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Dreiundvierzigstes Kapitel.

Außerhalb des Gartenthors fühlte ich plötzlich einen Arm um mich geschlungen. Meine Wange wurde geküßt und mit Thränen befeuchtet. Konnte es Lilian sein? Ach nein! Es war die Stimme ihrer Mutter, die zwischen hysterischem Lachen und Weinen ausrief: »Welche Freude, Sie wieder zu sehen hier auf dieser Schwelle. Ich komme eben von Ihrem Haus her, wo ich Ihnen Glück wünschen und wegen Lilians mit Ihnen sprechen wollte. Sie sind bei ihr gewesen?«

»Ja; ich habe sie erst in diesem Augenblick verlassen. Kommen Sie mit mir.«

Ich nahm Frau Ashleigh in den Garten zurück, führte sie auf dem alten gewundenen Weg hin, der durch das Gesträuch gegen das Haus hin gedeckt war, und nahm mit ihr auf einer rohen Bank, wo ich oft neben Lilian gesessen hatte, halbwegs zwischen dem Haus und dem Mönchsbrunnen Platz. Hier theilte ich der Mutter mit, was zwischen mir und ihrer Tochter vorgefallen war, und beklagte mich über Lilians Kälte und ihr verändertes Wesen, ohne jedoch auf die Ursache anzuspielen. »Mädchen von ihrem Alter sind wankelmüthig,« sagte ich, »und wir haben uns jetzt nur noch über eine Geschichte zu verständigen, mit der wir die neugierige Nachbarschaft abspeisen können und in der ich gern alle Schuld auf mich nehmen will. Der Name des Mannes ist von starkem Zeug, und er vermöchte sich keine Stellung in der Welt zu schaffen, wenn er nicht das Gerede müßiger Zungen über sich ergehen lassen könnte, ohne zu erliegen. Anders verhält sich's beim Ruf des Weibes – was dem Mann gegenüber nur als Klatsch erscheint, wird beim Weib zum Skandal.«

»Handeln Sie nicht so vorschnell, mein lieber Allen,« versetzte Frau Ashleigh in großer Betrübniß. »Ich fühle für Sie und verstehe Sie wohl; in Ihrer Lage würde ich vielleicht ebenso handeln. Ich kann Ihnen keinen Vorwurf machen. Lilian ist verändert – in unerklärlicher Weise verändert. Gleichwohl lebe ich der Ueberzeugung, daß diese Veränderung nur oberflächlich liegt und daß ihr Herz so ganz und treu wie nur je Ihnen gehört. Ach, wenn sie später aus dieser seltsamen und träumerischen Art von Erstarrung erwacht, die augenscheinlich alle ihre Vermögen und Neigungen in Bande geschlagen hat, so wird sie verzweifeln ob dem Gedanken, von Ihnen zurückgewiesen worden zu sein.«

»Ich habe sie nicht zurückgewiesen, sondern ihr nur ihre Freiheit wieder gegeben,« versetzte ich ungeduldig. »Doch lassen wir dies jetzt und erzählen Sie mir ausführlich, welche Bewandtniß es mit dieser Veränderung hat, die sich, wenn ich Sie recht verstehe, nicht allein auf mich beschränkt.«

»Ich wollte Ihnen davon Mittheilung machen, eh' Sie mit ihr zusammenkämen, und bin in dieser Absicht nach Ihrem Haus gegangen. An dem Morgen, an welchem wir ihre Tante verließen, um hieher zurückzukehren, bemerkte ich zum erstenmal etwas Eigenthümliches in ihrem Blick und Wesen. Sie schien zerstreut und abwesend, so daß ich sie wiederholt fragen mußte, was sie so ernst mache; ich konnte jedoch nur von ihr herausbringen, sie habe einen wirren Traum gehabt, dessen sie sich nicht deutlich genug erinnern könne, um ihn zu erzählen; aber sie sei überzeugt, daß er etwas Schlimmes bedeute. Während der Fahrt wurde sie allmählig wieder wie sonst, und sie fühlte sich glücklich in dem Bewußtsein, Sie bald wieder zu sehen. Sie kamen an jenem Abend. Was zwischen Ihnen und ihr vorging, wissen Sie selbst am besten. Sie beklagten sich, daß sie nicht auf Ihre Bitte geachtet habe, alle Bekanntschaft mit Herrn Margrave zu vermeiden. Dies überraschte mich sehr; denn mochte Ihr Wunsch vernünftig sein oder nicht, so hätte sie ohne Zögern darauf eingehen sollen. Als Sie fort waren, sprach ich mit ihr darüber, und sie weinte bitterlich bei dem Gedanken, daß sie Ihr Mißfallen erregt habe.«

