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Neunundfünfzigstes Kapitel.

Wie unschuldig war das Erröthen Lilians, als ich vor ihr kniete und sie bat, den Tag zu bestimmen, an welchem unsere Verbindung vollzogen werden sollte; denn ich wünschte, sie als Braut heimzuführen, eh' noch der Hauch des Herbstes die Pracht der Wälder zerstörte und den Gesang der Vögel zum Schweigen brachte. Vorderhand aber fürchtete ich so sehr, sie könnte von dem herzlosen Gerede über sie hören oder auch nur eine Ahnung erhalten, daß ich, wäre es auch nur, um sie kalten, verächtlichen Blicken, vor Allem aber den harpunenartigen Reden der Frau Poyntz zu entziehen, auf einem alsbaldigen Ortswechsel bestand. Ich machte den Vorschlag, daß wir alle drei am anderen Tag nach meinem lieben, heimischen Windermere ausbrechen sollten. In der dortigen reinen Gebirgsluft würde sich Lilians Gesundheit bald kräftigen, und in der Kirche, die mir durch die Gräber meiner Väter heilig war, konnten wir die Trauung vollziehen lassen. Keine Schmähsucht hatte je ihren Schatten auf jene letzten Ruhestätten geworfen, und es war mir, als sei meine Braut in der Nähe des Grabes meiner Mutter viel sicherer.

Ich setzte es durch, und die Vorbereitungen wurden getroffen. Frau Ashleigh wollte allerdings nicht abreisen, eh' sie ihre liebe Freundin Margaret Poyntz gesehen hatte, und mir gebrach der Muth, ihr zu sagen, was sie von dieser Seite her zu hören kriegen werde. Indeß theilte ich ihr mit möglichstem Zartgefühl mit, ich sei bereits bei der Königin des Berges gewesen und habe dem Klatsch, der ihr schon zu Ohren gekommen sei, entgegengearbeitet; doch halte sie es, wie andere absolute Fürsten, für politisch, vorläufig mit der populären Strömung zu gehen, da sie ihm erst entgegentreten könne, wenn die Hauptgewalt derselben nachgelassen habe; es sei daher am klügsten, wenn Frau Ashleigh den Besuch bei ihrer Freundin verschiebe, bis Lilian als meine Frau wieder nach L– – zurückkehre; bis dahin habe man sich über die Sache satt geschwatzt, und Frau Poyntz werde dann, wenn anders ihre Freundschaft gegen Frau Ashleigh aufrichtig sei, sich in der Lage befinden, zu ihren Unterthanen zu sagen: »Doktor Fenwick allein kennt das Wahre an dieser Geschichte, und der Umstand, daß er Fräulein Ashleigh geheirathet hat, widerlegt Alles, was zu ihrem Nachtheil in Umlauf gekommen ist.«

Ich traf an jenem Abend ein Abfinden mit einem strebsamen jungen Praktiker, um während meiner Abwesenheit meinen Patienten ärztlichen Beistand zu sichern, und verbrachte den größten Theil der Nacht zu Aufzeichnung von Notizen, welche meinem Stellvertreter in jedem Fall, wie arm auch der Leidende sein mochte, zur Richtschnur dienen konnten. Nachdem dieses Geschäft beendigt war, öffnete ich beim Suchen eines kleinen Mikroskops, dessen Wunder vielleicht ein Interesse für Lilian hatten und ihr Unterhaltung schafften, ein Schubfach, in welchem ich mein geliebtes physiologisches Werk aufbewahrte, und bei dieser Gelegenheit fiel mein Blick auf den Stab, den ich aus dem Kampf mit Margrave als Siegestrophäe davon getragen. Ich hatte, nachdem ich Lilian den Mutterarmen wieder überliefert, in dem Kummer, welcher in den darauf folgenden Tagen meinen Geist niederdrückte, den wunderlichen Gegenstand, der auf so seltsame Weise in meinen Besitz gekommen war, ganz vergessen. Da lag nun das Werkzeug einer Einwirkung auf den Mechanismus der Natur, die sich mit keinem Dogma meiner eigenen Philosophie vertrug, Seite an Seite mit der anmaßenden Schrift, in welcher ich die Triebfedern der Natur zergliedert und über die Grundsätze abgesprochen hatte, nach welchen der Verstand an dem Zollstab seines Wissens den Plan des unbekannten Unendlichen ausmessen sollte.

