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Einundvierzigstes Kapitel.

Am andern Tag kam der Rechtsgelehrte wieder, diesmal fast mit einem Lächeln um seine Lippen. Er brachte mir einige mit Bleistift geschriebene Zeilen von Frau Ashleigh, die mich mit freundlichen Worten ermunterte, guten Muths zu sein. Sie habe keinen Augenblick an meine Schuld geglaubt; Lilian benehme sich mit wunderbarer Standhaftigkeit bei dieser schweren Heimsuchung, und es gereiche ihnen beiden zu einem unaussprechlichen Trost, von einem Freund besucht zu werden, der mir so sehr zugethan sei und einer triumphirenden Widerlegung der schändlichen Verläumdung, unter der ich leide, mit solcher Zuversicht entgegensehe, wie – Herr Margrave!

Der Advokat hatte Margrave wieder gesehen – wieder gesehen in demselben Haus. Er schien dort fast heimisch zu sein.

Ich blieb während des Besuchs finster und schweigsam und sehnte mich wieder nach der Nacht. Die Nacht kam. Ich hörte aus der Ferne zwölf schlagen. Da wehte wieder der eisige Wind durch mein Haar, und an der Wand gegenüber zeigte sich abermals der phosphorische Schatten.

»Hast du überlegt?« flüsterte die Stimme wie aus einem weiten Abstand. »Ich wiederhole dir – ich allein kann dich retten.«

»Gehört unter die Bedingungen, die du von mir verlangst, daß ich auf das Weib verzichte, das ich liebe?«

»Nein.«

»Oder daß ich ein Verbrechen begehe – ein Verbrechen, vielleicht eben so abscheulich als das, dessen ich angeklagt bin?«

»Nein.«

»Unter solcher Verwahrung will ich die Bedingungen, die du mir nennst, annehmen, vorausgesetzt, daß du mir versprichst, eine zu erfüllen, die ich dir stelle.«

»Rede.«

»Ich verlange, daß du diese Stadt verlässest, und daß du schon jetzt aufhörst das Haus zu besuchen, in dem meine Verlobte wohnt.«

»Ich will nicht mehr hingehen. Und noch ehe viele Tage um sind, werde ich die Stadt verlassen.«

»Wohlan denn, so sprich, was du von mir verlangst. Ich bin bereit, darauf einzugehen, und zwar nicht aus Furcht für mich selbst, sondern weil ich für das reine und unschuldige Wesen fürchte, das unter dem Bann deines tödtlichen Zaubers steht. Dies gibt dir Gewalt über mich. Du beherrschest mich durch meine Liebe zu einem andern Wesen. Rede.«

»Meine Bedingungen sind einfach. Du verpflichtest dich, abzustehen von jeglicher Anklage oder verdächtigenden Anspielung gegen mich und wirst, wenn du mir im Fleisch wieder begegnest, nie auf das zurückkommen, was du von meinem schattenhaften Abbild erfahren hast. Lädt man dich in das Haus ein, in welchem vielleicht auch ich mich als Gast befinde, so wirst du dich gegen mich benehmen und mit mir sprechen, wie Gäste in dem Hause ihres Wirths zu thun pflegen.«

»Ist dies Alles?«

»Ja.«

»Dann hast du mein Wort. Halte auch du das deinige.«

»Fürchte nichts. Schlafe ruhig in der Gewißheit, daß du bald aus diesen Mauern erlöst sein wirst.«

Das Gespenst erbleichte und verschwand. Dunkelheit lagerte um mich her, und ich verfiel bald in einen tiefen ruhigen Schlaf.

Am nächsten Tag besuchte Stanton mich wieder. Er hatte am Morgen ein Billet von Margrave erhalten, welcher ihm anzeigte, er habe L– – verlassen, um in Betreff meines Anklägers persönlich eine bereits von einem Andern begonnene Nachforschung zu verfolgen, und wenn sich seine Hoffnung als begründet erweise, so getröste er sich der Zuversicht, meine Unschuld zu erweisen und Sir Philipp Dervals wahren Mörder zu überführen. Für seinen freiwilligen Spähezug habe er den Beistand des Polizeidieners Waby nachgesucht und erhalten, da diesem Mann, dessen Schwester ich das Leben gerettet, sehr daran gelegen gewesen, seine Dankbarkeit gegen mich dadurch zu bekunden, daß er für mich etwas thun könne.

