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22

Voll Zorn hatte Dr. Josephson an jenem Tage die Villa Daniella's verlassen. Sein Antlitz war noch bleicher, die Haarmassen starrten noch wilder um sein Haupt wie sonst; nie hatte er über »das Erzeugniß der Natur, das man Weib nennt,« geringschätzender gedacht. Sie, die ihm eine Göttin gedünkt an Kraft und Freiheit des Geistes, sie, die Krone ihres Geschlechtes, war schmählich abgefallen und hatte sich freiwillig in die Schlingen der Pfaffen und Aristokraten begeben – konnten solche Wesen anderes als eine untergeordnete Stellung in der Schöpfung beanspruchen?

Dennoch sollte nur einmal die Sonne untergehen über Dr. Josephson's Groll. Am folgenden Tage waren seine Ansichten über die Launen der Weiber schon bedeutend gemildert. In der nächsten Nacht nämlich wurde er zu Daniella gerufen. Ein heftiges Fieber hatte sie ergriffen. Der Arzt vermochte sich diesen Umschwung nicht zu erklären, da er am Nachmittage noch sie in voller Gesundheit verlassen hatte. Freilich hätte er die von ihr ausgesprochenen Ansichten für Fieber-Phantasieen halten können, und in späterer Zeit fühlte er sich oft versucht, dieser Ansicht zuzuneigen.

Wie schroff auch ihre Meinungen sich gekreuzt hatten, Dr. Josephson wurde jetzt entschädigt; keine andere Hand als die seine durfte das Eis auf ihre glühende Stirne legen, durfte den kühlenden Trank an ihre brennenden Lippen bringen. Aber trotz des wilden Fiebers verriethen diese nicht, was den Sturm heraufbeschworen, was Daniella's starke Natur so mächtig erschüttert hatte. Selbst in der Bewußtlosigkeit schien ihr Wille noch die Zunge im Zaume zu halten.

Dr. Josephson konnte aber dennoch den Anfall nur auf eine geistige Erregung zurückführen.

Die befreundete Familie, deren Schutz Daniella halb und halb sich unterstellt hatte, bekundete ihr liebevolle Theilnahme in jeder Hinsicht. Daniella aber wies jede Pflege außer der ihrer eigenen Dienerin zurück, wie sie auch keine andere ärztliche Autorität als die des Dr. Josephson in Anspruch nehmen wollte.

Nur für wenige Tage hielt die Krankheit sie gefesselt; kaum eine Woche später hatte ihre Constitution, stählern wie ihr Geist, schon obgesiegt, und sie vermochte wieder in dem kleinen Garten ihrer Villa die Frühlingsluft zu genießen.

Dr. Josephson brachte ein heroisches Opfer, indem er ihr eine Luftveränderung empfahl. Doch schüttelte seine schöne Patientin das Haupt und versicherte, wieder genesen zu sein und nur Ruhe und Einsamkeit zu bedürfen. Dr. Josephson allein wurde nicht ausgeschlossen. Im übrigen war sie unerbittlich, obwohl die Villa nicht leer wurde von theilnehmenden Besuchern. Sie empfing selbst Holdern nicht, wie oft er auch vorsprach.

Von Astens kamen in den ersten Tagen verschiedene Einladungen, da man ihre Erkrankung nicht ahnte. Auf die erste Nachricht davon fuhr jedoch Helene persönlich bei Daniella vor, da sie ihr wie ein Vermächtniß Rother's vorkam. Doch auch ihr gelang es nicht, den Bann zu durchbrechen, mit dem Fräulein Hirsch sich plötzlich umgeben hatte. Ihre Reconvalescenz, mit der sie sich höflich entschuldigte, überdauerte die Zeit, welche Astens noch in der Seine-Stadt zubrachten. Nur brieflich konnte daher Helene von Daniella Abschied nehmen. Helene war selbst von Rother's definitivem Entschluß, in einen Orden zu treten, überrascht worden. Rother, der sie noch im Verkehr mit Daniella glaubte, hatte sie gebeten, auch diese davon zu unterrichten. Was irgend Herbes für Daniella die Nachricht haben könne, hoffte er, werde Helenens weiches Gemüth auszugleichen wissen. Helene erkannte aber, wie schmerzlich Daniella betroffen werden würde. Sie hatte selbst dem kleinen Roman eine andere Wendung gewünscht: Daniella bekehrt und das Künstler-Paar vereint. Sie bemühte sich daher, durch die innigsten Worte den Eindruck der Nachricht zu mildern. Sie schilderte Rother's Theilnahme für Daniella, die Bewunderung, die er stets für sie gehegt, in den wärmsten Ausdrücken und fügte bei, daß er gewünscht habe, ihr vor allen andern seinen Entschluß selbst mitzutheilen, aber durch die nöthig gewordene schleunige Abreise daran verhindert worden sei. Helene hatte vermieden, von der Größe und Hoheit des priesterlichen Berufes zu sprechen, hatte einfach dem Schmerz Ausdruck gegeben, den Freund sich entrückt zu sehen, wenn auch um so schönen Zieles willen. Aus der Fülle ihres theilnehmenden Herzens hatte sie dann noch den Wunsch geäußert, daß der Abschied des gemeinsamen Freundes hoffentlich sie nicht für immer trennen würde, daß sie mindestens den geistigen Verkehr mit einander fortsetzen könnten.

