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34

Als Holdern Schloß Asten verließ, ohne Gruß und Abschied, war es ihm kaum möglich, seine Gedanken zu sammeln. Was er am wenigsten geahnt, war eingetreten. Helenens Worte: »Ich habe Sie sehr geliebt,« die so aufrichtig und so kalt gesprochen, hallten ihm wie höhnend nach. Das zärtlich liebende Mädchen, das von jedem Blicke seines Auges gelebt, hatte ihm früher kaum mehr als einen flüchtigen Eindruck abgewonnen; nun aber empfand er doch mit schmerzlicher Reue, was für ein Kleinod er hätte gewinnen können, wenn er diese Liebe, die ihn erheben wollte, in ihrer ganzen Reinheit und Tiefe zu würdigen gewußt. Er schied von Helene nicht wie von Daniella mit dem Bewußtsein, die Demüthigung reichlich zurückgezahlt zu haben, sondern kleinmüthig wie ein entlarvter falscher Spieler. Er war indessen nicht der Mann, der sich selbst Vorwürfe machte. War es nicht seine Schwester, die mit ihrem Rath ihn irre geführt? Waren es nicht die Vorurtheile des Landes, die ihm entgegengetreten? Mußte nicht der Einfluß der »Frommen« auf Helene gewirkt haben? Aber vergebens versuchte er, den finstern Unmuth, die dumpfe Hoffnungslosigkeit zu bannen. Es war nicht die Schwüle der Julisonne allein, was ihm die Schweißtropfen auf die Stirne treten ließ. Fritz Holdern wußte, daß mit dem Scheitern dieser Hoffnung jegliche Aussicht auf Erhaltung seines Gutes und seines Rufes geschwunden sei. Die letzte Hülfsquelle war versiecht, der Ruin starrte ihm entgegen. Die Unternehmungen, an denen er sich betheiligt hatte, waren so gestaltet gewesen, daß sie nothwendig entweder zum Reichthum führen oder alles verschlingen mußten. Und auch seine geistige Kraft, die jugendliche Energie war dahin: Holdern hatte die Mitte des Lebens überschritten. Er war nicht haushälterisch mit seinen Kräften gewesen, und wenn seine eiserne Gesundheit auch nicht gelitten hatte, so doch die Elasticität seines Geistes. Bei einer glücklichen Wendung hätte er noch lange ein junger Mann bleiben können; aber das aufregende Leben der letzten Jahre hatte ihn zu sehr abgestumpft, so daß das Unglück jetzt lähmend auf ihn wirkte.

Seine letzte Leidenschaft, die kecken Speculationen, die um Millionen warben, war verraucht; ernüchtert sah er nichts mehr darin, als eine große Lüge: eine Bande gemeiner Menschen, welche einander die Beute aus den Zähnen zu reißen suchen, – so lautete schon seit einiger Zeit sein Urtheil darüber. Er hatte sich übersättigt von dem Speculationsfieber abgewandt, wie er sich noch von allem abgewandt hatte, nachdem er den Reiz, den es bot, erschöpft hatte.

Und doch – trotz der völligen Hoffnungslosigkeit, die ihn ergriff, kam das frevelhafte Wort, mit dem er früher so oft sein Spiel getrieben, nicht über seine Lippen. »Der letzte Ausweg, der stets noch dem kühnen Manne bleibt,« wie er seiner Schwester so oft gesagt, kam ihm jetzt, wo sich zum ersten Male wirklich kein Ausweg für ihn bot, nicht in den Sinn. Wir klammern uns ja meistens um so fester an das Leben an, je länger und mühseliger der Kampf um's Leben wird.

Der Groll, der in Holdern's Seele kochte, steigerte sich noch, als er sein Heim betrat. Der neue Glanz des Hauses widerte ihn an. Er schlug im Vorübergehen Blüthendolden von den feinen ausländischen Gewächsen ab, mit denen man schon den Eingang verziert hatte. Er schritt durch die Halle, wo in kunstvollem Steinwerk das Wappen seiner Väter ausgeführt war. Es erschien ihm wie Hohn, daß gerade er, der den letzten Stein seines Eigenthums verlieren sollte, in verschwenderischer Pracht die Vergangenheit seines Geschlechtes hatte verewigen lassen. Einige Arbeiter, die er noch beschäftigt fand, herrschte er unwirsch an; im gleichen Tone fragte er nach seiner Schwester. Er hatte nicht übel Lust, sie für sein Mißgeschick verantwortlich zu machen.

Als er sich aber ihrem Zimmer nahte, trat ihm unwillkürlich wieder vor die Seele, welche Hoffnungen sie seit seiner Kindheit für ihn gehegt, wie sie unermüdlich für ihn gestrebt, so oft er ihre Pläne auch durchkreuzt hatte. »Arme Carry,« sagte er fast weich, als er dachte, welchen Rückschlag die neue Enttäuschung bei ihr bewirken werde, und er dämpfte seinen dröhnenden Schritt.