»Sie weinte? Ist's möglich! Aber das Billet, mit welchem sie am anderen Tag das meinige beantwortete?«

»Am anderen Tag fiel mir die Veränderung an ihr erst recht auf. Sie sagte mir in sehr aufgeregter Weise, sie sei überzeugt, sie dürfe Sie nicht heirathen. Am Tag darauf kam die Nachricht von Ihrer Verhaftung. Ich hörte davon, wagte es aber nicht, ihr etwas davon zu sagen. Ich ging zu unserem Freund, dem Bürgermeister, um mich mit ihm zu berathen, was zu thun sei, und aus seinem Munde den wahren Sachverhalt der schrecklichen Geschichte zu hören, über welche die Dienstboten nur unzusammenhängende Auskunft zu geben wußten. Bei meiner Zurückkehr fand ich zu meinem Erstaunen einen jungen Fremden im Besuchzimmer; es war Herr Margrave, den Fräulein Brabazon auf seine Bitte bei uns eingeführt hatte. Lilian war auch im Zimmer, und meine Ueberraschung wurde noch erhöht, als sie mir mit einem sonderbaren, aber ruhigen Lächeln sagte: ›Ich weiß Alles von Fenwick; Herr Margrave hat mir's mitgetheilt. Er ist ein Freund von Allen und gibt mir die Versicherung, daß kein Grund zur Besorgniß vorhanden sei.‹ Herr Margrave entschuldigte dann gegen mich seine Freiheit in einer so einschmeichelnden, freundlichen Weise, als ob er zur Familie gehöre. Er sagte, er stehe so vertraut mit Ihnen, daß er gefühlt habe, er sei die geeignetste Person, Fräulein Ashleigh die Nachricht beizubringen, die sie am Ende doch erfahren müsse; denn er sei der einzige Mensch in der Stadt, der die Beschuldigung als eine Lächerlichkeit betrachte. Sie kennen selbst den wunderbaren Zauber, den das Benehmen dieses jungen Mannes ausübt. Ich weiß es nicht zu erklären, wie es kam; aber schon in wenigen Augenblicken fühlte ich mich schon so vertraut mit ihm, als ob es Ihr Bruder wäre. Um mich kurz zu fassen, da er einmal da gewesen, so kam er auch beharrlich. Er war zwei Tage vor Ihrem Besuch zu Derval Court aus seinem Gasthof ausgezogen und hatte eine Wohnung in dem Hause des Herrn O –, uns gegenüber, genommen. Wir konnten von unserer Terrasse aus ihn auf seinem Balkon sehen; er grüßte herüber und kam auch. Ich muß mir Vorwürfe machen, daß ich Ihre Einschärfung vernachlässigte und auch Lilian nicht an dem Verkehr mit dem jungen Mann hinderte – aber konnte ich denn anders, da er für mich – und auch für sie – in unserer Noth ein so großer Trost war? Er allein setzte uns nicht mit einem Eulengekrächz zu und machte kein langes Gesicht; er allein war stets heiter und sagte, in einem oder zwei Tagen werde Alles recht werden.«

»Und Lilian mußte natürlich auch diesen jungen Mann lieb gewinnen, da er so schön ist.«

