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Neunundzwanzigstes Kapitel.

Margrave kam mir nicht am andern, sondern erst am zweiten Tage wieder zu Gesicht, indem er seiner Gewohnheit gemäß etwas nach Sonnenaufgang sich in meinem Studirzimmer einfand.

»Sie wissen etwas von Sir Philipp Derval?« fragte ich ihn. »Was ist es für ein Mann?«

»Der Verhaßte!« rief Margrave, hielt aber plötzlich wieder inne und brach in sein heiteres Lachen aus. »Wieder eine von meinen Uebertreibungen! Ich weiß nichts Nachtheiliges von ihm. Ein- oder zweimal kreuzte ich im Orient seine Spur. Reisende sind gern eifersüchtig auf einander.«

»Sie sind ein seltsames Gemisch von Cynismus und Leichtgläubigkeit. Ich hätte in Ihnen und Sir Philipp verwandte Geister vermuthet, als ich unter seinen Lieblingsbüchern den Van Helmont und Paracelsus traf. Vielleicht gehören auch Swedenborg oder, was noch schlimmer wäre, Ptolemäus und Lillys zu Ihren Studien?«

»Astrologen? Nein. Sie haben's mit der Zukunft zu schaffen. Ich lebe für den Tag und möchte nur wünschen, daß der Tag nie ein Morgen hätte.«

»Sie fühlen also nichts von der unbestimmten Sehnsucht nach etwas Jenseitigem, von der nicht unglücklichen, sondern großartigen Unzufriedenheit mit den Grenzen der unmittelbaren Gegenwart, aus welcher für den Menschen der Drang nach Fortschritt und Verbesserungen hervorgeht und von der einige sentimentale Philosophen einen Beweis für die Unsterblichkeit der Seele abgeleitet haben?«

»Wie?« versetzte Margrave mit großen Augen, wie sie etwa ein Bauer machen würde, wenn man ihn hebräisch anredete. »Was ist dies für ein Wortschwall? Ich verstehe Sie nicht.«

»Haben Sie bei Ihren natürlichen Fähigkeiten nie ein Verlangen nach Ruhm gehabt?« fragte ich mit Interesse.

»Nach Ruhm? Gewiß nicht. Dafür habe ich durchaus keinen Sinn.«

»So würde Ihnen also der Gedanke, der Menschheit einen Dienst geleistet zu haben, keine Freude bereiten?«

Margrave sah mich mit verwirrter Miene an. Nach einer kurzen Pause nahm er vom Tisch ein Stückchen Brod auf, das zufällig dalag, öffnete das Fenster und zerbröckelte es in die Gasse hinaus. Die Sperlinge sammelten sich um die Krumen.

»Jetzt kommen die Sperlinge auf das langweilige Pflaster nieder,« sagte Margrave, »und picken das Brod auf, das ihr irdisches Leben erneut. Glauben Sie, daß ein solcher Spatz einfältig genug wäre, nach dem Hausgipfel hinaufzufliegen, um anderen Spatzen eine Wohlthat zu erweisen, oder um nach seinem Tode angezirpt zu werden? Ich kümmere mich um die Wissenschaft nur, wie sich der Sperling um das Brod kümmert; sie kann mir Nutzen bringen für mein eigenes Leben. Ruhm und Menschheit? Sie sind mir so gleichgültig, wie dem Sperling das allgemeine Interesse oder der Beifall seiner ihn überlebenden Kameraden.«

»Margrave, es liegt etwas in Ihnen, was mich mehr verwirrt, als alles Andere, obschon Sie auch im Uebrigen mit Ihren vielen Excentricitäten und Selbstwidersprüchen ein wahres menschliches Räthsel sind.«

»Was meinen Sie damit?«

»Dies, daß Sie sich der Natur mit der ganzen Frische eines Kindes erfreuen können, während Sie, wenn Sie von dem Menschen und seinen Lebenszwecken reden, dies im Ton eines abgelebten, eisgrauen Cynikers thun. Wenn ich zu solchen Zeiten meine Augen schlösse, möchte ich zu mir selbst sagen: ›Wer ist dieser schlotternde Greis, der seine üble Laune ausgießt über den Ehrgeiz, der ihn zu nichts geführt, und über die Liebe, die ihn verlassen hat?‹ Von außen die wahre Personification der Jugend, schwelgen Sie wie ein Schmetterling in der sonnigen Wärme und in der Pracht der Blumen; wie kömmt es wohl, daß Ihnen keine von den goldenen Leidenschaften der Jugend, nichts von ihren glänzenden Liebesträumen mit dem unerreichbaren Ideal, nichts von ihrem erhabenen Ehrgeiz für einen zu hoch stehenden Ruhm inne wohnt? Das Gefühl, das Sie bildlich ausdrückten, indem Sie sich auf die gleiche Stufe mit den Sperlingen stellten, ist zu niedrig und zu düster, als daß es in Ihrem Alter ächt sein könnte. Der Menschenhaß ist einer von den trübseligen Irrthümern der Graubärte. Kein Mensch kann sich losreißen von den socialen Banden unseres Geschlechts, so lang er noch Lebensfrische besitzt.«