Als er eintrat, fand er Carry auf ihrem Lager. War es nur der grünliche Schimmer der herabgelassenen Rouleaux, was ihren Zügen ein so leichenblasses Aussehen gab? Ihre Gemächer hatten keine Umwandlung erlitten und machten einen fast dürftigen Eindruck; obgleich der Bruder bemüht gewesen war, sie entsprechend zu schmücken, fand er das, was er zur Ausstattung gesandt, nie dort vor. Die Leute erzählten sich, das geizige Fräulein habe die Sachen stets verkauft.

Sobald Carry ihren Bruder erblickte, richtete sie sich empor; ein Strahl der Freude brach aus ihren Augen, und die abgezehrten Arme streckten sich ihm entgegen. Ein Blick in sein Gesicht ließ sie aber sofort sein Mißgeschick erkennen. Matt sanken die Arme nieder, und ein Zug tiefen Schmerzes ging über ihr Antlitz. »Der Vater,« ächzte sie leise, »wollte er nicht? … Aber Helenens Liebe wird es überwinden!«

»Helenens Liebe!« wiederholte er ironisch. »Ich sagte dir ja schon vor Jahren, du trautest deinem Bruder zu viel Glück zu. Junge Damen haben flüchtige Launen, und die Schwarzen haben auch wohl ihren Einfluß geltend gemacht, damit der Asten'sche Besitz nicht in unsere unkirchlichen Hände falle. Der Vater war ganz vernünftig, aber deine scharfen Augen haben im Punkte der Liebe nicht sehr klar gesehen.«

»Helene hat dich geliebt, wie nur jemals ein Mädchen liebte,« gab Carry schneidend zurück; »aber du hast ihre Liebe schnöde vernachlässigt deiner tollen Pläne wegen und um jenes kecken Mädchens willen, das dir piquanter erschien. Ihr Männer seid alle so, – eine echte Liebe wißt ihr nicht zu schätzen, einen klugen Plan nicht zu würdigen.« Carry wandte ihr Antlitz ab, der Wand zu.

Holdern nahm stumm neben ihrem Bette Platz. Er konnte die Wahrheit ihrer Worte nicht bestreiten; er war zu abgespannt, um sich in einen Wortwechsel einzulassen.

»Und was willst du nun thun?« fragte nach einiger Zeit seine Schwester in herbem Tone.

»Was ich thun will? Du könntest richtiger fragen, was man mit mir thun wird,« gab Holdern rauh zurück. »Oder glaubst du, daß es ruhig hingehen würde, wenn sich herausstellt, daß kaum so viel vorhanden ist, um ein Drittel der Schulden zu decken? Ich hatte mit Sicherheit auf den Erfolg unserer Unternehmungen gerechnet; der Krieg ließ sie fehlschlagen, und der Bau hier hat enorme Summen verschlungen. Im Falle ich Helene Asten geheirathet hätte, würde ich dem Grafen ein offenes Geständniß abgelegt haben, um mich herauszuziehen. Seinem Credit wäre viel möglich gewesen, so bleibt mir nichts.«

»Und jene Daniella?« unterbrach ihn Carry. »Warum verließest du sie, wenn es so mit dir stand? Kann sie dich nicht retten? Sie mag einiges eingebüßt haben; aber sie besaß Millionen, und der Freiherrntitel wäre ihr jetzt vielleicht noch willkommener als früher.«

»Sie kann Gott danken, wenn sie ihr Leben gerettet hat,« erwiderte Holdern. »Ich schlug ihr damals vor, Paris zu verlassen; aber sie hatte sich jenen Wahnsinnigen in die Hände gegeben. Weib ist Weib; wenn es sich einer Partei in die Arme wirft, einerlei welcher, dann ist es aus mit aller Vernunft.«

»Du hast sie selbst auf diesen Weg gebracht,« warf Carry ein.

»Wäre sie hier geblieben, so hätten die Schwarzen ihr Geld erhalten; meinethalben mögen es nun die Rothen haben.«

Die Geschwister schwiegen eine Weile; Holdern starrte düster vor sich hin, indeß Carry's Blicke mit fieberhafter Unruhe auf ihm ruhten. »Fritz, es darf nicht sein!« nahm sie plötzlich wieder das Wort, als habe sie einen schweren Entschluß gefaßt »Sie dürfen dir nichts anhaben, dein Name darf hier nicht in den Schmutz gezogen werden. Reicht dein Credit nicht auf kurze Zeit mehr aus?«

»Mein Credit?« gab Holdern zurück; »den kannst du passend mit dem bepackten Kameel vergleichen, das zusammenbrach, als man ihm noch einen Strohhalm auflegte. Ich habe mich schon gewundert, wie viel er tragen konnte: alle Sorten von Wechseln, Prolongationen, Bürgschaften hat er sich bisher aufbürden lassen. In diesem Monat aber werden bedeutende Wechsel fällig, und beim ersten Anstoß wird die ganze Meute über mich herfallen. Es ist nur gut, daß ich dich in Sicherheit weiß,« setzte er weicher hinzu.