Als mein grausamster Feind erwies sich jedoch mein alter Universitätsbekannter Richard Strahan. Jeeves hatte nämlich dessen Beschuldigung, ich hätte das mir anvertraute Memoir unterschlagen, in Umlauf gesetzt und mir dadurch in der öffentlichen Meinung sehr geschadet, weil sie das einzige wahrscheinliche Motiv an die Hand gab, welchem der Scharfsinn eine so schnöde That zuzuschreiben vermochte. Vigors hatte zuerst auf dasselbe hingewiesen. Die Criminalakten haben Fälle aufbewahrt, in denen Menschen von vorher tadellosem Wandel unter dem Einfluß der Monomanie einer ununterdrückbaren Begierde Verbrechen begingen, die im Widerspruch mit ihrer ganzen Natur zu stehen schienen, In Spanien hatte ein Gelehrter von strenger Sittlichkeit einen Reisenden ermordet und seines Geldes beraubt, um Bücher zu kaufen, und zwar Bücher, die von den Vätern seiner Kirche geschrieben waren. Sein Dichten und Trachten lief darauf hinaus, ein Problem der theologischen Kasuistik zu lösen. In Frankreich erschlug ein Alterthumsforscher, der eben so sehr durch seine Gelehrsamkeit im Rufe stand, als um seines freundlichen Charakters willen beliebt war, seinen besten Freund, um in den Besitz einer Medaille zu gelangen, die seiner Sammlung fehlte. Diese und ähnliche Anekdoten, welche beweisen sollten, wie verhängnißvoll jede krankhaft gehegte heftige Begier werden könne, indem sie im Stande sei, die normale Thätigkeit des Verstandes und Gewissens zu unterdrücken, wurden von Doktor Lloyds rachsüchtigem Parteigänger weiter getragen und die daraus gegen mich gezogenen Folgerungen um so gläubiger aufgenommen, weil der Gedankenlose sich so gern auf überschwengliche Spekulationen über Motive und Handlungen einläßt und darin seine eigene Tiefe zeigen zu können meint.

Man wußte von mir, daß ich ein Freund von wissenschaftlichen, namentlich chemischen Experimenten war und nicht säumte, die Richtigkeit jeder neuen Erfindung der Probe zu unterwerfen. Strahan, der die phantastische Hypothese des Friedensrichters aufgriff, erzählte aller Welt Geschichtchen von dem leidenschaftlichen Eifer für Analyse und Entdeckungen, den ich schon als Student an Tag gelegt habe, und dem ich in der That meinen frühen Ruf als Arzt verdankte.

Sir Philipp Derval hatte nicht nur nach dem Gerücht, sondern auch nach der direkten Aussage seines Dieners auf seiner Reise viele Geheimnisse in der Naturwissenschaft, namentlich solche, die in Beziehung zu der Heilkunst standen, kennen gelernt, und dieser Diener von den merkwürdigen Kuren gesprochen, welche er mit den in dem Kästchen enthaltenen Arzneien bewirkte. Ohne Zweifel sei durch Sir Philipp, der sich im Laufe des Gesprächs seiner Heilmittel rühmte, meine Neugierde geweckt und meine Einbildungskraft in einer Weise angeregt worden, daß, als ich später plötzlich an einsamem Ort mit ihm zusammen traf, ein leidenschaftlicher Impuls auf mein Gehirn wirkte, das vorher schon durch Neugierde und das Verlangen, in den Besitz der wunderbaren Stoffe zu kommen, bis zum Wahnsinn erhitzt gewesen.

Alle die in ein System zusammengefaßten Unterstellungen fanden eine Bekräftigung in Strahans Angabe, ich habe ein Manuskript entwendet, welches wahrscheinlich eine Erklärung über die von Sir Philipp gebrauchten Arzneistoffe enthielt, und meinen Diebstahl durch ein so unwahrscheinliches Mährchen zu bemänteln gesucht, daß ein Mann von meinem anerkannten Talent nur in einem Zustand geistiger Verwirrung zu einer solchen Ausrede habe kommen können. Ich erkannte das Gewebe, mit welchem feindseliges Vorurtheil und unwissende Klatschsucht mich umsponnen hatte; war es wohl möglich, daß es Margrave gelang, es zu zerstören? Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich hegte Vertrauen zu seinem Versprechen und zu seiner Macht. Gleichwohl fühlte ich mich wegen Lilians so sehr beunruhigt, daß die Hoffnung, meine eigene Unschuld anerkannt zu sehen, fast unterging in dem freudigen Bewußtsein, Margrave sei wenigstens nicht länger in ihrer Nähe, und in der Aussicht, er werde seiner Zusage gemäß bald die Stadt meiden, in welcher er lebte.

