Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

Sanderson kniete nieder und drückte den Finger gegen den Knopf, der den Strom an dem kleinen Motor regulierte. Der Bohrer arbeitete emsig surrend. Trotzdem das Geräusch nicht stärker war als das Summen eines gutgeölten elektrischen Ventilators, erschien es Clarks ängstlich lauschenden Ohren riesenhaft vergrößert. Metall arbeitete gegen Metall. Aber der hochwertige Stahl des Bohrers siegte und fraß sich tiefer und tiefer in die Safetür ein, die von der Fabrik als »einbruchsicher« garantiert war. Sanderson ölte den Bohrer ständig aus einem kleinen Kännchen, das er für diesen Zweck bereithielt. Trotzdem wurde der Bohrer durch die Reibung so heiß, daß er ihn durch einen neuen ersetzen mußte.

Sanderson hatte erklärt, weniger als fünf Minuten zu benötigen. Aber schon arbeitete er fast zehn. Clark berührte seinen Arm.

»Wird man es oben nicht hören?« flüsterte er ängstlich.

»Es macht nicht soviel Geräusch wie Sie meinen. Und die meisten Gäste haben Cocktails genug getrunken, um eine Woche lang durchzuschlafen. Aber horchen Sie ins Treppenhaus.«

Er bohrte weiter. Plötzlich entfuhr ihm ein leiser Ausruf der Genugtuung.

»Licht«, befahl er. »So halten«, und er zeigte Clark, wohin der Lichtschein fallen sollte.

Ein sauberes rundes Loch, nicht größer als der Durchmesser eines Bleistifts, war durch die Stahltür des Safes genau über der Drehscheibe gebohrt worden. Jetzt zog Sanderson aus seinem schwarzen Ledersack einen Spiegel heraus, wie ihn die Ärzte für Kehlkopfuntersuchungen verwenden, und befestigte ihn mit Hilfe eines Gummibandes, das er über den Kopf streifte, auf der Stirn. Clark begriff rasch, wozu die kleine Vorrichtung diente. Der silberne Spiegel sammelte die Lichtstrahlen und warf sie so durch die kleine Öffnung, daß Sanderson anscheinend die hinter der Drehscheibe liegende Maschinerie, die er durchbohrt hatte, von innen sehen konnte.

Dann nahm er einen dünnen Stahldraht mit einem Haken am Ende und führte ihn in die Öffnung ein. Der Ausdruck seines Gesichts ließ erkennen, daß es eine schwierige Operation war, in der er sich Meister fühlte. Wie seine gepflegten Hände mit dem Draht hantierten, erinnerte er fast an einen Chirurgen, der mit der Sonde arbeitet.

»Ich hab's«, flüsterte er. »Ich dachte schon.«

»Mit dem bißchen Draht haben Sie's aufgekriegt?« Clark war in atemloser Erregung.

Statt jeder Antwort ließ Sanderson die schwere Metalltür zurückgleiten und wies mit einer Geste befriedigten Stolzes auf die gähnende Öffnung. »Ich glaube, ich kann mich als Geldschrankspezialist patentieren lassen«, lachte er leise. Er nahm Clark die Taschenlampe ab und ließ den Lichtschein in den Safe fallen. Man sah ein Innenfach, das ebenfalls verschlossen war, aber den Wertsachen, die es enthielt, nur wenig Sicherheit gab. Sanderson nahm einen winzigen Meißel mit papierdünner Schneide, zwängte ihn zwischen die engschließende Spalte, die er vorsichtig aufbog. Das Fach öffnete sich, und Sandersons rasche und begehrliche Hand brachte zwei Schmuckkästen zum Vorschein.

Es war gelungen – die Fünfundsiebzigtausend-Dollar-Kette war in ihren Händen. Ein Seufzer der Erleichterung entschlüpfte Barton Clark. Ja, Maxwell Sanderson war ein Meister in seinem Fach, seine Arbeit war ohne Fehl und Tadel.

»Ich will wenigstens einen Blick drauf werfen, solange ich's in Händen habe. Dann geb' ich's Ihnen, Clark.«

»Mir?«

»Natürlich. Haben Sie das nicht verstanden? Meinen Sie, ich wäre so dumm, den Schmuck hier im Haus bei mir zu behalten? Rittenhouse wird morgen früh wie ein Irrer toben, er wird ein Heer von Detektiven aufbieten, und die werden trotz der Meißelspuren an der Außentür zunächst einen Einbruch von innen annehmen. Zuerst nehmen sie natürlich die Dienerschaft ins Kreuzverhör, dann werden sie wohl auch, mit allem Takt natürlich, die Gästezimmer durchsuchen.«

Clark war einigermaßen überwältigt von dem Gedanken, daß diese reiche Beute ihm anvertraut werden sollte.