»Ich in Sicherheit!« rief Carry schneidend. »Wahrhaftig, für mich braucht keiner mehr zu sorgen. Aber ich habe geahnt, daß es so kommen würde; ich kannte den Werth deiner goldenen Berge!« fuhr sie heftig fort. »Fritz, du darfst die Krisis nicht über dich hereinbrechen lassen; du mußt fort, ehe jemand Verdacht schöpft. Lieber gehe gleich, als daß es eine Secunde zu spät werden könnte.« Sie wurde immer aufgeregter.

»Ich kann nicht fort,« entgegnete Holdern ungeduldig. »Die Welt ist groß und weit, aber ich habe nicht so viel, um auch nur eine größere Reise anzutreten, geschweige denn mir eine neue Existenz zu gründen. Mag kommen, was will!« setzte er apathisch hinzu.

Carry hatte sich unterdessen mühsam aufgerichtet, zog einen kleinen Schlüssel hervor und überreichte ihm denselben. »Oeffne den Wandschrank und nimm das kleine innere Gefach heraus – aber halt, schließe erst die Thüre zu, daß niemand uns stört und keiner uns belauscht; die Wände haben Ohren bei dem Dienstboten-Gesindel hier. So, nun reiche mir das Fach her … Beuge dich zu mir, daß ich nicht laut zu sprechen brauche,« fuhr sie ungeduldig fort, während ihr Bruder erstaunt den Haufen Gold und Banknoten betrachtete, den das Gefach enthielt. »Es ist alles mein,« sagte sie, gierig ihre magern Hände darüber breitend. »Ich wußte, was ich von euern Papieren zu halten hatte, und habe sie rechtzeitig gegen gutes Geld umgesetzt: jetzt wären sie keinen Pfennig werth. Und ich habe noch mehr,« setzte sie triumphirend hinzu. »Ich habe gespart und zurückgelegt von dem Gelde, welches du für die Haushaltung schicktest; die Dienstboten-Bande konnte sich auch mit weniger behelfen. All' das Zeug, das du kauftest, habe ich zu verwerthen gewußt, besser als du ahntest; deine Wagen habe ich verkauft – zu deiner Hochzeit hättest du doch neue angeschafft –, hier ist der Erlös dafür.« Sie zeigte dem Bruder ein Päckchen Banknoten. »Von Paris hast du mir Gemälde geschickt; sie waren beim Einpacken beschädigt und ich sollte sie restauriren lassen! Hier sind sie,« flüsterte sie mit heiserm Lachen, ein anderes Päckchen hervorholend. »Das Silber, welches ich hier vorfand, – nun, die Façons waren veraltet und mußten verändert werden – hier ist es.« Eine Reihe Goldstücke glitt durch ihre schmalen Finger: »Du siehst, ich war erfinderisch.«

»Carry!« rief Holdern erschrocken; »Carry! Diese Sachen gehören zum Ganzen, zur Masse, – sie gehören den Gläubigern, sobald der Bau zusammenbricht, und vieles davon hatte ich mit zur Bürgschaft gestellt.«

»Nein, alles gehört mir!« kreischte Carry. »Du warst mir noch bei weitem mehr schuldig; ich habe mich nur bezahlt gemacht.« Trotzig schaute sie bei dieser Erklärung den Bruder an, der erschreckt vor ihrer Heftigkeit zurückwich. »Alles ist mein,« wiederholte sie, »und ich, ich übergebe dir mein Eigenthum nur, damit du es in's Ausland bringst. Ich könnte sterben hier, und dann würden die andern darüber herfallen. Dafür habe ich nicht gespart, dafür habe ich mich nicht geizig schelten lassen!« fuhr sie fort, immer fieberhafter aufgeregt. »Aber du mußt es gleich in Sicherheit bringen, gleich, hörst du, Fritz,« sagte sie mit plötzlich erlöschender Stimme; »ich habe mühsam für dich gespart, und ich kann dich nur dieses Mal noch retten.«

Ein Krampf erfaßte sie, und sie sank in die Kissen zurück. Ihr Bruder wollte ihr Hülfe leisten; aber sie wies ihn ungeduldig zurück, ihm mit der Hand bedeutend, er solle zuerst den Schatz bergen. »Noch einmal geholfen,« flüsterte sie dann, trotz des furchtbaren Leidens, welches, durch die Aufregung gesteigert, ihre Züge fast unkenntlich machte. Wer sie sah, konnte nicht zweifeln, daß sie wahr gesprochen: für sie würde niemand mehr zu sorgen haben.

Fritz Holdern blickte erschüttert auf die Leidende nieder. Ihr Eigennutz, der ihm einst ein Räthsel gewesen, hatte jetzt seine Erklärung gefunden. Er beugte sich über sie und küßte die Hände, die ein ganzes Leben lang gearbeitet hatten für sein Glück; seine Lippen berührten die bleiche Stirne, die keinen Gedanken gehegt, der nicht ihm gegolten. Aber trotz der Dankbarkeit, die er empfand, sträubte sich etwas in ihm gegen die Art der Liebe, die sie ihm zugewendet, und auch gegen das, was sie ihm jetzt zumuthete. War es der letzte Kampf, den er mit dem kämpfte, was vor den Menschen Ehrenhaftigkeit und vor dem Herrn Gewissen heißt?