So entschwand Stunde um Stunde, bis endlich – ich glaube, es war am dritten Tag nach der Nacht, in welcher ich zum letztenmal den geheimnißvollen Schatten geschaut – hastig meine Thüre aufgerissen wurde und auf der Schwelle ein wirres Gedränge sich zeigte – der Gefängnißaufseher, der Polizeikommissär, Stanton und viele andere bekannte Gesichter, welche meine Haft von mir ferne gehalten hatte. Ich erfaßte mit dem ersten Blick, daß ich nicht mehr ausgestoßen war aus dem Bann menschlicher Freundschaft. Und so ernst und stolz ich auch bisher meinen Gram und meine Einsamkeit getragen hatte, wurde doch, als ich die warmen Händedrücke fühlte, die freudigen Glückswünsche hörte und in den Augen Aller die Kundwerdung meiner Unschuld las, der Sturm der Erregung zu übermächtig für mich; das Zimmer wirbelte vor meinen Augen, und ich brach ohnmächtig zusammen. Gehen wir so schnell als möglich über die Erklärungen hin, mit denen man mich bei meinem Erwachen überhäufte und die am andern Morgen Gegenstand der gerichtlichen Verhandlung werden sollten. Ich hatte Alles Margrave zu danken. Es schien, als habe er eben die Annahmen, die man gegen mich in Umlauf gesetzt hatte, zu meinen Gunsten gedreht. »Man vermuthet,« sagte er, »Fenwick habe das Verbrechen, dessen er beschuldigt ist, in einer Verwirrung seines Verstandes begangen. Diese Voraussetzung gründet sich auf die Wahrscheinlichkeit, daß nur ein Wahnsinniger einer solchen Unthat ohne einen entsprechenden Beweggrund fähig ist. Aber man sieht doch klar, daß der Angeschuldigte an keinem geistigen Gebrechen leidet, während ich Grund für die Vermuthung habe, daß dies bei dem Ankläger der Fall ist.« Diese Annahme auf die Gerüchte bauend, mit denen man sich über das Benehmen und die Haltung des Zeugen während seiner polizeilichen Ueberwachung trug, hatte Margrave den Polizeidiener Waby beauftragt, in dem Dorf, wo der Ankläger seine Verwandten aufgesucht haben wollte, Nachforschungen anzustellen. Dieser hatte dort Personen gefunden, welche sich gehört zu haben erinnerten, daß die beiden Brüder Walls weniger von dem Gewinn des kleinen Geschäfts, das sie betrieben, als von dem Vermögen eines Wahnsinnigen, der zu lebenslänglicher Einsperrung verurtheilt worden, und dessen Eigenthum ihnen als nächsten Verwandten zur Nutznießung zufiel, gelebt hätten. Als nun Margrave die Tageblätter musterte, kam ihm auch die Verwarnung des Publikums vor einem gefährlichen Irren zu Gesicht, der aus einer Anstalt im Westen von England ausgebrochen war; und nach dieser hatte er sich nun begeben.

