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Zwölftes Kapitel

Clark plumpste verdutzt wieder auf den Stuhl, von dem er grade erst mit dem Mut der Verzweiflung aufgesprungen war, und starrte den anderen an. Ausgeschlossen – absolut ausgeschlossen! Etwas in der Stimme erinnerte ihn an Sanderson – trotzdem, er konnte es nicht sein. Das waren nicht Sandersons Züge. Dieser Mann hier war größer, seine Schultern breiter. Sanderson hatte eine schlanke Figur – dieser Mann einen Schmerbauch. Und die unförmige Nase, der dicke Mund, die vorstehenden Backenknochen, das rote Haar, die Goldzähne – es war einfach lächerlich!

»Doch, Barton – ich bin wirklich Sanderson. Mr. Prather ist ein Mann von großer Phantasie und überaus erfindungsreich; und nachdem er Sie so glänzend genarrt hat, traue ich ihm allerhand zu. Ich bin sehr beruhigt, daß die Maske so überzeugend wirkt.«

»Aber es ist unmöglich«, rief Clark aus. »Und wenn Sie's selbst behaupten – ich kann's nicht glauben.«

»Danke verbindlichst für Ihr Kompliment, Barton. Betrachten Sie mich nur ein bißchen genauer, und Sie werden sehen, wie mein Gesicht wieder die gewohnten Züge annimmt, und können beobachten, wie man ein Mensch mit zwei Gesichtern sein kann. Im Grund ist's ganz einfach. Eine kleine Vorrichtung, die ich selbst erfunden und hinten am Gaumen angebracht habe. Sie drückt meine Backen von innen aus nach oben und verändert die Gesichtsform völlig. Ebenso wird die Mundpartie vom Unterkiefer aus umgeformt. Das verändert auch die Stimme.

Das Gold an den Zähnen sind abnehmbare Kronen, die ich vom Zahnarzt machen ließ. Sie sitzen so fest, daß ich sie jetzt nicht abnehmen möchte. Der Schwindel mit der Schulterbreite ist ein alter Trick, den ich meinem Londoner Schneider verdanke. Ich hab' mir für alle Fälle ein paar solcher Anzüge machen lassen. Und dieser überzeugend echte Bauch, der Sie verblüfft, ist ein geschicktes Polster über meinem flachen Magen. Das Haar hab' ich mit Henna gefärbt, wie's die Damen in jeder Drogerie kaufen können.«

Unter Clarks Blicken nahm Maxwell Sandersons Gesicht nach und nach wieder die gewohnten Züge an – nur die Nase blieb unverändert. Sie sah unförmig und recht unschön aus.

»Ach ja – ich hab' die Nase vergessen.« Sanderson lachte. »Das ist überhaupt der wichtigste Punkt, allerdings auch das Schwierigste und Schmerzhafteste von der ganzen Geschichte.«

»Verflucht – Sie haben sich doch nicht operieren lassen?«

»Es ist fast eine Operation, Clark, und zwar eine ziemlich komplizierte. Eine Paraffinlösung wird unter die Haut gespritzt.«

»Aber wie haben Sie sich größer gemacht?«

»Das haben Sie also auch gemerkt – ein geschickter Schuhmacher – sehen Sie sich's an. Gut gearbeitete Einlagen, so daß mich die Schuhe fünf Zentimeter größer machen. Und diese Brille mit den scharf geschliffenen Gläsern vervollständigt die Verwandlung.«

»Es ist unglaublich« – Clark wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Aber warum halten Sie mich auf diese Weise zum Narren, und was soll überhaupt das Ganze?«

