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8

Derjenige, welcher die Ursache all' der heftigen Erregungen an jenem Abend geworden, schien sich dessen nicht bewußt zu sein.

Mit seinem gewohnten Gleichmuth lenkte Holdern die Zügel der ungestümen kleinen Rosse und blies den Dampf seiner Cigarre in die laue Nachtluft, scheinbar gleichgültig vor sich hinstarrend. Gedankenleer sah der kräftige Kopf aber nicht aus; doch war es wohl eher dumpfes Brüten, als klare Gedankenarbeit, was in ihm lebte.

Sein Begleiter störte seine Schweigsamkeit nicht. Rother gehörte zu den empfänglichen Naturen, auf die alles in der Natur unmittelbar wirkt, helle, lebensvolle Tagesschönheit wie das stille Schweigen der Nacht. Ueberdies beschäftigte ihn das eben Erlebte, besonders der Abschied des Freundes, dessen Gefühle er kannte. Jenen letzten Wortwechsel zwischen Hermann und Helene nicht ahnend, dachte er nur der Genugthuung, die Velden gehabt, als er Helene so entschieden auf seiner Seite sah. Ihm selbst hatte es in der letzten Zeit gedünkt, als sei Helene dem Freunde weniger zugethan, demselben fremder geworden. Auch ihm war der Gedanke aufgestiegen, Holdern könnte die Ursache sein. Doch fand er es unmöglich, zu glauben, daß Holdern mit seinen so entgegenstehenden Ansichten auf ein Mädchen wie Helene Eindruck machen könne. Der heutige Abend schien dies vollständig bestätigt zu haben. Es ist eigentümlich, wie wenig richtig der Mann des Weibes Herz beurtheilt, – er stellt es entweder zu hoch oder schlägt es zu gering an.

Bei diesem Gedankengang trat dem jungen Manne Helenens schönes Bild vor Augen, und seine Phantasie weilte nicht ungern dabei.

Wie alle sehr harmonischen Schönheiten, frappirte Helene weniger in dem ersten Augenblicke; aber auf die Länge gewann sie, wie auch ihr innerer Werth erst allmälig zu Tage trat.

Rother hatte in der letzten Zeit viel Gelegenheit gehabt, sie zu beobachten, und sie unabsichtlich stets mit einer anderen in Vergleich gebracht, was ihr nur zum Vortheil gereichte. Noch nie war sie ihm so schön erschienen, wie am heutigen Abend, wo ihre gewöhnlich ruhigen Züge sich belebten und warme, beredte Worte ihrem Munde entströmten, als sie mit lieblicher Weiblichkeit und doch so fester Ueberzeugung stritt. Ihr ruhig erwägender Verstand bot einen scharfen Gegensatz gegen Daniella's blendende aber unzusammenhängende Geistesblitze.

Rother hatte seinen Gefährten so sehr vergessen, daß er zusammenfuhr, als dieser ihn ansprach: »Immer noch in Gedanken an die schöne, streitbare Comtesse?« Mit sarkastischem Lächeln fixirte er dabei Rother, indem er seine Cigarre fortschleuderte und die Pferde zu einer ruhigern Gangart zwang. »Immer noch mit ihr beschäftigt und mit ihren tugendhaften Erörterungen? Sie frommer junger Mann! Was würde aber Ihre schöne Muse in der Residenz sagen, wenn sie ihren Freund in solche Anbetung versenkt wüßte?« Er sagte das in scherzendem Tone, hielt aber dabei den Blick forschend auf den jungen Mann gerichtet.

Rother versuchte zu lächeln; der Ton, in welchem Holdern auf Helene anspielte, mißfiel ihm jedoch sehr. So vertraulich sein Verkehr in der Familie Asten seit seiner frühesten Jugend stets gewesen war, hatte er doch die Schranke, die zwischen den Grafenkindern und ihm obwaltete, nie aus den Augen verloren; keiner seiner Gedanken hatte sie jemals überschritten.

Dem Baron schien es Vergnügen zu machen, den Standesunterschied nicht gelten zu lassen. Unbekümmert fuhr er fort: »Sie scheint fast mehr nach Ihrem Geschmack, die königliche blonde Schönheit, als jene schwarze Sionstochter. Sie sind der reine Tasso zwischen zwei Leonoren, Sie beneidenswerther Troubadour. Unleugbar ist Ihnen die Prinzessin hold – in ihrem heiligen Eifer …«

»Sie haben kein Recht, in dieser Weise von einer Dame zu reden, deren Vater Sie wie auch mich mit seiner Freundschaft beehrt,« brauste Rother auf. »Sie haben kein Recht, mich zu beleidigen, indem Sie mir Gedanken unterschieben, die mir ganz fern liegen. Ich werde kein weiteres Wort …«

Rother's Hand lag schon auf dem Wagenschlag; er schien zu dem Sprunge bereit, der ihn der Gesellschaft des Barons überheben sollte.

