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Fünfzehntes Kapitel

Der Seegang war so bewegt, wie man's um diese Jahreszeit erwarten mußte; »Glückliche Tage« war ein leichtes Boot und schlingerte recht kräftig. Einige Gäste konnten die Fahrt nur schlecht vertragen, und zu denen gehörte Ruth Vale. Schon den zweiten Tag blieb sie fast ständig in ihrer Kabine; Decker hatte ihr seine eigene überlassen, die natürlich die luxuriöseste der ganzen Jacht war. Diese Galanterie erschien ihm der zukünftigen Gattin gegenüber angemessen. Er selbst hatte sich mit einer bescheideneren begnügt.

Ein dichter Nebel hatte die Jacht gezwungen, auf halbe Geschwindigkeit herunterzugehen, kurz bevor die Küste von Delaware passiert war. Die Fahrt versprach trotz reichlichen Alkoholkonsums nicht besonders vergnüglich zu werden. Decker schob Ruth Vales Unpäßlichkeit mehr auf Konto des Zwischenfalls mit Jerry Townsend als auf die Seekrankheit und war darum schlechter Laune.

Barton Clark hatte in seiner Eigenschaft als Funker wenig zu tun und langweilte sich reichlich. Trotzdem sah er Sanderson kaum und hatte noch kein Wort mit ihm gesprochen. Das war zwar das Vernünftigste, aber für Clark höchst unbefriedigend. Wann würde wohl Mr. Prather den Zeitpunkt für geeignet halten, den Schmuck von Ruth Vale an sich zu bringen? Vermutlich erst kurz vor der Ankunft in Florida, um die Zeitspanne für Untersuchungen an Bord abzukürzen. Und welche Rolle hatte Sanderson ihm selbst zugedacht? Darüber dachte er vergeblich nach. Jedenfalls war es sicher, daß Sanderson ihn schon noch brauchen würde.

Clark rechnete damit, daß Jerry Townsend nach seiner Befreiung und Heimkehr an Decker oder Ruth Vale – wahrscheinlich an beide – Funktelegramme schicken würde, um sein Fernbleiben zu erklären und sich bei der Diva zu entschuldigen. Aber nichts dergleichen geschah. Vielleicht wußte Townsend nicht, daß »Glückliche Tage« mit einer Radiostation ausgerüstet war.

In der dritten Nacht war die Geschwindigkeit des Dampfers auf ein Minimum herabgesetzt. Wie ein Mensch, der im Dunkeln durch ein fremdes Haus tappt, tastete sich die Jacht behutsam durch den dichten Nebel. Am frühen Abend war ein etwas krampfhafter Versuch unternommen worden, eine vergnügte Stimmung zu schaffen. Aber weder Cocktails noch die Jazzmusik des Grammophons hatten Decker und seine Gäste animiert. Ruth Vale war für kurze Zeit an Deck erschienen, wo sie rastlos auf und ab ging. Barton Clark konnte durch sein Kabinenfenster das Glitzern und Funkeln ihres Brillantschmucks an Hals und Armen beobachten; die Schauspielerin sah blaß und apathisch aus und zog sich bald wieder zurück.

Schon um zehn Uhr hatte sich alles zu Bett begeben. Clark saß in seiner Funkkabine, die ihm zugleich als Schlafraum diente, versuchte zu lesen, warf aber bald das Buch zur Seite, zog einen Regenmantel an und trat heraus. Er fragte sich später, ob sein Gefühl der Unruhe auf Instinkt oder Gedankenübertragung zurückzuführen sei – jedenfalls hatte er früher nie an dergleichen geglaubt.

Es war ziemlich starker Seegang, aber die Wellen gingen in ruhigem Gleichmaß wie die Atemzüge eines Schlafenden. Wie farbloser Schnee trieb der Nebel in Clarks Gesicht, die Luft war feucht und kalt. Plötzlich hörte er leise Schritte hinter sich – er wandte sich um.

»Ich habe Sie gerade in Ihrer Station gesucht –«

»Sanderson!«

»Pst – nicht so laut, und keine Dummheiten. Den Namen dürfen Sie nicht mal denken, solang wir hier an Bord sind.«

»Gewiß – gewiß, Mr. Prather.« Clark versuchte seine Stimme so zu dämpfen, wie's der andere tat.

»Sie suchten mich? Also wollen Sie schon –«

»Die Sache in die Hand nehmen. Jawohl, heut nacht soll's geschehen. Ungeduldig wie Sie sind, wird's Ihnen wohl recht sein.« Sanderson lachte leise.

