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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Nachdem Margrave sich entfernt hatte, blickte ich nach der Uhr – noch nicht Neun. Ich beschloß, ohne Verzug zu Frau Poyntz zu gehen. Es war zwar keiner von ihren Empfangsabenden, aber ohne Zweifel ließ sie mich vor. Sie war mir eine Erklärung schuldig. Warum so unbekümmert ein Geheimniß offenbaren, das zu bewahren sie mir eingeschärft hatte? Und dieser Nebenbuhler, von dem ich nichts wußte? Jetzt brauchte ich mich nicht mehr darüber zu wundern, daß Margrave in der Schilderung seiner fabelhaften Pythonissa Lilians Eigenthümlichkeiten so genau beschrieben hatte. Ohne Zweifel war ihm von Frau Poyntz mit unverzeihlicher Leichtfertigkeit und Indiskretion Alles, was sie an meiner Erwählten zu tadeln wußte, mitgetheilt worden. Aber zu welchem Zweck? War dies ihre gepriesene Freundschaft gegen mich? Und vertrug sich's mit der Achtung, die sie gegen Frau Ashleigh und Lilian zu hegen vorgab? Unter dem Einfluß dieser sinnverwirrenden und entrüsteten Gedanken erreichte ich die Wohnung der Dame und erhielt sogleich Zutritt. Sie war zum Glück allein, da ihre Tochter und der Oberst sich in einer Abendgesellschaft des Berges befanden. Ich nahm die Hand nicht, die sie mir beim Eintreten entgegen hielt, setzte mich mit finsterem Unwillen nieder und begann sogleich mit der Frage, ob sie wirklich das Geheimniß meiner Verlobung mit Lilian an Margrave verrathen habe.

»Ja, Allen Fenwick; ich habe heute das Geheimniß Ihrer Verlobung mit Lilian Ashleigh nicht nur Herrn Margrave, sondern Jedermann mitgetheilt, dem ich begegnete und von dem ich vermuthete, er werde es weiter verbreiten. Ich versprach nie, es für mich zu behalten, sondern habe im Gegentheil Anna Ashleigh geschrieben, ich werde mich in dieser Angelegenheit nur von meinem eigenen Urtheil leiten lassen. Auch gegen Sie glaube ich die Worte gebraucht zu haben, öffentlicher Klatsch sei bisweilen die beste Bürgschaft für die Erfüllung in Geheim eingegangener Verpflichtungen.«

»Wollen Sie etwa damit andeuten, Frau oder Fräulein Ashleigh bereue die Verlobung mit mir und es liege mir der niedrige Schritt ob, sie dadurch zum Festhalten an derselben zu zwingen, daß ich sie dem öffentlichen Tadel preisgebe – wenn – wenn – – Oh, Madame, dies wäre in der That ein sehr weltlicher Kunstgriff.«

»Wollen Sie so gut sein, mich ruhig anzuhören. Ich habe Ihnen noch nie den Brief gezeigt, den Lady Haugthon an Frau Ashleigh schrieb und durch Herrn Vigors überliefern ließ. Sie sollen ihn jetzt lesen, müssen sich aber vorher eine einleitende Erklärung gefallen lassen. Lady Haughton ist eine von den Frauen, welche die Macht lieben und sie nur durch Reichthum und hohe Stellung gewinnen können, da ihr Geist nicht dazu ausreichen würde. Als ihr Gatte starb, sah sie ihr Einkommen von jährlichen zwölftausend Pfunden zu einem Witthum von ebenso vielen Hunderten geschmälert, zu dem noch die ausschließliche Vormundschaft über einen minderjährigen Sohn mit einem sehr ansehnlichen Jahrgeld für dessen Verpflegung kam; sie konnte daher immer noch in Stadt und Land die Herrin spielen, da ihr das Vermögen und der Rang ihres Sohnes zur Verfügung stand. Sie kargte an der Erziehung des letzteren, um ihr Uebergewicht über ihn nicht zu verlieren, und so wurde er ein hirnloser Verschwender, indem er sowohl sein Vermögen als seine Gesundheit vergeudete. Mit Schrecken erkannte sie jetzt, daß er wahrscheinlich jung und als Bettler sterben werde, wenn nicht etwa – die letzte Aussicht – eine Heirath ihn auf bessere Wege brachte. So entschloß sie sich denn, obschon mit Widerstreben, ihn mit einem armen, aber sanftmüthigen adelichen Fräulein zu vermählen, das sie unter ihrer Leitung zu halten hoffte, als nur kurze Zeit vor der anberaumten Trauung der junge Wilde durch einen Sturz vom Pferd ums Leben kam. Die Haugthon'schen Güter gingen nun auf seinen Cousin, den glücklichsten jungen Menschen auf Erden über; es ist dies derselbe Ashleigh Sumner, der in Ermangelung eines männlichen Erben bereits in den Besitz der Ländereien des armen Gilbert Ashleigh gekommen war. Lady Haughton konnte nicht erwarten, über diesen Jüngling einen Einfluß zu gewinnen, und mußte in seinem Haus sich stets als eine Fremde vorkommen. Aber sie hatte eine Nichte! Herr Vigors versicherte ihr, daß diese Nichte schön sei. Wenn nun die Nichte Frau Ashleigh Sumner wurde, so war Lady Haughton doch eine weniger unbedeutende Niemand in der Welt, weil sie ja in Haughtonpark eine Jemand zur nächsten Verwandten hatte. Herr Vigors ließ sich bei der Zustimmung zu einer Verbindung, zu der er vielleicht behilflich sein konnte, durch eigene gewichtige Gründe leiten. Der erste Schritt, um das angestrebte Ziel zu erreichen, mußte augenscheinlich darin bestehen, daß man die natürlichen Reize des Mädchens und die erworbenen Verdienste des jungen Mannes in eine wechselseitige Berührung brachte. Herr Vigors konnte seinen Pflegbefohlenen leicht zu einem Besuch bei Lady Houghton bewegen, und diese brauchte ihre Einladung nur auf ihre Nichte auszudehnen; daher der Brief an Frau Ashleigh, dessen Ueberbringer Herr Vigors war, und daher auch mein Rath an Sie, dessen Beweggrund Sie erst jetzt begreifen werden. Da Sie glaubten, Lilian Ashleigh sei die einzige Dame, die Sie lieben könnten, und ich der Meinung war, es gebe in der Welt auch andere Frauenzimmer, die für Ashleigh Sumner paßten, so schien es mir nur billig zu sein und im Interesse aller Theile zu liegen, daß Lilian sich nicht zu Lady Haughton begebe ohne Kenntniß von den Gefühlen, die sie Ihnen eingeflößt hatte. Ein Mädchen weiß nur selten gewiß, ob sie liebt, wenn sie nicht versichert ist, daß auch sie geliebt wird. Und nun,« fügte Frau Poyntz bei, indem sie aufstand und sich durch das Zimmer nach ihrem Schreibtisch begab – »nun will ich Ihnen Lady Haughtons Einladungsschreiben zeigen. Hier ist es!«