»Schön? Mag sein. Aber wenn die Eifersucht Sie so sprechen heißt, so sind Sie in einem schweren Irrthum befangen. Ich bin überzeugt, daß er Lilian mehr als zuwider ist – ja, daß er ihr einen eigentlichen Schrecken einflößt. Ich gestehe zwar, daß mir seine wilde, frohherzige, unbekümmerte und harmlose Art gefällt; aber Sie müssen nicht glauben, daß ich Ihnen schmeicheln will, wenn ich sage, Herr Margrave sei nicht der Mann, um ein Mädchen Ihnen oder einem Liebhaber untreu zu machen, der sogar weit weniger empfehlende Eigenschaften besitzt, als Sie. Ich gebe zu, er ist allgemein beliebt; aber es ist etwas an ihm, oder es fehlt ihm etwas, was eine bewundernde Zuneigung nicht bis zur Liebe heranwachsen läßt. Ich weiß mir den Grund nicht anzugeben – liegt es vielleicht darin, daß er bei all seiner heiteren Laune doch stets eine so tiefe Selbstsucht, einen so leichten Sinn zeigt, daß ich ihn, wenn er nicht sonst so klug wäre, einen gehaltlosen Menschen nennen möchte? Er wäre nicht im Stand zu lieben und einer Dame in männlich ernstem Ton zu erklären: ›Ich liebe Sie.‹ Dies hat er mir selbst gestanden und dabei gesagt, er wisse nicht einmal, was Liebe sei. Was mich betrifft – Herr Margrave scheint allerdings reich zu sein, und an seinem Ruf haftet, so viel ich höre, kein Makel. Doch selbst wenn Sie nicht in Frage kämen, wenn seine Herkunft unbeanstandbar wäre und er so hoch in Rang und Reichthum stünde, als er von der Natur mit persönlichen Vortheilen begünstigt ist, so gestehe ich doch, daß ich nicht darein willigen könnte, ihm das Schicksal meiner Tochter anzuvertrauen. Eine Stimme in meinem Innern würde stetig ›Nein‹ rufen. Es mag ein unverständiges Vorurtheil sein; aber ich könnte es nicht mit ansehen, wenn er Lilians Hand berührte.«

»Sie hat ihm also nie – nie gestattet, sie bei der Hand zu nehmen?«

»Nein. Haben Sie eine so geringe Meinung von ihr, sie für fähig zu halten, daß sie sich durch ein hübsches Gesicht und ein anmuthiges Benehmen fesseln lasse? Bedenken Sie nur – unmittelbar vorher wies sie um Ihrer willen die Bewerbungen Ashleigh Sumners ab, von dem Lady Haughton sagte, kein Mädchen von Verstand könne einen solchen Mann zurückweisen. Auch begann die Veränderung an Lilian schon vor unserer Ankunft in L– –, noch eh' sie Herrn Margrave gesehen hatte. Ich bin überzeugt, Sie können als Arzt Abhülfe schaffen – es liegt in den Nerven, in dem System. Ich will Ihnen einen Beweis davon geben; nur dürfen Sie mich nicht verrathen. Während Ihrer Gefangenschaft, die Nacht vor Ihrer Befreiung, kam sie zu mir ans Bett und weckte mich. Sie schluchzte, als ob ihr das Herz brechen wolle. ›O Mutter, Mutter!‹ rief sie; ›haben Sie Mitleid, helfen Sie mir – ich bin so elend.‹ ›Was gibt's, mein Kind?‹ frage ich. ›Ach, ich bin so grausam gegen Allen gewesen und weiß, daß ich es wieder sein werde. Ich kann nicht dafür. Fragen Sie mich nicht; nur wenn wir getrennt sind, wenn er mich verstoßen hat, oder ich ihn zurückgewiesen habe, so können Sie ihm eines Tages sagen – ich liege dann vielleicht schon in meinem Grabe – daß er dem Schein nicht glauben solle und daß ich in dem Innersten meines Herzens nie aufhörte, ihn zu lieben?«

»Dies hat sie gesagt? Sie täuschen mich nicht?«

»Oh nein; wie mögen Sie dies von mir denken?«

»Dann ist noch Hoffnung vorhanden,« murmelte ich.

Und ich beugte das Haupt auf meine Hände nieder, und heiße Thränen rannen mir durch die verschlungenen Finger.

»Noch ein Wort,« begann ich nach einer Weile. »Sie sagen mir, Lilian habe einen Widerwillen gegen diesen Margrave, und findet doch Trost in seinen Besuchen, einen Trost, der unmöglich ganz auf Rechnung der beruhigenden Versicherungen wegen meiner kommen kann; denn es ist sicher, daß ich zu jener Zeit in ihren Gedanken nicht obenan stand. Können Sie mir diesen augenscheinlichen Widerspruch erklären?«

»Nicht anders, als durch eine Vermuthung, die Sie lächerlich nennen werden.«

»In dieser Sache erscheint mir nichts lächerlich. Was meinen Sie?«

»Ich weiß, Sie glauben nicht an die Geschichten, die man vom thierischen Magnetismus und der Elektrobiologie hört, sonst –«