»Ich bin's zufrieden«, meinte Clark zustimmend. »Nur seh' ich noch nicht, wie's gemacht werden soll. Die Vale hat ihre Kabine immer abgeschlossen – damit muß man rechnen.«

»Ich rechne mit gar nichts. Aber recht haben Sie. Ich war zweimal heimlich an der Kabinentür. Die war verschlossen. Ich weiß auch genau, was Sie sonst noch für Bedenken haben, auch wenn Sie sie noch nicht aussprachen. Auf einem kleinen Dampfer wie diesem hört man den geringsten Laut sofort. Ich wage nicht, die Tür aufzubrechen. Ich will nichts von meinen Absichten verraten. Trotzdem – wir beide werden's schon schaffen.«

»Aber wie – und was kann ich dabei tun?«

»Heut nacht muß es gelingen. Wenn der Nebel sich verzieht und wir wieder mit Volldampf fahren, werden wir morgen abend Charleston anlaufen. Ich hörte, wie der Kapitän Decker meldete, daß das Öl zur Neige geht. In Charleston können Telegramme von Townsend liegen. Dies Risiko möchte ich jedenfalls nicht laufen.«

Barton Clark durchschauerte es unheimlich.

»Wenn das passiert«, flüsterte er heiser, »sind wir geliefert. Ein Telegramm von Townsend nach dem Juwelendiebstahl, und Sie sind so gut wie verhaftet.«

Sanderson, nach einem Augenblick des Schweigens: »Halten Sie mich für einen Feigling?«

»Feigling? Sie haben wahrhaftig oft genug das Gegenteil bewiesen.«

»Aber in einem Punkt bleibe ich feig; ich fürchte die Blamage der Verhaftung. Das möchte ich nicht erleben!«

»Und doch wissen Sie, daß so was früher oder später kommen muß.«

»Natürlich weiß ich das. Es ist das unvermeidliche Ende meiner Seiltänzerei. Aber eines kann ich Ihnen versichern: lebendig sollen sie mich nicht kriegen.«

Clark betrachtete den Freund neugierig in dem nebligen Dunkel. Er konnte seinen Ausdruck nicht erkennen, fühlte aber die Spannung in Sandersons Zügen.

»Und wenn's diesmal passierte?«

»Im Verschluß meiner Füllfeder ist ein winziges Versteck, in dem ich schon seit langem für den schlimmsten Fall eine reichliche Dosis Zyankali verwahre – dann –«

»Herr Gott noch mal – Sie meinen es wirklich ernst?« fragte erregt Clark.

»Aber selbstverständlich«, erwiderte der andere seelenruhig. »Höchstens, daß ich in einer solchen Nacht vielleicht vorziehen würde –« er deutete auf das dunkle bewegte Wasser.

»An so was soll man gar nicht denken. Ertrinken ist mir immer eine schreckliche Vorstellung gewesen. Dieser hoffnungslose Kampf mit den Wellen, die einen unerbittlich herunterziehen – dies schreckliche Verschwinden im Nichts. Ich war einmal im Leben ganz nahe am Ertrinken, und die Erinnerung an diesen Augenblick kann ich nie loswerden. Ich hab' auch nie schwimmen gelernt.«

»Ich auch nicht. Aber ich hab' mir sagen lassen, daß die Verzweiflung einen schwimmen lehren kann.«

»Aber doch höchstens eine ganz kurze Strecke.«

Sanderson schaute gedankenvoll in die dunklen Wogen.

»Ja, wenn's zum letzten käme, würde ich diese Art der Flucht doch vorziehen. Dann würde niemand wissen, daß Prather Sanderson war. Aber es braucht ja gar nicht schief zu gehen, alter Freund. Die Sache soll schon klappen. Geben Sie mal gut acht: unter dem Promenadendeck im Gang vor den Kabinen steht ein Schrank, den der Steward für Putzzeug benutzt und in dem auch ein Metalleimer aufbewahrt wird. Nehmen Sie eine Handvoll ölgetränkter Putzwolle, stecken Sie das Zeug in den Eimer und zünden Sie's an. Das entwickelt viel Rauch, stinkt wie wahnsinnig und ist ganz harmlos. Sobald das entdeckt wird, gibt's Feueralarm, und –«