Ich überflog den Brief, den sie mir in die Hand gab, um sodann, während ich las, sich wieder mit ihrem Strickzeug zu beschäftigen.

Der Inhalt war kurz – conventionelle Floskeln mit affektirten Versicherungen der Zuneigung. Die Schreiberin machte sich selbst Vorwürfe, daß sie die Wittwe und das Kind ihres Bruders so lange vernachlässigt hatte; aber ihr Herz war zu sehr in Anspruch genommen gewesen von dem Verlust ihres Sohnes; dieser Verlust erinnerte sie jetzt an die Bande des Bluts, die noch für sie vorhanden waren; sie hatte durch ihren gemeinschaftlichen Freund Vigors viel von Lilian gehört und sehnte sich, ihre bezaubernde Nichte zu umarmen. Dann folgte die Einladung und die Nachschrift. Letztere lautete, wenn ich mich recht entsinne, wie folgt: »Wie schwer auch der Schmerz über den unwiederbringlichen Verlust auf mir lastet, so bin ich doch keine Egoistin und verschließe meinen Gram in meinem Innern. Sie werden einige angenehme Gäste in meinem Hause finden, darunter auch unseren gemeinschaftlichen Verwandten, den jungen Ashleigh Sumner.«

»Die Nachschriften der Frauen sind wegen ihrer Bedeutsamkeit sprichwörtlich geworden,« sagte Frau Poyntz, als ich mit dem Schreiben fertig war und es auf den Tisch niederlegte; »und wenn ich Ihnen diese heuchlerische Ergießung nicht sogleich zeigen mochte, so geschah es aus dem einfachen Grunde, weil der Name Ashleigh Sumner sogleich ihren Zweck erkennen ließ – freilich die arme Anna Ashleigh und die unschuldige Lilian nicht, wohl aber mich, die ich die betreffenden Persönlichkeiten genau kenne, und Sie, der sich diese verschmitzte Andeutung zum Theil aus der Natur, zum Theil aus der Einsicht in das Leben, welche ein rechter Arzt nothwendig gewinnen muß, wird klar machen können. Und wenn ich mich anders auf Sie verstehe, so würden Sie in dem Fall, daß ich Ihnen den Brief gleich anfangs gezeigt und der Herr Doktor die geheime Absicht erkannt hätte, romantisch gesprochen haben: Ich will der Wahl des Weibes, das ich liebe und das vielleicht eine in den Augen der Welt so wünschenswerthe Verbindung der Verbindung mit mir vorzöge, wenn es sich frei wüßte, keine Fesseln anlegen!«

»Ich würde zwischen den Zeilen der Nachschrift nicht alles das gelesen haben, was Sie hineinlegen; aber hätte sie wirklich diesen Sinn, so muß ich Ihre Deutung meiner Gefühle als richtig anerkennen. Doch Margrave sagt mir, Sie hätten ihm mitgetheilt, daß ich einen Rivalen habe; muß ich daraus schließen, daß dieser Rival Ashleigh Sumner ist?«

»Hat Frau Ashleigh oder Lilian in ihren Briefen an Sie seiner keine Erwähnung gethan?«