Er hatte in den letzten Jahren manches kühne Spiel getrieben und die Linie zwischen Recht und Unrecht nicht immer sorgsam beachtet; aber das erschien ihm wie nichts gegen diesen Vorschlag seiner Schwester.

Er wußte, daß ohnehin viele seiner Gläubiger schwer zu Schaden kommen würden; er wußte auch, daß man gerade seinem Namen, seiner Stellung vertraut hatte, und er sollte dies Vertrauen mißbrauchen, – seine Ehre, seinen Namen beflecken?

Die ganze lange Nacht saß der düstere Mann am Bette der Leidenden, deren einzige Tugend schwesterliche Liebe gewesen war – die einzige Tugend, und auch diese mit unedlen Thaten verknüpft, so daß selbst in demjenigen, für den sie dieselben verübt, ein Gefühl des Grauens mit der Dankbarkeit sich mischte. Wahrhaft edle Frucht gedeiht nur auf wirklich edelm Boden, und der bloß menschlichen Tugend, die gar nicht nach dem Höchsten schauen will, heftet sich so viel Irdisches an, daß zuletzt selbst der Schein der Größe schwindet. Wohl zogen in dieser langen Nacht an Holdern's geistigem Auge die Erinnerungen an all' das vorüber, was seine Schwester seit seiner Kindheit für ihn gethan, wie sie ihm tausend Opfer gebracht, – aber alles nur, um das für ihn zu erreichen, was die Welt an Glück, Größe und Ehren bieten kann. Und was hatte sie erreicht? In der Blüthe des Lebens war er ein gebrochener Mann, ein Bettler, den sie nicht einmal zurückhalten durfte an ihrem Sterbelager, um ihr die letzten Augenblicke zu versüßen. Unwillkürlich gedachte er auch der Liebe jener andern, die so innig für sein wahres Heil besorgt gewesen war, und in seinem Innern tönten die Worte wieder, mit denen sie ihm so lieblich zaghaft versprochen, sein guter Engel zu sein – er hatte den guten Engel von sich gewiesen.

Einige Tage später wurden zu Holdernheim die Zimmer des einen Flügels plötzlich verhängt, und die Todtenglocke erklang im Dorfe. Die Leute erzählten sich, die Baronin Holdern sei gestorben. Man hatte nicht viel Theilnahme für sie; dem Volke war sie stets eine Fremde geblieben, und ihre Untergebenen hatten nur ihre Kargheit und Tyrannei erfahren. Aber man wußte, daß sie schon lange viel gelitten hatte, daß besonders die letzten Tage sehr qualvoll gewesen, und beklagte sie, daß ihr gerade bei ihrem Scheiden der Trost der Gegenwart ihres Bruders gefehlt, den sie so innig geliebt. Er hatte einige Tage vorher Holdernheim verlassen, und obwohl man seinen unruhigen Sinn kannte, der ihn nie lange daheim weilen ließ, wunderte man sich doch über seine Entfernung in einem Augenblicke, wo man ihr baldiges Ende voraussehen konnte. Der Geistliche des Ortes hatte sie in den letzten Tagen mehrfach besucht; sie hatte auch seinen Beistand nicht zurückgewiesen, auf seine Frage aber, ob er ihren Bruder zurückrufen solle, verneinend geantwortet. Sie kenne augenblicklich seine Adresse nicht, hatte sie beigefügt; er habe nichts Schlimmes geahnt, da solche Anfälle in ihrem Leiden etwas Gewöhnliches seien und sie sich immer bald davon erholt habe. Auch die Dienstboten bestätigten, daß sie selbst den Baron zur Abreise gedrängt habe.

Als sie gestorben war, und niemand wußte, wo der Baron sich aufhielt, war dem Geistlichen nichts übrig geblieben, als ihr Begräbniß in aller Stille vorzunehmen und alles übrige der Rückkunft des Barons vorzubehalten. Nur nach Asten hatte er die Anzeige gesandt, da er wußte, daß die Baronin dort bekannt gewesen war; sonst erfuhr kaum jemand, daß Carry Holdern hingeschieden sei.

Während so zu Holdernheim die Trauerklänge fast unbeachtet verhallten, rief der Mund der Glocken zu Burghof bei allen Bewohnern und auch in weitern Kreisen die größte Theilnahme wach. Hermann Velden hatte den dahingeschiedenen Freund in die Heimath zurückgebracht, um ihn dort der letzten Ruhestätte zu übergeben. Es war ihm ein Bedürfniß gewesen, dem Bruder seines Herzens alle die äußern Ehren zu erweisen, wie er sie einem leiblichen Bruder würde erwiesen haben, und von allen Seiten beeiferte man sich, ihn darin zu unterstützen.