Daniella's Lippen aber kräuselten sich höhnisch, als sie diese Zeilen las, die ihr den Eindruck einer nichtigen Komödie machten. Sie hätte auflachen mögen und die Schreiberin fragen, wie lange sie schon in dem Besitz der Mittheilung sei, die ihr Brief so vorsichtig einleitete. Helene, dachte sie, könnte großmüthig thun, da sie ihn sicher geborgen wußte und ihr Einfluß überwogen hatte. War ja doch noch mehr wahr geworden, als Holdern ihr verrathen, da er sogar in einen Orden trat – wohl um seine unheilige Neigung zu ihr, der Ungläubigen, abzubüßen, wie sie in bitterm Schmerz hinzusetzte. Jetzt, da sie den einzigen Zweck der Freundschaft Helenens entdeckt zu haben wähnte, glaubte sie den Werth derselben vollkommen zu würdigen, dieser Freundschaft, die nur dazu dienen sollte, auch sie zu einem blinden Werkzeuge des Fanatismus zu machen. Sie wußte, was Helene mit geistigem Verkehr meinte: man wollte sie heranziehen zur demüthigen Unterthanin jener Macht, die mit eiserner Consequenz die Welt zu beherrschen sucht. Für den, der selbst den Impuls zum Herrschen in sich fühlt, ist die Herrschsucht bei andern stets ein drohendes Gespenst.

Mit dem Eintreffen des Briefes, der die Abreise der Familie Asten von Paris verkündete, waren die halcyonischen Tage für Dr. Josephson vorüber, – diese Tage, wo er allein Daniella als ihr williger Sklave hatte dienen dürfen, nur zu willig den gefährlichen Augen gegenüber, die nicht minder schön waren in der Fiebergluth, als später, wo sie so matt und verschleiert unter den dunkeln Wimpern, gleichsam Hülfe suchend, hervorblickten.

Der kleine marmorne Cupido schnellte da wohl seinen schärfsten Pfeil ab; denn das schwache, Hülfe suchende Weib ist dem Männerherzen am nächsten. Aber die schöne Zeit war kurz; für Daniella war das Reich der Ruhe nicht, ihr Element war das der zuckenden Flamme: war es nicht die der Liebe, so war es die des Hasses.

Dr. Josephson maß sich im Stillen das Verdienst bei, den Sieg über die Verirrung ihres Geistes errungen zu haben, als er sah, wie ihre freie Geistesrichtung von neuem erwachte, sobald er sie dem Leben wiedergewonnen hatte. Mit Befriedigung bemerkte er, wie sie fortan die aristokratischen Kreise mied und allmälig aus der Passivität, in der sie seiner Partei gegenüber so lange verblieben, zu thätiger Theilnahme überging. Die Schlingen, die ihr gedroht, hatte sie mit kräftiger Hand abgestreift.

Erst vor zwei Jahren war der Bund, von dem Holdern stets in geheimnißvoller Weise als von seinen »mächtigen Freunden« sprach, aus England in die französische Hauptstadt übergesiedelt. Seine weltumfassenden Bestrebungen suchte er möglichst geheim zu halten. Unscheinbar hatte er begonnen, aber die Zeit wohl benutzt und seine Kräfte gesammelt. Nicht in kleinlichen Verschwörungen verzettelte er sich; waren es doch die festesten Bollwerke des politischen und mehr noch des religiösen Lebens, gegen die er seine Kraft richtete. Was dereinst an die Stelle gesetzt werden sollte, schwebte den Führern weniger klar vor, als das, was vorerst auszurotten war. Das religiöse Element stand dem Bunde am schroffsten entgegen; daher war die Kirche das Hauptziel für seinen Angriff. Und in diesem Kampfe boten alle Parteien ihm die Hand, welche der Verherrlichung des Menschengeistes im Gegensatze zur Unterwerfung unter die Offenbarung huldigten. Unter den Massen diese Theorieen zu verbreiten, war die nächste Aufgabe des Bundes und insofern die leichteste, als die Aufmerksamkeit der Staatenlenker sich am wenigsten dorthin richtete.

