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Auf dem Bahnhof

an einem Herbstmorgen.

Ach, wie verfolgen jene Laternen dort
Einander träge hinter den Bäumen, durch
Das regenperlende Gezweige
Gähnend das Licht auf den Kot verstreuend!

Klagend und gellend, kreischend ertönt ein Pfiff
Vom Dampfroß in der Näh'! Es umlagert uns,
Gleich einem riesigen Gespenste,
Bleiern der herbstliche Morgenhimmel.

Wohin, wozu bewegt sich dies Volk in Eil'
Um jene düstern Wagen, verhüllt und stumm?
Zu welchen unbekannten Leiden
Oder entschwundener Hoffnung Qualen?

Dem knappen Schnitt des Wärters, o sinnende
Lydia, gibst auch du deine Karte hin
Und gibst der raschen Zeit die schönen
Jahre, die Andenken, süße Stunden.

Wie Schatten geh'n und kommen die Wächter längs
Des schwarzen Zugs mit schwarzen Kapuzen, und
Sie tragen matte Handlaternen,
Eiserne Hämmer; die Eisenbremsen

Antworten auf das Pochen mit traurigem
Und langgezog'nem Tone: verdrossen schallt
Ein Echo aus dem Seelengrunde
Schmerzlich: ein krampfhaftes Zucken scheint es.

Wie Schimpf erschallt das Krachen der hart ins Schloß
Geworf'nen Türen, und wie ein Hohn erklingt
Der letzte, rasch gegeb'ne Mahnruf;
Dicht auf die Gläser der Regen trommelt.

Schon faucht und rüttelt, keuchet das Ungetüm,
Seiner metall'nen Seele bewußt und reißt
Die Flammenaugen auf, wirft riesig.
Trotzend den Weiten, den Pfiff ins Dunkel.

Das Ungeheuer geht, und mit Schauerton
Die Flügel schlagend, trägt es hinweg mein Lieb,
Im Dunkel schwindet, grüßend, ach, das
Weiße Gesicht und der schöne Schleier.

Süßes Gesicht, von rosigem Blaß umhaucht,
Friedliche Sternaugen, du schneeige,
In Liebreiz hingeneigte Stirne,
Unter den blühenden Locken strahlend!

Als ihr mir lachtet, bebte der Lebenshauch
Des Sommers in dem laulichen Lüftemeer;
Es freute sich des Juni junge
Sonne, zu küssen mit ihrem Lichte

Die weiche Wange unter dem Widerschein
Der braunen Haare; um ihre liebliche
Gestalt sich schlangen, schöner als die
Sonne, wie Glorienschein, meine Träume.

Nun kehr' ich unter Regen und Finsternis
Zurück und möchte gerne mit ihnen mich
Vermengen und wie trunken wank' ich,
Fühle mich an: bin ich auch ein Schatten?

Wie fallen jene Blätter so eisigkalt,
Beständig, stumm und schwer auf die Seele mir!
Mich dünkt, daß der November einzig,
Ewig und überall herrscht im Weltall.

Wer das Gefühl des Daseins verlor, dem ist
Wohler in dieser nebligen Finsternis.
Ich will, ich will in ein verdross'nes
Ewiges Hindämmern mich versenken.


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