In dem gedachten Irrenhaus erfuhr er, der Ausgeschriebene leide an Mordmonomanie und sei für Lebensdauer in die Anstalt gesprochen worden wegen eines Mords, um dessenwillen er vor Gericht gestanden habe. Die Beschreibung der Person stimmte vollkommen mit der des angeblichen Amerikaners zusammen. Als der Institutsarzt Margrave's ins Einzelne gehende Mittheilungen hörte, drückte er die Ueberzeugung aus, daß der Zeuge sein vermißter Patient sei und aller Wahrscheinlichkeit nach selbst das Verbrechen begangen habe, dessen er einen Andern zieh. In diesem Fall hoffte er ein volles Bekenntniß aller Umstände aus ihm herauslocken zu können. Wie viele andere Irre, und hauptsächlich solche, deren fixe Idee auf verbrecherische Handlungen hinausläuft, war der Flüchtige äußerst verschmitzt, tückisch, an sich haltend und an List und Pfiffe gewöhnt – verschlagener sogar, als nur irgend ein seiner gesunden Vernunft mächtiger Mensch, wenn sich's darum handelte, einen Plan zur Ausführung zu bringen, oder den Schein auf einen Andern zu wälzen. In der Unterhaltung schien er Denen, welche ihn nicht studirt hatten, ganz vernünftig zu sein, aber mit einer Hallucination trug er sich doch, die, wenn man ihr Vorschub leistete, ihn stets bewog, nicht nur sich selbst zu verrathen, sondern auch mit seinen beabsichtigten oder begangenen Unthaten groß zu thun. Er glaubte nämlich, einen Bund mit dem Teufel eingegangen zu haben, der ihm zum Lohn für seinen unbedingten Gehorsam durch alle Folgen seiner Unterwürfigkeit durchhelfe und zuletzt ihn zu großer Macht und Ehre erheben würde. Es ist keine seltene Verblendung mordsüchtiger Narren, daß sie unter dem Einfluß des Bösen zu stehen, oder von einem Dämon besessen zu sein glauben. Mörder haben schon als einzigen Grund für ihr Verbrechen angegeben, daß der Teufel in sie gefahren sei und sie zu der That gezwungen habe. Die übereinstimmende Eigenschaft der Irren ist übrigens eine sich überschätzende Selbstachtung. Der Wahnsinnige, der vielleicht aus einem Dachstübchen geholt wurde, steckt sich Strohhalme ins Haar und nennt sie eine Krone. Eine ungeordnete Anmaßung ist so charakteristisch für geistige Verirrung, daß ich im Lauf meiner Praxis schon in dieser einzigen Schwäche ein sicheres Zeichen des Wahnsinns, namentlich des moralischen Wahnsinns, lange vorher erkennen lernte, eh' noch die Gehirnaufregung den nächsten Verwandten das Vorhandensein der Krankheit verrieth.

Krankhafte Selbstüberschätzung war also das furchtbare Blendwerk, das den Mann, von dem ich jetzt spreche, gefesselt hielt. Er setzte einen Stolz darein, das Werkzeug eines gefallenen Engels zu sein. Und wenn man dieser Selbstwürdigung geschickt nachhalf, so konnte er sich stolz der Unthaten rühmen, die ihm gleichsam als besondere Auszeichnung, als offizieller Rang, zu vollbringen aufgetragen worden war; er that dann freudig groß mit Gedanken, die selbst der cynischste Verbrecher, dem die Vernunft nicht abhanden gekommen ist, einzugestehen sich entsetzen würde. Er enthüllte dann alle seine Abscheulichkeit mit einer so selbstgefälligen, offenen Ruhmredigkeit, wie etwa ein eitler guter Mensch mit seinen edlen Gesinnungen und wohlthätigen Handlungen Parade macht.

»Wenn es der mir entronnene Patient ist,« sagte der Irrenarzt, »und wenn seine Mordmanie in irgend einer Weise auf den Erschlagenen gelenkt wurde, so brauche ich keine Viertelstunde bei ihm zu sein, um zu erfahren, wie es dabei zuging und wie er es angriff, um den Verdacht des Verbrechens auf einen Andern zu wälzen. Er wird mir Alles so umständlich erzählen, wie ein Kind uns einen Schuljugendstreich erzählt, wenn es auf unsere Theilnahme rechnet und unseres Beifalls sicher zu sein glaubt.«

Margrave brachte diesen Herrn nach L– – und stellte ihn dem Bürgermeister vor, der einer meiner wärmsten Anhänger war. Der Bürgermeister hatte hinreichenden Einfluß, um das Uebrige anzubefehlen und zu ordnen. Der Irrenarzt wurde in das Gemach geführt, in welchem der angebliche Amerikaner verwahrt war. Seinem ausdrücklichen Verlangen gemäß erhielt eine auserlesene Anzahl von Zeugen Zutritt. Margrave entschuldigte sich mit dem annehmbaren Vorwand, er sei ein zu intimer Freund von mir, um bei irgend etwas, was mich so nah berühre, einen unparteiischen Zuhörer abgeben zu können.

Der Arzt hatte Recht gehabt in seinen Vermuthungen, und sein Versprechen war kein eitles gewesen. Mein falscher Ankläger war sein entlaufener Patient, der den Doktor *** nicht mit Schrecken, sondern mit einer Miene von Herablassung anerkannte und sich von ihm nach wenigen Minuten bewegen ließ, in selbstgefälligem Frohlocken nicht bloß über den Anstifter, durch den er sich erhoben fühlte, sondern auch über die Schlauheit, mit der er sein Werk ausführte und die noch das Entsetzliche seines Geständnisses erhöhte, seine Geschichte zu erzählen.