Ich nahm das Stäbchen auf und betrachtete es neugierig. Es war augenscheinlich eine Arbeit aus einer sehr ferne liegenden Zeit und mit halbverwischten orientalischen Schriftzügen bedeckt, die vielleicht keiner noch existirenden Sprache angehörten. Ich fand, daß es innen hohl war. Eine genauere Besichtigung ließ im Mittelpunkt dieser Höhlung einen ungemein feinen Draht wahrnehmen, dessen Ende, wenn man den Stab in die Hand nahm, leicht auf die Handfläche drückte. Konnte es möglicherweise eine natürliche und sogar eine einfache Ursache für die Wirkungen geben, welche dieses Instrument hervorbrachte? Diente es vielleicht dazu, aus dem großen Brennpunkt der thierischen Wärme und der Nerventhätigkeit, welcher sich in der Fläche der menschlichen Hand befindet, eine dem gewöhnlichen Auge nicht sichtbare Flüssigkeit, das sogenannte »Od« zu sammeln, das nach Reichenbach die ganze Natur durchströmt? Warum sollte dies nicht möglich sein können? Denn wie viele Jahrhunderte lagen die Eigenschaften des Magnets und des Bernsteins im Verborgenen? Ist es ja erst seit gestern, daß die Kräfte des Dampfs für die Menschen zu weit mächtigeren Genien geworden sind, als die, welche Aladdin herauf beschwor – daß auf eine Berührung Licht hervorspringt aus der unsichtbaren Luft, und daß der Gedanke einen Boten gefunden hat, schneller als der Flug der fabelhaften Afrite. Während ich mich in diesen Gedanken erging, schloß sich meine Hand über dem Stab, und ich fühlte mit einemmal meinen Körper eigenthümlich durchbebt. Ich fuhr zurück und fürchtete, ich möchte (nach Julius Fabers einfacher verstandesmäßiger Theorie) auf dem Wege sein, meine Phantasie zum Schaffen von Illusionen und zum Glauben daran vorbereiten. Hastig legte ich den Stab nieder. Dann aber fiel mir ein, daß er, welche Eigenschaften in ihm stecken mochten, den Zwecken des furchtbaren Zauberers gedient hatte, dem ich ihn abgenommen, und daß dieser wahrscheinlich wieder in seinen Besitz zu gelangen suchte; er wußte es vielleicht einzuleiten, während meiner Abwesenheit in mein Haus zu kommen, und es schien mir räthlich, das unbegreifliche Vermittlungsglied so unbegreiflicher Künste in sichere Verwahrung zu bringen. Demgemäß beschloß ich, den Stab mit mir zu nehmen, und packte ihn mit anderen Effekten, mit welchen ich mich für den bevorstehenden Ausflug versah, in meinen Reisekoffer. Dann legte ich mich zur Ruhe nieder, konnte aber nicht schlafen, da mir der Inhalt der peinlichen Unterhaltung mit Frau Poyntz nicht aus dem Sinn weichen wollte. Es schien klar, daß das Gefühl, das sie gegen mich gefaßt hatte, nicht das einer einfachen Freundschaft war – etwas mehr oder etwas weniger, aber sicherlich etwas Anderes: und diese Ueberzeugung vergegenwärtigte mir wieder das stolze harte Gesicht in seiner Unruhe über einen Schmerz, mit dem sie rang, ohne über ihn Herr zu werden, jene klare metallische Stimme, bebend unter einer Erregung, die sie vielleicht nie näher untersucht hatte. Es bedurfte ihrer Versicherung nicht, um mich darüber aufzuklären, daß ich dieses Gefühl nicht mit einer Liebe verwechseln durfte, die sie als Schwäche verachtet und als verbrecherisch von sich gewiesen haben würde; es war eine Neigung des Verstandes, nicht eine Leidenschaft des Herzens. Gleichwohl waltete zugestandenermaßen darin eine Eifersucht, welche kaum weniger stark sein konnte, als die in der Liebe begründete – ein Beweis, daß die Eigenliebe immer eifersüchtig ist. Sicherlich war es nicht das Zartgefühl einer nüchternen Freundschaft, was die strenge Schiedsrichterin einer Koterie bewogen hatte, ihr erbarmenloses Urtheil über Lilian dem Interesse für mich zuzuschreiben. Sonderbar genug, diesem Urtypus des conventionellen Brauchs und des abgedroschenen socialen Lebens reihte sich das Bild des geheimnißvollen Margrave an, umgeben von allen den Attributen, mit welchen der Aberglaube die Wesenheit des schattigen Grenzlandes bekleidet, das außerhalb der Karte unserer sichtbaren Welt liegt. Durch welches Mittelglied hängen wohl so unähnliche Geschöpfe in der Kette metaphysischer Ideenassociation mit einander zusammen? Beide traten mit meinem Leben in Berührung, als dieses zum erstenmal der Romantik der Liebe sich aufschloß. Durch die Vermittlung der cynischen Intrikantin war ich mit Lilian bekannt geworden. In ihrem Hause hatte ich die dunkle Geschichte jenes Ludwig Grayle gehört, mit welchem meiner Vernunft zum Hohn meine Muthmaßungen, deren sich dieselbe Vernunft entäußern mußte, eh' sie in krankhaften Hirngespinsten zerfließen konnte, diesen räthselhaften Margrave identificirten. Und nun standen die beiden, sie die Repräsentantin der allen visionären Glauben verwerfenden Formenwelt, und er mit all den Schrecken, welche durch das Reich der Fabel spuken, vereint gegen mich als Feinde, gegen welche der von mir so hochmüthig gepflegte Verstand nirgends eine Handhabe gewinnen konnte. Wie die Eine oder der Andere mich angreifen mochte, ich war außer Stand, den Angriff zu erwiedern. Die Schmähsucht und das Phantom verhalten sich in dieser Beziehung gleich, und was uns in ihrer Macht am meisten niederschlägt, ist unsere Unmacht gegen sie.

