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Mors

Während der Diphtheritisseuche.

Wenn sich auf unsere Häuser die unerbittliche Göttin
Niedersenkt, wird ihr Flug brausend von ferne gehört,

Und der Schatten des Fittichs, der sich mit eisigem Wehen
Nähert, streuet umher schauervoll düstere Ruh'.

Unter der Kommenden neigen ihr Haupt zur Erde die Männer;
Aber des Weibes Brust zittert in stöhnendem Schmerz,

Wie wenn der Juli den Sturm zusammenballt und in hohen
Wäldern kein einziges Weh'n grünende Wipfel durcheilt:

Unbeweglich stehen die Bäume wie schauerdurchrieselt
Und man hört nur des Quells klagenden, heiseren Ton.

Nun ist sie da, geht vorbei und berühret und schaut nicht und schmettert
Stauden zu Boden, die sich sprießender Zweige erfreu'n;

Mähet die jungen Ähren und bricht auch die grünenden Trauben,
Pflücket die fromme Braut, pflücket die liebliche Maid

Und die Kinder: sie strecken, vom schwarzen Flügel umschauert,
Rosig zur Sonne, zum Spiel, lächelnd die Arme empor.

Weh, ihr traurigen Häuser, wo du vor den Augen der Väter,
Göttin, schweigsam und blaß, knospendes Leben erstickst.

Dort erhallen nicht mehr die Räume von fröhlichem Lachen
Oder vom Wispern, wie Nester der Vögel im Mai.

Dort erklingen nicht mehr die fröhlichen Werdejahre,
Waltet die Liebe nicht mehr, regt sich kein bräutlicher Tanz;

Dort, vom Schatten umhüllt, die Überlebenden altern,
Nach deiner Rückkehr Gebraus spannend, o Göttin, das Ohr.


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