»Ja, beide thaten dies – Lilian nur leichthin, Frau Ashleigh aber mit einigem Lob; sie nennt ihn einen jungen Mann von trefflichem Charakter, der sich sehr höflich gegen sie benehme.«

»Und doch haben Sie mir nie mitgetheilt, welche Gäste Lady Haughton herbergt, obschon ich Sie ersucht habe, zu mir zu kommen und es mir zu sagen.«

»Entschuldigen Sie, aber wegen der Gäste machte ich mir keine Gedanken; und Briefe, die mein Herz so nah angingen, schienen mir zu heilig zu sein, als daß ich davon sprechen mochte. So bewirbt sich also Ashleigh Sumner um Lilian? Woher wissen Sie dies?«

»Ich weiß Alles, was mich betrifft, und kann Ihnen dies ganz einfach erklären. Meine Tante, Lady Delafield, ist gleichfalls bei Lady Haughton zu Gast. Lady Delafield ist eine von den Weltdamen, die durch ihr eigenes Licht leuchten; Lady Haughton glänzt nur mit erborgtem Schein und rafft jeden Strahl auf, den sie erhaschen kann.«

»Und Lady Delafield schreibt Ihnen – –«

»Daß Ashleigh Sumner sich durch Lilians Reize hat fesseln lassen«

»Und Lilian – –«

»Frauen wie Lady Delafield glauben nicht leicht daran, daß ein Mädchen einen Ashleigh Sumner ausschlagen werde, der schon an sich betrachtet ein gesetzter Jüngling von gutem Aussehen ist; rechnet man nun noch die Güter von Kirby-Hall und Haughton Park dazu, so besitzt er in den Augen einer jeden verständigen Mutter die Tugenden eines Cato und die Schönheit eines Antonius.«

Ich drückte die Hand an mein Herz – unmittelbar über demselben lag ein Brief von Lilian, und in diesem Brief stand kein Wort, welches darauf hindeutete, daß ihr Herz sich von dem meinigen abgewendet habe. Ich schüttelte leicht den Kopf und lächelte mit triumphirender Zuversichtlichkeit.

Frau Poyntz betrachtete mich mit gefurchter Stirne und zusammengepreßten Lippen.

»Ich verstehe Ihr Lächeln,« sagte sie ironisch. »Wohl möglich, daß Lilian sich nichts macht aus der Bewunderung dieses jungen Mannes; aber vielleicht ist Anna Ashleigh geblendet von einer so glänzenden Aussicht für ihre Tochter. Kurz, ich habe es für räthlich gehalten, die Nachricht von Ihrer Verlobung heute in die Stadt auszustreuen; sie wird um sich greifen und durch die Vermittlung des Herrn Vigors oder anderer Correspondenten aus der Umgegend an Frau Ashleigh gelangen. Dadurch wird die Sache zu einer Krisis kommen, eh' es zu spät ist. Meiner Ansicht nach sollte Ashleigh Sumner jenes Haus verlassen, und wenn er es für immer thut, so ist es nur um so besser. Auch Ihr Herz wird sich um so leichter fühlen, je bälder Lilian nach L– – zurückkehrt.«

»Und aus diesen Gründen veröffentlichten Sie das Geheimniß –«

»Ihrer Verlobung? Ja. Machen Sie sich darauf gefaßt, überall, wohin Sie kommen, Glückwünsche entgegenzunehmen. Und wenn Sie entweder von der Mutter oder von der Tochter erfahren, Ashleigh Sumner habe einen Antrag gemacht und sei – wir wollen annehmen – zurückgewiesen worden, so zweifle ich nicht, daß Sie in dem Stolz Ihres Herzens zu mir kommen und mir Mittheilung machen werden.«

»Verlassen Sie sich darauf, es soll geschehen. Aber eh' ich mich verabschiede, erlauben Sie mir die Frage, warum Sie einem jungen Mann wie Margrave, von dessen wildem und seltsamem Wesen Sie eine mißbilligende Zeugin gewesen sind, einige von den Charakterzügen schilderten, durch die sich Fräulein Ashleigh von anderen Mädchen ihres Alters unterscheidet.«

»Ich? Sie sind im Irrthum. Ich habe ihm nichts über ihren Charakter gesagt, sondern bloß ihren Namen genannt und dabei bemerkt, daß sie schön sei. Dies ist Alles.«

»Aber Sie sagten ihm doch, daß sie gerne vor sich hinbrüte und die Einsamkeit liebe – daß sie in ihren Phantasieen an die Wirklichkeit der Gesichte glaube, die vor ihren Augen vorbeifliegen wie vor denen von phantasiereichen Träumern.«

»Ueber diese Eigenthümlichkeiten von Lilian habe ich gegen Herrn Margrave kein Wort verlauten lassen – auf Ehre, keine Silbe weiter, als was ich Ihnen eben sagte.«

Ich war noch immer ungläubig, maskirte aber meinen Zweifel mit dem bequemen Lächeln, das so häufig als Ausflucht dient in der höflichen Verstellung, welche im civilisirten Leben durch den Anstand geboten wird, und verabschiedete mich, um nach Haus zurückzukehren und sogleich an Lilian zu schreiben.


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