Er sprach zuerst von der Art seines Entweichens, die ungemein sinnreich war, aber in ihren weit ausgesponnenen Einzelnheiten mich nicht interessirte; auch verstand ich sie nicht vollkommen genug, um sie hier aufführen zu können. Unterwegs war ihm ein Matrose begegnet, den er mit einem Stein niederschlug und seines Glanzhuts wie auch seiner Schiffsjacke und einer kleinen Summe Geldes beraubte; mit dieser bestritt er die Fahrtaxe für den Eisenbahnzug, welcher ihn achtzig Meilen weit weg von seiner Anstalt brachte. Er hatte noch ein wenig von dem Geld übrig und wanderte jetzt zu Fuß auf der Landstraße weiter, bis er eine zwanzig Meilen von L– – entfernte Stadt erreichte. Hier verweilte er zwei oder drei Tage, und der Teufel befahl ihm nun, wie er sagte, ein Küchenmesser zu kaufen, was er auch that. »Aus diesem Befehl erkannte er, daß der Teufel eine große That von ihm erwarte.« »Sein Meister« (wie er den Satan nannte) wies ihn sofort an, welchen Weg er einschlagen sollte. Er kam nach L– –, machte, wie er richtig angegeben hatte, in einem kleinen Wirthshaus Herberge, wanderte in der Nacht in der Stadt umher und suchte, als er von dem plötzlichen Gewitter überrascht wurde, Schutz unter dem Klosterbogen, wo er etwas mehr von meiner Unterhaltung mit Sir Philipp vernahm, als er ursprünglich angegeben hatte – nämlich genug, um seine Neugierde auf das Kästchen zu lenken. »Während er lauschte, sagte sein Meister zu ihm, daß er sich dieses Kästchen zueignen müsse.« Sir Philipp hatte fast unmittelbar nach mir den Bogen verlassen, und er würde ihn schon damals angegriffen haben, wenn er nicht durch einen Polizeidiener, der seinen Umgang machte, gestört worden wäre. Er war Sir Philipp nach einem Hause (dem des Herrn Jeeves) gefolgt. »Sein Meister hieß ihn warten.« Er that dies. Als Sir Philipp in der Morgendämmerung wieder herauskam, ging er ihm nach, bis sie eine enge Gasse erreichten; nun packte er ihn am Arm und verlangte von ihm die Auslieferung alles dessen, was er bei sich habe. Sir Philipp suchte ihn abzuschütteln und schlug nach ihm. Mit der nun folgenden Scene will ich den Leser verschonen. Die That war vollbracht. Er beraubte den Todten des Kästchens sowohl als der Börse, die er in einer der Taschen fand; kaum war er aber damit zu Stande gekommen, als er Fußtritte hörte. Er hatte vor meiner Ankunft kaum noch Zeit, sich unter dem Portikus eines einzeln an der Straßenecke stehenden Hauses zu verbergen. Von diesem Versteck aus hörte er mein kurzes Gespräch mit den Polizeidienern, und als diese die Leiche mit fortnahmen, schlich er unbemerkt von hinnen. Er war im Begriff, nach seinem Wirthshaus zurückzukehren; aber unterwegs fiel ihm ein, daß es sicherer für ihn sei, wenn er die Börse und das Kästchen nicht bei sich führe. Er forderte seinen Meister