ist vollkommen klar, warum der Kerl so ängstlich bemüht war, zu verschwinden.«

Der Detektiv zog einen Zeitungsausschnitt aus der Schublade. »Sie meinen diese Geschichte? – Bankraub in Long Island. Stahlkammer erbrochen. Lady Markendales Perlen aus dem Safe verschwunden.«

»Jawohl, ich habe sofort auf Sanderson gespitzt, als ich's las«, erwiderte Decker. »Genau drei Tage, nachdem Sanderson uns entwischt war, fand der Einbruch statt, und Sanderson ist ja Spezialist für Juwelen.«

»Sie werden gelesen haben, daß die zwei Leute, die diesen Bankraub verübten, in der gleichen Nacht entkamen. Es liegt ein genaues Signalement von ihnen vor; man müßte die Phantasie schon verteufelt anstrengen, wenn man in der Beschreibung des einen oder anderen Sanderson erkennen wollte.«

»Unsinn. Der Kerl verwandelt sich wie verhext. Denken Sie dran, wie er bei mir an Bord erschienen ist. Wären nicht die Hände gewesen, hätt' ich nicht entfernt an Sanderson gedacht. Von diesen zwei Kerlen wird der eine als Krüppel beschrieben – und es wird Ihnen so klar sein wie mir, daß es kein Krüppel gewesen sein kann. Haben Sie in der Sache gearbeitet?«

»Und ob«, rief Blodgett. »Bin selbst dort gewesen. Wollte sehen, ob keine Fingerabdrücke festzustellen wären, die man später mit denen Sandersons vergleichen könnte. Nichts war zu finden.«

»Der ist zu schlau, um sich so einfach fangen zu lassen. Ich muß Ihnen sagen, Blodgett, je mehr ich über die Sache nachdenke, um so weniger Zutrauen habe ich, daß wir dem Kerl was beweisen können, wenn wir ihn nicht auf frischer Tat festnageln.«

»Auch die Schlausten kommen zu Fall – je größer sie sind, um so schlimmer fallen sie herein«, bemerkte wenig geistreich Peter Blodgett. Er war jetzt weniger besorgt, Decker als Kunden zu verlieren. »Wenn er die Hand im Spiel hatte bei diesem Bankraub in Long Island, hat er jedenfalls einen Komplicen gehabt. Von der Ecke aus möchte ich die Sache anpacken, und wenn wir den Komplicen kriegen –«

Decker fiel ihm giftig ins Wort. »Wenn Sie so schöne Fortschritte nach dieser Richtung machen wie bei Ihren Bemühungen um Sanderson, so wird das edle Paar inzwischen Zeit genug haben, den ganzen Juwelenmarkt zu beherrschen. In Sandersons Verbrecherschädel allein steckt mehr Grütze als in Ihrem Kopf und in denen all Ihrer Detektive zusammen. Ich fange an, Respekt vor dem Mann zu kriegen!«

»Wollen Sie das Rennen vielleicht aufgeben?« fragte Blodgett aufgeregt.

Ein böser Ausdruck trat in Deckers Züge.

»Ihn laufen lassen? Ich jemanden laufen lassen, der mich 'reingelegt hat? Niemals! Ich hab' Ihnen gesagt, daß ich den Kerl zur Strecke bringen will, und ich werde mein Versprechen halten. Verstanden? Ich habe Ihnen die Zügel in die Hand gegeben, aber Sie fahren ja nur im Kreis herum. Jetzt werde ich mal ein Wort mitreden, wie diese Jagd organisiert werden soll. Oder haben Sie vielleicht was dagegen? Dann werde ich mir anders zu helfen wissen.«

»Aber bitte sehr, Mr. Decker«, beeilte sich Blodgett zu antworten. »Nicht das geringste. Sie sind der Auftraggeber, Sie zahlen – was Sie wünschen, geschieht.«

»Schön. Dann wollen wir mal zur Sache kommen«, fuhr Decker trocken fort. »Wenn Sie auf Jagd gehen und kommen nicht zu Schuß – was machen Sie dann?«

»Ich – offen gestanden – ich bin nie auf Jagd gegangen.«

»Fallen stellen – Fallen mit fetten Ködern.

Wir wollen dem Maxwell Sanderson einen Köder hinlegen – wir wollen ihn mal mit Brillanten fangen.«

»Donnerwetter«, Peter Blodgett war nicht wenig neugierig, Deckers Absichten zu erfahren. »Der Gedanke ist gut – wenn's klappt.«

»Wenn's nicht klappt, wird's nur an Ihnen liegen – nicht an mir –, und ich würde mich an ein anderes Detektivinstitut wenden. Ich sagte Ihnen vorhin, wir werden Sanderson nur zur Strecke bringen, wenn wir ihn auf frischer Tat erwischen, und was ich Ihnen vorschlage, ist eben dies.«

Wenn Decker ihm auch versicherte, daß sein Plan glänzend sei, vermochte Blodgett trotzdem keine Begeisterung aufzubringen.

