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Fünfzehntes Kapitel.

In weniger als einer Woche konnte Lilian als eine Genesende betrachtet werden, und noch vor Ablauf von vierzehn Tagen hatte sie ihre gewöhnliche Gesundheit wieder gewonnen; ja, Frau Ashleigh behauptete sogar, ihre Tochter habe nie so heiter und so gut ausgesehen. Zu dem Abthaus war ich in ein familiäres Verhältniß getreten, und ich brachte fast alle meine Abende daselbst zu. Ich hatte auch das Reiten empfohlen und Frau Ashleigh ihrer Tochter ein schönes und ruhiges Pferd gekauft. Wenn daher das Wetter nicht zu ungünstig war, so machte Lilian täglich mit Oberst Poyntz, einem ausgezeichneten Reiter, und häufig auch mit Fräulein Hanna Poyntz und anderen jungen Damen einen Ausritt. Gewöhnlich war ich mit den Obliegenheiten meines Dienstes zeitig genug fertig, um mich den Heimkehrenden anzuschließen. So machten wir dann offen und im Beisein der Mutter unschuldige Bestellungen, indem sie mir zum Voraus mittheilte, in welche Richtung der Ausflug gehen sollte, und ich versprach, wenn es mir mein Beruf gestatte, der Gesellschaft entgegenzukommen. Auf meinen Rath öffnete Frau Ashleigh jetzt jeden Abend ihr Haus einigen benachbarten Familien, und Lilian gewöhnte sich dadurch an den Umgang mit jungen Personen von ihrem Alter. Musik, Tanz und unschuldige Spiele belebten das alte Haus, und der Berg erkannte dankbar gegen Frau Poyntz an, daß »die Ashleighs in der That eine große Erwerbung seien.«

Aber mein Glück war nicht ungestört. Indem ich frei von aller Selbstsucht Lilian mit Anderen umgab, fühlte ich die Qual jener Eifersucht, die untrennbar ist von den ersten Stadien der Liebe, so lang der Liebhaber noch kein Anrecht an die Zuversicht gewonnen hat, die nur aus dem Bewußtsein, geliebt zu werden, hervorgeht.

Bei diesen gesellschaftlichen Partieen hielt ich mich stets fern von Lilian. Ich sah sie umschwärmt von lebensfrohen jungen Bewunderern, die durch ihre Schönheit und ihr Vermögen angezogen wurden; ihr holdes Angesicht erglühte in der Aufregung des Tanzes, an dem ich mich sowohl um der Würde meines Standes willen, als wegen meiner Jahre nie betheiligte, und ihr liebliches musikalisches Lachen, so entzückend es für das Ohr klang, schnitt mir in die Seele, als wolle es meine ernste Persönlichkeit und meine anmaßenden Träume verhöhnen. Doch nein; plötzlich konnte sie scheu ihre Augen abwenden von ihrer Umgebung und verstohlen nach dem Winkel hinblicken, in dem ich saß, als vermißte sie mich; und wenn dann ihr Blick dem meinigen begegnete, milderte sich seine Glut, ehe sie ihn wieder abwandte, während die Farbe ihrer Wange tiefer wurde und ihre Lippen ein ganz anderes Lächeln überflog, als das war, das sie Anderen zu Theil werden ließ. Und dann – ja, dann verschwand alle Eifersucht und Trauer, und ich fühlte den Stolz, welchen der Glaube, daß man geliebt ist, einflößt.

Wie adelt und erhebt den Mann der Gedanke, daß das Urbild von Schönheit und Anmuth, welches von den Horen bewillkommt und von den Grazien geschmückt aus dem Meer der Schöpfung auftaucht, aus den Millionen gerade ihn auserlas, wenn in jener göttlicheren Periode seiner geheimnißvollen Leidenschaft vorher unbestimmte und flüchtige Ideen von Vollkommenheit und Reinheit in der einen jungfräulichen Gestalt körperhaft geworden sind. Mag auch die spätere Erfahrung die Verblendung des Sterblichen bloßstellen, der ein Gebilde aus Erde wie er selbst für eine Tochter des Himmels hält, so hat doch selbst diese Täuschung für eine Weile etwas Großes. Wohl sind es die Sinne, welche es später ins Irdische herabziehen und entweihen; aber anfangs ziehen sie sich scheu und ehrerbietig vor dem Zauberbild in den Schatten zurück. Das Beste und Edelste im Menschen, das lange schlummernd in ihm gelegen, hat sich himmelwärts geschwungen, um zu begrüßen und zu heiligen, was ihm als des Lebens schönster Traum von dem Himmlischen erscheint. Nimm dem Bild der Liebe die Schwingen, und der Gott entweicht aus der Gestalt.