Lachend, aber doch fest und sicher griff Holdern ihn an der Schulter und drückte ihn auf seinen Sitz nieder. »Empfindliche Künstlerseele!« sagte er halb spöttisch, halb begütigend. »Schreckliche Menschen, solche Tassos! Was wollen Sie denn eigentlich, daß Sie einem guten Bekannten kein harmloses Wort erlauben? Oder sind Sie so angekrankt von den hiesigen Anschauungen, daß Sie jedes einfache Edelfräulein für eine Gottheit ansehen, an die kein Sterblicher, der nicht wohlbeschworen seine sechszehn Ahnen zählt, mit einem Gedanken hinaufreichen darf? Ein Jahr in der Residenz! Wenn Sie, Künstlerknabe, da nicht gelebt hätten schlimmer wie ein Mädchen im Pensionat, so hätte sich Ihnen schon ein weiterer Horizont eröffnen müssen. Ihre Gereiztheit aber verräth vielleicht viel,« fuhr er unermüdlich fort. »Dennoch will ich Abbitte thun, wenn Sie dafür halten, daß der Gedanke schon ein Attentat auf die Würde der Dame sei. Fraglich ist's übrigens, ob sie Ihnen für Ihr Zartgefühl dankbar sein wird. Schon manches gekrönte Haupt hat nicht verschmäht, Hand und Herz dem Genie zu opfern, – ein Beispiel, das freilich nichts zu bedeuten hat gegenüber einem hiesigen Land-Magnaten. Wer weiß aber, wie Sie einst denken werden, wenn ein Mal die Sonne des Ruhmes hoch über Ihrem Haupte steht!«

»Nichts würde mich verleiten, jemals zu vergessen, was ich der Familie Asten an Achtung und Verehrung schulde!« rief Rother bewegt. Im selben Augenblick aber empfand er den lebhaftesten Aerger, sich zu diesen Worten haben hinreißen zu lassen, die als eine Art Geständniß gedeutet werden konnten. Und in Wahrheit hatte doch ein derartiger Gedanke, wenn auch noch so schattenhaft, noch nie sein Gehirn durchkreuzt. Etwas Verwirrendes lag in der Art, wie Holdern ihm Helenens Bild, zu dem er bisher nur in Ehrfurcht emporgeblickt, nahe vor die Augen rückte.

»Also Aufopferung und stumme Entsagung!« begann der Baron nach einer Weile in demselben neckenden und doch ernsten Tone von neuem. »Wenn Sie nicht gleich so gereizt auffahren wollten, würde ich Ihnen aus purer Gutmüthigkeit etwas verrathen, was Ihre Bescheidenheit vielleicht nicht bemerkt hat: daß die schönen Augen der stolzen Dame sich Ihnen huldvoller zuwandten, als ihrem nach Familien-Reglement patentirten Liebhaber. Er ist zwar Ihr Freund, aber Sie müssen doch zugestehen, daß er ein besonders vollkommenes Exemplar hiesiger Eigenart ist.«

»Gott sei Dank, daß er es ist,« sagte Rother aus tiefstem Herzen und zugleich in der Absicht, dem Baron möglichst scharf entgegenzutreten. »Je mehr man andere Art und Weise kennen lernt, desto mehr lernt man die hiesige schätzen.«

Sein Gefährte ließ sich aber nicht aus der Ruhe bringen. »Sie sind ein großes Kind, Künstlerknabe,« erwiderte er nur, seine Pferde wieder zu etwas schnellerer Gangart aufmunternd. »Aber man muß dem Genie etwas zu gut halten,« fuhr er fort. »Es ist ein Glück, daß wir bald am Ziele sind, sonst würde diese Stätte am Ende noch der Schauplatz blutiger Ereignisse: Seine Majestät könnte vielleicht um einen Recruten, die Kunst um einen ihrer schönsten Jünger ärmer werden. Wir wollen also dies gefährliche Thema verlassen – träumen Sie in entsagender Anbetung weiter von Ihrer hohen Schönen.«

»Aber ich sagte Ihnen schon: Sie unterschieben mir ganz fremde Gedanken!« rief Rother. »Ich habe natürlich Comtesse Helenens Geist und Schönheit wie ihr charaktervolles Wesen stets bewundert, wie wohl jeder thut, der ihr näher tritt. Aber doch nichts weiter. Sie selbst, Herr Baron, scheinen eher von ihr gefesselt.« Des Barons unaufhörliche Anspielungen machten ihn kühner, und er war begierig, zu erforschen, ob sein Gegner absichtlich dies Thema gewählt habe, um über Helenens Stimmung etwas zu erfahren.

Aber auf Holdern's Zügen war nichts zu lesen; sie zeigten nur sein gewohntes kaltes Lächeln. »Pardon,« sagte er, »Ihren Geschmack will ich nicht antasten. Doch ich verehre die pedantisch in Grundsätzen eingeschnürten blonden Huldinnen dieses Landes nicht so wie Sie. Die schöne Dame würde überdies zu viel für mein Seelenheil zittern. Auch werde ich das ihrige nicht gefährden dürfen, indem ich ihre Augen auf ein so unheiliges Geschöpf lenke. Dieser Versuchung werde ich wohl noch entgehen – so schwer sie Ihnen dünkt – darüber kann ich Sie beruhigen. Mein Ehrgeiz zielt nicht dahin, dieser wohlsituirten, aber hinter so engen Wällen vegetirenden Menschen-Race mich einzuverleiben.«

Das Rollen des Wagens auf dem Steinpflaster unterbrach das Gespräch.

»Soll ich Sie gleich in Ihre Casernenhaft abliefern, oder können Sie mir für die Viertelstunde Gesellschaft leisten, die ich bis zu meiner Abfahrt in dem wenig anmuthigen Restaurationslocale noch werde zu warten haben?« fragte Holdern, als sie am Bahnhofe anlangten. »Ich sage Ihnen zwar voraus, daß ich die Zeit anwenden werde, um möglichst all' die Banden zu lockern, mit denen man Sie umstrickt hat. Ich hatte gedacht, dies sei schon den brennenden Augen Ihrer schönen Freundin gelungen. Oder prallen die Strahlen an dem Schilde des Glaubens ab, den Sie vornehmen, – wenn es nicht doch der Schild der Liebe ist, ohne daß Sie es wissen? Sehen Sie: wenn ich will, kann ich auch in Ihrer Sprache reden,« plauderte er unermüdlich weiter, indeß er schon den Wagen verlassen hatte, und einem bereit stehenden Manne die Equipage übergab mit dem Auftrag, sie bei seiner Rückkunft in zwei Tagen bereit zu halten.

