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Achtzigstes Kapitel.

Auf dem Pfad über das Grasland sah ich nun unter dem eben aufgegangenen Mond eine seltsame Prozession, wie sie nie zuvor auf den australischen Waiden bemerkt wurde, einherziehen. Sie bewegte sich lautlos aber rasch vorwärts. Wir gingen ihr bergab entgegen. Eine schwarze Sänfte, getragen von vier Männern in einer unbekannten morgenländischen Tracht; zwei weitere dunkelfarbige Diener in mehr kriegerischem Anzug, mit Yataganen und silberbeschlagenen Pistolen in den Gürteln, die der unheimlichen Tragbahre vorangingen. Vielleicht ahnete Margrave den Gedanken der Verachtung, der mir unbestimmt und halb unwillkührlich durch den Sinn ging, denn er sagte mit dem hohlen bitteren Lachen, das an die Stelle seiner früher so wohlklingenden Fröhlichkeit getreten war:

»Ein wenig Muße mit ein wenig Gold, und auch die rauhen Kolonisten hier werden ein Vergnügen daran haben, den Pascha zu spielen.«

Ich gab keine Antwort; denn ich kümmerte mich nicht mehr darum, wer und was mein Versucher war. Sein ganzes Wesen gewann für mich nur Bedeutung in dem Problem: War er wirklich in dem Besitz eines Geheimnisses, durch welches der Tod von meiner Lilian abgewendet werden konnte?

Als die Sänfte Halt machte, trat aus dem langen dunklen Schatten, welchen sie über den Rasen hinwarf, die Gestalt eines Weibes hervor. Die Umrisse ihrer Gestalt verloren sich in den weiten Falten eines schwarzen Mantels, und ihr Gesicht war mit Ausnahme der blitzenden dunklen Augen von einem schwarzen Schleier bedeckt. Sowohl in der Ruhe, als in der Bewegung erschien ihre Figur groß und ihre Haltung majestätisch.

Margrave redete sie in einer mir unbekannten Sprache an, und sie schien ihm, wie mir vorkam, in derselben Zunge zu antworten. Der Ton ihrer Stimme war sanft, aber unaussprechlich wehmüthig. Es kam mir vor, als wolle sie warnen, bitten oder abrathen, denn ihre Worte riefen auf Margraves Stirne finstere Furchen hervor und entlockten seinen Lippen einen unverkennbaren Zornausbruch. Die Frau gab darauf mit derselben schwermüthig musikalischen Stimme Antwort. Dann stützte Margrave, wie früher auf die meinige, seinen Arm auf ihre Schulter und zog sie von der Gruppe weg in ein nahes Gebüsch von blühenden Eucalypten, mystischen Bäumen, die nie das blaße Grün ihrer Blätter, wohl aber ohne Unterlaß die Farbe ihrer aschgrauen, sich ablösenden Rinde wechseln. Ich betrachtete mir eine Weile die beiden menschlichen Gestalten, die bei dem schwach durchbrechenden Mondlicht nur undeutlich unter dem Laubwerk sichtbar wurden, und als ich meine Augen abwandte, sah ich dicht neben mir einen Mann stehen, den ich vorher nicht bemerkt hatte. Er war auf dem Rasen lautlos an mich herangeschlichen. Sein Gewand, obschon orientalisch, unterschied sich sowohl im Schnitt, als in der Farbe von dem seiner Gefährten; es schloß sich fest um die Brust an, ließ die Arme bis zum Ellenbogen frei und hatte die unheimliche gleichförmige weiße Farbe der Wachsleinwand, mit welcher man einbalsamirte Leichen umhüllt. Sein Gesicht war noch dunkler, als das der Syrer oder Araber hinter ihm, und sein Gesicht nahm sich wie das eines Raubvogels aus – die Nase wie der Schnabel des Adlers, die Augen aber wie die des Geiers. Er hatte tief eingefallene Wangen und seine langen, mageren Arme waren über der Brust gekreuzt. Gleichwohl lag in der skeletartigen Gestalt etwas, was an die Behendigkeit und die Kraft der Schlange erinnerte, und während sein hungriges, wachsames Auge meinem bestürzten Blick begegnete, wich ich unter dem Impuls jener instinktartigen Warnung vor Gefahr zurück, welche die Menschen sowohl als die untergeordneteren Thiere bei dem Anblick von Geschöpfen empfinden, deren Stich oder Mordgier man zu fürchten hat. Bei dieser meiner Bewegung senkte der Mann in der unterwürfigen Weise morgenländischer Begrüßung sein Haupt und sprach, so weit sich aus dem sanften Ton und aus den Geberden ein Urtheil bilden ließ, in seiner ausländischen Zunge demüthige und schmeichelnde Worte.