auf, ihm zu sagen, was er damit anfangen solle: dieser wies ihn nach einem offenen Hof (einem Steinhauersplatz) in geringer Entfernung von dem Wirthshaus. In dem Hof stand eine alte Rüster, von deren knorrigen Wurzeln die Erde weggespült war, so daß unter denselben Spalten und Löcher bemerklich wurden: in einem derselben verbarg er das Kästchen und die Börse, aus der er nur zwei Goldstücke und einiges Silbergeld herausnahm, und bedeckte den Versteck mit loser Erde. Dann kehrte er nach seinem Wirthshaus zurück und verließ dasselbe gegen Mittag wieder unter dem Vorwand, seine Verwandten aufzusuchen – Personen, die allerdings in diesem Verhältniß zu ihm gestanden hatten, von denen er aber wußte, daß sie schon seit Jahren todt waren. Ein paar Tage nachher erschien er wieder in L– – und begab sich in stiller Nacht nach dem Steinmetzenhof, um das Kästchen und das Geld zu holen. Die Börse mit dem Inhalt fand er unberührt, aber den Deckel des Kästchens los. Er hatte es vor dem Begraben nur flüchtig betrachtet; aber damals war es ihm vorgekommen, als ob es fest verschlossen sei. Der Gedanke, es möchte Jemand an dem Platz gewesen sein, beunruhigte ihn. Doch sein Meister flüsterte ihm zu, nicht darauf zu achten; er solle das Kästchen nur nehmen und damit thun, was ihn geheißen werde. Er entsprach der Aufforderung, schlug den Deckel zurück und fand, daß das Kästchen leer war; dann nahm er das übrige Geld aus der Börse, ließ aber die Börse selbst zurück, weil das Wappen und die Anfangsbuchstaben darauf zur Entdeckung führen könnten, und scharrte das Loch wieder zu. Im Laufe des Tags hörte er im Wirthshaus die Leute von dem Mord sprechen, und sein erster Gedanke war nun, sich sogleich aus der Stadt fortzumachen; aber sein Meister hieß ihn »klüger sein« und bleiben. Als er durch die Straßen ging, sah er mich durch meine Glasthüre herauskommen und nach dem an der anderen Seite des Hauses gelegenen Stall gehen, wo ich mein Pferd bestieg und hinwegritt. Er bemerkte, daß ich die aufziehbare Glasthüre nicht ganz niedergelassen hatte; dies bewog ihn, den Hof zu betreten; er sah das leere Zimmer, den einsamen Platz und gegenüber nur eine Gartenmauer. Sein Meister wies ihn nun an, den Schieber sachte vollends zu lüften, in das Zimmer zu gehen und das Messer sammt dem Kästchen in einem großen Wallnußschrank niederzulegen, der unverschlossen neben der Thüre stand. Alles, was nun folgte – sein Besuch bei Herrn Vigors, seine Aussage gegen mich, sein ganzes Mährchen – war ihm, wie er sagte, von seinem Meister diktirt, der sich sehr zufrieden mit ihm äußerte und ihm durchzuhelfen versprach. Nachdem er all dies erzählt hatte, wandte er sich mit einem gräulichen Lächeln, als erwarte er Beifall für sein geschicktes Benehmen und Achtung für sein hohes Amt, im Kreise um.