»Unseres Geschlechts – Ihres Geschlechts – möglich! Aber ich – –« Er fuhr mit der Hand über die Stirne und fuhr in einem Tone, der seltsam zerstreut und fast sehnsüchtig klang, fort: »Ich möchte wohl wissen, was es ist, was mir hier fehlt und wovon ich auf Augenblicke eine unbestimmte Erinnerung habe.« Er hielt abermals inne, sah mich an und sagte endlich mehr mit dem Anschein freundlichen Interesses, als ich bisher in seinem Gesicht wahrgenommen hatte: »Sie sehen nicht gut aus. Trotz Ihrer körperlichen Kraft sind Sie so leidend, wie einer von Ihren Patienten.«

»Sie haben Recht; ich bin eben jetzt leidend, obschon mir körperlich nichts fehlt.«

»Sie haben einen Grund zu geistiger Unruhe?«

»Bei welchem Menschen wäre dies nicht der Fall?«

»Bei mir nie.«

»Weil Sie, wie Sie selbst gestehen, nie geliebt haben. In der That scheinen Sie sich um Niemand als um sich selbst zu kümmern; Sie finden in sich einen ununterbrochenen sonnigen Festtag – Heiterkeit, Jugend, Gesundheit, Schönheit, Reichthum. Glücklicher Jüngling!«

Es war mir in diesem Moment schwer ums Herz.

Margrave nahm wieder auf:

»Ihr Wissen gibt Ihrer Kunst allerlei Geheimnisse an die Hand; aber was würden Sie für dasjenige geben, das Sie befähigte, einem Nebenbuhler in Ihrer Liebe Trotz zu bieten und ihn zu verlachen – für ein Geheimniß, das Sie in sich verschließen könnten und unter dessen gewaltigem, überschwinglichem Einfluß Sie eine unwiderstehliche Macht zu üben vermöchten über den Willen des Wesens, das Sie zu bezaubern wünschen?«

»Die Liebe ist dieses Geheimniß,« versetzte ich; »nur die Liebe.«

»Eine Macht, die stärker ist als die Liebe, kann die Liebe selbst aufheben und verändern. Aber wenn auch die Liebe der Zweck oder der Traum Ihres Lebens ist, so tritt sie doch nur rosig auf im Bunde mit Jugend und Schönheit. Schönheit welkt bald dahin und die Jugend vergeht. Doch wie – wenn es in der Natur Mittel gäbe, durch welche Schönheit und Jugend in dauernder Blüthe erhalten werden kann – Mittel, welche den Lauf der Zeit aufzuhalten und die verheerenden Wirkungen derselben auf die Elemente des menschlichen Leibes zunichte zu machen vermögen?«

»Thörichter Jüngling! Haben die Rosenkreuzer Ihnen das Recept zu ihrem Lebenselixir vermacht?«

»Wenn ich das Recept dazu hätte, so würde ich Sie nicht bitten, mir zum Auffinden seiner Bestandtheile behülflich zu sein!«

»Und in der Hoffnung, diese merkwürdige Erfindung zu machen, haben Sie Chemie, Elektricität und Magnetismus studirt? Ich sage noch einmal: thörichter Jüngling!«

Margrave achtete nicht auf meine Erwiederung. Seine Miene war umwölkt, düster, unruhig.

»Ich bin vollkommen überzeugt,« sagte er plötzlich, »daß das Lebensprincip ein Gas ist. Mag es wohl dasselbe sein, das den Wärmestoff mit dem Sauerstoff verbindet?«

»Das Phosoxygen? Humphry Davy beweist, daß dieses Gas nicht, wie Lavoisier meinte, Wärmestoff, sondern Lichtstoff in Combination mit Sauerstoff ist, und stellt die Vermuthung auf, es sei nicht so fast das Lebensprincip selbst, sondern das Ernährungselement für das Leben der organisirten Körper.« Siehe Humphry Davy über Wärme, Licht und die Verbindungen des Lichts.