»Die Gäste, inklusive Ruth Vale, werden aus den Kabinen stürzen.«

»Richtig geraten. Sie müssen oben bleiben. Wenn Sie meine Stimme rufen hören ›keine Gefahr‹, dann nehmen Sie eine Drahtschere, die sicherlich bei Ihrem Werkzeug ist, und schneiden Sie die Lichtleitung durch. Dadurch machen wir die Kabine und den Korridor stockdunkel, und dann –«

»Werden Sie sich die Beute holen.«

»Ja, die ganze Beute bis zum letzten Stück. Das ist dann ganz einfach.«

»Soweit gewiß – aber was kommt nachher? Seitdem ich weiß, was Sie vorhaben, wenn's zum Schlimmsten kommt –«

Sanderson unterbrach ihn. »Es ist jetzt Viertel nach zwölf. Halten Sie sich bereit, um ein Uhr zu tun, was ich Ihnen auftrug. Und was ich Ihnen sonst gesagt habe, soll Sie nicht nervös machen.« Er wandte sich um und war mit einem leisen »Gute Nacht« verschwunden, bevor Clark etwas erwidern konnte. Clark blieb noch zehn Minuten nachdenklich an der Reling stehen. So schwer es ihm fiel, er war entschlossen, Sandersons Anordnung zu folgen. Bis auf einen Punkt: er konnte den Plan verbessern, indem er eine Birne ausschraubte, mit seinem Taschenmesser einen Kurzschluß herstellte und so die Sicherung durchbrannte. Auf diese Weise erzielte er dasselbe Resultat, ohne daß die durchschnittenen Drähte auf die Spur eines Komplicen am Oberdeck führen konnten. Bis eine neue Sicherung angebracht war, hatte Prather Zeit genug, sein Ziel zu erreichen. Ruth Vales Brillanten konnten in aller Ruhe im Geheimfach des Handkoffers versteckt werden, und kein Mensch würde sie dort finden.

An Bord waren nur der Steuermann und der Erste Maschinist wach. Alles andere schlief. Es machte Clark nicht die geringsten Schwierigkeiten, sich ungesehen ölgetränkte Putzwolle zu beschaffen. Der schmale Weg längs der Kabinen, der in seiner Mahagoniverschalung an einen Schlafwagen erinnerte, war nur schwach erleuchtet. Clark kam zum erstenmal dorthin, fand aber sofort den von Sanderson bezeichneten Schrank.

Die Jacht schaukelte heftig, und er wurde unversehens gegen eine Kabinentür geschleudert. Clark konnte nicht wissen, daß es Deckers Kabine war. Er erschrak heftig und machte sich fluchtbereit. Aber nichts passierte.

Er öffnete den Schrank, entdeckte den Eimer, stopfte ihn voll mit der ölgetränkten Putzwolle und setzte sie in Brand. Sofort fing sie Feuer und entwickelte starken Qualm.

Schnell schloß er den Schrank und eilte zum Oberdeck zurück. Um nachher in seinen Kleidern keinen Argwohn zu erregen, hatte Clark sich schon halb ausgezogen und warf sich so aufs Bett. Er erwartete den Alarm.

Es sollte nicht lange dauern. Der Qualmgeruch drang sogar bis hinauf zu ihm, so daß es kein Wunder war, wenn einige Gäste rasch wach wurden. Das schrille Schreien von Mrs. Tomkinson drang zuerst schreckenverbreitend vom Bug zum Heck. Einen Moment später war alles in wildem Durcheinander, und die verängstigten Passagiere drängten sich im raucherfüllten Korridor, in wilder Hast bemüht, die Treppe zu erreichen. Barton Clark begriff, wie grauenhaft es zugehen mochte, wenn auf See ein wirklicher Brand ausbrach.

Adam Decker hatte einen Schlafrock über das Pyjama geworfen und stürzte an Deck.

»Die Mannschaft wecken«, brüllte er, »es brennt!«

In diesem Augenblick durchdrang den beißenden dicken Rauch die laute Stimme Prathers: »Ruhig Blut! Keine Gefahr! Nicht die geringste Gefahr!«

Das war Clarks Stichwort. Er rannte in seine Kabine und steckte die Messerspitze an den Kontakt, an dem er die Birne schon ausgeschraubt hatte. Es entstand sofort Kurzschluß, und alles war stockdunkel.