Das schreckliche Ende des jungen Priesters hatte allgemeine Trauer erweckt und im Volke große Erregung hervorgerufen. Den gewöhnlichen Mann berührt zumeist nur, was persönlich an ihn herantritt; als das stille Burghof plötzlich in die Tages-Ereignisse sich verwickelt sah, ward man dort erst recht derselben sich bewußt. Je unschuldiger das Opfer war, welches Unglaube und wahnsinniger Haß gefordert, um so mehr empfand man das Bedürfniß, seinen Abscheu an den Tag zu legen. Die Leute hatten ihn alle gekannt, den schönen jungen Mann, dem alle Herzen sich zuneigten; sie waren stolz auf ihn gewesen, als sie gehört, wie viel Anerkennung er in der Welt gewonnen, und wie Großes man von ihm erwartete. Wenn er auch bei der Herrschaft erzogen worden, so war er doch ein Kind des Volkes gewesen, und in der letzten Zeit hatte sein priesterlicher Beruf ihn den Herzen noch näher gebracht. Das Andenken an Rother's Vater und dessen langjährige Wirksamkeit war ebenfalls nicht erloschen und wurde jetzt lebhaft aufgefrischt. So vereinigte sich alles, um Rother's Begräbniß zu einer rührenden allgemeinen Kundgebung zu gestalten. Die Burschen und Männer des Dorfes hatten sich zu Pferde nach der Station begeben, um gleich von dort aus den Trauerzug zu geleiten; viele Nachbarn und Freunde des Velden'schen Hauses und die zahlreichen Bekannten des jungen Geistlichen aus dem nahe gelegenen Bornstadt fanden sich zum gleichen Zwecke ein. Der Trauerwagen war mit Kränzen und Blumenspenden bedeckt. Als an der Grenze des Dorfes der Priester nahte, umgeben von einem großen Theile seiner Mitbrüder aus der Umgegend, als eine Schaar weißgekleideter Kinder mit Lichtern und Kränzen den Wagen umgab und die hellen Stimmen der Schuljugend den Psalm Miserere intonirten, als die Menge betend sich anschloß, da war es kaum ein Trauerzug zu nennen.

Die bleiche Frau im Trauergewande, die aus ihrem Erkerfenster das Nahen des Zuges beobachtete, dachte wohl Aehnliches. Für sie war es ein tiefer Schmerz, den Jüngling, dem sie so viel mütterliche Liebe gewidmet, der ihrem Herzen so nahe gestanden, nicht mehr in ihre Arme schließen zu können. Aber er hatte ja das schönste Ziel erreicht, die wahre Heimath gefunden. Der Weg seines Lebens war zwar kurz gewesen, aber sonnig und heiter, wie wohl selten einer. Gaben der köstlichsten Art waren ihm geworden, und er hatte sie bewahrt, rein und edel sie gebraucht. Die schönsten Lebensblüthen hatten ihn umduftet und waren ihm zum unverwelklichen Kranze geworden. In ihrer vollen Frische hatte der Herr diese Blume gepflückt, unberührt vom kalten Hauch des Lebens sie dort hingenommen, wo alles Hohe und Reine seine Vollendung findet.

Von dem Sarge, der ihres Pfiegesohnes Hülle barg, wandte sie das Auge mit fast noch schmerzlicherm Ausdruck dem eigenen Kinde zu. Sie wußte, mit welch' tiefem Kummer Hermann diesem Zuge folgte, sie wußte, an welcher Wunde sein Herz krankte und wie bitter er dabei diese neue empfand. Mit Wehmuth sah sie, wie sein junges Antlitz schon manche Linie des Schmerzes und der Enttäuschung zeigte. Sie kannte ihn als eines jener tief innerlichen Gemüther, die nur wenigen sich erschließen, welche stark, aber selten nur zu lieben vermögen, die das Leben leicht beraubt und selten entschädigt. Für ihren Einzigen sah sie ein freudloses Leben voraus, nachdem auch der Freund geschieden.

Und ähnlich wie die Mutter Hermann's, dachte auch das junge Mädchen, welches in der kleinen Dorfkirche kniete, tief bewegt über den Verlust des Jugendfreundes, doch noch bewegter fast von dem Anblick des tief erschütterten Mannes, dessen stattliche Gestalt an dem Pfeiler lehnte, als suche sie eine Stütze. Je kraftvoller der Mensch ist, um so mehr berührt es uns, das Leid in seinem Antlitz zu lesen. Wieder dachte Helene an das, was Hermann geschrieben von dem unüberwindlichen Schmerz, der noch größer sei als selbst der Schmerz um den geliebten Todten. Ihr Blick schweifte zu ihm hinüber; aber nicht ein einziges Mal wandte er sich zu ihr. Das that Helenen weh; voll warmer Theilnahme war sie gekommen, aber er hatte ihr nicht einmal Gelegenheit gegeben, ein Wort mit ihm zu wechseln, hatte nicht einmal mit kurzem Dank ihres Briefes erwähnt. Auch als alle nach Beendigung des Trauer-Gottesdienstes die Kirche verlassen hatten, näherte er sich ihr nicht, sondern blieb am Eingange des Thorhofes stehen, wo die Gäste sich in Gruppen versammelten, und sich von ihm Einzelheiten über den Tod des Freundes erzählen ließen.

Aber das Ende Rother's war nicht der einzige Gegenstand der Unterhaltung. Einige der Nachbarn hatten Holdern vermißt. Graf Asten erwähnte des Todes seiner Schwester, was großes Aufsehen hervorrief, da man gar keine Mittheilung darüber erhalten hatte. Der Graf erklärte dies durch die Abwesenheit Holdern's und bemerkte, man habe bisher noch nicht erfahren, daß er zurückgekehrt sei, eine Mittheilung, die neues Staunen hervorrief.