Daniella brauchte nicht viel Zeit, um unter diesen Männern zur Geltung zu gelangen, nachdem sie einmal die Arena betreten hatte. Sie besaß die rasche Fassungsgabe, die Fähigkeit des knappen, scharfen Ausdrucks, welche Menschen von großer Willenskraft meist eigen ist, und die stets blendend wirkt, selbst wenn die Gründlichkeit fraglich ist. Ihre innere Erregung, wie ihre unermüdliche Thätigkeit suchte einen neuen Ausweg. Jetzt war ihr das Arbeitsfeld willkommen, auf das früher Dr. Josephson wie Holdern sie vergeblich hingewiesen. Aus ihrer flüchtigen Feder gingen bald mit unglaublicher Schnelle eine Menge von litterarischen Producten hervor, welche durch ihren flüssigen Stil, durch die kurz hingeworfenen Schlagworte und Andeutungen einschneidend wirkten.

Ihre genaue Kenntniß von den Lehren und dem Leben der Kirche machte ihre Angriffe nur um so gefährlicher. Sie lieh ihren Schriften die schneidende Ironie, die aus einem gekränkten Gemüth sprudelt, aus einem Herzen, das sich rächen will. Wie aus derselben Pflanze Arznei und Gift gewonnen werden kann, so wandelte auch sie jetzt die Erkenntniß, die ihr hatte zum Balsam werden sollen, zu ätzendem Gift. Sie behauptete, die Herrschsucht der Kirche kennen gelernt zu haben, und gebrauchte ihre Waffen um so schonungsloser, während sie sich einen gewissen Schein von Objectivität zu wahren wußte. Nur in einem Punkte behielt ihr besseres Selbst eine gewisse Geltung: ihr Ideal blieb es, die hülfreiche Nächstenliebe, die sie auf dem Boden des Glaubens gefunden hatte, auf den Boden des Unglaubens zu verpflanzen. Sie wollte beweisen, daß die Frucht der Mildthätigkeit auch dort reifen könne, wo bloß die menschliche Vernunft herrschte, rein menschliche Beweggründe galten. Dr. Josephson's Vergötterung der allliebenden Natur und diese allerfreuende, allbeglückende Menschenliebe sollten sich ergänzen.

Die Häupter der Verbindung zählten Daniella bald zu ihren hervorragendsten Kräften; ihr Rath wurde gesucht, ihre Stimme als maßgebend gehört. Dr. Josephson sah seine Träume in Erfüllung gehen; er diente jetzt seiner Göttin mit gesteigerter Hingebung. Er wurde die Hauptstütze bei ihren Arbeiten, ihr thätigster Agent, der stets bereite Ausführer ihres Willens. Aber dennoch war sein Antlitz bleicher und sein Blick düsterer als selbst an jenem Tage, wo er im Zorne sie verlassen. Hatte er anderes ersehnt, als die Befriedigung, sie auf diese Höhe steigen zu sehen? War es ihm nicht genügend, daß sie eine glühende Parteigängerin geworden?

Ueber Undankbarkeit konnte er eigentlich nicht klagen. Daniella, die an Einfluß ihn bald überflügelte, hatte denselben sofort zu seinen Gunsten angewandt. Sie hatte ihm eine Stellung vermittelt, die lange schon das Ziel seines Ehrgeizes war. Aber alles hätte er hingegeben für einen Strahl aus diesen Augen, für das Leuchten einer andern Flamme, die er vergeblich zu entfachen suchte.

War sie so wenig Weib, daß sie der Liebe nicht fähig war? Dr. Josephson hatte sie einmal schwankend gesehen, ihr Gefühl in scharfem Conflict mit ihren Ansichten gefunden. Bei solchem Schwanken aber ist es fast immer das Herz oder die Leidenschaft, wodurch das Gleichgewicht gestört wird – so viel wußte auch seine Psychologie von dem Weibe. Längst hatte er ihm wieder den ersten Rang in der Weltordnung eingeräumt und war jetzt ein glühender Vertheidiger der Frauenrechte.

Daß er selbst jene Schwankung nicht hervorgerufen, davon war er zu seinem bittersten Schmerz überzeugt, und eifersüchtigen Blicks suchte er schon lange nach der geheimen Ursache. Sein Mißtrauen richtete sich auf den deutschen Baron, der so oft an Daniella's Seite erschien und immer mit einer gewissen Zuversicht auftrat.