»Sie trauen mir also?«

Sanderson nickte nur. »Sie wissen, Clark, daß ich ein Mann bin, der sich zu helfen weiß. Versuchen Sie lieber nicht, mit mir doppeltes Spiel zu treiben. Aber schaun wir mal unsere Herrlichkeiten an.«

Er hob den Deckel des Schmuckkastens. Die berühmte Schnur der milchweiß schimmernden Perlen hob sich leuchtend von dem Atlasfutter der Kassette ab. Selbst Clark, der kaum etwas von Juwelen verstand, war ergriffen von ihrer außerordentlichen Schönheit. Aber Sanderson war Kenner. In der Art, wie er die Perlen bewundernd durch die Finger gleiten ließ, lag fast Anbetung.

Clark öffnete den zweiten Kasten und sah ein halbes Dutzend Brillantringe aufleuchten, daneben ein Paar Brillantohrringe und ein sauber gefaltetes Päckchen mit Banknoten – obenauf ein Hundertdollarschein. Hier waren wohl die tausend Dollar, die er zur Deckung der Unterschlagung im Geschäft brauchte.

Beide Männer waren so völlig von der Bewunderung des Schmucks in Anspruch genommen, daß keiner das leise Geräusch der beiseitegeschobenen Portiere wahrnahm.

Plötzlich flammte das elektrische Licht auf. In der Tür, den Revolver in der Hand, stand Gresham, der erste Kammerdiener, mit einem Ausdruck grimmigen Triumphs.

»Hände hoch – ihr beiden!«

Der Diener hatte sie vollkommen überrascht. Sanderson und Clark wandten ihre maskierten Gesichter dem Mann und seiner drohenden Revolvermündung zu. Clark befand sich insofern in einer günstigen Lage, als Sanderson zwischen ihm und dem Diener stand. Er handelte rein gefühlsmäßig, ohne klares Überlegen. Seine Hand fuhr in die Tasche, er sprang einen Schritt seitwärts und feuerte blindlings durch die Tasche, ohne die Waffe hervorzuziehen.

Der Schuß durchfuhr das schlafende Haus, und der Diener fiel vornüber zu Boden, ohne zurückzuschießen. Ein Augenblick des Schweigens folgte – grauenhaft und schrecklich. Clark starrte auf die stumme Masse. Dann stöhnte er auf.

»Mein Gott –« brach er aus, »ich hab' den Mann umgebracht. Ich – wollte nicht –«

»Jetzt ist nicht der Moment für Gewissensbisse«, fiel ihm Sanderson mit eiserner Ruhe ins Wort. »Das hätten Sie mir überlassen sollen. Aber nun ist's geschehen. Ob der Mann nur verwundet oder tot ist – Klagen ändern nichts.« Schnell streifte er die Handschuhe ab und gab sie Clark zugleich mit seiner Pistole.

»Einstecken. Und hier sind die Perlen.«

Clark gehorchte stumpf und mechanisch. Sanderson brachte ihn zur Tür.

»Und Sie –«

»Keine Angst, Clark. Sorg' schon für mich allein. Rasch an den Wagen und fahren Sie wie der Teufel.«

»Das Werkzeug –«

»Kümmern Sie sich um nichts. Nur los.«

Sanderson schob ihn fast zur Haustür. Im nächsten Augenblick löste sich Clarks Erstarrung. Er rannte wie noch nie, rannte wie ein gehetzter Hase ohne klare Vorstellung von der Richtung. Der Atem pfiff ihm durch die Zähne, er stolperte über die Rasenfläche, rannte gegen ein Gebüsch an, sah plötzlich, daß er falsche Richtung hatte, schlug die richtige ein und lief geradeaus auf das Waldstück zu, hinter dem der Wagen stand.

»Ich hab' ihn umgebracht. Ich hab' einen Menschen getötet. Ich bin ein Mörder«, stöhnte er.

Beim Fortgehen hatte er den Autoschlüssel eingesteckt. Jetzt suchte er hastig danach in seinen Taschen. Und als er ihn fand, glitt der Schlüssel durch seine zitternden Hände, sprang aufs Trittbrett und fiel von da herunter in dichtes Gras und Laub. Wenn er jetzt wenigstens Sandersons Taschenlampe gehabt hätte! Die war aber im Haus zurückgeblieben, wo er sie fallen ließ, als er nach dem Revolver griff. Er fiel auf die Knie, zündete ein Streichholz an, und ein wildes Suchen nach dem Schlüssel begann. Ohne ihn war der Motor nicht in Gang zu bringen. Kostbare Minuten gingen verloren – Minuten, die einen rettenden Vorsprung bedeuten konnten.

Ein Streichholz nach dem anderen brannte ab, während er mit den Händen den Boden absuchte. Er wußte nicht, wieviel Zeit er so verloren, aber durch die Bäume konnte er sehen, wie ein Fenster des Hauses nach dem anderen hell wurde. Sicher telephonierte man schon nach der nächsten Polizeiwache.

Endlich sah er das metallene Glänzen des Schlüssels an einer Stelle, die er schon ein dutzendmal vergeblich abgesucht. Er sprang auf, stürzte ans Steuer und ließ den Wagen anspringen. Der Motor lärmte, Clark ging sofort auf die höchste Geschwindigkeit, und der Wagen ratterte torkelnd über die holprige Straße. Clark war in voller Flucht mit den Rittenhouse-Perlen in der Tasche.


 << zurück weiter >>