»Wirklich?« entgegnete Margrave, und sein Gesicht klärte sich auf. »Möglich also, daß wir hier dem großen Geheimniß der Geheimnisse auf die Spur kommen. Sehen Sie, Allen Fenwick, ich verspreche Ihnen, Sie gegen alle die eifersüchtigen Besorgnisse, welche Sie jetzt quälen, unverbrüchlich sicher zu stellen; wenn Sie nach jenem Ruhm dürsten, der für mich nicht so viel Werth hat, als der Duft einer Blume oder der balsamische Hauch eines Luftzugs, so will ich Ihnen eine Wissenschaft mittheilen, vor der in den Händen des Ehrgeizes die gepriesensten Wunder aller als solche anerkannten Wissenschaften zu Zwerggebilden zusammenschrumpfen müssen. Alles dies will ich thun, wenn Sie dafür sich nur einen einzigen Monat meiner Leitung überlassen in den Versuchen, die ich von Ihnen verlange, gleichviel wie abenteuerlich sie Ihnen auch erscheinen mögen.«

»Mein lieber Margrave, ich weise Ihren Bestechungsversuch gerade so zurück, wie ich das Geschenk von Mond und Sternen, das mir ein Kind für ein Spielzeug anbieten wollte, ablehnen würde. Doch sollte das Kind das Spielzeug umsonst haben, wie ich mich ohne Entschädigung anbiete, es mit Ihren Versuchen zu probiren, sobald ich Muße dazu habe.«

Ich hörte Margrave's Antwort nicht, denn in demselben Augenblick trat mein Dienstmädchen mit Briefen ein. Lilians Hand! Zitternd und athemlos erbrach ich das Siegel. Welch ein liebevolles, klares, glückliches Schreiben – so zart in dem holden Schmälen über meine ungerechten Befürchtungen. Es war darin eher angedeutet als ausgesprochen, daß Ashleigh Sumner einen Antrag gestellt und einen Korb erhalten hatte, der ihn bewog, das Haus zu verlassen. Lilian und ihre Mutter beabsichtigten in Bälde heimzukehren, und ich sollte sie schon nach einigen Tagen wieder sehen. In dem Schreiben lagen einige Zeilen von Frau Ashleigh eingeschlossen. Sie sprach sich bestimmter über meinen Nebenbuhler aus, als Lilian. Man hatte auf seine Aufmerksamkeiten nicht anspielen wollen aus Rücksicht für meine Gefühle. Frau Ashleigh sagte, »der junge Mann habe von L– – aus Kunde erhalten über unsere Verlobung und nicht daran glauben wollen«; er beeilte indeß, wie Frau Poyntz so schlau vorausgesagt, seine Erklärung und das Anerbieten seiner Hand. Lilians Ablehnung schlug seinem Stolz eine tiefe Wunde, und als er sich entfernte, geschah es mehr im Aerger als im Schmerz. »Lady Delafield, die Tante der lieben Margareth Poyntz, hatte auf's Freundlichste versucht, Lady Haughton zu beschwichtigen, die ihren Verdruß in ziemlich roher Weise – so roh,« fügte Frau Ashleigh bei, »zum Ausbruch kommen ließ, daß uns dafür ein Vorwand an die Hand gegeben wird, früher heimzukehren, als wir beabsichtigten; und ich bin in der That recht froh darüber. Lady Delafield nimmt großen Antheil an Herrn Sumner, hat ihn nach ihrem Haus in der Nähe von Worthing eingeladen, reist morgen ab, um ihn zu empfangen, und versprach mir, ihn wegen des Korbs zu begütigen, was mir eine große Erleichterung bereiten wird, da er der Erbe meines lieben Gilbert ist und anfangs so freundlich war. Lilian ist wohl und freut sich sehr auf die Rückkehr.«

Als ich die Augen von diesen Briefen aufschlug, war ich ein neuer Mensch, der auf einer neuen Erde zu leben glaubte. Es war mir, als hätten sich Margrave's eitle Träume in mir verwirklicht – als könne die Jugend nie vergehen und die Liebe nie erkalten.

»Sie kümmern sich in diesem Augenblick nicht um meine Geheimnisse,« sagte Margrave abgebrochen.

»Geheimnisse?« murmelte ich. »Welches Geheimniß verlohnte sich mir fortan des Wissens? Ich werde geliebt – ich werde geliebt!«

»Ich kann meine Zeit abwarten,« entgegnete Margrave.

Mein Auge begegnete dem seinigen, und ich sah darin einen Blick, wie ich ihn nie zuvor an ihm wahrgenommen – finster, zornig und drohend. Er kehrte mir den Rücken und entfernte sich durch die Glasthüre meines Studirzimmers. Und als er unter den üppigen Kastanienbäumen nach den Feldern hinschritt, hörte ich seinen klangreichen barbarischen Gesang – das Lied, mit welchem der Schlangenzauberer die Schlange beschwört – so lieblich und hinreißend, daß selbst die Vögel auf den Zweigen ihr Concert einstellten, um ihm zuzuhören.


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