Rother bemerkte dabei mit einigem Staunen, wie der Baron am Bahnhof alle Einrichtungen für seine häufigen Reisen getroffen hatte, und einige der dort Bediensteten ihm, wie es schien, ganz zu Befehl standen.

Sie waren inzwischen auf den Perron geschritten, und Holdern meinte, in dem gleichen Tone fortfahrend, indem er sich von Rother verabschiedete: »Soll ich Ihre schöne Freundin grüßen? Bis morgen gedenke ich sie zu sehen. Wollen Sie eigentlich dieselbe bekehren oder nur als Troubadour in dem geistigen Hofstaat figuriren, den sie ambitionirt? Fräulein Hirsch scheint in Geist wuchern zu wollen, wie ihr Papa mit dem schnöden Golde.«

»Sie sind schrecklich mit Ihrer scharfen Zunge – niemand ist vor Ihnen sicher,« bemerkte Rother, wider Willen amüsirt von der Art des Barons. Dennoch berührte es ihn unangenehm, daß Holdern denen, die er mit solchem Eifer ausgesucht hatte, so wenig geneigt schien, während man einige Freundschaft für die Familie hätte voraussetzen sollen. Er vermochte sich diese schnöde Art zu reden nur zu erklären als eine gesuchte Manier, um wärmere Gefühle zu verdecken, die doch wohl Helene gelten mochten.

Holdern war ganz der Mann, die Menschen in solchen Zwiespalt zu bringen. Es umgab ihn dabei etwas Geheimnißvolles, das fast jedermann reizte, die Tiefen oder Untiefen seines Charakters wie seines Lebens zu erforschen. Die Unstetigkeit, welche ihn bald hier, bald dort erscheinen ließ, gab noch mehr Anlaß dazu.

Nicht gerade in der Umgegend, wohl aber von andern Orten verlauteten Gerüchte, man habe den düstern Baron oft an den Tischen der fashionabelsten Spielsalons gesehen. Man erzählte mit jener heimlichen Anerkennung, die man der Kaltblütigkeit selbst im Schlechten nicht versagt, mit welch' stolzer Gleichgültigkeit er Rollen Geldes habe schwinden sehen.

In dem Jahre, als die Familie Asten nach Italien ging, war er zuerst in's Land gekommen und hatte von seiner alten Stammburg Besitz genommen. Sein Aufenthalt daselbst war jedoch immer nur von kurzer Dauer gewesen. Endlich aber schien er dort festen Fuß fassen zu wollen; denn auch seine Schwester war dorthin übergesiedelt.

Holdernheim war ein ansehnliches Gut mit einem stattlichen Schloß, das aber einen vernachlässigten Anblick darbot. Die innere Ausstattung war ebenfalls sehr ungenügend. Das Wohngemach der Geschwister zeigte kaum die nothwendigste Einrichtung und machte einen unbehaglichen Eindruck. Welche Umstände dem jetzigen Besitzer, als dem Sprossen eines jüngern Zweiges der Familie, dies Besitzthum mit Uebergehung der Ansprüche der ältern Linie zugewandt, wußte niemand.

Carry Holdern, die trotz des warmen Maitages in Tücher und Shawls gehüllt auf dem einzigen alten Sopha Platz genommen hatte, hätte vielleicht darüber Aufschluß geben können, wenn diese festgeschlossenen Lippen überhaupt zu Enthüllungen geneigt gewesen wären. Nur wenige Tage nach jener Reise war Holdern auf sein Gut und zu seiner Schwester zurückgekehrt, doch schien er in keiner guten Stimmung zu sein. Mit dem Ausdruck finstersten Mißvergnügens schritt er eben in dem weiten, öden Gemach auf und nieder, indeß seiner Schwester scharfe, kalte blaue Augen ihm dabei mit einem unruhigen Blick folgten. In seiner kräftigen Erscheinung bildete er einen merkwürdigen Gegensatz zu der kleinen, zarten, sichtlich um sehr vieles ältern Schwester. Seine unausgesetzte Beweglichkeit schien ihre Nerven anzugreifen, denn ein unruhiges Zucken flog über die feinen, früher gewiß nicht reizlosen Züge. Doch wagte sie nicht, den Bruder zu stören.

»Keine guten Nachrichten aus der Residenz erhalten, Fritz?« fragte sie endlich mit einer dünnen Stimme, deren scharfer Klang gut zu den scharfen Zügen paßte.

»Glaubst du vielleicht, die Zeit sei geeignet zu einer solchen Transaction?« fragte er etwas unwirsch entgegen, ohne seinen Spaziergang zu unterbrechen.

