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Neunzehntes Kapitel.

Von jenem Abend an bis zu dem Tag, an welchem Frau Ashleigh und Lilian den gefürchteten Besuch antraten, verbrachte ich alle die Zeit, welche mir mein Besuch frei ließ, in ihrem Hause; und während dieser wenigen Tage, der glücklichsten, die ich je erlebt hatte, war es mir, als hätte ein Umgang von Jahren mich nicht vertrauter machen können mit der Zartheit von Lilians Wesen; ihr reiner Sinn erfüllte mich mit der tiefsten Ehrfurcht, und ihre Anmuth verstrickte mich immer tiefer in die Bande der Liebe. Ich konnte nur einen einzigen Fehler an ihr entdecken, machte mir aber selbst Vorwürfe darüber, daß er mir als ein Mangel vorkam. Wir sehen viele, welche die untergeordneten Pflichten des Lebens vernachlässigen und denen die wachsame, überlegende Fürsorge für Andere abgeht; gewöhnlich ist die Ursache davon ein leichter Sinn oder Selbstsucht. Allerdings wurzelte keine von diesen Eigenschaften in Lilians Charakter; aber doch lag in ihrem täglichen Treiben etwas von dieser Vernachlässigung, etwas von diesem Mangel an sinniger Sorglichkeit. Sie liebte ihre Mutter aufs Zärtlichste; aber doch fiel es ihr nie ein, ihr in den kleinen Haushaltungsgeschäften an die Hand zu gehen, welche für Frau Ashleigh so wichtig waren. Sie besaß ein Herz voll Zartgefühl und Mitleid für die Armen und Leidenden; aber doch gab es auf dem Berge manche junge Dame, die ihren wohlwollenden Sinn werkthätiger bekundete, im Besuch kranker Armen zum Beispiel oder durch Unterweisung ihrer Kinder in den Kinderschulen. Ich lebte der Ueberzeugung, daß ihre Liebe zu mir wahr und innig sei; sie war augenscheinlich frei von allem Ehrgeiz, und ohne Zweifel wäre sie fähig gewesen, sich zufrieden und ohne Widerrede in Alles zu finden, was die Welt Opfer und Entbehrung nennt – dennoch traute ich ihr nicht zu, daß sie thätigen Antheil nehmen werde an den Mühseligkeiten des gewöhnlichen Lebens, und hätte nie auf sie den traulichen und so bezeichnenden Ausdruck »Gehilfin« anwenden mögen. Ich muß mich noch jetzt tadeln, wenn die Rüge dieses Mangels (wofern es ein Mangel ist) in der – wie soll ich sagen? – praktischen Routine für unser gemeines, positives menschliches Dasein meiner Feder entwischt. Und ohne Zweifel war es dies, was Frau Poyntz zu dem harten Urtheil über meine Wahl bestimmte. Aber der erkältende Schatten ihres bezaubernden Wesens war nicht der Reflex einer trägen, unliebenswürdigen Selbstsucht, sondern nur die Folge jenes Sichvertiefens in das eigene innere Leben, das durch ihre träumerischen Gewohnheiten genährt worden. Ich enthielt mich vorsichtig jeder Anspielung auf die visionären Trugbilder, die sie mir als wirkliche Eindrücke ihres Geistes, wo nicht ihrer Sinne, vertraut hatte. Alles, was meiner Ansicht nach den Hauch des Aberglaubens trug, war mir unangenehm; das Sichhingeben an Phantasieen aber, die nicht in dem abgemessenen und wohlbetretenen Pfad einer gesunden Einbildungskraft lagen, wirkte noch stärker auf mich – es erschreckte mich an ihr. Auch ermuthigte ich mit keiner Silbe ihre Ueberzeugungen, von denen ich mir sagen mußte, es sei vorderhand noch zu früh, ihnen mit Vernunftgründen entgegen zu treten, unter allen Umständen aber grausam, sie lächerlich zu machen. Fühlte ich mich doch überzeugt, daß die Nebel, die ihren natürlich hellen Geist umgaben und in einer einsamen, dem Brüten anheimgegebenen Kindheit entquollen waren, sich von selbst in dem vollen Tageslicht des ehlichen Lebens legen würden. Es schien sie schmerzlich zu berühren, wenn sie sah, mit welcher Absichtlichkeit ich einem Gegenstand aus dem Wege ging, der ihren Gedanken so theuer war. Sie machte ein- oder zweimal einen schüchternen Versuch, darauf zurückzukommen; aber meine ernsten Blicke genügten, ihr Einhalt zu thun. Bei diesen Gelegenheiten kam es vor, daß sie sich von mir abwandte und mich verließ; doch kehrte sie bald wieder zurück. Das süße Herz konnte keinen Schatten zwischen sich und dem Gegenstand seiner Liebe ertragen. Laut Uebereinkunft sollte unsere Verlobung vorderhand zwischen uns und Frau Poyntz ein Geheimniß bleiben und erst nach der Rückkehr von Frau Ashleigh und Lilian, die nach einigen Wochen stattfinden sollte, veröffentlicht werden. Unsere Vermählung war auf den Herbst, eine Zeit bestimmt, in welcher der gewöhnlich schwache Krankenstand mir kurze Ferien gestattete.

So kam der Abschied – ein Abschied, wie er zwischen Liebenden gewöhnlich ist. Ich fühlte nichts von jenen eifersüchtigen Besorgnissen, die mich vor unserer Verlobung schon bei dem Gedanken an eine Trennung zittern gemacht und vor meiner Einbildungskraft unwiderstehliche Nebenbuhler heraufbeschworen hatten. Gleichwohl sah ich sie nicht ohne schwere, düstere Gedanken von hinnen ziehen. Die Erde hatte ihre Herrlichkeit, das Leben seine Wonne verloren.


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