Sanderson lachte. »Ich hab' Ihnen heute mittag schon gesagt – und Mr. Prather hat's Ihnen vor kaum zehn Minuten bestätigt – daß alles, was ich tue, seinen guten Grund hat. Wenn ich nicht sicher wäre, auch die schärfsten Augen zu täuschen, würde ich diese Maske nicht tragen. Aber ich hab' ja selbst Sie völlig hinters Licht geführt. Übrigens lag's gar nicht in meiner Absicht, Clark, mich Ihnen gegenüber als Detektiv aufzuspielen. Ihre lebhafte Phantasie war dran schuld. Wie ich merkte, daß Sie mich dafür hielten, lockte es mich, Sie auf die Probe zu stellen und zu sehen, wie Sie sich in solch fataler Situation verhalten würden. Sie haben sich tadellos benommen. Und jetzt ist Ihnen wohl klar, warum ich heute mittag so schweigsam und geheimnisvoll war.«

Clark hatte sich noch immer nicht ganz von seiner Verblüffung erholt. »Hm – soweit versteh' ich die Geschichte. Aber unbegreiflich bleibt mir, wie Sie eine derartig ausgetüftelte Verwandlung in so kurzer Zeit bewerkstelligen konnten.«

»Es hat volle zwei Jahre gedauert, Barton. Wenn ich auch manchmal leichtsinnig gewesen sein mag – im Grund bin ich ein höchst vorsichtiger Mann. Ich hab' wohl gutes Selbstvertrauen, aber ich weiß auch, daß Unternehmungen, wie ich sie wage, nicht immer gut ausgehen können. Wenn mir der Boden mal zu heiß wird, wollte ich schnell und sicher verschwinden können. Zu diesem Zweck hab' ich Mr. Prather erfunden.

Drei- oder viermal jährlich habe ich im Lauf der letzten zwei Jahre etwa eine Woche in diesem Hotel gewohnt. Ich gebe gute Trinkgelder und bin daher ein gern gesehener Gast. Die Hotelleitung kennt mich und akzeptiert die Schecks von Mr. Prather. Auf diesen Namen hab' ich ein besonderes Bankkonto einrichten lassen.«

»Sehr schlau – und wenn die Polizei Ihnen mal auf der Spur ist, verschwindet Maxwell Sanderson von der Bildfläche.«

»So völlig, als könnte ich mich unsichtbar machen.«

»Jetzt verstehe ich: als Sanderson kann Adam Decker Sie nicht leiden, aber als Mr. Prather gehören Sie zu seinem Kreis und sind als sein Gast an Bord.«

»Das nicht, Barton. Wenn ich's mit meinem Doppelgänger soweit gebracht hätte, würde ich die Maske Ihnen gegenüber nicht ausprobiert haben. Nein, bisher hat Adam Decker noch nicht die Bekanntschaft von Mr. Prather gemacht – aber morgen mittag wird er die Ehre endlich haben.«

Für Clark wurde die Geschichte wieder rätselhaft, und verärgert fragte er: »Aber wie wollen Sie es sonst machen? Sie können doch nicht vorhaben, sich als einer von Deckers Gästen aufzuspielen, den er eingeladen, aber nie gesehen hat?«

»Halb richtig geraten, mein Lieber, aber nicht ganz. Anstatt als unbekannter Gast uneingeladen zu erscheinen, werde ich an Stelle eines eingeladenen Gastes auftreten, der durch besondere Umstände, die ich arrangiere, persönlich verhindert ist, morgen mittag mit den ›Glücklichen Tagen‹ auszufahren.«

Clark sprang auf und polterte los. »Jetzt hab' ich aber die Geheimniskrämerei und diese Orakelsprüche satt. Werde ich nun bald erfahren, wie der Hase läuft oder nicht?«

Bevor er antwortete, brachte Sanderson die geheimnisvolle Vorrichtung wieder an, die seine Züge so völlig veränderte.

»Soll geschehen, Barton. Es ist vielleicht nicht nett von mir, Sie so lange zappeln zu lassen, und es ist jedenfalls an der Zeit, Sie voll ins Vertrauen zu ziehen. Das kann mit wenig Worten geschehen. Erst wollen wir aber einen Bissen essen, und dann sollen Sie nicht nur sehen, wie der Hase läuft – Sie sollen mir auch helfen, ihn auf die Beine zu bringen.«


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