Voll Abscheu wandte ich mich noch weiter von ihm ab, und es zuckte in mir der menschliche Gedanke auf, ob es nicht in der That gefährlich sei, mich so ohne Rückhalt dem in Zauberkünsten erfahrenen und allen Gewissens baaren Herrn dieser Miethlinge aus dem Osten anzuvertrauen – sieben an der Zahl, von denen wenigstens zwei furchtbar bewaffnet, alle aber so gehorsam waren, wie die Schweißhunde, denen der Jäger nur ihre Beute zu zeigen braucht. Aber Furcht vor einem Menschen wie ich selbst ist nicht meine Schwäche, und wenn Furcht überhaupt den Weg zu meinem Herzen fand, so geschah es durch die Zweifel oder Einbildungen, welche in dunklen, unbekannten Attributen aus einem Wesen den Menschen verschwinden und es mir als ein Gespenst oder einen Teufel erscheinen ließen. Wenn ich mich mit einer Analyse meiner Gefühle hätte aufhalten können, so würde sie vielleicht mir gezeigt haben, daß eben die Gegenwart dieses Geleites, welches aus Geschöpfen von Fleisch und Blut bestand, meine Scheu vor dem unbegreiflichen Versucher dämpfte. Ich, der stolze Abkömmling der Angelsachsen, welche alle Rassen überwanden, weil sie sich nicht vor der Ueberzahl fürchteten, wäre lieber hundertmal trotzig diesen sieben Sklaven gegenüber getreten, als daß ich wieder innerhalb meiner Schwelle an der Wand den leuchtenden, körperlosen Schatten hätte sehen mögen! Außerdem, Lilian – Lilian! Um der Aussicht willen, ihr Leben zu retten, wie wild und abenteuerlich auch diese Aussicht sein mochte, würde ich selbst vor einer Armee um keinen Fuß breit gewichen sein.

In solcher Weise ermuthigt und entschlossen, ging ich mit verächtlichem Lächeln auf Margrave zu, als dieser mit seiner verschleierten Begleiterin wieder aus dem vom Mond beleuchteten Gebüsch heraustrat.

»Wie ist's,« sagte ich mit einer Ironie zu ihm, welche unwillkührlich seiner eigenen nachgeahmt war, »haben Sie mit Ihrer Pflegerin Rath gehalten? Die dunkle Gestalt an Ihrer Seite ist doch wohl Ayesha?«

Die Frau richtete durch ihren schwarzen Schleier ihre stetigen feierlichen Augen auf mich und sagte englisch, obschon mit fremdem Accent: »Die in Asien geborene Pflegerin ist nur weise durch ihre Liebe; der blasse Sohn Europa's ist weise durch seine Kunst. Die Pflegerin sagt: ›Halt ein!‹ Sagst Du: ›Wage?‹«

»Stille!« rief Margrave, mit dem Fuß auf den Boden stampfend. »Ich nehme von Niemand Rath an. Mein Entschluß steht fest. Dir kömmt es zu, zu gehorchen, und an ihm ist es, mir zu helfen. Die Nacht rückt vor, und wir vergeuden die Zeit. Gehen wir weiter.«

Die Frau erwiederte nichts, und auch ich schwieg. Er nahm meinen Arm, und wir begaben uns nach der Hütte zurück. Das wilde Geleite folgte. Als wir die Thüre erreichten, sagte Margrave einige Worte zu dem Weib und zu den Sänftenträgern. Sie traten mit uns in die Hütte. Margrave zeigte dem Weib den Koffer und den Trägern den Holzvorrath auf dem Vorplatz. Beides wurde in die Sänfte geschafft. Inzwischen nahm ich die leichte Axt, die ich auf meinen Spaziergängen mitzuführen pflegte, von dem Tisch, auf dem sie nachlässig gelegen hatte.

»Glauben Sie diese eitle Waffe nöthig zu haben?« fragte Margrave. »Fürchten Sie die Treue meiner dunkelfarbigen Begleiter?«

»Nein, nehmen Sie selbst die Axt; sie dient dazu, das Gold aus dem Quarz herauszuschlagen, in dem wir es eingesprengt finden werden. Auch diese Schaufel wird nöthig sein, um den leichten Boden über dem Metall wegzuschaffen, welches die Mine im Gebirg nach oben schiebt, wie die See die Strandgüter ans Gestade wirft.«

»Geben Sie mir Ihre Hand, Mitarbeiter,« sagte Margrave freudig. »Ah, in diesem Puls ist keine zaudernde Angst fühlbar. Ich habe mich nicht getäuscht in meinem Mann. Was bleibt uns noch übrig, als der Platz und die Stunde? – Ich werde leben – ich werde leben!«


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