Herr Jeeves hatte die Neugierde, den Arzt zu fragen, in welcher Form oder Weise der Teufel dem Erzähler erscheine und wie er seine höllischen Befehle kund thue. Der Mann verweigerte anfangs die Antwort; endlich aber brachte man doch von ihm heraus, daß der Dämon keine bestimmte und unveränderliche Gestalt habe; das eine Mal zeige er sich ihm in der Gestalt einer Ratte, ein andermal als Baumblatt, als ein Stückchen Holz, als ein rostiger Nagel; welche Form er übrigens annehme, so sei doch die Stimme des Meisters stets deutlich. Nur diesmal, fügte er mit großem Selbstgefühl bei, und zwar immer, seit er das Irrenhaus verlassen, habe sich sein Meister gnädig herabgelassen, mit ihm in einer angenehmeren Weise und in einer gefälligeren Gestalt, als je zuvor, zu verkehren – nämlich in der eines schönen Jünglings oder vielmehr eines hellrosenfarbigen Schattens, der die Umrisse eines jungen Mannes zeigte; auch sei die Stimme deutlicher gewesen als gewöhnlich, milder im Ton und wie aus großer Ferne kommend.

Nach diesen Enthüllungen wurde der Mann plötzlich verstört. Er zitterte an allen Gliedern, schien vor Schrecken fast in Krämpfe zu verfallen und rief, er habe das Geheimniß seines Meisters verrathen, während dieser ihn doch verwarnt, nicht sein Aussehen und die Art seiner Mittheilung zu beschreiben, da er sonst seinen Dienern, den Quälgeistern, überlassen werde. Dann wandelte sich sein Schrecken in Wuth um und seine Mordlust brach in ihm los, denn er stürzte sich jetzt in die Mitte seiner Zuhörer, faßte Herrn Vigors an der Kehle und würde ihn erdrosselt haben, wenn sich nicht der Arzt und sein Begleiter rasch ins Mittel gelegt hätten. Man legte dem schäumenden und tobenden Elenden Fesseln und die Zwangsjacke an, und die Zeugen entfernten sich, den Irren seinen Wärtern überlassend. Es wurde sofort eine Untersuchung in Gang gesetzt, um die Umstände mit diesen ausführlichen Angaben zu vergleichen. Sir Philipps Diener erkannte in der Börse, die sich unter der Rüster vorfand, das Eigenthum seines Herrn, und ein Polizeidiener, welchen man ausdrücklich nach der Stadt schickte, wo der Wahnsinnige das Messer gekauft haben wollte, kam mit der Meldung zurück, ein dortiger Messerschmid erinnere sich noch recht gut, ein Messer an einen Matrosen verkauft zu haben und habe in dem ihm vorgewiesenen Instrument das verkaufte erkannt. Aus der Spalte eines halboffenen Pförtchens in der meiner Glasthüre gegenüberstehenden Mauer hatte ein Dienstmädchen auf ihren Liebhaber, einen Schreinergesellen, der auf diesem Wege nach seinem Speisehaus zu gehen pflegte, gewartet und um die angegebene Zeit den Mörder, der sie nicht bemerkte, zu meiner Thüre herauskommen sehen, damals aber nichts Arges dabei gedacht, weil sie meinte, ich sei zu Haus und der Mensch als Patient oder in einer Geschäftsangelegenheit bei mir gewesen. Der einzige noch nicht aufgeklärte Punkt von Belang betraf das Offensein des Kästchens und das Verschwinden seines Inhalts, denn das Schloß war augenscheinlich erbrochen worden. Es ließ sich jedoch nicht annehmen, daß eine dritte Person den Versteck entdeckt, das Kästchen gewaltsam geöffnet, seinen Inhalt sich zueignet und es dann wieder verscharrt habe. Wahrscheinlicher klang die Vermuthung, der Irre selbst habe es aufgebrochen, die Fläschchen, die er für werthlos hielt, weggeworfen und dann Kästchen und Börse wieder mit Erde bedeckt, den betreffenden Umstand aber in der Verwirrung seines Geistes vergessen. Wer konnte auch erwarten, daß in der Erzählung eines Wahnsinnigen Glied für Glied mit dem ermittelbaren Thatbestand harmonirte? Kurz, es wurde auf diesen einzigen zweifelhaften Theil der Untersuchung wenig Gewicht gelegt. Sobald ich vor offenem Gericht als unschuldig erklärt und in Freiheit gesetzt war, begleiteten mich in triumphirender Prozession Schaaren nach meiner Wohnung. Meine frühere Beliebtheit, die nur für einen Augenblick unter der schrecklichen Anklage Noth gelitten, kehrte zehnfältig zurück als Gegenwirkung einer edelmüthigen Reue über den momentanen Zweifel. Noch ein Anderer theilte die Gunst des Publikums, der junge Mann, dessen Scharfsinn mich der Gefahr entrissen und das schreckliche Geheimniß ans Licht gefördert hatte; aber Margrave war den Complimenten und Glückwünschen ausgewichen, um in Derval Court einen Besuch bei Strahan zu machen.

Was waren meine Gedanken, als ich endlich in dem willkommenen Heiligthum der Heimath allein war? Obenan stand die Versicherung des Wahnsinnigen, die mich, als ich sie hörte, mit Schauder erfüllte – er war zu dem Mord und allen seinen späteren Handlungen durch den lichten Schatten des schönen Jünglings, die Scin-Läca, verleitet worden, der auch ich mich verpflichtet hatte. Wenn Sir Philipp Glauben verdiente, so besaß Margrave in Folge seiner fragmentarischen Erinnerungen an ein Wissen, das er in einem früheren Zustand seines Daseins gesammelt hatte, Kräfte, durch welche sein des Gewissens entbehrender Verstand zu einer furchtbaren Waffe wurde und er in die Lage kam, alle Bemühungen eines nicht durch ähnliche Kräfte unterstützten Geistes, die darauf abzielten, seine Plane zu kreuzen oder seine Verbrechen vor das Forum des Richters zu ziehen, zu vereiteln. Lag es also in seiner Macht, die Gemüther Anderer zu bestimmen, daß sie seinen schnöden Zwecken dienten, und konnte er dies durch Mittel erreichen, die sich nicht auf ihn selbst zurück verfolgen ließen?