Eine Zeit hindurch hatte es freilich geschienen, als solle Holdern's Wort wahr werden, daß der Arzt kein willkommener Gast sei; denn Daniella's Thüre blieb ihm wochenlang verschlossen. Sie konnte es nicht über sich gewinnen, in das Antlitz des Mannes zu schauen, der ihr so gebieterisch entgegengetreten, der sie so schwach gesehen hatte. Sie hatte das Gefühl, als habe er sie beraubt, als habe er ihr das entrissen, was ihres Lebens Kleinod gewesen; in jener Stunde hatte sie ihn mit eingeschlossen in die Worte: »Wie ich sie hasse, wie ich sie alle hasse!«

Holdern hatte seine Verbannung ruhig hingenommen; er wußte, daß auf dem Wege, den Daniella wieder betreten, sie einander begegnen würden. Gefürchtet hatte er nur den einen Einfluß; er kannte seine Macht und hatte die ruhige Zuversicht, daß nun, wo ihres Herzens Traum beendet, seine siebenzackige Krone und sein Wappenschild den Sieg davon tragen würden, sobald es ihm gefiele, sie der stolzen Schönen anzubieten.

Für den Augenblick bewahrte er sich noch die Freiheit, nur seinen speculativen Goldträumen hingegeben. Der Ankauf von Burghof war zwar mißlungen, da Velden in der letzten Stunde, zur großen Genugthuung seiner Freunde, die Verhandlungen plötzlich abgebrochen hatte. Rother hatte recht gehabt: bei Frau von Velden hatte ein Wort genügt, um den so plötzlich aufgetauchten Gedanken, ihr Heim aufzugeben, für immer zu verscheuchen. Wenn Holdern dort eine Niederlage erlitten hatte, so waren dafür neue Pläne aufgetaucht, und er wußte, daß dieselben ihm die Pforten der spröden Schönen wieder erschließen würden; er wußte, daß ihr Geist dieses neue Schaffensfeld nicht verschmähen werde. Es waren großartige Unternehmungen, Völker und Länder verbindend, Millionen heischend und Millionen gewährend, mit dem verklärenden Schein von Fortschritt und Weltbeglückung umgeben. Seine Berechnung war richtig gewesen: der Funken zündete. Mit Daniella's politisch-socialen Plänen stand diese Thätigkeit in einer gewissen Wechselwirkung und ergänzte dieselben in mancherlei Weise.

Der Verkehr zwischen Holdern und Daniella erinnerte in nichts mehr an jene Zeit, wo sie ihre launenhaften, pikanten Wortkämpfe geführt. Die Stunden ihres Zusammenseins waren jetzt mit geschäftlichen Combinationen und Berechnungen ausgefüllt; Holdern verfiel niemals mehr in jenen leidenschaftlichen Ton, der früher aus seinen scharfen Antworten hervorgeblitzt. Dennoch war er Daniella unentbehrlicher geworden als jemals.

Sie war Weib genug, um die Worte: »si je vous disais que je vous aime«, nicht ganz zu vergessen; dem Triumphe, den stolzen, starren Mann an sich gefesselt zu sehen, würde sie ungern entsagt haben. Sie empfand daher einen geheimen Verdruß, wenn Holdern jetzt, seiner frühern Tactik entgegen, oft den Namen Asten in seine Gespräche mischte. Er erwähnte, daß er dort häufige Besuche mache, wenn er auf kurze Zeit in seine Heimath zurückkehre, um die Neubauten auf seinem Gute zu überwachen. Helenens Name klang dabei öfter an, als es Daniella lieb war. War das eine Strafe, die Holdern für ihr Schmollen ihr auferlegte? Daniella sagte sich stets ganz kühl, daß sie Holdern nicht liebe; aber sie wollte ihn auch sich nicht entreißen lassen. Stand ihr Helene auch da wieder im Wege?

Daniella's Aufenthalt in Paris war zu einer bleibenden Niederlassung geworden. Die kindlichen Pflichten kamen bei ihr nicht in Anschlag gegenüber den Pflichten zur Menschen- und Weltbeglückung, die sie sich auferlegt hatte. Papa Hirsch hatte seinerseits genug gehabt an dem einen Winter voll Glanz und Unruhe; er genoß die Befriedigung des Stolzes auf die gefeierte Tochter lieber aus der Ferne und entschädigte sich durch zeitweise Besuche bei ihr in Paris. Mit der größten Liberalität lohnte er ihr aber den Glanz, den sie um seinen Namen verbreitete; alles, was sie wünschte, war zu ihrer Verfügung.