»Der Krieg hat freilich alle Geschäfte in's Stocken gebracht. Auch wir werden darunter leiden müssen. Wie ist die augenblickliche Constellation – was erwartet man?«

»Für die Stockung unserer Geschäfte und den schweren Druck der Zeit werden wir den großen Mann des Augenblickes nicht verantwortlich machen können,« versetzte Holdern mit bitterer Ironie. »Aber immerhin mag er zu aller Last auch diese Last noch tragen, wenn es dir besser klingt, unsere Lage auf Rechnung der Welt-Ereignisse zu schieben. Es lautet hübscher, und darauf kommt es euch Damen doch immer vor allem an. Also, bei der in Folge des Krieges augenblicklich unangenehmen Situation,« fuhr er, vor seiner Schwester stehen bleibend, mit einem unangenehmen Lachen fort, »wollte der alte Hirsch auf nichts eingehen. Er machte es wie du: er kleidete seine Weigerung in dieselbe hübsche Form. Ich bin wirklich neugierig, welche Redensart er einst im Frieden bei ähnlicher Gelegenheit ersinnen wird. Dann kannst du ihm gewiß auch mit einer schönen Wendung aushelfen.«

Die Schwester schien seine beißenden Worte kaum zu beachten. Das nervöse Zucken, das jetzt heftiger über ihr Antlitz flog, hatte in einer andern Erregung seinen Grund. Krampfhaft preßten sich die Hände zusammen, gebeugt sank das Haupt nieder, Sorge und Angst sprachen aus ihren Augen. Nach einer kleinen Weile frug sie: »Was wirst du denn thun, Fritz? Wie willst du es wenden? Dein letzter Verlust, wo du schon in so kritischer Lage dich befandest, war allzu entsetzlich. Auf diesen Hirsch hatte ich meine letzte Hoffnung gesetzt.«

»Dann mußt du eine immense Hoffnungsseligkeit gehabt haben; diese Hoffnung war mindestens thöricht.«

»Meine Hoffnungskraft ist gewiß seltener Art,« gab sie scharf zurück; »sie muß sehr thöricht sein, daß ich einen Augenblick wähnen konnte, du würdest deine unselige Passion mäßigen, wenn auch nur so lange, um den Ruin nicht gerade jetzt heraufzubeschwören!« Ihre Augen sahen fast verächtlich auf den Bruder. »Aber nicht ein Mal so viel Beherrschung war dir möglich,« schloß sie mit schneidender Kälte.

Eine dunkele Wolke flog über Holdern's Gesicht bei diesem Vorwurf. »Nur keine Predigt – du weißt, ich ertrage Vorwürfe nicht,« sagte er dumpf. »Ich lasse mich nicht mehr hofmeistern – vielleicht hättest du es früher mit mehr Aussicht auf Erfolg versuchen können. Mag es gehen wie es will – wenn der Ruin nicht aufzuhalten ist, so mag er kommen. Das Leben ist nicht werth, es so zähe festzuhalten. ›Genug gelebt, um dessen müde zu sein,‹ hat ein weiser Mann gesagt. Ein Mittel bleibt immer, auch dem Ruin in anständiger Weise aus dem Wege zu gehen. Für dich wird genug bleiben.« Kalt wendete er sich der Thür zu, als wolle er alles fernere Gespräch abschneiden.

Die kleine Gestalt auf dem Kanapee schnellte aber im selben Augenblick mit einer Kraft empor, die man ihr kaum zugetraut haben würde. Sie war schon an ihres Bruders Seite, ehe derselbe noch die Thüre erreicht hatte. Ihre Hände faßten krampfhaft seinen Arm. »Fritz, Fritz!« stöhnte sie, »was meinst du, was sinnst du? Nimm mich mit, Fritz; tödte mich zuerst; du weißt, daß ich nur für dich lebe: ich sorge um meinetwillen ja nie.«

Lag auch etwas theatralisches Pathos in der Bewegung, mit der sie ihm zu Füßen sank und seine Kniee umklammerte, so sprach doch wirkliche Angst und unnennbare Zärtlichkeit aus dem Blick, mit dem sie zu ihm aufsah.

Ein Ausdruck weicherer Stimmung ging über seine Züge, wenn er sich auch ungeduldig von ihr loszumachen suchte. »Mache keine Scene, Carry,« sagte er, sie aufhebend. »Ich sprach nur von jenem Rettungsmittel, welches das allerletzte bleibt, wenn gar kein Ausweg mehr ist. Dein kluger Kopf läßt es aber dahin nicht kommen. Vogue la galère! Schließlich freut sich dennoch ein jeder, daß er athmet im Licht. Dieser Krieg hilft mir immerhin eben so viel, als er mir schadet. Du hast ja vorhin selbst meine Verlegenheit so hübsch erklärt mit der allgemeinen Stockung, die allen Geschäften droht, und so mag jedermann es hinnehmen.«

Mit einer gewissen Sorglichkeit führte er Carry auf das Sopha zurück und hüllte sie in ihre Shawls.

»Bei der Kriegsgefahr sinken alle Papiere,« fuhr Holdern fort; »alle Einkünfte von dort drüben bleiben aus. Nichts natürlicher, als daß ich für die erste Zeit eine Summe nothwendig brauche. Einer meiner geehrten Standesgenossen wird seinen hohen Begriff von Standesgefühl wohl dadurch bethätigen, daß er mir in solcher Krisis unter die Arme greift. Mein Schwesterchen hat das ja mit vielem Geschick eingeleitet.«

»Graf Asten,« flüsterte Carry Holdern, anscheinend ohne seine letzte Bemerkung zu beachten. »Ich hatte also nicht unrecht, wenn ich schon damals daran dachte, welche Stütze die Familie dir werden könnte. Hättest du nur meinem Rathe mehr gefolgt …«

»Oft genug habe ich in letzter Zeit von ihrer Gastlichkeit Gebrauch gemacht, so wenig Sinn ich sonst für solche Land-Idyllen habe.«

»Helene Asten ist ein schönes Mädchen; sie sah dich damals sehr gern,« warf Carry ein.

