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Einundzwanzigstes Kapitel

Das Verbrecherhandwerk hatte nicht die geringsten Spuren in Sandersons Erscheinung hinterlassen. Unvorstellbar war und blieb es, daß dieser Mann von Kultur und Geist, Gentleman vom Scheitel bis zur Sohle, ein Einbrecher großen Stils sein könne.

Jetzt betrachtete er lächelnd seinen Freund und Helfershelfer Clark, der mit gefurchter Stirn, die Hände tief in die Taschen vergraben, rastlos im Zimmer auf und ab ging. Als er endlich in seinem Sessel Platz nahm, fragte Sanderson:

»Tätigkeitsdrang oder Nervosität?«

»Wohl ein bißchen von beiden.«

»Gefällt dir die Einrichtung mit dem Wand-an-Wand-Wohnen nicht?«

»Gefallen tut's mir schon – aber ist's nicht zu gewagt?«

»Also das ist deine Sorge, Barton. Hatte mir's schon gedacht.«

»Wenn's früher schon gefährlich war, zusammen gesehen zu werden – jetzt doch erst recht seit dem Bankraub. Deckers Detektive haben dich in der Sache sicherlich in Verdacht.«

»Ganz gewiß. Aber was die tun oder lassen, ist mir völlig gleich. Solange sie mir nichts nachweisen können, ist alles in Ordnung. Vergiß nicht, Bart, Deckers Verdacht stützt sich doch ausschließlich auf seine Idee, daß ich es war, der mit dem Schmuck der Vale über Bord gegangen ist. Gott sei Dank konnte er die Polizei nicht davon überzeugen, daß solch vollkommene Verkleidung möglich wäre und daß man bei bewegter See zwanzig Meilen schwimmen könne. Ich glaub' nicht mal, daß sein eigener Detektiv an diese Theorie glaubt. Aber ob er sie nun glaubt oder nicht, dem fetten Honorar zulieb wird er jedenfalls so tun, als ob.«

»Wenn du mit dem Bankraub in Zusammenhang gebracht wirst, dann weiß man auch, daß du mit einem Komplicen arbeitest, und sie werden deinen Verkehr scharf beobachten. Ich fürchte mich nicht vor unvermeidlicher Gefahr, aber warum soll man zwecklos leichtsinnig sein!«

Maxwell Sanderson widersprach, gemütlich polternd. »Unsinn. Ich seh' nicht die geringste Gefahr. Du siehst jetzt so völlig verändert aus, daß es höchst unwahrscheinlich ist, Decker könnte in dir seinen Funker von ›Glückliche Tage‹ wiedererkennen. Und der schärfste Beobachter wird dich nicht mit dem rothaarigen Begleiter des Krüppels identifizieren, der den Bankraub beging.«

»Kannst sagen, was du willst. Mir gefällt die Sache nicht.«

»Was bist du für ein argwöhnischer Kerl, Barton. Verlaß dich mal auf mich und hab keine Sorge. Ich hab' mir die Sache genau überlegt. Deckers Spitzel müssen sich damit begnügen, dies Haus von außen zu beobachten, und in der Außenwelt kennen wir uns nicht. Natürlich werden sie die Dienstboten bestechen, sich über mein Kommen und Gehen, meine Telephongespräche usw. informieren, aber warum sollen sie mich mit dem neuen Mieter der möblierten Wohnung in Verbindung bringen. – Wir telephonieren nie miteinander, und wenn wir uns vorsehen, braucht niemand etwas von den gegenseitigen Besuchen zu merken. Was ist da also weiter gefährlich?«

Clark versuchte seine Bedenken loszuwerden. »Mag stimmen. Um ganz offen zu sein – ich bin unruhig und nervös, seitdem uns das Mädel neulich nachts hereingelegt und die Markendale-Perlen wieder abgejagt hat.«

»Besser die Perlen wieder zu verlieren, als in dem Bankgewölbe zu ersticken«, meinte Sanderson gelassen. »Respekt vor dem Mädel. Sie war verflucht schlau und schneidig.«

»Ich mein' gar nicht so sehr den Verlust der Perlen. Mir hat's viel mehr Eindruck gemacht, daß der sorgfältigste Plan daneben gehen kann. Du hattest die Sache bis ins letzte tadellos vorbereitet, und schief ging's doch. Daß wir mit heiler Haut davonkamen, war der reinste Dusel. Ein zweites Mal werden wir den nicht haben.«

»Hast du dir vielleicht was ausgedacht?« fragte Sanderson.

»Ja, mein Lieber. Laß mal diese sinnlose Verschwendung und halt dich ruhig – wenigstens so lang, bis Decker es satt hat, diese Detektive für nichts zu bezahlen. Unser Spiel ist ohne diese Komplikation gefährlich genug.«

»Aber Spiel macht mir das Leben erst interessant. Es macht mir einen Mordsspaß, es mit einem ganzen Dutzend aufzunehmen. Außerdem kann's hübsch lang dauern, bis Decker das Rennen aufgibt. Das ist ein zäher Kerl; wenn der sich in was verbeißt, läßt er nicht wieder los. Und was meine unsinnige Verschwendung betrifft – da ist nicht mehr viel übrig zum Verschwenden.«

»Schon wieder blank?« fragte Clark stöhnend.