Herr Hirsch hatte auch nicht nöthig, seinem stolzen Worte: »Wir können es,« untreu zu werden. Seine weise Vorsicht hatte sich in der Zeit des Krieges bewährt. Die »sichern Geschäftchen« hatten sein Vermögen multiplicirt, und er blieb den sichern Geschäftchen ergeben. Die Entwickelung der großartigen Projecte Holdern's, welche seine Tochter in Begeisterung versetzten, hatte er sehr beifällig angehört, sehr wohlgefällig dazu gelächelt und gemeint, es sei schön, daß die Leute jetzt wie mit Dampf reich würden; sonst hätte man es nur werden können sein langsam, Schrittchen vor Schrittchen; er habe kaum geglaubt, daß der Herr Baron so viel Genie dafür habe, – ein Genie, fast wie der große Mann des Tages, der neue Geldkönig, der dahergekommen sei mit nichts, vor ein paar Jahren erst, und nun sitze im Reichstag mitten zwischen den Fürsten und Herren, und ein Palais habe und ein Leben führe glänzender als die Fürsten und Herren alle zusammen.

Aber außer diesem Lobe schien Herr Hirsch sich nicht betheiligen zu wollen. Er blieb taub gegen alle Verlockungen, die »großen und schönen Unternehmungen« mit seinen Fonds zu unterstützen oder die Prospecte durch seinen Namen zu verherrlichen. Wie viel Freiheit Herr Hirsch seiner schönen Tochter auch ließ, im Punkte der Geschäfte wahrte er sich die Alleinherrschaft.

Herr Hirsch stand noch im besten Mannesalter; aber unerwartet traf ihn der Ruf, der ihn allen irdischen Geschäften auf immer entrückte – etwa ein Jahr nach der für Daniella's Richtung so entscheidender Wendung. Das Plötzliche des Ereignisses und der jähe Schrecken über den Verlust des Vaters, den sie vor kurzem noch so lebensfrisch gesehen, ergriff sie tief, aber einen nachhaltigen Kummer empfand sie nicht; ihr beiderseitiges Leben hatte zu wenig Berührungspunkte gehabt. Der Tod des Vaters machte Daniella's Anwesenheit in ihrer Vaterstadt nothwendig; vielleicht wäre eine gänzliche Uebersiedelung zweckmäßig gewesen. Aber der Zauber der Königin der Städte hatte sie zu sehr umsponnen, als daß sie ihr ganz hätte entsagen können.

Dr. Josephson wie Holdern waren beide herbeigeeilt, ihre Hülfe anzubieten. Für Holdern war der Moment von entscheidender Wichtigkeit; er war überzeugt, daß alle Geschäfte des Vaters Hirsch den solidesten Erfolg gehabt hatten, und Daniella war seine einzige, unbeschränkte Erbin. Wer aber einmal am Goldborn getrunken, dessen Lippen dürsten unersättlich nach weiterm Genuß: eine Welt von Plänen wirbelte in Holdern's Kopfe, doch er wußte Frauen gut zu behandeln. Kühl wie immer stand er vor ihr, seine Begleitung und seine Hülfe ihr anbietend für den Fall, daß sie dieselbe wünsche. Kaum ein Wort mehr, als die einfachste Höflichkeit verlangte, kam über seine Lippen.

Daniella schwankte einen Moment, als sie Dr. Josephson's Augen so flammend auf sich gerichtet sah. Der junge Arzt war einzig von dem begeisterten Wunsche beseelt, ihr dienen zu dürfen; er achtete ihres Geldes nicht: er würde Daniella angebetet haben, wäre sie eine Bettlerin gewesen. Aber las sie auf der kalten, trotzigen Stirne Holdern's, daß er sich nicht zum zweiten Mal würde zurückweisen lassen? Erstrebte sie in Wahrheit sein Wappenschild als angenehme Ergänzung ihres Reichthums, oder wollte sie ihn nur jener andern nicht frei geben? … Mit vielen Worten des Vertrauens legte sie alle ihre Pariser Angelegenheiten in die Hände des Dr. Josephson; aber Holdern war es, den sie bat, sie zu geleiten und in der ihr fast fremd gewordenen Heimath ihr seine Stütze zu leihen.

Holdern verbeugte sich kalt. Dr. Josephson aber haßte »die Hunde von Aristokraten« von der Stunde an um so glühender. Er hätte das Weib verachten mögen, das immer wieder nach diesem Spielwerk griff, – und dennoch brannte die Sehnsucht nach ihr in seinem Herzen, als er kaum den Strahlenkreis ihrer Augen verlassen hatte.


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