Wenn mich daher auch auf Augenblicke eifersüchtiger Zweifel quälte, so reichten andererseits Augenblicke wieder zu, mich in ein Meer des Entzückens zu versenken. Gleichwohl bedrückte mich eine Unruhe, die zwar weniger peinlich, dafür aber um so anhaltender war.

Trotz der Wiedergenesung Lilians von dem Unwohlsein, um dessen willen zunächst sie meiner Sorge anvertraut worden war, blieb ich doch über seine Ursachen und wahre Beschaffenheit im Unklaren. Gegen ihre Mutter erklärte ich die Sache mit der bequemen Phrase »nervös,« die aber mich keineswegs befriedigen konnte. In dem Ausdruck ihres Gesichts und in der Beschaffenheit ihres Pulses machte sich noch immer zeitweilig, ohne daß ich eine Ursache wahrnehmen oder mir denken konnte, eine plötzliche Veränderung bemerklich. Ihr Auge wurde starr, das Roth wich, und ihr Puls schlug schwächer und schwächer, bis man ihn zuletzt kaum mehr fühlte. Und doch deutete kein objektives Symptom auf eine Herzkrankheit, in denen man gelegentlich ein solches Sinken der Lebensenergie wahrnimmt. Die Veränderung konnte einige Minuten anhalten, während welcher das Bewußtsein geschwunden zu sein schien; wenigstens sprach sie nicht und achtete auch nicht auf das, was man ihr sagte. Gleichwohl lag in dem Ausdruck ihres Antlitzes kein leidender Zug, sondern eher eine wunderbare Heiterkeit, die ihre Schönheit noch schöner, ihre Jugend noch jugendlicher erscheinen ließ; und wenn diese unächte oder theilweise Ohnmacht vorüber war, erholte sie sich rasch ohne alle Anstrengung und ohne daß sie fühlte, unwohl gewesen zu sein, indem sie eher nach dem Anfall eine erfrischte Lebenskräftigkeit, wie etwa nach dem Schlaf, empfand. Uebrigens war sie im Ganzen fröhlicher und heiterer, als ich nach der früheren Schilderung ihrer Mutter mir je versprochen hatte. Sie ging mit der besten Laune auf die Scherze des sie umgebenden jungen Volkes ein, wußte augenscheinlich die sinnigen Seiten des Lebens rasch aufzugreifen, war kindlich dankbar für Alles, was man ihr Liebes erwies, und hatte eben so eine kindliche Freude an den Kleinigkeiten, an denen nur ein reiner, einfacher Sinn Geschmack findet. Aber wenn sich's im Gespräch um ernstere, tieferes Interesse beanspruchende Gegenstände handelte, wurde auch sie ernst, und es konnte bisweilen ein Reichthum von Beredsamkeit ihren Lippen entströmen, wie mir dies bei solcher Jugend noch nie vorgekommen war, so zwar, daß ich anfangs mit staunendem Schweigen, bald aber mit mißbilligender Unruhe zuhörte. Die Gedanken, denen sie dann Ausdruck lieh, schienen mir zu phantastisch, zu träumerisch und mehr die Ausschreitungen einer wilden, obgleich schönen Einbildungskraft zu sein. Bei solchen Gelegenheiten suchte ich den Phantasien, mit denen mein Verstand nicht sympathisiren konnte und deren Gehenlassen ich als für die normalen Funktionen des Gehirns nachtheilig betrachtete, Einhalt zu thun, ihnen eine nüchternere Wendung zu geben und sie zu zerstreuen.

Wenn ich so bisweilen mit einem frostigen Satz, bisweilen mit einem halbsarkastischen Lachen die Ergüsse, die so frei und musikalisch hervorquollen wie das Lied eines Waldvogels, abzudämmen suchte, pflegte sie mit einer Art schmerzlicher Klage mich anzusehen; oft wandte sie sich auch mit einem Seufzer oder mit einem überfliegenden Schauer ab. Nur in dieser Weise that sie ihr Mißfallen kund; sonst war sie immer lieblich und schmiegsam. Wenn ich dann nach der Wahrnehmung, daß ich ihr wehe gethan, um Verzeihung bat, so that sie ihrerseits demüthig dasselbe gegen mich und verherrlichte die Versöhnung mit ihrem engelgleichen Lächeln. Ich hatte bisher noch nicht gewagt, mit ihr von Liebe zu sprechen, und blickte stets nur auf sie wie der Gefangene durch das Gitter seines Kerkers auf die Blumen und die Sterne draußen, während er vor sich hinmurmelt: »Wann wird sich die Thüre vor mir aufthun?«


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