»Blank, mein Lieber. Du weißt, ich war recht scharf auf die Markendale-Perlen. Die hätten mir für 'ne ganze Zeit gereicht. Das ist nun mal schief gegangen, und so müssen wir an was Neues denken.«

»Um's Himmels willen – nimm Vernunft an! Kannst doch einen Monat lang bescheiden leben – dafür reicht mein Geld, und es bleibt noch hübsch was übrig.«

Sanderson lachte. »Du bist ein Unikum – ein geiziger Verbrecher! Aber ich nehme keinen Cent von dir an, bis es nicht zum Schlimmsten kommt. Ich glaube, im Grund ist's mir lieb, daß meine Verschwendung mich immer wieder in solche Situationen bringt. So hab' ich doch Anlaß, neue Abenteuer zu suchen. Schließlich reizt mich doch das Abenteuer an sich viel mehr als das Geld.«

Wenn Clark auch widersprach – im Grunde seines Herzens war er selbst so erregt im Gedanken an ein neues Unternehmen, daß sein Gesicht deutlich die ungeduldige Spannung verriet.

»Du hast einen Plan?«

Sanderson lehnte sich zurück und lachte.

»Du bist ein verrückter Kerl! Da redest du mir weise ins Gewissen und bist doch gerade so begierig auf eine neue Sensation wie ich. Ich glaub', ich weiß besser um dich Bescheid als du selbst. Aber ob du's nun zugibst oder nicht: dein Vertrauen in mich hat einen Knacks bekommen, seitdem mich neulich das Frauenzimmer so glatt hereingelegt hat.«

»Im Grunde bist du genau so drauf versessen, daß ich mich schleunigst rehabilitiere, wie ich's selbst bin; also je schneller, desto besser.«

»Magst recht haben. Ich bin jedenfalls immer bereit.«

Sanderson sprang auf und ging an seinen Schreibtisch, auf dem sich während seiner Abwesenheit Berge von Post angesammelt hatten.

»Vielleicht wieder eine passende Einladung«, forschte Clark. »Wie damals bei den Rittenhouse?«

»Ja – und nein.« Sanderson nahm einen Umschlag, den er anscheinend schon als interessant beiseitegelegt hatte. »Eine Einladung, die mich selbst einigermaßen erstaunt hat, trotzdem sie vielleicht auch ohne weiteres zu erklären ist.«

Er las die Zuschrift, die ihn aufforderte, das nächste Weekend auf dem Landsitz von Oliver Harrington mit elf anderen Gästen zu verbringen, und gab sie Clark.

»Was ist dabei Besonderes? Du hast doch schon oft Einladungen aufs Land erhalten.«

»Aber nie von den Harringtons –« meinte Sanderson ein wenig mißtrauisch.

»Willst du damit sagen, daß die Harringtons besonders exklusiv sind?«

»Das nicht, Barton – ich verkehre in noch exklusiveren Häusern. Aber die Sache ist merkwürdig, weil ich die Harringtons nur oberflächlich kenne. Aber schließlich – einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Und die Einladung kommt mir gerade in meiner augenblicklichen Situation sehr zu paß.«

Clark kaute kopfschüttelnd an seiner Zigarette.

»Kann mir schon denken, daß du da was Besonderes vorhast. Aber ich will dir im voraus erklären, daß mir die Sache nicht gefällt.«

Sanderson bemerkte – als wenn damit alles gesagt sei –: »Mrs. Oliver Harrington ist Besitzerin des Bulburry-Brillanten.«

»Keine Ahnung, was das ist und was das wert ist, ich –«

»Ein Objekt von siebzig- bis achtzigtausend Dollar«, unterbrach lächelnd Sanderson. »Vierzig bis fünfzigtausend für uns. Ein gelber Brillant, den die Harringtons seinerzeit in England kauften, als während des Kriegs die großen Familien geldknapp waren. Der Stein war zwei Jahrhunderte lang im Besitz der Strathmeres und hat eine sehr interessante Geschichte. Zum Teil recht düster – will lieber nicht alles erzählen, sonst glaubst du noch, er könnte uns Unglück bringen.«

»Ich bin nicht abergläubisch und nicht besonders neugierig, die Geschichte des Steins zu hören. Mich interessiert eigentlich mehr zu erfahren, woher du all das Zeug weißt.«

»Lieber Freund, diese Wissenschaft gehört zum Handwerk. Man könnte meinen, ich wäre Sammler, was?«

»Ich wiederhole dir, daß mir die Sache nicht gefällt.«

»Warum?« fragte Sanderson mit einem Anflug von Ungeduld.

»Das ist ganz einfach. Als du bei Rittenhouse zu Gast warst, wurde der Safe ausgeplündert. Alles ging gut und schön, und es kam auch nicht der Schatten eines Verdachts auf. Wenn jetzt aber zum zweitenmal Schmuck in einem Haus gestohlen wird, wo du zu Gast bist – na, du weißt Bescheid. Du kannst von heut auf morgen gesellschaftlich kaltgestellt werden. Das muß dir doch selbst klar sein.«

Sanderson widersprach lebhaft. »Hast du solch traurige Meinung von mir? Du glaubst, das hätte ich mir nicht selbst überlegt? Tut mir leid, daß du mir nicht mehr Grips zutraust.«

»Sag, was du willst – wenn dir der Coup auch gelingen sollte – daß Verdacht auf dich fällt, ist todsicher. Und gesellschaftlich bist du erledigt.«

»Aber es macht mir doch grade Spaß, das Unmögliche möglich zu machen. Im übrigen hast du völlig recht. Jedenfalls werde ich erst mal die Einladung annehmen und mir alles genau überlegen. Für unsereins ist's zumindest nützlich, sich an Ort und Stelle zu informieren.«

»Das ist was anderes.« Clark atmete erleichtert auf. »Wenn's nur eine Entdeckungsreise ist –«

»Wenn man schon auf Entdeckungsreisen geht, möchte man natürlich auch was mit nach Hause bringen. Aber hol mal die Karaffe und Gläser. Wir wollen auf den Bulburry-Brillanten ein Glas leeren.«


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