»Vielleicht haben Sie schon eine bestimmte Vorstellung, wie –«

Decker unterbrach ihn. »Selbstverständlich. Alles ist vorbereitet. Sie brauchen ihn nur im richtigen Moment zu fassen.«

»Sonst nichts? Wenn's so einfach ist, haben Sie jedenfalls mit Ihrem Vorschlag ins Schwarze getroffen. Ich brauche ihm nur auf die Schultern zu klopfen und die Handschellen anzulegen, wie?«

»Lassen Sie die dummen Witze und halten Sie den Mund, bis ich Ihnen meinen Plan auseinandergesetzt habe. Mir ist nicht nach Spaß zumut.«

Der Detektiv entschuldigte sich eifrig. »Aber ich bitte Sie, Mr. Decker – ich erwarte Ihre Mitteilungen mit ernsthaftestem Interesse.«

»Sie kennen Oliver Harrington dem Namen nach?«

»Selbstverständlich«, erwiderte Blodgett. »Beste Gesellschaft, die Harringtons. Mrs. Harrington kommt bei jedem neuen Hut, den sie kauft, in die Zeitungen.«

»Harrington ist fertig. Mit seinem Geld mein' ich natürlich. Ich habe für zweihunderttausend Dollar Wechsel von ihm in Händen, die er nicht einlösen kann. Mag sein, daß ich nicht zur ›Gesellschaft‹ gehöre, aber unter den Leuten gibt's mehr als einen, den ich mir zweimal kaufen kann, und mein Kleingeld wird drum noch nicht alle.«

»Zweifle nicht im geringsten daran. Aber – erlauben Sie die Frage – was hat das alles mit der Falle zu tun, die Sie Sanderson stellen wollen?«

»Sehr viel«, brummte Decker. »Oliver Harrington pfeift aus dem letzten Loch. Wenn ich ihn zur Strecke bringe, ist er erledigt. Er hat zwar ein schiefes Gesicht gezogen bei meinem Vorschlag, er konnte es mir aber nicht abschlagen.«

Blodgett nickte eifrig. »Ich fange an zu verstehen. Harrington soll Sanderson zu irgendeiner gesellschaftlichen Veranstaltung einladen. Da baumelt dann was Glitzerndes an Frauenhälsen, und das ist Ihr Köder für die Falle?«

»Geraten! Harrington wird Sanderson zum Weekend in sein Landhaus in Westchester einladen und ihm die Möglichkeit geben, den Bulburry-Brillanten zu stehlen. Wissen Sie davon? Er gehört den Harringtons. Sie haben ihn in besseren Zeiten in England gekauft. Es ist ein gelber Stein, der auf siebzig- bis achtzigtausend Dollar geschätzt wird – aber was grinsen Sie?«

»Ich möchte wissen, wer die Zeche zahlt, wenn Sanderson mit der Beute davongeht; ich hab' mir sagen lassen, daß manche Tiere schlau genug sind, den Köder zu kriegen, ohne in die Falle zu geraten.«

»Das ist Ihre Sache«, erwiderte Decker, wütend über den Gedanken an solche Möglichkeit. »Wenn Sanderson mit dem Brillantanhänger entwischt, so wär's nur Ihre Schuld allein.«

»Welche Rolle soll ich dabei spielen?« wünschte der Detektiv zu wissen.

»Ich hab' mit Harrington verabredet, daß er für diese Gelegenheit die Mehrzahl seines Personals beurlaubt und durch Ihre Leute ersetzt. Drinnen und draußen müssen mindestens ein halbes Dutzend postiert sein. Sanderson soll keinen Atemzug unbeobachtet tun. Jedes Telephongespräch wird abgehört werden. Der Chauffeur, der ihn von der Bahn zum Landsitz fährt, soll einer Ihrer Leute sein. Sie stellen das Zimmermädchen, das sein Zimmer besorgt. – Wird Ihnen die Sache jetzt klar? Es muß klappen – und wir werden Sanderson mit der Beute fangen.«

»Verstehe. Wenn uns Sanderson auf den Leim geht, ist er geliefert. Ich werde die Sache sofort in die Hand nehmen und mir die richtigen Leute suchen.«

»Hat Sanderson Sie je gesehen?« fragte Decker.

»Nein. Aber was hat das mit der Sache zu tun?«

»Ich möchte, daß Sie als erster Diener mitmachen. Auf diese Weise könnten Sie selbst die Verantwortung übernehmen und« – Decker grinste – »wenn dann Blödsinn gemacht wird, können Sie's nicht Ihren Leuten in die Schuhe schieben.«

»Ich – ich als Diener –« stotterte Blodgett. »Großer Gott – Sie sind ja wahnsinnig – ich soll servieren – Schüsseln herantragen – in der Anrichte tätig sein? Ich würde wirken wie ein Elefant im Porzellanladen. Ich denke nicht daran. Nein, fällt mir gar nicht ein, und dann ist Sanderson doch kein Idiot. Der weiß Bescheid und würde sofort den Schwindel durchschauen.«

Decker stimmte zögernd zu. »Vielleicht haben Sie recht. Wenn nicht als erster Diener, dann an zweiter Stelle. Da können Sie meinetwegen ungewandt sein. Das kommt vor. Im übrigen haben Sie vierzehn Tage Zeit, sich einzulernen. Ich wünsche, daß Sie persönlich anwesend sind, um Sie selbst verantwortlich machen zu können.«

»Einverstanden. Meinetwegen.« Peter Blodgett schien von der gestellten Aufgabe nicht sehr erbaut.


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