»Ihr Weiber mit euern ewigen Heiratsgedanken! Und was sollte es mir nützen? Bei der ausgezeichnet gut bedachten Stellung, deren die Töchter im hiesigen Lande sich erfreuen, könnte Helene Asten mir nicht viel helfen!«

»Ich habe mich genau erkundigt. Helene Asten ist eine große Partie im Falle des Todes ihres Bruders. Du weißt, wie kränklich der Knabe ist.«

»Pah! er hat sich vollständig erholt. Wenn auch nicht Methusalems Alter, kann er doch noch viele Jahre erreichen. Meine Lage aber gestattet kein Warten bis zur Zeit einer möglichen Erbschaft. Und glaubst du, ich würde gern auf diesem Fleck Erde mich festsetzen, wo man nicht drei Tage ohne Nebel ist, nicht drei Häuser ohne Kirche findet, und nicht drei Schritte thun kann, ohne einem Pfaffen zu begegnen? Comtesse Asten ist ein hübsches Mädchen, aber ihre stille Beauté könnte mir das alles nicht versüßen, vorausgesetzt auch, es passirte ihr – vielleicht des Gegensatzes halber –, Geschmack zu finden an solch' heidnischem Geschöpf wie ich. Seit unserer letzten Unterredung werde ich in ihren Augen unrettbar verloren sein.«

»Helene Asten liebt dich!« rief Carry, »ich weiß es, sie liebt dich.«

Holdern senkte den Kopf, starrte auf die Erde und pfiff leise vor sich hin. Die Nachricht schien ihn nicht zu überraschen; er war vielleicht allzu verwöhnt in dem Punkt, um das nicht gleichgültig hinzunehmen.

»Helene besitzt großen Einfluß auf ihren Vater,« fuhr Carry fort, »und da wir sehr freundschaftlich zusammen stehen …«

»Nun, so verwende der schönen Dame Freundschaft so günstig wie du kannst,« sagte Holdern, aufspringend und zum Fenster schreitend. »Das wird deine geschickte Zunge schon passend einzuleiten wissen, auch ohne daß ich weiter dabei in's Spiel komme. Der alte Asten will mir wohl; auch ist er von weniger zähem Holze wie die übrigen … Oder laß meinethalben den ganzen Kram zu Teufel gehen – drüben über dem Wasser läßt sich anderes versuchen,« setzte er plötzlich wieder in anderm Tone hinzu, als sei er wirklich all' der Versuche müde.

Wieder zog der ängstliche Zug über Carry's Gesicht; dennoch sagte sie in demselben ironischen Tone, den ihr Bruder so oft anschlug: »Ich glaube nicht, daß du an den primitiven Zuständen dort mit ihrer mühseligen, steten Arbeit viel Geschmack fändest! Deine Freunde übrigens, die so weite Pläne hatten, die dich zu gewinnen suchten – kannst du dich denn nicht auf sie stützen? Du könntest ihnen vielleicht hier das Terrain für später bereiten.«

»Meine mächtigen Freunde mit ihren weiten Plänen befinden sich augenblicklich in der fatalsten Lage. Sie sind irre geworden an der Situation. Sie wissen nicht, ob sie »Hosiannah« oder »Kreuziget ihn« rufen sollen. Eine Kugel haben sie zu Beginn der Katastrophe zwar daran gewagt; aber es liegt Humor darin, wie ungewiß sie jetzt über die Entwickelung der Dinge sind: ob sie einen Freund oder einen Feind in dem großen Manne des Tages sehen sollen.«

»Fritz, ich kann jetzt nur an dich denken,« sagte Carry wieder, »so sehr mich sonst derartige Lagen interessiren. Im ganzen bin ich froh, wenn du dich den Menschen fern hältst. Aber die kleine Hirsch? Absichtlich sandte ich dich zu ihr, nicht bloß um einen Anknüpfungspunkt mit dem Vater zu finden – sie soll sehr reich sein … Einen Baronstitel verschmäht man in diesen Geldkreisen selten.«

»Daniella!« rief Holdern mit einem eigenthümlichen Lächeln. »Sie wäre vielleicht nicht das schlimmste Auskunftsmittel. Der semitische Stammbaum und das kleine Manquement von etwas Taufwasser … daran scheinst du dich nicht zu stoßen. Die junge Dame ist wohl esprit fort genug, um darüber ebenfalls großartig zu denken. Sie macht stark in Geist, und die Rolle gelingt ihr nicht übel. Uebrigens wäre Fräulein Daniella keine so leichte Eroberung als du denkst. Ihre brennenden Augen haben es längst auf einen schönen Troubadour abgesehen; jetzt ist er ihr enfant gâté; später vielleicht, wenn die Welt ihn mit Ruhm gekrönt hat, läßt sie sich zugleich von ihm verherrlichen. Geld genug hat sie, sich den Ruhm zu vergolden – sie würde wohl die Ruhmeskrone unserer etwas abgenutzten Adelskrone vorziehen.«

»Das glaube ich nicht,« gab Carry zurück. »Und einen Rivalen brauchst du nicht leicht zu fürchten.«

Ihre aufrichtige Bewunderung schien ihm wohlzuthun. Er lachte leise auf. »Die junge Dame ist nicht ganz lenkbarer Natur. Der einzige günstige Umstand würde sein, daß der Künstlerknabe, dem sie ihre Huld zuwendet, dies nicht recht zu schätzen weiß. Ob es instinctive Abneigung gegen die Ungläubigen ist oder ideale Schwärmerei für seine Kunst – oder weil ihm unbewußt, ein anderes Paar schöner Augen zum Magnet geworden – qui vivra, verra