Helene hatte indessen nebst Henny, welche ihren Gatten begleitet hatte, Frau von Velden in das Haus zurückgeführt. Henny in ihrer warmherzigen, unbefangenen Art und in ihrem aufrichtigen Schmerze fand die rechten Trostworte, während Helene durch eine seltsame Scheu abgehalten wurde, sich gegen Frau von Velden besonders theilnahmvoll zu zeigen. Sie fühlte sich zu unruhig, zu sehr von ihren Gedanken eingenommen, um im Hause verweilen zu können, und benutzte den ersten günstigen Augenblick, um sich ungesehen zu entfernen. Es zog sie zu der Ruhestätte hin, wo man den Freund eben eingesenkt hatte. Sie konnte dieselbe auf einem Nebenwege erreichen, ohne den Hof zu berühren, der noch mit Gästen angefüllt war. Hart an der Bergwand, von Tannengrün und Buchenlaub überschattet, lag der Kirchhof: hier ruhte der junge Mann, dessen letztes Sehnen seinen Bergen und heimathlichen Wäldern gegolten hatte.

Als Helene dort anlangte, sah sie eine alte Frau in halb städtischer, halb bäuerlicher Kleidung am Grabe knieen, die eben im Begriff war, einen Kranz auf dasselbe niederzulegen. Helene erkannte dieselbe, als sie beim Geräusch ihrer Schritte sich erhob. Es war Jetta, die alte Jetta aus dem schwarzen Hause in der Domgasse.

»Ich habe ihm auch einen Kranz bringen wollen – in ihrem Namen, wissen Sie,« sagte die Alte, nachdem sie Helene begrüßt hatte. »Es wird erzählt, sie hätte zuletzt alles gethan, um sein Leben zu retten. Ich wußte es ja: sie hat an ihm gehangen mit ganzer Seele. Ich hab' mir's nachher wohl gedacht: sie hat's nicht verwinden können, daß er seinen eigenen Weg ging; denn seitdem war sie so verändert. Vom ersten Tage an, wo sie ihn gesehen, hat sie ihm angehangen. Alles hat sie gehaßt, was sich zwischen sie und ihn gestellt, und wenn's der Herrgott selber war. Sie hat eben gemeint, sie könne alles lenken; nimmer hat sie denken können, daß mit all' ihrem Verstande, ihrer Schönheit und ihrem Gelde sie nicht erzwingen könnte, was sie wollte. Sie ist dazumalen auch auf Sie eifersüchtig gewesen, weil sie gedacht, er sei nur Ihretwegen ihr abwendig geworden,« setzte die Alte noch hinzu, mit einem Blick auf Helene, als fände sie das gar nicht unbegreiflich.

»Herrn Rother ist so etwas nie in den Sinn gekommen,« sagte Helene hoch erröthend und fast unwillig.

»Weiß wohl, weiß wohl,« beschwichtigte die Alte; »aber die Daniella hat's geglaubt. Sie hat sich eben nicht vorstellen können, wie einer den Sinn nur auf's Höchste stellt. Woher hätte sie's auch wissen sollen? Du lieber Gott! Ihr alter Großvater und ihr Vater, die haben viel geprahlt mit ihrer Bildung; ich aber hab's oft gesagt, sie hätten ihr besser anderes in's Herz legen sollen, denn der klügste Mensch könne doch nicht viel – und sie war ein hoffärtig Kind. Nun hat sie nicht einmal das Schrecklichste zu verhüten vermocht, nicht einmal das, was ihr selbst das Herz gebrochen haben wird! Es hat hart kommen müssen, ihr zu zeigen, was der Mensch in seiner Schwäche ist; Gott gebe, daß es ihr noch zu gute kommt. Der hier ruht, er weiß jetzt, daß sie ihm bei all' ihrer Verkehrtheit gut war, und er wird dafür dort oben ihr Fürbitter sein.«

»Ja, möge er's sein,« sagte die ernste Stimme Hermann's, der leise herangetreten war! »er hat immer gewünscht, ihr die Erkenntniß zu erschließen. Sie hat schwere Schuld auf sich geladen, weil sie im Trotz sich von der Wahrheit abwandte und jene schreckliche Saat ausstreuen half; jetzt büßt sie es schwer. In der elften Stunde hat sie gesucht, die Schuld zu sühnen, und nur einen Augenblick ist sie zu spät gekommen. Gott hat es so gewollt!« schloß er tief bewegt.

Helene sah zu ihm auf; aber er schien ihren Blick zu meiden. Jetta fragte ihn, was man denn jetzt mit Daniella anfangen würde.

