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Zweiundvierzigstes Kapitel.

Es war um die Stunde der Dämmerung, als ich, wie gewöhnlich während der Zeit unseres traulichen Verkehrs, unangemeldet in das stille Wohnzimmer trat, in welchem ich Mutter und Tochter zu treffen hoffte. Doch Lilian war allein; sie saß am offenen Fenster, hatte ihre Hände auf dem Knie gefaltet, und ihr Auge haftete an dem dunkelnden Sommerhimmel, an welchem der Abendstern eben klar und stetig aufgetaucht war neben der blassen Sichel des Mondes, die zwar deutlich sichtbar erschien, aber noch kein Licht ausstrahlte.

Mag sich ein Liebender den Empfang vorstellen, den er von seiner Verlobten erwartet, wenn er nach siegreicher Ueberwindung einer sein Leben und seinen Ruf bedrohenden schrecklichen Gefahr vor sie tritt – und sich vergegenwärtigen, wie mir das Blut zu Eis erstarrte und welcher Schmerz meine Seele zerriß, als Lilian, das Haupt mir zuwendend, sich weder erhob, noch eine Silbe sprach, sondern mich bloß wie einen Wildfremden achtlos anstarrte – und – und – Doch gleichviel! Ich darf selbst jetzt noch nach einer Reihe von Jahren nicht daran zurückdenken! Ich setzte mich neben ihr nieder und ergriff ihre Hand, ohne sie zu drücken; sie blieb schlaff und theilnahmlos in der meinigen – einen Augenblick; dann ließ ich sie mit einem bitteren Seufzer fallen.

»Lilian,« sagte ich ruhig, »Sie lieben mich nicht mehr. Ist es so?«

Sie erhob ihre Augen zu den meinigen, sah mich gedankenvoll an, drückte die Hand an ihre Stirne und sprach dann in einem eigenthümlichen Tone:

»Habe ich Sie je geliebt? Was meinen Sie damit?«

»Lilian, Lilian, raffen Sie sich auf. Wenn Sie so reden, muß ich glauben, Sie stehen unter einem Bann, unter einem Einfluß, den Sie nicht zu beschreiben und sich nicht zu erklären vermögen.«

Sie besann sich eine Weile und entgegnete dann ruhig:

»Nein! Ich muß Sie noch einmal fragen, was meinen Sie damit?«

»Was ich damit meine? Haben Sie vergessen, daß wir verlobt sind – vergessen, wie oft und wie in jüngster Zeit noch wir die Gelübde treuer Liebe austauschten?«

»Nein, ich vergesse es nicht; aber ich muß Sie und mich selbst getäuscht haben –«

»Ist es also wahr, daß Sie mich nicht mehr lieben?«

»Ich glaube so.«

»Aber, o Lilian, verhält sich's so, daß Ihr Herz nur mir verschlossen ist – oder haben Sie – antworten Sie mir aufrichtig – es einem Anderen geschenkt? – ihm – ihm – vor dem ich Sie warnte und den nicht zu empfangen ich so flehentlich bat. Sagen Sie mir wenigstens, daß Sie nicht diesen Margrave lieben.«

»Ihn – ihn lieben? Oh, nein – nein – –«

»Welches Gefühl hegen Sie dann gegen ihn?«

Lilians Antlitz wurde blasser; ich konnte dies auch im Dämmerlicht unterscheiden.

»Ich weiß es nicht,« sagte sie fast in Flüsterlauten; »aber es ist – theilweise Furcht – theilweise –«

»Was?«

»Abscheu!« rief sie fast mit Heftigkeit und erhob sich rasch mit einem wilden trotzigen Auffahren.

»Wenn dies der Fall ist,« versetzte ich in sanftem Tone, »so wird es Ihnen wohl nicht leid thun, ihn nie wieder zu sehen – –«

»Aber ich werde ihn wieder sehen,« murmelte sie traurig vor sich hin und sank wieder auf ihren Stuhl zurück.

»Ich glaube nicht, hoffe es nicht,« entgegnete ich. »Und nun schenken Sie mir aufmerksames Gehör, Lilian. Gleichviel, wie Ihre Gefühle gegen einen Anderen sein mögen, für mich ist es genug, aus Ihrem eigenen Munde zu vernehmen, daß die Liebe, deren Sie mich einst versicherten, nicht mehr besteht. Ich entbinde Sie Ihres Wortes. Wenn die Leute fragen, warum fortan unser Lebensgang ein verschiedener ist, nachdem wir ihn vereint antreten zu wollen erklärt haben, so mögen Sie, wenn Sie wollen, sagen, Sie können Ihre Hand keinem Manne reichen, auf dem die Schmach ruht, wegen eines schweren Verbrechens, sei es auch auf eine falsche Anklage hin, im Gefängniß gesessen zu haben. Erscheint Ihnen dies als ein zu unedelmüthiger Grund, so überlassen Sie es Ihrer Mutter, einen besseren aufzufinden. Leben Sie wohl! Um Ihrer willen kann ich mich noch glücklich fühlen – glücklich in dem Bewußtsein, daß Sie den Mann nicht lieben, vor dem ich Sie feierlicher warne als je. Werden Sie mir die Hand zum Abschied reichen – und habe ich nicht Ihren eigenen Wunsch ausgesprochen?«

Sie wandte ihr Gesicht ab und überließ mir schweigend ihre Hand. Stumm hielt ich sie in der meinigen; die innere Erregung hemmte meinen Athem. Nur ein Zeichen des Bedauerns, der Reue von ihrer Seite, und ich würde ihr zu Füßen gefallen sein und gerufen haben: »Laß uns nicht ein Band zerreißen, das unsere Gelübde unlöslich hätte machen sollen; achte nicht auf mein Erbieten, das nur ein Erguß der Qual meines Herzens war. Du kannst nicht aufgehört haben, mich zu lieben!« Aber es zeigte sich an ihr keine Spur von einem solchen Weichwerden, und mit einem schweren Seufzer verließ ich das Gemach.


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