»Meinst du den jungen Rother, der früher geistlich werden wollte?«

»Das hätte ihn freilich allen Versuchungen entzogen. Auf Asten hat man sich mit seinem Gesinnungswechsel noch nicht ausgesöhnt. Wer weiß, warum Comtesse Helenens Augen solch' schwärmerischen Ausdruck tragen?«

»Helene Asten liebt dich!« wiederholte Carry fest. »Aber suche den schönen Rother dort zu beschäftigen, damit du dein Ziel bei Fräulein Daniella erreichst. Es ist mir das zwar weniger angenehm – ich hätte dich so gern hier, wo man dich so freundlich aufnahm, ein neues, deinem Namen und deinem Stande entsprechendes Leben beginnen sehen.« Ein leiser Seufzer entstieg ihrer Brust. »Aber immerhin, – geht es auf die eine Weise nicht, versuche es auf die andere. Millionen geben eine Stellung, welchen Ursprungs sie sein mögen,« schloß sie mit tragischer Resignation, den Kopf erschöpft in die Kissen lehnend.

»Du scheinst auf die Millionen der schönen Daniella sehr fest zu rechnen,« erwiderte Holdern. »Wenn ich auch meine Unwiderstehlichkeit genügend in Anschlag bringe, so liegt das Gelingen dieses Planes doch sehr in der Ferne. Du weißt aber, wie der Augenblick drängt.«

Carry verharrte einige Augenblicke in Schweigen, als fasse sie einen Entschluß. »Habe ich dich jemals im Stich gelassen, Fritz?« sagte sie dann mit weicher Betonung. »Was die Vermittelung bei Asten angeht, so lasse mich nur machen, und was das Dringendste anbetrifft« – Carry stand auf und verließ das Zimmer.

Eine Weile dauerte es, bis sie zurückkehrte; sie trug einen kleinen Lederschrein in der Hand, den sie schweigend vor den Bruder niedersetzte.

Betroffen sah Holdern auf ihr Thun.

»Du kannst sie für's erste versetzen – in London, denke ich, wird es jetzt am besten sein, da hier die augenblickliche Unsicherheit die Preise drückt,« sagte sie in ruhigem, geschäftsmäßigem Tone. »Ich weiß, daß sie von hohem Werthe sind.«

Holdern sah einen Augenblick stumm in den Schrein – dann zuckte es plötzlich durch seine Züge. »Du bist eine gute Schwester, Carry!« Er beugte sich nieder und küßte sie auf die Stirne. »Deine Liebe ist vielleicht das Einzige auf der Welt, das ich noch anzuerkennen vermag, Carry!« fuhr er fort und faßte ihre Hände. Er fühlte, wie eisig kalt sie waren, und suchte sie mit seinem Hauch zu erwärmen. Die zarte Gestalt halb tragend, halb führend, geleitete er sie dann zum Sopha.

Sie ließ es ruhig geschehen; das nervöse Zucken in ihrem Antlitz aber schien noch heftiger geworden. Ein Art hoffnungsloser Zärtlichkeit lag in dem Blick, den sie auf seine düster schönen Züge heftete.

Beide Geschwister schwiegen eine Weile, dann war es Carry, welche das Gespräch wieder anknüpfte; ihre Gedanken schienen in beständiger rastloser Thätigkeit. »Meinst du nicht,« sagte sie, hastig sich aufrichtend, als habe sie kaum Zeit zur Ruhe, »daß es gut wäre, wenn wir Astens ein Mal hierher einlüden? Das würde die gegenseitige Vertraulichkeit fördern.«

»Hierher?!« Holdern fuhr erstaunt auf, in dem wenig comfortabeln Raume sich umsehend.

»Warum nicht?« entgegnete Carry. »Jedermann muß es begreiflich finden, daß es hier noch unwohnlich ist, nachdem das Gut so lange unbewohnt war. Man wird es nach den hier zu Lande herrschenden Ansichten mehr zu schätzen wissen, wenn du anspruchslos beginnst, als wenn du den größten Luxus um dich verbreiten würdest. Warst du auch in etwa freundlich gegen den jungen Rother?« fragte sie besorgt. »Du weißt, er ist der Enkel des allvermögenden Rentmeisters von Asten – wir dürfen nichts versäumen.«

»Der junge Rother ist so ziemlich der einzige sympathische Mensch, den ich hier noch antraf,« antwortete Holdern. »Uebrigens mache alles, wie du es am besten findest; suche meinethalben auch Helene Asten noch in deinem Netze festzuhalten. Mit deiner Freundschaft für sie scheint mir das freilich schwer vereinbar; aber ich muß alle feinern Fäden dir überlassen.« Er wandte sich ab. So tief er fühlte, wie viel seine Schwester für ihn that, vermochte er doch die Abneigung vor einem solch' kalt berechnenden Spiel nicht zu überwinden. »Aber wenn du die Astens bittest, wirst du einige Bedienung nothwendig haben. Du hast ja abermals das ganze weibliche Dienstpersonal entlassen.«

Carry's Antlitz nahm bei dieser Bemerkung ihres Bruders sofort einen andern Ausdruck an; jeder Zug schien schärfer und härter zu werden. »Ich kann mit diesen Menschen nicht fertig werden!« rief sie heftig. »Solch' starrköpfiges, stummes, stures und langsames Gesindel, die jedes Wort sich abkaufen lassen und dabei voller Ansprüche sind – – lieber bediene ich mich selbst, als ihnen dafür Kost und Geld zu geben. Du wirst mir für die Tage Aufwärter bestellen, Fritz.«

Holdern schwieg zu den heftigen Aeußerungen seiner Schwester. Nirgendwo hatte sie noch Leute gefunden, die sie befriedigten. Der stille, aber selbstbewußte Menschenschlag dieser Gegend duldete am wenigsten ihre stürmischen Ausfälle. Ihr Bruder wußte, daß sie, ein Mal auf dieses Thema gekommen, nicht sobald aufhörte. Er brauchte also seine gewohnte Tactik, sie sich selbst zu überlassen. Nachdem er ihr flüchtig eine Bejahung zugenickt, verschwand er aus dem Zimmer; ihre Kargheit und Härte in dem Punkte war ihm unerträglich.