»Man hat sie in Haft genommen,« sagte Hermann. »Sie war noch nicht wieder bei Sinnen, als ich abreiste. Die furchtbare Aufregung scheint ihr nur einen Gedanken gelassen zu haben. Man erzählte mir, daß immer dieselben Worte über ihre Lippen gingen, die Worte, die Rother im letzten Augenblicke gesungen hat. Es muß das Confiteor gewesen sein; sie wiederholt stets nur: » mea culpa, mea culpa, mea maxima culpa!« So versicherte mir Graf Bussy, der sie aufgesucht hat.«

»O!« sagte Helene, »wie entsetzlich! Sie, die den Begriff einer Schuld nicht einmal erfassen wollte und das Bekenntniß eine Schwäche nannte!«

»Ich habe dem Grafen aufgetragen, sich für sie zu verwenden, damit sie für's erste in eine Pflege-Anstalt gebracht wird. Man sagt, sie habe ihr ganzes Vermögen eingebüßt und in der letzten Zeit fast ärmlich gelebt.«

»Du lieber Gott, auch das noch,« sagte die Alte; »und daß der Veitel das alles noch erleben muß! Aber das ist schön von Ihnen, Herr Baron, daß Sie ihr nichts nachtragen, obgleich sie Ihnen so schweren Kummer bereitete. Ich weiß, wie er, der hier liegt, und Sie aneinander gehangen haben von Jugend auf. Aber grämen Sie sich nicht zu viel, Herr Baron; unser Herrgott hat ihn lieb gehabt, daß Er ihn so früh zu sich rief. Ich meine immer, solche Leute wie er, die wären nicht für diese Welt, die gehörten dahin, wo alles Friede und Freude ist. Und Ihnen,« fuhr sie fort, ihn treuherzig anschauend, »wird der Herr wohl noch manches andere Glück schicken, das Sie dieses Leid wird verschmerzen lassen. Das ist der Trost für die Jungen, und uns Alten hat er das Wiedersehen dort oben so nahe gerückt, daß es nur 'ne kleine Weile noch dauert.« Sie gab den beiden jungen Leuten die Hand und schlug den Weg zum Dorfe ein.

Eine eigenthümliche Bewegung erfaßte Helene bei den letzten Worten der Alten, die fast lauteten wie jener Wunsch Rother's, von dem er ihr damals geschrieben. Sie war stehen geblieben, und auch Velden zögerte. Er stand wieder einmal neben ihr, er hörte das leise Rauschen ihres Kleides, er sah, wie die weißen Hände auf dem schwarzen Gewande gefaltet ruhten, und er sah auch, wie ihr Blick sich jetzt schüchtern, fast bittend zu ihm erhob. Aber im selben Augenblick empfand er es fast wie ein Unrecht, daß er hier an etwas anderes dachte, als an den todten Freund. Er bog das Knie noch einmal zum stillen Gebet. »Ich glaube, wir müssen heimgehen,« sagte er nach einigen Secunden, und still schloß sie sich ihm an.

Sie schritten langsam, schweigend den Weg hinab; beide empfanden zu viel, um zu sprechen. Hermann fühlte endlich die Nothwendigkeit, etwas zu sagen.

»Sie haben auch einen Verlust erlitten, der Ihnen nahe gegangen sein wird,« sagte er etwas steif, zum ersten Mal das fremde Sie gebrauchend, so daß Helene betroffen stehen blieb. »Ihre Freundin, die Baronin Holdern, ist ja plötzlich verschieden, wie Ihr Vater mir eben mittheilte.«

»O, Hermann, wie kannst du heute nur davon reden, wie kannst du von Carry Holdern sprechen an dem Tage, wo wir einen Freund wie Rother begraben haben! Das ist hart von dir. Sie zählte nur zu unsern Bekannten. Du weißt aber, was Anton uns war, wenn wir auch unsern Schmerz nicht mit dem deinigen vergleichen dürfen.«

»Ich habe alles verloren,« fügte Hermann dumpf, als habe er nur das letzte Wort gehört; »alles, was ich an Liebe und Freundschaft besaß.«

»Alles?« fragte Helene bitter; »alles? Das ist doch ungerecht gegen Jene, die dir noch geblieben sind. Galt dir denn niemand etwas, als dein Freund? Ueberhaupt weiß ich nicht,« fuhr sie fort, »warum du jetzt so kalt und fremd bist. Du willst weder an meinen innigen Antheil glauben, noch mich an deinem Schmerz theilnehmen lassen, wie es doch früher stets der Fall war.«

Sie hatte in erregtem Tone gesprochen. Hermann stand vor ihr; sein Antlitz war noch finsterer geworden bei ihren Worten.

»Wie früher?« rief er fast rauh. »Helene, du hast am wenigsten Recht, zu fragen, warum es nicht mehr wie früher sein kann! Wir sind keine Kinder mehr, hast du einst selbst gesagt, und fürwahr, du hast Recht gehabt. Ich kann dir die ruhige Freundschaft nicht widmen, die du vielleicht zu wahren wünschest. Ich kann dir der Freund und Bruder nicht sein, den du in mir sehen möchtest; ich kann dich mit keinem andern glücklich sehen, wenn ich auch Gott bitten werde, daß er dir alles Glück gebe! Es mag dir hart und unedel scheinen; aber besser ist es, das klar und wahr einzugestehen. Ich kenne mein Loos; nun laß mich's auch tragen, wie ich kann.«

Es war eine rauhe, verletzende Zurückweisung. Kummer und Erregung ließen ihn dabei in seinen Worten nicht wählerisch sein. Und doch schien Helene nicht gekränkt.