»Sie vermuthen, Margrave übe einen derartigen Einfluß über Lilian? Hat er von einer solchen Kraft gesprochen?«

»Nicht ausdrücklich; aber er sagte, er sei überzeugt, Lilian besitze ein Vermögen, das er mit einem fremden Namen benannte – nicht Hellseherei, sondern ein Vermögen, das, wie er mir erklärte, verwandt sei mit dem Schauen der Zukunft, dem zweiten Gesicht. Dann sprach er von Priesterinnen, die bei den Orakeln der Alten gewirkt hätten. Er sagte, Lilian mit ihren tiefen Augen und ihrem geheimnißvollen Lächeln erinnere ihn an sie.«

»Und Lilian hörte zu? Was erwiederte sie darauf?«

»Nichts. Sie schien sich zu fürchten, während sie zuhörte.«

»Wollte er nicht an ihr eine von jenen Künsten versuchen, mit denen sich die Magnetiseure und andere Scharlatane abgeben?«

»Ich glaube, er hatte Lust dazu; aber ich beugte der Sache vor durch die Erklärung, daß ich nie zu einem derartigen Experiment weder an mir selbst, noch an meiner Tochter meine Einwilligung gebe.«

»Und er antwortete – –?«

»Mit seinem heiteren Lachen. Er meinte, dies sei sehr thöricht von mir, denn eine Person mit einem Vermögen, wie er es bei Lilian vermuthe, würde unter gehöriger Ausbildung desselben eine unschätzbare Rathgeberin werden. Er wollte noch weiter reden, aber ich bat ihn, davon abzustehen. Gleichwohl kömmt es mir zu Zeiten vor – Sie müssen nicht böse werden – als ob er ohne ihr Wissen irgend etwas thue, um sie zu bezaubern; denn sie weiß immer, wann er kommt. Es ist mir fast, als ob er auch auf mich einen solchen Einfluß übe; denn ich kann mein Benehmen, als ich Ihrem Wunsch zuwider ihm vertrauten Zutritt in mein Haus gestattete, keineswegs rechtfertigen. Ich habe mir selbst schon Vorwürfe darüber gemacht und mir fest vorgenommen, vor ihm die Thüre zu schließen oder auf andere Weise ihn merken zu lassen, daß seine Besuche unwillkommen seien. Doch wenn Lilian in dem schläfrigen Ton, der jetzt in ihrer sonst so ernsten und nachdrucksvollen, obschon weichen Stimme liegt, gesagt hat: »Mutter, er wird in zwei Minuten hier sein; ich möchte das Zimmer verlassen und kann nicht,« – so ist es auch mir, als halte mich etwas gegen meinen Willen zurück; mit einem Wort, als stehe ich unter dem Einfluß, den Herr Vigors – ich werde ihm sein Benehmen gegen Sie nie verzeihen – dem Mesmerismus zuschreibt. Aber sie kommen doch mit herein und sehen noch einmal nach Lilian?«

»Nein, heute Abend nicht mehr. Aber haben Sie Acht auf sie, und wenn sie etwas wahrnehmen, was Sie zu dem ehrlichen Schluß berechtigt, daß sie den Bruch des alten Bandes bereut, von dem ich sie befreit habe – je nun, so wissen Sie, Frau Ashleigh, daß – daß – –«

Die Stimme versagte mir. Ich drückte der guten Frau die Hand und ging meines Weges.

Ich hatte bisher Frau Ashleigh wenn auch nicht, um mich des Ausdrucks der Frau Poyntz zu bedienen, für alltäglich schwach, so doch als einen etwas unter mittelmäßig stehenden Verstand betrachtet; jetzt aber flößte sie mir eben so gut Achtung als dankbare Liebe ein. Ihrem einfachen Sinn war nicht entgangen, was selbst mein stolzer Verstand bei Gelegenheit meines näheren Verkehrs mit Margrave außer Acht ließ – daß nämlich in ihm etwas war oder etwas fehlte, was die Liebe erstickt und Furcht einflößte. Jung, schön, reich und anscheinend makellosen Rufes – und dennoch würde sie ihm die Hand ihrer Tochter nicht gegeben haben.


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