Doch die Sonne ging auf, und indem sie das Dunkel von der Erde verscheuchte, klärten sich allmählig auch die Gedanken des Mannes. Im Grund hatte doch Margrave, was immer für Künste er geübt haben und welche Geheimnisse er besitzen mochte, mit seinen Anschlägen den Kürzeren gezogen, und es war wenigstens zweifelhaft, ob er seine Machinationen je wieder aufnehmen würde. Er besaß dem Anschein nach so wenig Entschlußfestigkeit, daß er vielleicht schon wieder einem neuen Werkzeug oder Opfer nachjagte. Und was das alltägliche, conventionelle Gespenst, das man Welt nennt, betraf, so konnte es nur diejenigen schädigen, die es fürchteten, nicht aber die, welche es verachten. Was kümmerte mich ein gutes oder schlimmes Wort der Frau Poyntz? Ja; aber Lilian? Bei diesem Gedanken zitterte ich in der That; doch selbst in dieser Beklommenheit konnte ich mich mit dem süßen Bewußtsein trösten, mein Herd werde ihr Schirm, meine Wahl ihre Rechtfertigung sein. Oh, wie unaussprechlich zart und ehrerbietig wird die Liebe, wenn sie das Amt einer Schützerin übernimmt und in dem eigenen Herzen einen heiligen Zufluchtsort schafft für die Geliebte!


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