»Klar und wahr?« sagte sie sinnend. »Du hast Recht, Hermann: Irrthümer sind schrecklich. Aber weißt du so gewiß, daß du nicht im Irrthum bist? Ich errathe, was du meinst; aber verhält es sich auch so? Laß uns das wenigstens aus unserer Kinderfreundschaft retten,« fuhr sie muthiger fort, »daß wir uns frei aussprechen können. Ich weiß, worauf du hindeutest, und ich selbst habe dir einst das Recht gegeben, so zu denken. Du, der du so stark bist und so klar schaust, wirst vielleicht nicht begreifen, daß man« – sie stockte – »daß man auch darin irren kann. Sieh' Hermann, … du wirst mich sehr schwach finden … ich habe damals geirrt. Ich war noch ein halbes Kind, und ein Bild nahm meine Phantasie gefangen, ein Bild, welches nicht existirte, wie ich jetzt weiß.«

»Ich wußte schon damals, daß er deiner nicht würdig war,« sagte Hermann; »und wahrlich, jetzt bedauere ich, daß ich dein Bruder nicht bin, daß ich ihn nicht strafen kann für das Spiel, das er mit dir trieb!«

»Nein,« erwiderte Helene ruhig, »es war eigene Verblendung. Jetzt ist es vorüber. Nichts hat mich von ihm getrennt, als die einfache Erkenntniß, daß ich mich in einem großen Irrthum befunden hatte. Noch vor Herbert's Tode war mir alles klar geworden, – und von meinem Irrthum ist keine Spur zurückgeblieben als die Erinnerung … wie an einen bösen Traum.« Sie sah ihm jetzt frei und offen in's Antlitz.

»Helene, Helene!« rief Hermann fast außer sich. »Weißt du, was du sagst, – welche Hoffnungen du erweckst, wenn du mir sagst, daß dein Herz wieder frei ist, … ganz frei?«

»Das habe ich gerade nicht gesagt,« antwortete Helene, und ein schelmischer Ausdruck glitt über ihre Züge, während gleichzeitig eine helle Röthe ihr Antlitz bedeckte. Sie wollte vorwärts gehen, aber schon hatten seine Hände die ihrigen umklammert.

»Täusche mich nicht, Helene – sage noch einmal, was du eben gesagt hast. Was darf ich daraus entnehmen?«

Sie ließ ihm die Hände, die er erfaßt; aber ihr Haupt senkte sich, und er mußte seine Frage wiederholen.

»Was darf ich daraus entnehmen?« rief er angstvoll.

»Daß ich vielleicht noch schwerer zu jener Erkenntniß gekommen wäre, wenn ich nicht jemand gekannt hätte, stark, rein und gut, einen Mann, bei dem die Phantasie immer gegen die Wirklichkeit zurückblieb,« sagte sie leise. »Nur ist er ein wenig starr und stolz, so daß er nicht begreifen kann, wie man einmal hat irren können.«

»Helene!« rief Hermann und zog sie an sich, indem er ihr freudetrunken in's Auge sah. »Helene, ist es wahr? ist es kein Traum nach dem langen Leid, das ich um dich getragen?«

»Laß mich jetzt dein Glück sein, – und Gott möge mich so vieler Liebe und Treue werth sein lassen,« flüsterte sie, sich an ihn schmiegend. Hermann verschloß ungestüm ihre Lippen, bis er plötzlich eben so ungestüm sich von ihr los machte.

»O Gott!« sagte er und bedeckte die Augen. »Ist es nicht schrecklich, daß wir gerade heute so glücklich sind? – heute, wo wir ihn eben bestattet! Hätte er doch noch unser Glück gesehen!«

»Er sieht jetzt wohl ein schöneres Glück,« versetzte Helene. »Seine frohe, reine Seele kann man sich nur selig denken, und ich glaube, unser Glück war sein einziger Wunsch. Seinem Rath und Trost verdanke ich viel,« fuhr sie bewegt fort. »Er hat Recht gehabt: die echte Liebe ist wie ein Frühlingshauch, der durch die Seele zieht.«

»Sprach er dir von mir? Hat er dein Mitleid für meine Liebe wachgerufen?« fragte Hermann, fast mißtrauisch sie anschauend.

»Nein; was ich von deiner Liebe weiß, weiß ich nur von dir selbst,« sagte Helene, »und ich hoffe, ich habe mich darin nicht geirrt. Aber Rother stand mir bei in einer Zeit, wo alles dunkel und unklar in mir war. Er hatte eine reine, hohe Seele, die all' ihr Licht von oben empfing, und deshalb war sein Rath stets so wahr und erquickend.«

»Ach, und was wird die Mutter sagen!« flüsterte Hermann. »Was wird sie sagen, daß dieser Freudenstrahl gerade auf diesen Tag fällt?«

»Daß selbst der Trauertag Anton Rother's nicht düster bleiben konnte,« antwortete Helene; »daß der Freund dich nicht hat traurig zurücklassen wollen und uns einen Strahl seines sonnigen Glückes hinterließ.«


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