Nun war Sandersons Stunde gekommen, und Barton Clark war zuversichtlich, daß die Sache gut ausgehen werde, nachdem bisher alles programmäßig verlaufen war. Und so kam's auch. In dem aufgeregten Durcheinander, das andauerte, bis der Kapitän die Situation in die Hand nahm, das Licht wieder in Ordnung gebracht war und Fisher zu seiner Wut entdeckt hatte, wodurch die Aufregung entstanden, erledigte Pseudo-Prather seine Arbeit sachlich und schnell. Er hatte Clark das Stichwort in demselben Augenblick zugerufen, als Ruth Vale, erschrocken, das Gesicht dick mit Hautcreme eingeschmiert, im Korridor erschienen war. Und als das Boot in Pechdunkel versank, war er eilig in ihrer offenen Kabine, deren Tür er hinter sich schloß, verschwunden. Es ging um Sekunden.

Eine winzige elektrische Taschenlampe warf einen schmalen Lichtschein vor ihm her. Ein kurzer Augenblick, und schon hatte er die Schubladen einer kleinen eingebauten Kommode entdeckt. In der obersten fand er sofort den silbernen Schmuckkasten. Es wäre das einfachste gewesen, den Kasten selbst zu nehmen. Er zog es vor, die Kassette zu öffnen, faßte mit einem Griff den ganzen Schmuck bis zum letzten Stück und stopfte ihn in die Tasche. Eine Stoppuhr hätte für das ganze Unternehmen die Rekordzeit von sechsundzwanzig Sekunden bis zu seiner Rückkehr in den Kabinengang feststellen können.

Sanderson, alias Prather, schlüpfte unbemerkt in seine Kajüte, durch die völlige Dunkelheit geschützt. Der Qualm war so stark, daß alles auf Deck geflüchtet war. In seinen vier Wänden versteckte er die ganze Beute im Geheimfach des bereitgestellten Koffers. Es blieb ihm eine volle Minute, bis Kapitän Fisher mit einer Laterne herunterkam. Einen Augenblick später hatte der Erste Maschinist, der zugleich als Elektriker tätig war, die neue Sicherung eingesetzt. Es wurde wieder hell. Bis zur Beruhigung der Gäste vergingen noch gute zehn Minuten.

Der Kapitän erstattete Adam Decker Bericht. »Komische Geschichte das. Es war überhaupt kein richtiger Brand, nur eine harmlose Qualmerei in einem alten Eimer. Sie mögen es vielleicht für irgendeine Schlamperei halten – ich hab' den Eindruck, es steckt Absicht dahinter. Allerdings ist mir die Ursache rätselhaft, wenn man nicht an einen schlechten Scherz glauben will. Dann war's jedenfalls ein verflucht dummer Spaß, und wenn ich den Kerl erwische, der –« er schloß mit einer wütenden Geste.

Decker kochte – sein Ausdruck verriet nichts Gutes.

»Hm – und der Brand hat mit dem Kurzschluß nichts zu tun?«

»Ich sagte doch schon, es war kein Brand – nichts wie Qualm und Rauch.«

»Aber das Licht hat doch tatsächlich versagt«, schimpfte Decker. »Wenn das Feuer absichtlich gemacht worden ist, dann natürlich auch die Schweinerei mit dem Licht. Wo ist die Schalttafel mit den Sicherungen?«

»Im Dynamoraum, wenn sich's um die Hauptschaltstelle handelt; aber da war alles in Ordnung. Es ist nur eine Sicherung durchgebrannt, und das rührt von einem Kurzschluß her. Der kann überall auf dem ganzen Schiff hergestellt worden sein.«

»Kapitän – der Sache müssen wir auf den Grund kommen. Ich hab' einen Verdacht, daß es –« Decker wurde von einem durchdringenden Schrei unterbrochen. Als die Männer herunterstürzten, fanden sie Ruth Vale ohnmächtig in den Armen der Mrs. Tomkinson.

»Sie ist ohnmächtig. Die Aufregung war zu groß für sie. Alle Schauspielerinnen haben schlechte Nerven.«

Ruth Vale gab ein schwaches Lebenszeichen, als Decker sie in den Arm nahm, und ein leises Stammeln kam über ihre Lippen. »Fort – gestohlen –« stöhnte sie.

»Die Brillanten!« schrie Decker. »Sie meint ihren Schmuck. Die Brillanten sind gestohlen. Da haben wir die Erklärung, Kapitän, für Qualm und Dunkelheit. Genau, was ich erwartet hatte. Es ist ein Dieb an Bord!«


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