Aber kalt, hart und intriguant, wie Carry von Holdern war, einen vermochte sie rücksichtslos zu lieben und für ihn und durch ihn zu leiden.

Fritz von Holdern war früh verwaist. Seine um vieles ältere Schwester hat seine Erziehung geleitet. Der Knabe mit den düster schönen Augen und dem bald ungestümen, bald störrischen Wesen war der Abgott seiner Schwester.

War es die Liebe zu ihrer Familie, der Stolz auf ihren Stamm, oder war es die leidenschaftliche Zuneigung, welche herrschsüchtige Naturen oft für den empfinden, der, ganz in ihre Hand gelegt, gewissermaßen ein Theil ihres Ich bildet? – Man erzählte, Carry habe die vortheilhaftesten Anerbietungen zu eigener glücklicher Lebensstellung um dieses Bruders willen ausgeschlagen und dann Jahre hindurch die Launen eines alten Verwandten ertragen, um dessen Erbe auf ihres Bruders Haupt zu bringen. Dunkele Gerüchte waren im Umlauf in Bezug auf die Mittel, die ihr gedient hatten, um bessere Ansprüche zu beseitigen. Die Liebe zum Bruder hatte bei ihr alles überwogen; es war ihre Lebens-Aufgabe, für seinen Vortheil zu arbeiten, wie es ihr auch als Lebensglück genügt hatte. Mit eiserner Energie hatte sie für ihn Glanz und Reichthum erstrebt.

Selbst fast ohne Bedürfnisse, hatte sie gekargt, um seinen Reichthum zu mehren; und mehr als das, sie hatte später für ihn auch zu verschwenden gewußt, – ohne Klage hatte sie das mühsam Angehäufte wieder schwinden sehen, als die übermüthigen Launen des Jünglings es heischten.

Fritz Holdern war ein Knabe gewesen, dem man auf sein trotzig schönes Aeußere allein schon Begabung vindicirte. Seine Fassungskraft war nicht gering, und er benutzte sie, so lange keine Anstrengung damit verbunden war, gegen die sein lässiger Sinn sich sträubte. Seine Schwester trat seiner Indolenz auch nicht entgegen; der Ehrgeiz, in seinem Herzen die größte und erste Stellung einzunehmen, seiner wenig anschmiegenden Natur ungeachtet ihm Liebe und Zärtlichkeit abzugewinnen und dieselbe ausschließlich zu besitzen, ließ sie ganz seinen Launen sich anpassen.

Sie war eine zu weltliche Natur, um andere als weltliche Motive zur Grundlage der Erziehung zu machen. So wurden nur frivole Anschauungen dem jungen Geiste eingeprägt. Fritz Holdern war gewöhnt worden, sein Ich als das Wichtigste zu betrachten; und als er in die Welt trat, war diese ganz bereit, den jungen Mann, der die glänzendsten Aussichten hatte, in seiner Selbstvergötterung zu bestärken, – zeigte er dabei doch gerade der Gesellschaft gegenüber jene rücksichtslose Verächtlichkeit, wie sie kalten, stolzen Naturen eigen, denen die Menschen aber meist huldigen, weil sie sich nicht vor ihnen beugen.

In seinem ungebändigten Sinne trank er den Lebensbecher bis zum Grunde, bis zur Uebersättigung, ja, bis zum Weltekel, welcher dann bei solchen erwacht, die physisch und geistig zu kräftig angelegt sind, um vollständig unterzugehen, wie es das Loos der schwächern Naturen ist.

Aber nicht allein die Freude am Genuß, auch die Mittel zu demselben hatte er in kurzer Frist erschöpft, so daß seine Schwester die Bemühungen langer Jahre vernichtet und alle glänzenden Hoffnungen, die sie auf seine Zukunft gebaut hatte, zerstört sah.

Für ihn wäre damals nichts übrig geblieben, als von dem Schauplatz, wo er so rücksichtslos alles den Freuden des Augenblickes geopfert, sich zurückzuziehen. Im Gegensatz aber zu bloß tollem Genusse regte sich jetzt in seinem unruhigen Sinne eine gewisse Thatkraft, die freilich mehr abenteuerlichen Unternehmungen als ernster Arbeit sich zuwandte. Bei jeder Thätigkeit verlangte er nach frischer Anregung, nach neuem Reiz. Er ging in's Ausland und schloß sich einer militairischen Expedition an. So war er in passender Weise für ein paar Jahre verschwunden.

Seiner Schwester war indeß die unerquickliche Aufgabe geworden, die zerrütteten Vermögensverhältnisse wieder zu ordnen. Ihrer eisernen Energie war dies eben gelungen, als er heimkehrte. Die jugendlich überschäumende Wildheit wie den matten Lebensüberdruß hatte er wohl überwunden in dem bunten, von Abenteuern durchwebten Leben. Innerlich aber hatte das ungebundene Leben ihn noch um einige Grundsätze ärmer gemacht, und für verschiedene Leidenschaften hatte er eine einzige eingetauscht, die ihn ausschließlich beherrschte. Was im abenteuernden Kriegsleben ihm Ausspannung gewesen, hatte bleibenden Reiz für ihn gewonnen: das Spiel mit seinen aufregenden Wechselfällen.