Aber in welcher denkbaren Absicht hatte er gerade mich zum Opfer von Einflüssen ausersehen, die eben so sehr außer dem Bereich meiner Kräfte lagen, wie das Fatum oder die dämonische Nothwendigkeit der griechischen Mythe? In den Sagen der klassischen Welt sehen wir hin und wieder einen hohen Dulder von mehr als sterblichen Gewalten verfolgt, aber mit dem ethischen Zweck eines Strafeakts, indem er büßt für ein von seinen Vorfahren oder von ihm selbst begangenes Verbrechen, oder hat er anmaßend sich den Göttern gleichgestellt und dadurch sich das geheimnißvolle Unglück zugezogen, das nur die Götter verhängen können. Doch ich war kein Abkömmling von Pelops, kein Oedipus, der sich einer Weisheit vermaß, welche die Räthsel der Sphinx lösen konnte, während sie ihm nicht einmal Auskunft über sein eigenes Herkommen gab. Was hatte ich gethan, um aus der großen Menschenheerde ausgelesen zu werden zum Spielball für Geister und Zauberer aus dem Schattenland? Es wäre lächerlich abgeschmackt gewesen, anzunehmen, der Fluch, den Doktor Lloyd auf seinem Sterbebette gegen mich aussprach, habe eine prophetische Wirkung auf mein Schicksal üben können, oder zu glauben, die Behauptungen des Mesmerismus stehen unter dem besonderen Schutz der Vorsehung, welche in einem Zweifel daran eine Entweihung erkenne und den Verbrecher dadurch strafe, daß sie ihn durch übernatürliche Mittel bloßstelle. Nicht einmal jenes Gleichmaß von Ursache und Wirkung war vorhanden, mit denen die Fabel ihre Erfindungen zu entschuldigen sucht. Von allen lebenden Menschen eignete ich, der phantasiearme Schüler einer ernsten Wissenschaft, mich am wenigsten dazu, das Spiel jener Zauberkunst zu werden, welche selbst eine reiche Einbildungskraft nur mit Widerstreben in den Gebilden der Dichtkunst gewähren läßt, die Wissenschaft aber in die moderige Rumpelkammer eines verlebten Aberglaubens verweist.

Ich suchte meinen Geist abzuwenden von den Räthseln, deren Lösung mir unmöglich war, und vergegenwärtigte mir mit inniger, aber wehmüthiger Selbstbefriedigung das Bild Lilians, glücklich in dem freilich nicht von Schauder freien Gedanken, daß die meinen Sinnen so geheimnißvoll zugeführte Zusage auch in diesem Stück bereits erfüllt war und Margrave die Stadt verlassen hatte. Lilian stand nicht mehr unter dem Einfluß seines bösen Zaubers. Aber mein Inneres flüsterte mir zu, dieser Zauber habe bereits eine Wirkung geübt, der allen meinen Glückshoffnungen feindlich entgegentrat. Lilians Liebe war für mich verloren. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß sie, in deren Wesen ich stets die edle Opferwilligkeit bewunderte, welche mehr oder weniger unzertrennlich ist von der Romantik der Jugend, mir nie ein Wort des Trostes zufließen ließ in der Stunde meines Kummers und meiner Bedrängniß – daß sie, die bis auf den letzten Abend mit der ganzen Anmuth weiblicher Unterwürfigkeit sich in jeden meiner Wünsche gefügt hatte, meine feierliche Warnung, sich in keine Bekanntschaft, geschweige denn in einen näheren Verkehr mit Margrave einzulassen, so ganz außer Acht lassen konnte – dies noch obendrein in einer Zeit, in welcher ein Ungehorsam gegen meine Einschärfungen meine Lage so schwer verbittern und dieser Beweis von Mißachtung den Schmerz über die Schmach, die meiner Ehre angethan wurde, noch erhöhen mußte! Nein; ihr Herz mußte sich ganz von mir abgewendet, ihre Natur sich völlig verändert haben. Eine Verbindung zwischen uns war unmöglich geworden. Allerdings blieb meine Liebe für sie unerschüttert und haftete vielleicht um so inniger an ihr, weil ich sie bemitleidete. Aber mein Stolz empörte sich und mein Herz fühlte die tiefe Wunde. Meine Liebe war nicht gemeiner oder kriechender Natur. Es lag eine Befriedigung für mich in dem Gedanken, daß sie endlich doch Margraves los werden würde. Ihr Leben, verkettet mit dem seinigen – schreckliche, ungeheuerliche Vorstellung! – vor diesem Schicksal wenigstens war sie bewahrt, und später erholte sie sich vielleicht wieder von der Wirkung seines zum Glück nur kurz dauernden Einflusses. Sie konnte einen neuen Liebesbund eingehen – ein neues Band knüpfen. Aber Liebe, die einmal zurückgenommen wurde, hinterläßt einen unheilbaren Bruch, und die ihrige war für mich dahin. Ich hatte sie nur noch mit eigenem Mund unseres Verlöbnisses zu entbinden, und ihr war ohne Zweifel diese Befreiung willkommen. Mit schwerem Herzen, aber fest in diesem Entschlusse, begab ich mich nach der Wohnung der Frau Ashleigh.


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