Bei seinem verschlossenen Wesen blieb seiner Schwester diese Leidenschaft einige Zeit verborgen, besonders da das Glück ihm lange hold blieb. Die Unruhe, die ihn bald hierhin, bald dorthin trieb, war ihr als natürliche Folge seines unsteten Sinnes erschienen.

Im Laufe der Jahre war Holdern mit manchen seltsamen Menschen in Verbindung getreten. Ohne daß er irgend einer religiösen oder politischen Partei aus Ueberzeugung anhing, ließ eine gewisse Verbitterung, die er nach jenem Rückschlag in seinen Verhältnissen empfand, ihn zu jenen Weltverbesserern sich hingezogen fühlen, deren erster Grundsatz ist, gegen alles Bestehende anzukämpfen und alles Beschränkende abzustreifen. Wenn er sich diesen Kreisen auch nicht ganz anheim gab, so hatte er sich doch so weit eingelassen, als es mit seinem Stolze sich vertrug, der ihn glauben ließ, über allen Parteien stehen zu können.

Der Wechsel des Glücks, der nicht ausblieb, war seiner Schwester bald nicht mehr zu verbergen. Die kaum entlasteten Güter wurden zum zweiten Male überbürdet. Theils um den Forderungen der Gläubiger gerecht zu werden, theils um ihren Bruder den Versuchungen zu entziehen, hatte sie ihn zu der Uebersiedelung nach dem alten Stammschloß vermocht. Sie hielt es für möglich, dort mit geringen Mitteln zu leben. Wie sehr sie selbst die in der entlegenen Gegend herrschenden Anschauungen für veraltet ansah, hoffte sie doch, die soliden Verhältnisse des dortigen Lebens könnten einen guten Einfluß auf ihren Bruder üben. Der Gedanke, durch eine gute Heirath seine Situation zu verbessern, hatte ihr gleichfalls vorgeschwebt.

Für's erste hatte sie nicht viel erreicht. Holdern hatte der zwingenden Nothwendigkeit sich gefügt; mit einer gewissen Ehrfurcht vor der stets Rath schaffenden Klugheit der Schwester war er ihrem Plane gefolgt. An das alte Gut fesselte ihn aber nichts, und er hatte die Langeweile zu verscheuchen gesucht durch gelegentliche Ausflüge nach jenen Orten, wo der grüne Tisch ihm winkte. Als Carry im Süden Helene Asten kennen lernte, hatte sie gehofft, in dem ungewöhnlich schönen Mädchen dem durch die Krankheit des einzigen männlichen Erben der Familie eine so glänzende Aussicht sich eröffnete, den richtigen Magnet für ihren Bruder gefunden zu haben. Sie hatte daher Helene an sich zu fesseln und auf sie zu wirken gesucht. Der lebhafte Eindruck, den dieselbe empfangen, war zum großen Theil auf die begeisterten Schilderungen der Schwester zurückzuführen.

Ob Fritz Holdern, wie er jetzt war, ein Mädchen von Helenens Art beglücken könne, war dabei für Carry gleichgültig. Ihr Herz kannte nur einen Gegenstand, dem sie selbst alles opfern würde, dem aber auch rücksichtslos jedes fremdes Glück zum Opfer fallen mußte – die alte Erfahrung, daß der Mensch dem Götzen, den er sich aufrichtet, alles hinwirft, wie der Heide seinem Moloch.

Holdern hätte vielleicht im Hinblick auf so vortheilhafte Aussichten sich zum Ehejoch bequemt. Aber mit der Genesung Herbert's schwanden diese Aussichten. Zudem war seine Lage, wie er selbst sagte, eine solche, daß kein Abwarten möglich schien; durch eine Apanage, wie die Asten'schen Töchter sie erhielten, konnte sie wenig gebessert werden. Auch war es fraglich, ob Graf Asten bei näherm Einblick in seine Lage überhaupt auf eine Verbindung eingehen werde. Unter solchen Verhältnissen zog er vor, seine Freiheit zu behalten. Die Neigung des schönen Mädchens hatte er wohl erkannt, und sie schmeichelte ihm; aber kaltblütig war er bereit, sie jederzeit fallen zu lassen, wenn sein Vortheil es erheischte.

Die Zuvorkommenheit, die Graf Asten jedem seiner Standesgenossen entgegenbrachte, hatte den Baron mit dem Hause Hirsch in Verbindung gesetzt; aber er hoffte noch kräftigere Hülfe durch diese Freundschaft zu erlangen. Seine Leidenschaft für's Spiel hatte seine Lage auf's bedenklichste erschüttert. Für den ersten Augenblick genügte die Summe, die der sehr werthvolle Schmuck ergeben mußte. Carry zweifelte nicht, daß es ihr gelingen würde, Graf Asten ihren Wünschen geneigt zu machen, – die Aussicht, die sich durch Daniella eröffnete, gar nicht in Anschlag zu bringen. Carry Holdern hatte schlimmere Situationen durchgemacht, und ihre Lippen hatten kaum dabei gezuckt; sie hatte größere Opfer gebracht, und keine Klage war laut geworden. Aber jetzt war das Maß vielleicht überfüllt.

Kaum hatte ihr Bruder das Zimmer verlassen, als die gespannten Züge sich lösten und sie in tiefer Trostlosigkeit das Antlitz in den Kissen barg und leidenschaftlich ausbrach: »Meiner Mutter Perlen! Auch meiner Mutter Perlen! O, die unselige Passion!«


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